Übersichtsarbeiten - OUP 01/2016

AC-Gelenksprengung – wann konservativ, wann minimalinvasiv, wann offen?

Tim Schwarting1, Philipp Lechler1, Michael Frink1

Zusammenfassung: Akute Sprengungen des Schultereckgelenks (ACG) betreffen überwiegend junge Erwachsene und resultieren gehäuft durch Kontakt- oder Hochrasanzsportarten. Die Desintegration des Gelenks resultiert hierbei durch die Läsion der kapsuloligamentären und muskulären Stabilisatoren und bedingt, entsprechend der Schwere des Traumas, eine vertikale und horizontale Instabilität. Einigkeit herrscht über die konservative Behandlung niedriggradiger ACG-Instabilitäten. Ob die operative Therapie der Grad-III-Verletzung nach Rockwood einem konservativen Vorgehen überlegen ist, wird kontrovers diskutiert. Für die operative Versorgung der höhergradigen ACG-Dislokationen stehen sowohl offene als auch minimalinvasive Verfahren zu Verfügung, wobei keine wissenschaftliche Evidenz für die Überlegenheit einer speziellen Operationsmethode existiert.

Schlüsselwörter: Schultereckgelenkspregnung, Rockwood-
Verletzung, arthroskopisch-assistierte Stabilisierung, Schulterarthroskopie, Hakenplatte

Zitierweise
Schwarting T. Lechler P. Frink M. Die AC-Gelenksprengung – wann konservativ, wann minimal invasiv, wann offen?
OUP 2016; 1: 034–039 DOI 10.3238/oup.2015.0034–0039

Summary: The acute dislocation of the acromioclavicular (AC) joint does mainly affect young patients and is often caused by contact or high-energy sports. Due to lesions to the capsuloligamentous and muscular stabilizers, vertical and horizontal instability can occur. While the conservative treatment is established for low-grade AC dislocations, the optimal treatment of Rockwood III lesions remains to be clarified. To date, various open and minimal-invasive surgical procedures for the treatment of high-grade AC dislocations are described. However, there is insufficient evidence to recommend any specific surgical treatment.

Keywords: AC joint seperation, Rockwood injury, arthroscopic-assisted stabilization, shoulder arthroscopy, hook plate

Citation
Schwarting T, Lechler P, Frink M. AC joint dislocation – when should it be treated conservatively, when minimally invasive, when open? OUP 2016; 1: 034–039 DOI 10.3238/oup.2015.0034–0039

Die zur Verfügung stehenden konservativen und operativen Verfahren zur Behandlung akuter Instabilitäten des Schultereckgelenks (ACG) sind vielfältig und bis heute Gegenstand kontrovers geführter Diskussionen. Neben einer Vielzahl konservativer Behandlungskonzepte werden in der Literatur bis zu 151 verschieden operative Techniken zur Stabilisierung des AC-Gelenks beschrieben [1]. Jedes dieser Verfahren weist spezifische Vor- und Nachteile auf. Zwar weisen die publizierten Berichte, sowohl der operativen als auch der konservativen Therapiestrategien, jeweils einen hohen Anteil an guten und sehr guten Resultaten auf [1, 2], dennoch konnte hieraus bisher kein standardisierter Behandlungs-Algorithmus abgeleitet werden.

In den letzten Jahren haben arthroskopische Techniken deutlich an Popularität gewonnen und eine rasante Entwicklung durchgemacht [1, 2]. Hauptargumente dieser Versorgungskonzepte sind die minimale Invasivität sowie die simultane Adressierung glenohumeraler Begleitpathologien [3], die in bis zu 30 % der Patienten beschrieben sind.

