Originalarbeiten - OUP 09/2013

Altersabhängige Messungen zur posturalen Stabilität gesunder Probanden
Normwerte und PerzentileNormative Values and Percentiles

D. Pomarino1, A. Nawrath1, J. Beyer2

Abstract

Das Schwankungsverhalten von Personen lässt sich durch die Bewegungen des Druckmittelpunkts COP (Center of Pressure) beschreiben und quantifizieren. Ziel dieser Studie ist, für gesunde Personen altersabhängige signifikante Normwerte zur posturalen Stabilität bereitzustellen. Von 431 Personen im Alter von 2–69 Jahren wurden die COP-Flächen, COP-Spurlängen und COP-Geschwindigkeiten (Quotient aus COP-Spurlänge und Zeit der Messung) ermittelt. Die Messungen erfolgten barfuß im Stand auf einer Druckmessplatte über einen Zeitraum von 20 s. In den Altersgruppen A1 (2–6 Jahre), A2 (7–10), A3 (11–20) und A4 (21–69) wurden signifikant unterschiedliche Mittelwerte der COP-Flächen gemessen: (A1: 418 mm², A2: 202 mm², A3: 112 mm², A4: 70 mm²), COP-Spurlängen und COP-Geschwindigkeiten (A1: 65,4 mm/s, A2: 46,8 mm/s, A3: 30,9 mm/s, A4: 24,3 mm/s). COP-Flächen und COP-Geschwindigkeiten wurden in Abhängigkeit von den Perzentilen 5, 10, 25, 50, 75, 90 und 95 grafisch dargestellt. Die für einen Patienten auf einer Druckmessplatte ermittelten COP-Flächen, COP-Spurlängen und COP-Geschwindigkeiten können zur Bewertung der posturalen Stabilität herangezogen werden. Ein Wert ist „auffällig“, wenn er außerhalb des Interquartilbereichs für gesunde Personen liegt, oberhalb der Perzentile 90 „stark auffällig“ und oberhalb der Perzentile 95 „extrem auffällig“. Unsere Studie stellt erstmalig signifikante Werte zur Größe der COP-Flächen, COP-Spurlängen und mittleren COP-
Geschwindigkeiten gesunder Personen im Alter von 2–69 Jahren zur Verfügung. Diese eignen sich als Normwerte zur Beurteilung der bei einem Patienten gemessenen Werte.

Schlüsselwörter: Center of Pressure, COP, posturale Stabilität, Normwerte, Perzentile

 

Zitierweise

Pomarino D, Nawrath A, Beyer J: Altersabhängige Messungen zur posturalen Stabilität gesunder Probanden. OUP 2013; 9: 420–425.

DOI 10.3238/oup.2013.0420–0425

Abstract

The postural sway of an individual can be described and quantified by the movements of the Center of Pressure (COP). The aim of this study is to determine in healthy individuals significant age-related normative values for postural stability. Of 431 people aged 2–69 years, the COP-areas, COP-track lengths and velocities of COPs (quotient of track length and time of measurement) were determined. The measurements were performed in stand barefoot on a force platform over a period of 20 s. In the age groups A1 (2–6 years), A2 (7–10), A3 (11–20) and A4 (21–69) significantly different mean values of COP areas were measured : (A1: 418 mm², A2: 202 mm², A3: 112 mm², A4: 70 mm²), COP track lengths and the COP velocities (A1: 65,4 mm/s, A2: 46,8 mm/s, A3: 30,9 mm/s, A4: 24,3 mm/s) . COP areas and COP velocities were plotted as a function of the percentiles 5, 10, 25, 50, 75, 90 and 95. The values COP area, COP track length and COP velocity, obtained for a patient on a force platform can be used to assess postural stability. A value is „prominent“ if it is outside the interquartile range for healthy persons, above 90 percentile „very prominent“ and above the 95 percentile „extreme prominent“. Our study is the first which represents significant values for the average size of the COP-area, COP-track length and COP-velocity in healthy persons aged 2–69 years. These values are suitable as normative values for assessing a patient’s own measured values.

Keywords: center of Pressure, COP, postural stability, normative values, percentiles

 

Citation

Pomarino D, Nawrath A, Beyer J: Age-dependent measurements of postural stability in healthy individuals. OUP 2013; 9: 420–425.

