Übersichtsarbeiten - OUP 01/2016

AC-Gelenksprengung – wann konservativ, wann minimalinvasiv, wann offen?

Die Diagnose einer AC-Gelenksprengung gelingt häufig bereits klinisch durch eine entsprechende Anamnese und eine detaillierte Inspektion des Schultergürtels. Als Korrelat eines direkten Traumas können sich Prellmarken, Hautabschürfungen oder Hämatome im Bereich des Schultergürtels manifestieren. Bei niedriggradigen AC-Gelenkdislokationen sind zusätzlich palpatorisch Schmerzen über dem Gelenk auszulösen und positive ACG-Tests (Cross-body-Test, Adduktions-Widerstandstest, hoher schmerzhafter Bogen, u.a.) zu beobachten. Die höhergradigen AC-Gelenksprengungen imponieren ferner mit einem relativen Klavikulahochstand als Ausdruck der vertikalen Instabilität des lateralen Klavikulaendes. Neben einer deutlichen Druckschmerzhaftigkeit über dem ACG finden sich ein positives „Klaviertastenphänomen“ bzw. ein schmerzärmeres „umgekehrtes Klaviertastenphänomen“ (kraniale Reposition des Schulter-Arm-Komplexes über den Ellenbogen). Um eine potenziell vorliegende dynamische horizontale Instabilität zu beurteilen, sollte das Akromion bei der klinischen Untersuchung mit einer Hand fixiert und die Klavikula in antero-posteriorer Richtung verschoben werden. Um Hinweise auf mögliche intraartikuläre Begleitverletzungen zu erhalten, sollte eine vollständige Untersuchung der Schulter bzw. des Schultergürtels erfolgen. So finden sich glenohumerale Läsionen vor allem bei höhergradigen AC-Gelenksprengungen [3]. In der Regel ist das aktive Bewegungsausmaß posttraumatisch schmerzbedingt reduziert, auch passiv erlaubt der Patient nur geringe Bewegungen. Die Durchführung selektiver Muskeltests, und damit die Differenzierung gegenüber Verletzungen einzelner Teile der Rotatorenmanschette, ist aufgrund der Schmerzsymptomatik oftmals eingeschränkt und die Aussagekraft der klinischen Untersuchung hierdurch limitiert.

Nativ-radiologische
Projektionsverfahren

Im Hinblick auf die Beurteilung frischer AC-Gelenkverletzungen muss eine gewisse Inhomogenität der verwendeten bildgebenden Diagnostik festgestellt werden [2]. So sind bis zu 7 verschiedene nativ-radiologische Projektionen im klinischen Alltag beschrieben [18]. Grundsätzlich sind, wie auch bei jedem anderen Gelenk, röntgenologische Standardaufnahmen in 2 Ebenen unverzichtbar. Als standardisierte a.p.-Projektionsebene zur Beurteilung der vertikalen Transposition wird die bilaterale Zanca-Aufnahme [19] mit kaudo-kranialem Strahlengang, entsprechend des Consensus der International Society of Arthroscopy, Knee Surgery and Orthopaedic Sports Medicine (ISAKOS), vorgeschlagen [1]. Diese dient einerseits zur direkten Beurteilung des AC-Gelenks und andererseits zur Bestimmung der CC-Distanz (Abb. 1A). Ergänzt wird die Zanca-Aufnahme durch eine bilaterale Belastungsaufnahme, mit am Handgelenk angehängten Gewichten (7,5–10 kg) (Abb. 2).

Zur Evaluation der antero-posterioren Transposition hat sich im klinischen Alltag die transaxilläre Projektion bewährt (Abb. 1B) [9], wobei diese in verschieden Körperpositionen durchgeführt werden kann. Als Alternative zur Beurteilung einer dynamisch horizontalen Translation kann auch eine Aufnahme nach Alexander durchgeführt werden [20]. Hierbei handelt es sich um eine Modifikation einer transskapulären Projektion. Bei horizontal instabilen Verhältnissen kommt es zu einer dorsalen Verschiebung des lateralen Klavikulaendes über das Akromion, wobei keine Korrelation zur Quantität der Instabilität besteht. Ferner ist die Alexander-Aufnahme, aufgrund individueller Laxizitätsverhältnisse, nur bei bilateraler Durchführung aussagekräftig.