Anatomie und Biomechanik

Das ACG stellt neben dem Sternoklavikulargelenk die einzige echte artikulierende Verbindung zwischen dem Rumpf und dem Schulter-Arm-Komplex dar und ist von essenzieller Bedeutung für die stabile Einstellbewegung des Schulterblatts [4]. Funktionell kommt dem ACG hierbei eine last- und kraftübertragende Bedeutung zwischen Arm und Rumpf zu. Die Stabilität des ACG wird sowohl durch statische (kapsuloligamentäre) als auch dynamische (muskuläre) Komponenten kontrolliert und limitiert. Dabei umfasst das Spektrum der statischen Stabilisatoren den akromioklavikulären- (AC-) Kapsel-Bandapparat und den korakoklavikulären (CC-)Bandkomplex. Die AC-Ligamente, insbesondere die superioren und dorsalen Faserzügel, erfüllen primär eine horizontale Stabilisierungsfunktion [5]. Hierbei wird v.a. die klinisch relevante dorsale Translation der Klavikula begrenzt [6]. Den v-förmig angeordneten CC-Bändern (Ligg. conoideum und trapezoideum) wird hingegen eine vertikale Stabilisierungsfunktion zugeschrieben [7], wobei Mazzocca et al. auch deren Relevanz für die horizontale Stabilität aufzeigen konnten [8]. Während nun die biomechanischen Eigenschaften der einzelnen Bandstrukturen prinzipiell geklärt sind, herrscht noch eine kontroverse Diskussion über die Funktion der muskulofaszialen Komponenten, insbesondere der deltotrapezoidalen Faszie, der ebenfalls eine stabilisierende Funktion in antero-superiorer Richtung zugesprochen wird [4, 9].

Epidemiologie

Die akute Separation des ACG betrifft überwiegend junge, sportlich aktive Erwachsene und zählt zu den häufigsten Verletzungen des Schultergürtels (4–12 %) [10]. Insbesondere im Rahmen von risikobehafteten Kontakt- bzw. Hochrasanzsportarten wie Eishockey, Rugby oder Handball kommt es zu Läsionen der nativen Stabilisatoren des Schultereckgelenks [11]. So haben beispielsweise Rugbyspieler im Vergleich zu American-Football-Spielern ein fast 5-fach höheres Risiko, eine Schultereckgelenkverletzung zu erleiden [12]. Im alpinen Skisport betreffen 20 % aller Verletzungen des Schultergürtels das AC-Gelenk [13].

Die Desintegration des Gelenks resultiert entweder durch einen Sturz auf den adduzierten Arm bzw. Schultergürtel (direktes Trauma) oder auf den ausgestreckten Arm bzw. Ellenbogen (indirektes Trauma). Beide Mechanismen führen zum Transfer des Kraftvektors auf die ligamentären, kapsulären und muskulofaszialen Strukturen und abhängig von der einwirkenden Kraft zu einer statischen und/oder dynamischen vertikalen und horizontalen Translation.

Klassifikation

Die ursprüngliche Beschreibung der AC-Gelenksprengung erfolgte bereits 1917 durch Cadenat, der einen speziellen, konsekutiven pathologischen Charakter der Verletzung postulierte, beginnend mit der Ruptur der AC-Bänder, gefolgt von der Zerreißung der CC- Bänder bis hin zur Involvierung der Mm. deltoidei und trapezoidei sowie der Deltotrapezoidfaszie [14].