DOI 10.3238/oup.2013.0420–0425

Einleitung

Die Aufgabe, die Körperhaltung kontinuierlich zu kontrollieren und stabil zu halten, erfordert ein komplexes sensomotorisches Kontroll- und Steuerungssystem. Selbst wenn eine gesunde Person stillsteht, bewegen sich der Schwerpunkt des Körpers (COM: Center of Mass) und Druckmittelpunkt (COP: Center of Pressure) unter den Füßen relativ zu einem globalen Koordinatensystem. In diversen biomechanischen Studien wurde versucht, die natürliche Schwankung (postural sway) zu beschreiben. Unter Verwendung von z.B. Kraft Messplattformen wurden Parameter wie die Länge der COP-Spur, die anteriore-posteriore (AP) und mediale-laterale (ML) Verschiebung des COP, der radiale Bereich des COP, die Streuung und Reichweite des COP, die mittlere Geschwindigkeit des COP sowie die Größe der Fläche, in der sich das COP bewegt (COP-Fläche), gemessen und interpretiert (Diener [1], Kirby [2], Norre’ [3], Hasan et al. [4], Winter [5], Carpenter [6], Karlsson [7], Sloss [8], McKinon [9], Gard [10] und Nault [11]).

Nakano und Takahashi [12] untersuchten 1995 die posturale Kontrolle von gesunden Probanden im Stand unter 6 Bedingungen (Beine: gespreizt, zusammen; auf einem Bein stehend; Augen: offen, geschlossen) jeweils in Ruhe stehend und mit maximaler Gewichtsverlagerung nach links und rechts. Sie stellten fest, dass bei stärker werdenden Störimpulsen die Streuung des COP steigt und die Reichweite des COP sinkt. La Fond et al. [13] verglichen unterschiedliche Methoden zur Bestimmung des COM und untersuchten die Beziehung zwischen COM und COP. Sie zeigten, dass das COP um das COM pendelt und die Differenz der Reichweiten als ein Maß für die Störung des posturalen Kontrollsystems gesehen werden kann.

Benvenuti [14] zeigte 1999, dass die maximale AP- und ML-Bewegung des COP, die mittlere Geschwindigkeit des COP und die COP-Fläche geeignete posturale Variable zur Messung der Stabilität der Körperhaltung sind.

Neuere Studien von Lin [15] aus 2008 und Moghadam [16] aus 2011 bestimmten von gesunden erwachsenen Personen unterschiedlicher Altersgruppen unter anderem die mittlere COP-Geschwindigkeit und die COP-Fläche. Allerdings sind in beiden Studien die Fallzahlen zu gering, sodass die Ergebnisse bezogen auf COP-Geschwindigkeit und COP-Fläche nicht signifikant sind.

In dieser Studie werden für gesunde Personen im Alter von 2– 69 Jahren signifikante altersabhängige Normwerte der COP-Fläche (95-%-Vertrauensellipse), der COP-Spur-Länge sowie der mittleren COP-Geschwindigkeit ausgewertet und grafisch in Perzentilen dargestellt.

Methoden

Zur Studie wurden von April 2010 bis Juni 2011 insgesamt 529 Probanden im Alter von 2–69 Jahren rekrutiert. Sie wurden durch direkte Ansprache auf der Straße oder in Schulen und Kindergärten zur Teilnahme an der Studie aufgefordert. Ausschlusskriterien waren neuromuskuläre Krankheiten, Schmerzen, chirurgische Eingriffe, Fußdeformitäten sowie ein abnormaler Body-Mass-Index (BMI). Nach Einverständniserklärung der Probanden oder gegebenenfalls ihrer Erziehungsberechtigten konnten 464 Personen eingeschlossen werden.

Die Messungen erfolgten im Stand mit der handelsüblichen Messplattform (FDM-S, ZEBRIS Medical, Deutschland [17]) unter Anwendung der Software ZEBRIS-WinFDM. Der Messbereich der Druckmessplatte liegt bei 1–120 N/cm². Ausgewertet wurden in der Studie die je Proband von WinFDM bereitgestellte Länge der COP-Spur (mm) und die Größe der Fläche der Vertrauensellipse (mm²). Die Vertrauensellipse umschließt einen Bereich, in dem sich 95 % aller COP-Bewegungen befinden (95-%-COP-Ellipse).

Befragungen und Untersuchungen der Probanden sowie Vorbereitung und Durchführung der Messungen auf der Messplattform führten jeweils 2 Untersucher nach einem standardisierten Verfahren durch. Zur Überprüfung der Reliabilität wurden die insgesamt 5 beteiligten Untersucher vom ersten Autor geschult und betreut. Das Ergebnis der randomisiert durchgeführten Re-Tests ergab eine Interrater-Reliabilität von über 85 %.