Bundesweit werden laut einer aktuellen Erhebung die Zanca-Aufnahme in nur 44 % der orthopädisch-unfallchirurgischen Abteilungen, die axiale Projektion in nur 42 % und die Alexander-Aufnahme in nur 12 % durchgeführt [18].

Sonografie

Hedtmann et al. beschrieben die Sonografie als weiteres Schlüsselelement in der Akutdiagnostik [4], welche nicht nur zur Dokumentation der (Sub-)Luxation dient, sondern auch Rückschlüsse über das Ausmaß der Verletzung zulässt. Mittels parasagittaler Schallkopfpositionen können die Insertionsverhältnisse der Mm. trapezoidei und deltoidei sowie ihrer Faszien dargestellt werden. Eine ventrale Schallkopfposition erlaubt die Beurteilung der horizontalen Translation. Analog zu den nativ-radiologischen Projektionsebenen können zusätzlich auch die AC- sowie CC-Distanz ermittelt werden und liefern somit einen zusätzlichen Informationsgewinn hinsichtlich des Schweregrads der Verletzung [21, 22]. Weiterhin können glenohumerale Begleitverletzungen (z.B. Läsionen der Rotatorenmanschette) unter dynamischen Verhältnissen simultan diagnostiziert werden.

Erweiterte bildgebende Verfahren

Die Bedeutung der Magnetresonanztomografie (MRT) im Rahmen der Akutdiagnostik steigt in den letzten Jahren immer mehr. So präferieren 21 % der Orthopäden und Unfallchirurgen dieses diagnostische Verfahren, wobei kein Unterschied zwischen Schulterexperten/-zentren und Nicht-Schulterexperten/-zentren existiert [18]. Während die Integrität der AC- und CC-Bandkomplexe lediglich indirekt durch die Stellung der ossären Strukturen im Röntgenbild abgeleitet werden kann, erlaubt die MRT eine direkte Beurteilung der ligamentären (Partial-) Läsionen.

Pauly et al. berichteten über 15 % intraartikuläre Begleitläsionen bei höhergradigen AC-Gelenkdislokationen, die einer simultanen rekonstruktiven Intervention bedurften [3]. Die Autoren folgerten, dass ein präoperativ durchgeführtes MRT die Identifikation von Begleitverletzungen erleichtern würde und somit eine suffizientere Patientenaufklärung und Operationsplanung möglich sei. Weitergehende bildgebende Untersuchungsverfahren wie die Computertomografie (CT) werden nicht routinemäßig eingesetzt und sind nur in seltenen Sonderfällen erforderlich.

Therapie

Konservative Therapie

In der Literatur herrscht zwar ein Konsens darüber, dass niedriggradige ACG-Instabilitäten vom Typ Rockwood I und II konservativ therapiert werden sollten, ein evidenzbasiertes Behandlungsschema zur konservativen Behandlung existiert jedoch nicht [1, 18, 23, 24]. Empfohlen wird eine kurzzeitige Immobilisation bzw. Protektion im Gilchristverband oder in einer Schlinge für 1–2 Wochen bis zum Erreichen einer relativen Schmerzarmut. Unterstützt wird diese Phase durch lokale und systemische nichtsteroidale Antirheumatika und Kryotherapie. Forcierte innenrotatorische Bewegungen sollten in der Akutsituation vermieden werden, ebenso wie vermehrte Abduktions-, Elevations- und Adduktionsbewegungen, um nicht zusätzlich Stress auf das ACG auszuüben. Begleitend oder an die protektive Phase anschließend, erfolgt eine intensive und gezielte Physiotherapie, die mittels Eigenübungen oder unter Anleitung durchgeführt werden kann. Neben der Wiederherstellung des freien Bewegungsausmaßes werden auch die beiden aktiven Stabilisatoren der lateralen Klavikula (Pars ascendes des M. trapezoideus und Pars clavicularis des M. deltoideus) mit einbezogen. Kontaktsportarten sollten erst bei Bewegungs- und Schmerzfreiheit sowie einer symmetrischen Kraftentwicklung im Schultergürtel wieder aufgenommen werden. Zwar heilen in der Regel niedriggradige ACG-Verletzungen unter konservativer Therapie innerhalb weniger Wochen aus, jedoch beschrieben Moushine et al. auch eine Chronifizierung der Instabilität [25]. Nur 50 % der Patienten waren nach einem durchschnittlichen Follow-up von 6,3 Jahren asymptomatisch, wohingegen bei 27 % die Indikation zur sekundären operativen Intervention gestellt wurde.

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