Tossy et al. etablierten 1963 eine Klassifikation mit 3 Schweregraden (I–III), basierend auf der radiologischen vertikalen Verschiebung des lateralen Klavikulaendes in Relation zum Akromion [15]. Lange Zeit galt diese, aufgrund ihrer Einfachheit und hohen Reproduzierbarkeit, als international anerkannter Standard zur Evaluierung der akuten AC-Gelenkverletzung. 1984 diente Rockwood et al. dann die horizontale Komponente der Gelenkinstabilität zur Modifikation der Klassifikation und Erweiterung um die Schwergrade IV–VI [16]. Während es bei der Typ-I-Verletzung lediglich zu einer Distorsion der Kapsel-Band-Anteile ohne Dislokation kommt, beschreibt die Typ-II-Verletzung eine Ruptur der Gelenkkapsel und der AC-Ligamente mit gleichzeitiger Überdehnung der CC-Bänder. Dies führt zur Subluxation um bis zu einer halben Klavikulaschaftbreite. Die CC-Seitendifferenz beträgt bei diesen niedriggradigen Instabilitäten maximal 25 %. Die komplette Ruptur der AC- und CC-Bänder sowie der Kapsel mit kompletter Dislokation des ACG und einem CC-Abstand von 25–100 % entspricht einer Typ-III-Verletzung. Bei partieller Beteiligung der Deltotrapezoidfaszie kann es zu einer äußerst seltenen statischen, posterioren Dislokationen (Typ IV) kommen. Die komplette Zerreißung der Deltotrapezoidfaszie und aller AC-Gelenk stabilisierenden Strukturen resultiert in einer ausgeprägten Separation der Gelenkpartner mit einem CC-Abstand zwischen 100–300 % (Typ V). Eine Dislokation des lateralen Klavikulaendes unter den Proc. coracoideus (Typ VI) werden zwar in der Literatur beschrieben [17], sind jedoch im klinischen Alltag nur sehr selten beobachtet worden [18].

Diagnostik

Klinische Evaluierung

Die Diagnose einer AC-Gelenksprengung gelingt häufig bereits klinisch durch eine entsprechende Anamnese und eine detaillierte Inspektion des Schultergürtels. Als Korrelat eines direkten Traumas können sich Prellmarken, Hautabschürfungen oder Hämatome im Bereich des Schultergürtels manifestieren. Bei niedriggradigen AC-Gelenkdislokationen sind zusätzlich palpatorisch Schmerzen über dem Gelenk auszulösen und positive ACG-Tests (Cross-body-Test, Adduktions-Widerstandstest, hoher schmerzhafter Bogen, u.a.) zu beobachten. Die höhergradigen AC-Gelenksprengungen imponieren ferner mit einem relativen Klavikulahochstand als Ausdruck der vertikalen Instabilität des lateralen Klavikulaendes. Neben einer deutlichen Druckschmerzhaftigkeit über dem ACG finden sich ein positives „Klaviertastenphänomen“ bzw. ein schmerzärmeres „umgekehrtes Klaviertastenphänomen“ (kraniale Reposition des Schulter-Arm-Komplexes über den Ellenbogen). Um eine potenziell vorliegende dynamische horizontale Instabilität zu beurteilen, sollte das Akromion bei der klinischen Untersuchung mit einer Hand fixiert und die Klavikula in antero-posteriorer Richtung verschoben werden. Um Hinweise auf mögliche intraartikuläre Begleitverletzungen zu erhalten, sollte eine vollständige Untersuchung der Schulter bzw. des Schultergürtels erfolgen. So finden sich glenohumerale Läsionen vor allem bei höhergradigen AC-Gelenksprengungen [3]. In der Regel ist das aktive Bewegungsausmaß posttraumatisch schmerzbedingt reduziert, auch passiv erlaubt der Patient nur geringe Bewegungen. Die Durchführung selektiver Muskeltests, und damit die Differenzierung gegenüber Verletzungen einzelner Teile der Rotatorenmanschette, ist aufgrund der Schmerzsymptomatik oftmals eingeschränkt und die Aussagekraft der klinischen Untersuchung hierdurch limitiert.

Nativ-radiologische
Projektionsverfahren

Im Hinblick auf die Beurteilung frischer AC-Gelenkverletzungen muss eine gewisse Inhomogenität der verwendeten bildgebenden Diagnostik festgestellt werden [2]. So sind bis zu 7 verschiedene nativ-radiologische Projektionen im klinischen Alltag beschrieben [18]. Grundsätzlich sind, wie auch bei jedem anderen Gelenk, röntgenologische Standardaufnahmen in 2 Ebenen unverzichtbar. Als standardisierte a.p.-Projektionsebene zur Beurteilung der vertikalen Transposition wird die bilaterale Zanca-Aufnahme [19] mit kaudo-kranialem Strahlengang, entsprechend des Consensus der International Society of Arthroscopy, Knee Surgery and Orthopaedic Sports Medicine (ISAKOS), vorgeschlagen [1]. Diese dient einerseits zur direkten Beurteilung des AC-Gelenks und andererseits zur Bestimmung der CC-Distanz (Abb. 1A). Ergänzt wird die Zanca-Aufnahme durch eine bilaterale Belastungsaufnahme, mit am Handgelenk angehängten Gewichten (7,5–10 kg) (Abb. 2).