Die Messungen erfolgten in Neutral-Null-Stellung barfuß auf vorgegebenen Markierungen der Messplatte, wobei 5 Sekunden nach Einnahme dieser Stellung die Aufzeichnung über einen vordefinierten Zeitraum von 20 s gestartet wurde. Eine Wiederholung der Messung war nicht erlaubt. Die Füße werden separat erfasst mit einer Auflösung von 1 Sensor/cm². Zudem erfolgt eine Unterteilung des Fußes in die Bereiche Vorfuß und Ferse in der Mitte des Fußlängsgewölbes. 33 Probanden hielten die vorgeschriebene Stellung nicht ein und wurden ausgeschlossen. Insgesamt nahmen an der Studie somit 431 Probanden im Alter von 2–69 Jahren (Mittelwert M = 20,8, Standardabweichung SD = 17,5 Jahre), 193 männlich (m = 18,9; SD = 17,5 Jahre) und 238 weiblich (w = 22,2; SD = 16,7 Jahre) teil.

Die Datenanalyse wurde mit dem Programm „Statistical Package for the Social Sciences“ (SPSS-18.0) durchgeführt. Das Signifikanzniveau betrug für alle statistischen Tests p = 0,05.

Zur Überprüfung der zentralen Tendenz bei mehr als 2 Stichproben wurden der „H-Test“ von Kruskal-Wallis und der „Median-Test“ angewandt. Bei signifikantem Ergebnis wurden als Post-Hoc-Test der „U-Test von Mann-Whiteney“ und der „Kolmogorow-Smirnow-Test“ (KS-Test) auf alle benachbarten Paare ausgeführt.

Ergebnisse

Klassifikation der Testpersonen

Das Alter der 431 Probanden variierte von 2–69 Jahren, sodass von 68 Altersgruppen (J02 bis J69) die durchschnittliche Größe der 95-%-COP-Ellipsen und die durchschnittliche Länge der COP-Spuren ausgewertet wurden. Die statistischen Überprüfungen ergaben, dass die 68 Mittelwerte der 95-%-COP-Ellipsen und der COP-Spurlängen in der zentralen Tendenz nicht signifikant waren (H-Test und Median-Test: p < 0,001; U-Test und KS-Test aller benachbarten Paare: p > 0,05).

Die visuelle Analyse der Histogramme der Altersgruppen J02 bis J69 zeigte, dass die Mittelwerte der 95-%-COP-Ellipsen und der COP-Spurlängen in den 4 Altersgruppen J02 bis J06, J07 bis J10, J11 bis J20 und J21 bis J69 ohne erkennbare Richtung um jeweils einen unterscheidbaren Mittelwert pendelten. Aufgrund dieser Beobachtung wurde eine Klassifizierung in die Altersgruppen A1 (J02 bis J06; 2–6 Jahre), A2 (J07 bis J10; 7–10 Jahre), A3 (J11 bis J20; 11–20 Jahre) und A4 (J21 bis J69; 21–69 Jahre) vorgenommen, die Basis der folgenden statistischen Analysen waren.

Geschlechtsunabhängige
Auswertungen

Die durchschnittlichen Größen der 95-%-COP-Ellipsen (COP_Fl, oberer Teil Tab. 1) betrugen für die 4 Altersgruppen A1: 418 mm² ± 6 mm² (Fläche ± 95 % Konfidenzintervall (KI)); A2: 202 ± 43; A3: 112 ± 34 und A4: 70 ± 7.

Für die durchschnittlichen COP-Spurlängen (COP_Lä, oberer Teil Tab. 1) ergaben sich analog die Werte A1: 1307 mm ± 112 mm; A2: 937 ± 112; A3: 617 ± 81 und A3: 485 ± 12.

Die durchschnittlichen COP-Geschwindigkeiten (COP_V, oberer Teil Tab. 1) wurden aus der COP-Spurlänge und der Standzeit von 20 s berechnet (A1: 65,4 mm/s ± 5,6 mm/s; A2: 46,9 ± 5,6; A3: 30,6 ± 4,1 und A4: 24,3 ± 1,6).

Die statistischen Überprüfungen ergaben für die 3 posturalen Parameter (95-%-COP-Ellipse, COP-Spurlänge, COP-Geschwindigkeit) jeweils, dass die 4 Mittelwerte in der zentralen Tendenz signifikant unterschiedlich waren (H-Test und Median-Test: p < 0,001; U-Test und KS-Test: p < 0,001).

