Übersichtsarbeiten - OUP 01/2016

AC-Gelenksprengung – wann konservativ, wann minimalinvasiv, wann offen?

Die optimale Therapie der Rockwood-III-Verletzung bleibt weiterhin Gegenstand kontrovers geführter Diskussionen. Trotz einer generellen Zunahme von Publikationen im Bereich der akuten Schultereckgelenkverletzung sind qualitativ hochwertige vergleichende Studien (konservative vs. operative Therapie) rar. Beitzel et al. konnten in einem systematischen Review anhand von 3 prospektiven Level-II-Studien und 12 retrospektiven Level-III-Studien keine Überlegenheit einer Therapieform herausarbeiten [1]. In Deutschland favorisieren 73 % der orthopädisch-unfallchirurgischen Abteilungen die operative Therapie [18]. Hierbei muss jedoch erwähnt werden, dass im Laufe der Jahre die Operationsindikation eher zurückhaltender gestellt wird, dies gilt insbesondere für Schulterexperten [18]. Letztendlich ist die Therapiestrategie bei einer Rockwood-III-Verletzung eine individuelle Entscheidung und vom Patienten und dessen Funktionsanspruch abhängig. Entsprechend der aktuellen Literatur wird eine operative Versorgung bei Patienten mit horizontaler Instabilität, erhöhtem beruflichen und/oder sportlichen Anspruch, bei persistierenden Schmerzen und einer funktionellen Limitation, nach fehlgeschlagener konservativer Therapie, eher empfohlen [1].

Operative Therapie

Analog zum Konsens der konservativen Therapie bei Verletzungen Typ Rockwood I und II, herrscht ebenfalls Einigkeit hinsichtlich der operativen Therapie bei AC-Gelenkdislokationen Typ Rockwood IV–VI. Durch den kompletten Verlust der nativen Stabilisatoren kommt es nicht nur zur Desintegration des Gelenks, sondern auch zum Stabilitätsverlust des gesamten Schultergürtels mit einer skapulothorakaler Dysbalance und entsprechender klinischer Symptomatik [4]. Seit 1966 wurden hierzu 151 verschiedene operative Techniken beschrieben, wobei die Stabilisierung des ACG traditionell eine Domäne des offenen chirurgischen Vorgehens war [1]. Zu den häufigsten verwendeten Verfahren zählten die Hakenplatte, die K-Draht-Fixation, die Bosworth-Schraube und die PDS-Cerclage. Ziel jedes Vorgehens war die Wiederherstellung der Stabilität des ACG bzw. die Reposition und die Annäherung der rupturierten Bänder. Mit der Entwicklung arthroskopischer Verfahren wurden die etablierten offenen Operationstechniken hinsichtlich der arthroskopischen Durchführbarkeit modifiziert und sind heutzutage besonders unter Schulterexperten favorisiert [18]. Jedes dieser Verfahren bietet spezifische Vor- und Nachteile, und gegenwärtig kann keine dieser Techniken Anspruch auf den operativen Goldstandard erheben.

Operationszeitpunkt

Bislang existiert in der Literatur keine klare Empfehlung bezüglich des optimalen Operationszeitpunkts einer akuten AC-Gelenksprengung. Auch eine klare zeitliche Definition der akuten oder chronischen AC-Gelenkinstabilität fehlt. Unter Berücksichtigung des Heilungs- bzw. Vernarbungspotenzials der rupturierten AC- und CC-Bandkomplexe sowie der ACG-Kapsel wird eine möglichst zeitnahe operative Versorgung angestrebt [24, 26]. In diesem Zusammenhang verglichen Scheibel et al. eine operative Versorgung zwischen der ersten und zweiten posttraumatischen Woche und konnten keinen Einfluss auf die klinischen und radiologischen Outcomeparameter nachweisen [24, 26]. Hingegen konnten Song et al. ein signifikant selteneres Auftreten von Rezidivinstabilitäten (26 %) bei frühzeitiger Operation (innerhalb der ersten 3 Wochen), im Gegensatz zu sekundär operativ versorgten Patienten (38,1 %) beobachten [27]. Aktuellen Empfehlungen entsprechend werden auch in der eigenen Klinik AC-Gelenksprengungen bis zu einem Zeitpunkt von 3 Wochen als akut gewertet und entsprechend therapiert [28].