Zur Evaluation der antero-posterioren Transposition hat sich im klinischen Alltag die transaxilläre Projektion bewährt (Abb. 1B) [9], wobei diese in verschieden Körperpositionen durchgeführt werden kann. Als Alternative zur Beurteilung einer dynamisch horizontalen Translation kann auch eine Aufnahme nach Alexander durchgeführt werden [20]. Hierbei handelt es sich um eine Modifikation einer transskapulären Projektion. Bei horizontal instabilen Verhältnissen kommt es zu einer dorsalen Verschiebung des lateralen Klavikulaendes über das Akromion, wobei keine Korrelation zur Quantität der Instabilität besteht. Ferner ist die Alexander-Aufnahme, aufgrund individueller Laxizitätsverhältnisse, nur bei bilateraler Durchführung aussagekräftig.

Bundesweit werden laut einer aktuellen Erhebung die Zanca-Aufnahme in nur 44 % der orthopädisch-unfallchirurgischen Abteilungen, die axiale Projektion in nur 42 % und die Alexander-Aufnahme in nur 12 % durchgeführt [18].

Sonografie

Hedtmann et al. beschrieben die Sonografie als weiteres Schlüsselelement in der Akutdiagnostik [4], welche nicht nur zur Dokumentation der (Sub-)Luxation dient, sondern auch Rückschlüsse über das Ausmaß der Verletzung zulässt. Mittels parasagittaler Schallkopfpositionen können die Insertionsverhältnisse der Mm. trapezoidei und deltoidei sowie ihrer Faszien dargestellt werden. Eine ventrale Schallkopfposition erlaubt die Beurteilung der horizontalen Translation. Analog zu den nativ-radiologischen Projektionsebenen können zusätzlich auch die AC- sowie CC-Distanz ermittelt werden und liefern somit einen zusätzlichen Informationsgewinn hinsichtlich des Schweregrads der Verletzung [21, 22]. Weiterhin können glenohumerale Begleitverletzungen (z.B. Läsionen der Rotatorenmanschette) unter dynamischen Verhältnissen simultan diagnostiziert werden.

Erweiterte bildgebende Verfahren

Die Bedeutung der Magnetresonanztomografie (MRT) im Rahmen der Akutdiagnostik steigt in den letzten Jahren immer mehr. So präferieren 21 % der Orthopäden und Unfallchirurgen dieses diagnostische Verfahren, wobei kein Unterschied zwischen Schulterexperten/-zentren und Nicht-Schulterexperten/-zentren existiert [18]. Während die Integrität der AC- und CC-Bandkomplexe lediglich indirekt durch die Stellung der ossären Strukturen im Röntgenbild abgeleitet werden kann, erlaubt die MRT eine direkte Beurteilung der ligamentären (Partial-) Läsionen.

Pauly et al. berichteten über 15 % intraartikuläre Begleitläsionen bei höhergradigen AC-Gelenkdislokationen, die einer simultanen rekonstruktiven Intervention bedurften [3]. Die Autoren folgerten, dass ein präoperativ durchgeführtes MRT die Identifikation von Begleitverletzungen erleichtern würde und somit eine suffizientere Patientenaufklärung und Operationsplanung möglich sei. Weitergehende bildgebende Untersuchungsverfahren wie die Computertomografie (CT) werden nicht routinemäßig eingesetzt und sind nur in seltenen Sonderfällen erforderlich.