Bei Klassifizierungen mit anderen Zuordnungen der Altersgruppen J02 bis J69, um z.B. 5 (A1 bis A5) oder mehr Altersgruppen zu erhalten, ergaben die Tests zur „Zentralen Tendenz“ keine signifikanten Ergebnisse.

Tabelle 1 enthält im unteren Teil die altersabhängigen 95-%-COP-Ellipsen, COP-Spurlängen und COP-Geschwindigkeiten in Abhängigkeit von den Perzentilen 5, 10, 25, 50, 75, 90 und 95. In Abbildung 1 sind die Perzentile der COP-Flächen und in Abbildung 2 die der COP-Geschwindigkeiten dargestellt.

Geschlechtsspezifische
Auswertungen

In Tabelle 1 sind die Daten der 431 Probanden ohne Differenzierung nach den 193 männlichen und 238 weiblichen Probanden zusammengestellt. Die Differenzierung nach Geschlechtern führt zu 4 weiblichen Altersgruppen A1w (mit 55 Probanden), A2w (40), A3w (138) und A4w (69) sowie zu 4 männlichen Altersgruppen A1m (mit 37 Probanden), A2m (32), A3m (54) und A4m (115). Die statistischen Überprüfungen ergaben für die 3 posturalen Parameter 95-%-COP-Ellipse, COP-Spurlänge und COP-Geschwindigkeit, dass die 4 Mittelwerte der weiblichen Altersgruppen A1w, A2w, A3w und A4w in der zentralen Tendenz signifikant unterschiedlich waren (H-Test und Median-Test: p < 0,001; U-Test und KS-Test < 0,001). Gleiches ergab sich für die Mittelwerte der 4 männlichen Altersgruppen A1m, A2m, A3m und A4m.

Die statistischen Analysen der geschlechts- und zusätzlich altersabhängigen Mittelwerte (z.B. A1w und A1m) führten für die COP-Flächen, COP-Spurlängen und COP-Geschwindigkeiten zum Ergebnis, dass sie sich nicht signifikant unterscheiden (p > 0,05 nach U-Test und KS-Test). Gleiches zeigte sich für die Mittelwerte der Altersgruppen A2w und A2m, A3w und A3m sowie A4w und A4m.

Die Folge ist, dass eine nach männlichen und weiblichen Personen differenzierte grafische Darstellung der Perzentile nicht notwendig ist.

Diskussion

Im klinischen und therapeutischen Alltag erfolgt die Quantifizierung der posturalen Kontrolle durch die Ermittlung posturaler Parameter wie COP-Fläche, COP-Spurlänge oder COP-Geschwindigkeit. Aus diesen Ergebnissen werden dann Rückschlüsse auf die posturale Stabilität des Patienten gezogen; beispielsweise auf das individuelle Sturzrisiko von älteren Personen [18] oder das Verletzungsrisiko von Sportlern [19, 20]. Des Weiteren können unter Anwendung der Posturografie z.B. zerebelläre Syndrome [1], vestibuläre Funktionsstörungen und die posturale Instabilität [4] im Alter hinsichtlich des Grades der Erkrankung eingeordnet werden.

Altersabhängige signifikante Normwerte posturaler Parameter zum Schwankungsverhalten gesunder Personen findet man in keiner veröffentlichten Studie.

In unserer Studie wird erstmalig gezeigt, dass die durchschnittlichen Flächen der 95-%-COP-Ellipsen von gesunden Personen im Alter von 2–69 Jahren sich mit steigender Altersgruppe A1 (Alter 2–6 Jahre), A2 (7–10), A3 (11–20) und A4 (21–69) verringern. Die statistische Überprüfung ergibt, dass die Differenzen der durchschnittlichen Flächeninhalte benachbarter Altersgruppen sämtlich signifikant sind (A1 à A2: von 418 mm² auf 202 mm², Differenz –52 %; A2 à A3: –45 %; A3 à A4: –38 %). Gleiches gilt für die mittleren COP-Spurlängen und COP-Geschwindigkeiten (A1 à A2: –28 %; A2 à A3: –34 %; A3 à A4: –21 %).

Es ist zu vermuten, dass eine Studie mit ca. 30 Personen pro Jahrgang für die 2- bis ca. 22-jährigen Personen eine mit dem Alter stetige Verringerung der 3 posturalen Parameter 95-%-COP-Fläche, COP-Spurlänge und COP-Geschwindigkeit zeigt, ohne die in dieser Studie ermittelten großen Differenzen zwischen den 6- und 7-jährigen, 10- und 11-jährigen sowie 20- und 21-jährigen Personen.

