Übersichtsarbeiten - OUP 01/2016

AC-Gelenksprengung – wann konservativ, wann minimalinvasiv, wann offen?

Tim Schwarting1, Philipp Lechler1, Michael Frink1

Zusammenfassung: Akute Sprengungen des Schultereckgelenks (ACG) betreffen überwiegend junge Erwachsene und resultieren gehäuft durch Kontakt- oder Hochrasanzsportarten. Die Desintegration des Gelenks resultiert hierbei durch die Läsion der kapsuloligamentären und muskulären Stabilisatoren und bedingt, entsprechend der Schwere des Traumas, eine vertikale und horizontale Instabilität. Einigkeit herrscht über die konservative Behandlung niedriggradiger ACG-Instabilitäten. Ob die operative Therapie der Grad-III-Verletzung nach Rockwood einem konservativen Vorgehen überlegen ist, wird kontrovers diskutiert. Für die operative Versorgung der höhergradigen ACG-Dislokationen stehen sowohl offene als auch minimalinvasive Verfahren zu Verfügung, wobei keine wissenschaftliche Evidenz für die Überlegenheit einer speziellen Operationsmethode existiert.

Schlüsselwörter: Schultereckgelenkspregnung, Rockwood-
Verletzung, arthroskopisch-assistierte Stabilisierung, Schulterarthroskopie, Hakenplatte

Zitierweise
Schwarting T. Lechler P. Frink M. Die AC-Gelenksprengung – wann konservativ, wann minimal invasiv, wann offen?
OUP 2016; 1: 034–039 DOI 10.3238/oup.2015.0034–0039

Summary: The acute dislocation of the acromioclavicular (AC) joint does mainly affect young patients and is often caused by contact or high-energy sports. Due to lesions to the capsuloligamentous and muscular stabilizers, vertical and horizontal instability can occur. While the conservative treatment is established for low-grade AC dislocations, the optimal treatment of Rockwood III lesions remains to be clarified. To date, various open and minimal-invasive surgical procedures for the treatment of high-grade AC dislocations are described. However, there is insufficient evidence to recommend any specific surgical treatment.

Keywords: AC joint seperation, Rockwood injury, arthroscopic-assisted stabilization, shoulder arthroscopy, hook plate

Citation
Schwarting T, Lechler P, Frink M. AC joint dislocation – when should it be treated conservatively, when minimally invasive, when open? OUP 2016; 1: 034–039 DOI 10.3238/oup.2015.0034–0039

Die zur Verfügung stehenden konservativen und operativen Verfahren zur Behandlung akuter Instabilitäten des Schultereckgelenks (ACG) sind vielfältig und bis heute Gegenstand kontrovers geführter Diskussionen. Neben einer Vielzahl konservativer Behandlungskonzepte werden in der Literatur bis zu 151 verschieden operative Techniken zur Stabilisierung des AC-Gelenks beschrieben [1]. Jedes dieser Verfahren weist spezifische Vor- und Nachteile auf. Zwar weisen die publizierten Berichte, sowohl der operativen als auch der konservativen Therapiestrategien, jeweils einen hohen Anteil an guten und sehr guten Resultaten auf [1, 2], dennoch konnte hieraus bisher kein standardisierter Behandlungs-Algorithmus abgeleitet werden.

In den letzten Jahren haben arthroskopische Techniken deutlich an Popularität gewonnen und eine rasante Entwicklung durchgemacht [1, 2]. Hauptargumente dieser Versorgungskonzepte sind die minimale Invasivität sowie die simultane Adressierung glenohumeraler Begleitpathologien [3], die in bis zu 30 % der Patienten beschrieben sind.

Anatomie und Biomechanik

Das ACG stellt neben dem Sternoklavikulargelenk die einzige echte artikulierende Verbindung zwischen dem Rumpf und dem Schulter-Arm-Komplex dar und ist von essenzieller Bedeutung für die stabile Einstellbewegung des Schulterblatts [4]. Funktionell kommt dem ACG hierbei eine last- und kraftübertragende Bedeutung zwischen Arm und Rumpf zu. Die Stabilität des ACG wird sowohl durch statische (kapsuloligamentäre) als auch dynamische (muskuläre) Komponenten kontrolliert und limitiert. Dabei umfasst das Spektrum der statischen Stabilisatoren den akromioklavikulären- (AC-) Kapsel-Bandapparat und den korakoklavikulären (CC-)Bandkomplex. Die AC-Ligamente, insbesondere die superioren und dorsalen Faserzügel, erfüllen primär eine horizontale Stabilisierungsfunktion [5]. Hierbei wird v.a. die klinisch relevante dorsale Translation der Klavikula begrenzt [6]. Den v-förmig angeordneten CC-Bändern (Ligg. conoideum und trapezoideum) wird hingegen eine vertikale Stabilisierungsfunktion zugeschrieben [7], wobei Mazzocca et al. auch deren Relevanz für die horizontale Stabilität aufzeigen konnten [8]. Während nun die biomechanischen Eigenschaften der einzelnen Bandstrukturen prinzipiell geklärt sind, herrscht noch eine kontroverse Diskussion über die Funktion der muskulofaszialen Komponenten, insbesondere der deltotrapezoidalen Faszie, der ebenfalls eine stabilisierende Funktion in antero-superiorer Richtung zugesprochen wird [4, 9].