Therapie

Konservative Therapie

In der Literatur herrscht zwar ein Konsens darüber, dass niedriggradige ACG-Instabilitäten vom Typ Rockwood I und II konservativ therapiert werden sollten, ein evidenzbasiertes Behandlungsschema zur konservativen Behandlung existiert jedoch nicht [1, 18, 23, 24]. Empfohlen wird eine kurzzeitige Immobilisation bzw. Protektion im Gilchristverband oder in einer Schlinge für 1–2 Wochen bis zum Erreichen einer relativen Schmerzarmut. Unterstützt wird diese Phase durch lokale und systemische nichtsteroidale Antirheumatika und Kryotherapie. Forcierte innenrotatorische Bewegungen sollten in der Akutsituation vermieden werden, ebenso wie vermehrte Abduktions-, Elevations- und Adduktionsbewegungen, um nicht zusätzlich Stress auf das ACG auszuüben. Begleitend oder an die protektive Phase anschließend, erfolgt eine intensive und gezielte Physiotherapie, die mittels Eigenübungen oder unter Anleitung durchgeführt werden kann. Neben der Wiederherstellung des freien Bewegungsausmaßes werden auch die beiden aktiven Stabilisatoren der lateralen Klavikula (Pars ascendes des M. trapezoideus und Pars clavicularis des M. deltoideus) mit einbezogen. Kontaktsportarten sollten erst bei Bewegungs- und Schmerzfreiheit sowie einer symmetrischen Kraftentwicklung im Schultergürtel wieder aufgenommen werden. Zwar heilen in der Regel niedriggradige ACG-Verletzungen unter konservativer Therapie innerhalb weniger Wochen aus, jedoch beschrieben Moushine et al. auch eine Chronifizierung der Instabilität [25]. Nur 50 % der Patienten waren nach einem durchschnittlichen Follow-up von 6,3 Jahren asymptomatisch, wohingegen bei 27 % die Indikation zur sekundären operativen Intervention gestellt wurde.

Die optimale Therapie der Rockwood-III-Verletzung bleibt weiterhin Gegenstand kontrovers geführter Diskussionen. Trotz einer generellen Zunahme von Publikationen im Bereich der akuten Schultereckgelenkverletzung sind qualitativ hochwertige vergleichende Studien (konservative vs. operative Therapie) rar. Beitzel et al. konnten in einem systematischen Review anhand von 3 prospektiven Level-II-Studien und 12 retrospektiven Level-III-Studien keine Überlegenheit einer Therapieform herausarbeiten [1]. In Deutschland favorisieren 73 % der orthopädisch-unfallchirurgischen Abteilungen die operative Therapie [18]. Hierbei muss jedoch erwähnt werden, dass im Laufe der Jahre die Operationsindikation eher zurückhaltender gestellt wird, dies gilt insbesondere für Schulterexperten [18]. Letztendlich ist die Therapiestrategie bei einer Rockwood-III-Verletzung eine individuelle Entscheidung und vom Patienten und dessen Funktionsanspruch abhängig. Entsprechend der aktuellen Literatur wird eine operative Versorgung bei Patienten mit horizontaler Instabilität, erhöhtem beruflichen und/oder sportlichen Anspruch, bei persistierenden Schmerzen und einer funktionellen Limitation, nach fehlgeschlagener konservativer Therapie, eher empfohlen [1].

Operative Therapie

Analog zum Konsens der konservativen Therapie bei Verletzungen Typ Rockwood I und II, herrscht ebenfalls Einigkeit hinsichtlich der operativen Therapie bei AC-Gelenkdislokationen Typ Rockwood IV–VI. Durch den kompletten Verlust der nativen Stabilisatoren kommt es nicht nur zur Desintegration des Gelenks, sondern auch zum Stabilitätsverlust des gesamten Schultergürtels mit einer skapulothorakaler Dysbalance und entsprechender klinischer Symptomatik [4]. Seit 1966 wurden hierzu 151 verschiedene operative Techniken beschrieben, wobei die Stabilisierung des ACG traditionell eine Domäne des offenen chirurgischen Vorgehens war [1]. Zu den häufigsten verwendeten Verfahren zählten die Hakenplatte, die K-Draht-Fixation, die Bosworth-Schraube und die PDS-Cerclage. Ziel jedes Vorgehens war die Wiederherstellung der Stabilität des ACG bzw. die Reposition und die Annäherung der rupturierten Bänder. Mit der Entwicklung arthroskopischer Verfahren wurden die etablierten offenen Operationstechniken hinsichtlich der arthroskopischen Durchführbarkeit modifiziert und sind heutzutage besonders unter Schulterexperten favorisiert [18]. Jedes dieser Verfahren bietet spezifische Vor- und Nachteile, und gegenwärtig kann keine dieser Techniken Anspruch auf den operativen Goldstandard erheben.