Ebenso ist nicht auszuschließen, dass sich der gleiche Effekt mit vermutlich umgekehrter Tendenz (also einer Verringerung der Werte) bei über 50- oder über 60-jährigen Personen einstellt, sofern pro Jahrgang die Daten von ca. 30 Personen ausgewertet werden. In unserer Studie reichen die Fallzahlen der über 50-jährigen bzw. der über 60-jährigen Personen nicht aus, um signifikante Unterschiede zu unter 50- bzw. 60-jährigen gesunden Personen aufzuzeigen.

In neueren Studien haben Lin et al. [15] im Jahr 2008 (Lin-Studie) und Moghadam [16] 2011 (Moghadam-Studie) ebenfalls Messungen zur COP-Fläche und zur COP-Geschwindigkeit mit gesunden Personen durchgeführt. In der Lin-Studie wurden die Messungen mit 16 jüngeren Erwachsenen (Alter 21 ± 3 Jahre) und 16 älteren Erwachsenen (Alter 59 ± 7 Jahre) durchgeführt. Hierbei gehören die jüngeren Erwachsenen zum kleineren Teil zur Altersgruppe A3 unserer Studie und zum größeren Teil zur Altersgruppe A4. In der Moghadam-Studie wurde eine Gruppe mit 16 älteren Erwachsenen (Alter 70 ± 5 Jahre) untersucht, von denen ca. die Hälfte der Personen oberhalb des Alters der von uns untersuchten Altersgruppe A4 liegt. Die Lin- und die Moghadam-Studie kommen – bezogen auf die ermittelten durchschnittlichen COP-Flächen und COP-Geschwindigkeiten – zu Übereinstimmungen mit unserer Studie, aber auch zu Abweichungen von bis zu ca. 50 %. Ursachen für die hohen Differenzen sind, dass die Altersgruppen nur teilweise mit denen aus unserer Studie übereinstimmen und dass Definition und Berechnung der COP-Fläche sowie der COP-Geschwindigkeit in beiden Studien von unserer Studie abweichen. Hinzu kommt, dass es sich bei der Lin- und der Moghadam-Studie um von unserer Studie technisch unterschiedliche Messplattformen handelt, sodass auch zur Messung und Berechnung der postularen Parameter (vermutlich) andere Verfahren angewandt werden.

Die in Tabelle 1 angegebenen altersgruppenabhängigen Mittelwerte der posturalen Parameter COP-Fläche, COP-Spurlänge und COP-Geschwindigkeit können somit ausschließlich als Normwerte für Messwerte genutzt werden, die ebenfalls auf der Plattform FDM-S von ZEBRIS unter Anwendung der Software ZEBRIS-WinFDM durchgeführt wurden. Hinzu kommt, dass die Rahmenbedingungen (Neutral-Null-Stellung, barfuß, Zeitdauer 20 s) bei Durchführung der Messungen übereinstimmen müssen.

Geht man, analog zu bewährten Perzentilgrafiken wie „Größe in cm bei Kindern“ oder „Gewicht in kg bei Kindern und Jugendlichen“ davon aus, dass eine unauffällige 95-%-COP-Fläche, die COP-Spurlänge (bei einer Standdauer von 20 s) und die COP-Geschwindigkeit innerhalb des Interquartilbereichs liegen sollten, so kann nach Messung eines posturalen Parameters auf der Messplattform über Tabelle 1 oder die Perzentileografiken (Abb. 1 oder Abb. 2) leicht erkannt werden, ob das Ergebnis für die Person „unauffällig“ ist.

Werden bei einem Patienten zusätzlich die Perzentile 90 oder sogar 95 überschritten, so ist der zugehörige posturale Parameter als „stark auffällig“ bzw. als „extrem auffällig“ zu bezeichnen. Wurde ein „auffälliger, „stark auffälliger“ oder „extrem auffälliger“ Wert eines posturalen Parameters festgestellt, so muss entschieden werden, ob weitere medizinische Untersuchungen zur Bestimmung der Ursache zu veranlassen sind.

Schlussfolgerungen

In der Studie wird gezeigt, dass die 431 gesunden Probanden in 4 Altersgruppen unterteilt werden können, sodass sich die Mittelwerte der posturalen Parameter 95-%-COP-Vertrauensellipse, COP-Spurlänge und COP-Geschwindigkeit in den Altersgruppen A1 (2–6 Jahre), A2 (7–10 Jahre), A3 (11–20 Jahre) und A4 (21–69 Jahre) signifikant unterscheiden.