Offene Operationsverfahren

Während noch zu Beginn der letzten Dekade transartikuläre AC-Gelenksstabilisierungen (z.B. Kirschner-Draht) und CC-Cerclagen (z.B. PDS-Kordel) mit Abstand am häufigsten verwendet wurden [29], spielen diese Verfahren heutzutage nur noch eine untergeordnete Rolle [18]. Dementsprechend soll in dieser Arbeit auf diese Verfahren nicht explizit eingegangen werden.

Die Retention mittels temporärer Hakenplatte hat hingegen in den letzten 10 Jahren an Popularität gewonnen und hat sich als „Verfahren der Wahl“ der offenen Operationstechniken etabliert [18]. Helfen et al. konnten in einer aktuellen Metaanalyse gute bis sehr gute klinisch funktionelle Ergebnisse nach Hakenplattenversorgung zeigen [2]. Das mittlere Follow-up der eingeschlossenen Arbeiten betrug zwischen 10 und 36 Monate. Hierbei wurde ein mittlerer Constant-Score zwischen 89 und 97 Punkte erreicht. Demgegenüber stehen die bekannten Nachteile wie ausgiebige Weichteilpräparationen mit entsprechend relevanter Zugangsmorbidität, Materialbruch, Akromionosteolysen, die notwendige Materialentfernung und Residualinstabilitäten [4, 24, 30]. Auch der ökonomische Aspekt (Arbeitsausfall bei mind. 2 geplanten Operationen) sollte nicht außer Acht gelassen werden. Die erwähnten Einschränkungen sind nicht explizit für das Verfahren der Hakenplattenstabiliserung zu betrachten, sondern haben generell Gültigkeit für offene Operationstechniken.

Minimal invasive
Operationsverfahren

Im Rahmen der rasanten Entwicklung von arthroskopischen Techniken in der Gelenkchirurgie etablierten sich Anfang des Milleniums auch minimalinvasive korakoklavikuläre Refixationsverfahren (z.B. TightRope-Implantat), welche weiterhin zunehmend Verbreitung finden [18]. Hierbei wird ein Konstrukt aus Titanplättchen und nicht resorbierbaren, hoch reißfesten Fäden transklavikulär und transkorakoidal platziert, unter
arthroskopischer Sicht und teilweise zusätzlicher Bildwandlerkontrolle. Die
arthroskopischen Verfahren sind jedoch auch in ihrer eigenen Subgruppe variantenreich: beispielsweise Einzel- oder Doppel-TightRope-Technik mit oder ohne additive AC-Cerclage oder MINAR (Abb. 3A-B) [24, 26, 30]. In den Anfängen erfolgte die Versorgung größtenteils in Einzel-TightRope-Technik und findet auch heute noch Verwendung. Scheibel et al. berichteten jedoch über ein gehäuftes Frühversagen nach Einzel-TightRope-Technik und etablierten eine Doppel-TightRope-Technik, welche einer anatomischen Augmentation der CC-Bänder entspricht [26]. Aber auch hier wurde eine hohe Rate an horizontaler Translation beobachtet, sodass dieses Verfahren zusätzlich um eine AC-Cerclage – in arthroskopisch-assistierter Technik – erweitert wurde [24].

Vorteile aller Varianten sind eine
Minimalinvasivität mit zusätzlich verbessertem kosmetischen Gesichtspunkt, eine höhere Patientenakzeptanz, Vermeidung einer Implantatentfernung und ein potenziell geringeres Infektionsrisiko. Ebenfalls vorteilhaft ist eine sichere Diagnostik und simultane rekonstruktive Adressierung intraartikulärer Begleitpathologien. So beschrieben Pauly et al. eine Prävalenz glenohumeraler Begleitpathologien mit bis zu 30 % bei Patienten mit höhergradigen ACG-Sprengungen [3]. Demgegenüber stehen ein gesteigerter technischer Aufwand und mitunter eine reduzierte Möglichkeit, die deltotrapezoidale Faszie vollständig zu rekonstruieren, was in dieser Technik lediglich indirekt gelingt. Eine Grenze der arthrokopischen Stabilisierung stellt die AC-Gelenksprengung mit ipsilateraler Korakoidfraktur dar. Hier sind offene Verfahren wie z.B. die Hakenplatte mit additiver Schraubenosteosynthese des Proc. coracoideus zu bevorzugen.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5