Operationszeitpunkt

Bislang existiert in der Literatur keine klare Empfehlung bezüglich des optimalen Operationszeitpunkts einer akuten AC-Gelenksprengung. Auch eine klare zeitliche Definition der akuten oder chronischen AC-Gelenkinstabilität fehlt. Unter Berücksichtigung des Heilungs- bzw. Vernarbungspotenzials der rupturierten AC- und CC-Bandkomplexe sowie der ACG-Kapsel wird eine möglichst zeitnahe operative Versorgung angestrebt [24, 26]. In diesem Zusammenhang verglichen Scheibel et al. eine operative Versorgung zwischen der ersten und zweiten posttraumatischen Woche und konnten keinen Einfluss auf die klinischen und radiologischen Outcomeparameter nachweisen [24, 26]. Hingegen konnten Song et al. ein signifikant selteneres Auftreten von Rezidivinstabilitäten (26 %) bei frühzeitiger Operation (innerhalb der ersten 3 Wochen), im Gegensatz zu sekundär operativ versorgten Patienten (38,1 %) beobachten [27]. Aktuellen Empfehlungen entsprechend werden auch in der eigenen Klinik AC-Gelenksprengungen bis zu einem Zeitpunkt von 3 Wochen als akut gewertet und entsprechend therapiert [28].

Offene Operationsverfahren

Während noch zu Beginn der letzten Dekade transartikuläre AC-Gelenksstabilisierungen (z.B. Kirschner-Draht) und CC-Cerclagen (z.B. PDS-Kordel) mit Abstand am häufigsten verwendet wurden [29], spielen diese Verfahren heutzutage nur noch eine untergeordnete Rolle [18]. Dementsprechend soll in dieser Arbeit auf diese Verfahren nicht explizit eingegangen werden.

Die Retention mittels temporärer Hakenplatte hat hingegen in den letzten 10 Jahren an Popularität gewonnen und hat sich als „Verfahren der Wahl“ der offenen Operationstechniken etabliert [18]. Helfen et al. konnten in einer aktuellen Metaanalyse gute bis sehr gute klinisch funktionelle Ergebnisse nach Hakenplattenversorgung zeigen [2]. Das mittlere Follow-up der eingeschlossenen Arbeiten betrug zwischen 10 und 36 Monate. Hierbei wurde ein mittlerer Constant-Score zwischen 89 und 97 Punkte erreicht. Demgegenüber stehen die bekannten Nachteile wie ausgiebige Weichteilpräparationen mit entsprechend relevanter Zugangsmorbidität, Materialbruch, Akromionosteolysen, die notwendige Materialentfernung und Residualinstabilitäten [4, 24, 30]. Auch der ökonomische Aspekt (Arbeitsausfall bei mind. 2 geplanten Operationen) sollte nicht außer Acht gelassen werden. Die erwähnten Einschränkungen sind nicht explizit für das Verfahren der Hakenplattenstabiliserung zu betrachten, sondern haben generell Gültigkeit für offene Operationstechniken.