Mit von den 4 Altersgruppen und den Perzentilen 5, 10, 25, 50, 75, 90, 95 abhängigen Werten der 3 posturalen Parameter gesunder Personen als Referenzdaten bzw. Normwerte wird erstmalig eine Perzentileografik vorgestellt, über die posturale Parameter von Patienten als auffällig oder unauffällig bewertet werden können.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Korrespondenzadresse

David Pomarino

Claus-Ferk-Straße 8

22359 Hamburg

info@ptz-pomarino.de

Literatur

1. Diener HC, Dichgans J, Bacher M, Gompf B: Quantification of postural sway in normals and patients with cerebellar diseases. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 1984: 57: 134–142.

2. Kirby RL, Price NA, MacLeod DA: The influence of foot position on standing balance. J Biomech 1987; 20: 423–427.

3. Norré ME, Forrez G, Beckers A: Posturography measuring instability in vestibular dysfunction in the elderly. Age Ageing 1987; 16: 89–93.

4. Hasan SS, Lichtenstein MJ, Shiavi RG; Effect of loss of balance on biomechanics platform measures of sway: influence of stance and a method for adjustment. J Biomech 1990; 23: 783–789.

5. Winter DA: Human balance and posture control during standing and walking. Gait and Posture 1995; 3: 193–214.

6. Carpenter MG, Frank JS, Winter DA, Peysar GW: Sampling Duration effects on Centre of Pressure Summary Measures. Gait and Posture 2001; 13: 33–40.

7. Karlsson A, Frykberg G: Correlations between force plate measures for assessment of balance. Clinical Biomechanics 2000; 15: 365–369.

8. Sloss R: The effects of foot orthoses on the ground reaction forces during walking. Part 1. The Foot 2002; 11: 205–214.

9. McKinon W, Hartford C, Di Zio L, van Schalkwyk J, Veliotes D, Hofmeyr A, Rogers G: The agreement between reaction-board measurements and kinematic estimation of adult male human whole body centre of mass location during running. Physiological Measurement 2004; 25: 1339–1354.

10. Gard SA, Miff SC, Kuo AD: Comparison of kinematic and kinetic methods for computing the vertical motion of the body centre of mass during walking. Human Movement Science 2004; 22: 597–610.

11. Nault M-L, Allard P, Hinse S, Blanc RL, Caron O, Labelle H, Sadeghi H: Relations between standing stability and body posture parameters in adolescent idiopathic scoliosis. Spine 2002; 27: 1911–1917

12. Nakano S, Takahashi M: [Study of Standing exactitude determined by the scatter of the center of pressure – Study of standing exactitude by center of pressure]. Department of Otolaryngology, Yamaguchi University School of Medicine 1995, Ube. PMID 7782967.

13. Lafond D, Duarte M, Prince F: Comparison of three methods to estimate the centre of mass during balance assessment. Journal of Biomechanics 2004; 37: 1421–1426.

14. Benvenuti F, Meccacci R, Gineprari I et al.: Kinematic characteristics of standing disequilibrium: Reliability and validity of a posturograhics protocol. Archives of Physical Medicine and Rehabilitation 1999;. 80: 278–287.

15. Lin D, Sepi H, Nussbaum MA et al.: Reliability of COP-based postural sway measures and age-related differences. 2008; 28: 337–342.

16. Moghadam M, Ashayeri H, Salavati M et al.: Reliability of center of pressure measures of postural stability in healthy older adults: Effects of postural task difficulty and cognitive load. 2011. 33: 651–655.

17. Zebris: Das Zebris FDM-T System zur Stand- und Ganganalyse. http://www.zebris.de/deutsch/pdf/FDM-T-D_mail.pdf, http://www.zebris.de/english/ pdf/Image_zebris_GB.pdf

18. Piirtola M, Era P.: Force platform measurements as predictors of falls among older people – a review. Gerontology. 2006; 52:1–16.

19. McGuine TA, Greene JJ, Best T, Leverson G: Balance as a predictor of ankle injuries in high school basketball players. Clin J Sport Med 2000; 10: 239–244

20. Murphy DF, Connolly DAJ, Beynnon BD: Risk factors of lower extremity injury: a review of the literature. Br J Sports Med 2003; 37: 13–29

Fussnoten

1 Physio Therapie Zentrum Pomarino, Hamburg

2 TU Ilmenau, 98693 Ilmenau

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5