Epidemiologie

Die akute Separation des ACG betrifft überwiegend junge, sportlich aktive Erwachsene und zählt zu den häufigsten Verletzungen des Schultergürtels (4–12 %) [10]. Insbesondere im Rahmen von risikobehafteten Kontakt- bzw. Hochrasanzsportarten wie Eishockey, Rugby oder Handball kommt es zu Läsionen der nativen Stabilisatoren des Schultereckgelenks [11]. So haben beispielsweise Rugbyspieler im Vergleich zu American-Football-Spielern ein fast 5-fach höheres Risiko, eine Schultereckgelenkverletzung zu erleiden [12]. Im alpinen Skisport betreffen 20 % aller Verletzungen des Schultergürtels das AC-Gelenk [13].

Die Desintegration des Gelenks resultiert entweder durch einen Sturz auf den adduzierten Arm bzw. Schultergürtel (direktes Trauma) oder auf den ausgestreckten Arm bzw. Ellenbogen (indirektes Trauma). Beide Mechanismen führen zum Transfer des Kraftvektors auf die ligamentären, kapsulären und muskulofaszialen Strukturen und abhängig von der einwirkenden Kraft zu einer statischen und/oder dynamischen vertikalen und horizontalen Translation.

Klassifikation

Die ursprüngliche Beschreibung der AC-Gelenksprengung erfolgte bereits 1917 durch Cadenat, der einen speziellen, konsekutiven pathologischen Charakter der Verletzung postulierte, beginnend mit der Ruptur der AC-Bänder, gefolgt von der Zerreißung der CC- Bänder bis hin zur Involvierung der Mm. deltoidei und trapezoidei sowie der Deltotrapezoidfaszie [14].

Tossy et al. etablierten 1963 eine Klassifikation mit 3 Schweregraden (I–III), basierend auf der radiologischen vertikalen Verschiebung des lateralen Klavikulaendes in Relation zum Akromion [15]. Lange Zeit galt diese, aufgrund ihrer Einfachheit und hohen Reproduzierbarkeit, als international anerkannter Standard zur Evaluierung der akuten AC-Gelenkverletzung. 1984 diente Rockwood et al. dann die horizontale Komponente der Gelenkinstabilität zur Modifikation der Klassifikation und Erweiterung um die Schwergrade IV–VI [16]. Während es bei der Typ-I-Verletzung lediglich zu einer Distorsion der Kapsel-Band-Anteile ohne Dislokation kommt, beschreibt die Typ-II-Verletzung eine Ruptur der Gelenkkapsel und der AC-Ligamente mit gleichzeitiger Überdehnung der CC-Bänder. Dies führt zur Subluxation um bis zu einer halben Klavikulaschaftbreite. Die CC-Seitendifferenz beträgt bei diesen niedriggradigen Instabilitäten maximal 25 %. Die komplette Ruptur der AC- und CC-Bänder sowie der Kapsel mit kompletter Dislokation des ACG und einem CC-Abstand von 25–100 % entspricht einer Typ-III-Verletzung. Bei partieller Beteiligung der Deltotrapezoidfaszie kann es zu einer äußerst seltenen statischen, posterioren Dislokationen (Typ IV) kommen. Die komplette Zerreißung der Deltotrapezoidfaszie und aller AC-Gelenk stabilisierenden Strukturen resultiert in einer ausgeprägten Separation der Gelenkpartner mit einem CC-Abstand zwischen 100–300 % (Typ V). Eine Dislokation des lateralen Klavikulaendes unter den Proc. coracoideus (Typ VI) werden zwar in der Literatur beschrieben [17], sind jedoch im klinischen Alltag nur sehr selten beobachtet worden [18].

Diagnostik

Klinische Evaluierung

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5