Minimal invasive
Operationsverfahren

Im Rahmen der rasanten Entwicklung von arthroskopischen Techniken in der Gelenkchirurgie etablierten sich Anfang des Milleniums auch minimalinvasive korakoklavikuläre Refixationsverfahren (z.B. TightRope-Implantat), welche weiterhin zunehmend Verbreitung finden [18]. Hierbei wird ein Konstrukt aus Titanplättchen und nicht resorbierbaren, hoch reißfesten Fäden transklavikulär und transkorakoidal platziert, unter
arthroskopischer Sicht und teilweise zusätzlicher Bildwandlerkontrolle. Die
arthroskopischen Verfahren sind jedoch auch in ihrer eigenen Subgruppe variantenreich: beispielsweise Einzel- oder Doppel-TightRope-Technik mit oder ohne additive AC-Cerclage oder MINAR (Abb. 3A-B) [24, 26, 30]. In den Anfängen erfolgte die Versorgung größtenteils in Einzel-TightRope-Technik und findet auch heute noch Verwendung. Scheibel et al. berichteten jedoch über ein gehäuftes Frühversagen nach Einzel-TightRope-Technik und etablierten eine Doppel-TightRope-Technik, welche einer anatomischen Augmentation der CC-Bänder entspricht [26]. Aber auch hier wurde eine hohe Rate an horizontaler Translation beobachtet, sodass dieses Verfahren zusätzlich um eine AC-Cerclage – in arthroskopisch-assistierter Technik – erweitert wurde [24].

Vorteile aller Varianten sind eine
Minimalinvasivität mit zusätzlich verbessertem kosmetischen Gesichtspunkt, eine höhere Patientenakzeptanz, Vermeidung einer Implantatentfernung und ein potenziell geringeres Infektionsrisiko. Ebenfalls vorteilhaft ist eine sichere Diagnostik und simultane rekonstruktive Adressierung intraartikulärer Begleitpathologien. So beschrieben Pauly et al. eine Prävalenz glenohumeraler Begleitpathologien mit bis zu 30 % bei Patienten mit höhergradigen ACG-Sprengungen [3]. Demgegenüber stehen ein gesteigerter technischer Aufwand und mitunter eine reduzierte Möglichkeit, die deltotrapezoidale Faszie vollständig zu rekonstruieren, was in dieser Technik lediglich indirekt gelingt. Eine Grenze der arthrokopischen Stabilisierung stellt die AC-Gelenksprengung mit ipsilateraler Korakoidfraktur dar. Hier sind offene Verfahren wie z.B. die Hakenplatte mit additiver Schraubenosteosynthese des Proc. coracoideus zu bevorzugen.

Helfer et al. konnten auch bei den minimalinvasiven Operationsverfahren sehr gute klinische Ergebnisse beobachten (Constant-Score zwischen 91 und 97 Punkten) [2]. Im direkten Vergleich der offenen (Hakenplatte) mit der arthrokopischen (TightRope) Technik beobachtetet Jensen et al. eine Überlegenheit des minimalinvasiven Stabilisierungsverfahrens. Dies begründet sich auf die schon bereits erwähnten Vorteile der Arthroskopie. In den klinisch erhobenen Scores und dem postoperativen akromioklavikulären Abstand konnten jedoch keine signifikanten Unterschiede aufgezeigt werden. Auch die Komplikationsraten waren nahezu identisch [30]. Zwei weitere vergleichende Studien ergaben zwar tendenziell bessere funktionelle Ergebnisse nach arthroskopischer Stabilisierung, während für die übrigen Parameter kein signifikanter Vorteil eines Verfahrens herausgearbeitet werden konnte [2].

Zusammenfassend sind in der Literatur vielfältige minimalinvasive und offene Verfahren zur Behandlung der akuten AC-Gelenksprengung zu identifizieren. Die Studienlage ist jedoch aufgrund der inhomogenen Nutzung von standardisierten Outcomeparametern und Mangel an qualitativ hochwertigen Arbeiten insuffizient, sodass gegenwärtig keine abschließende evidenzbasierte Beurteilung bzgl. der Überlegenheit eines operativen Verfahrens möglich ist.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Dr. Tim Schwarting

Zentrum für Orthopädie
und Unfallchirurgie

Universitätsklinikum
Gießen und Marburg

Postanschrift, 35043 Marburg

schwarti@med.uni-marburg.de

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Fussnoten

1 Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg

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