Originalarbeiten - OUP 04/2013

Aquacel Ag Surgical
Erste Erfahrungen bei der Anwendung eines neuen Wundverbands in der Endoprothetik First experiences with a new adhesive dressing in total hip arthroplasty

S. Mai1, W. Siebert1

Zusammenfassung: In der Endoprothetik ist der Wundinfekt eine gefürchtete Komplikation. Blasenbildungen, anhaltende Wundsekretion und häufige Verbandswechsel führen zu bakterieller Kontamination. Aquacel Ag Surgical ist ein elastischer Wundverband, der Flüssigkeit und Bakterien absorbiert. Das Wundkissen ist in eine hautfreundliche elastische
Hydrokolloidmatrix mit wasserdichtem Polyurethanfilm gebettet. Der Silberzusatz wirkt antibakteriell. Es kann mit dem Okklusionsverband geduscht werden. Er wird bis zum Fadenzug belassen. Die Wunde ist bei Abnahme krustenfrei. Blasenbildungen, Hautirritationen oder Wundinfekte wurden in dieser Studie nicht gesehen. Bei der Anwendung ist jedoch auf eine korrekte Indikationsstellung und Handhabung zu achten.

Schlüsselwörter: Endoprothetik, Wundinfekte, Okklusionsverband, Aquacel Ag Surgical

Abstract: Wound infections are a dangerous complication in joint arthroplasty. Blisters, prolonged wound drainage and frequent changes of the plaster lead to germ contamination. Aquacel Ag Surgical has an elastic hydrofiber cushion, which absorbs fluid and bacteria. It is covered by a skin friendly elastic hydrocolloid matrix with waterproof polyurethane film. The added silver has antimicrobial properties. The occlusive dressing allows taking a shower. It remains until sutures are
removed. In this study no blisters, wound irritations or infections were seen. It is important though to have a correct indication for it and a correct handling of the dressing.

Keywords: arthroplasty, wound infections, occlusive plaster, Aquacel Ag Surgical

Einleitung

Die Endoprothetik ist eine der häufigsten Operationen in der Orthopädie und Unfallchirurgie und mit hohen Kosten verbunden. Eine besonders gefürchtete und kostenintensive Komplikation ist die Infektion. In der Literatur wird die Häufigkeit bei primären Endoprothesen mit 0,5 bis 2 % und bei Wechseloperationen mit 2–8 % angegeben [1, 2, 3, 4]. Neben den Risikofaktoren, die der Patient mitbringt, sind Wundheilungsstörungen, Hämatome und Serome ein großer Risikofaktor, den der Operateur durch sorgfältigen Wundverschluss und postoperatives Wundmanagement beeinflussen kann.

Problematik bei
postoperativen Wunden

Blasenbildung im Wundbereich entsteht durch Scherkräfte zwischen Haut und Verband, postoperative Hautoedeme, Verbandsmaterialien und die Art und Weise, wie der Verband appliziert wird. Die Hautempfindlichkeit sowie Allergien des Patienten und die Hautdurchblutung spielen ebenfalls eine große Rolle. Die Häufigkeit der Blasenbildung wird mit 13–35 % angegeben [5, 6, 7]. Das Exsudat ist primär steril. Nach der Ruptur der Blase wird die Wunde rasch mit Keimen bis zum Abschluss der Epithelialisierung besiedelt. Die Hautschranke zur Keimabwehr ist nicht mehr intakt. Dies kann zu Wundheilungsstörung und Infekten führen, die eine längere Hospitalisierung mit hohen vermeidbaren Kosten nach sich ziehen.

Eine anhaltende Wundsekretion erhöht das Infektrisiko täglich. Bei einer Dauer von mehr als 5 Tagen sistiert sie meist nur zögerlich [8] und erhöht das Risiko für einen Infekt um das 12,5-fache [9, 10]. Bei Infekten innerhalb der ersten 2 postoperativen Jahre ist anamnestisch nicht selten eine Wundheilungsstörung festzustellen. Dies können wir auch in unserem hauseigenen Endoprothesenregister nachvollziehen, das seit 1998 geführt wird.

Ein häufiger Verbandwechsel exponiert die Wunde, führt zu bakterieller Kontamination und steigert so das Infektrisiko [11]. Die Heilungsvorgänge der mitotischen Zellteilung und die Leukozytenaktivität werden gestört [12] und sistieren bis zu 3–4 Stunden nach dem Verbandswechsel [13]. Hinzu kommen Hautreizungen und Blasenbildungen wie oben beschrieben.

Voraussetzungen für
Wundverbände

Das National Institute for Health and Clinical Excellence in England hat 2008 zur „surgical site infection prevention“ folgende Guideline für Wundverbände veröffentlicht (http://guidance.nice.org.uk/CG74) [14]:

  • 1. Permeable: Der Verband sollte durchlässig sein. Ein feuchtes Wundklima fördert die Heilung. Nässe unter undurchlässigen Verbänden führt jedoch zur Mazeration und Blasenbildung.
  • 2. Barrier: Keimpenetration soll verhindert werden.
  • 3. Occlusive: Eine semipermeable Okklusion der Wunde ist anzustreben. Okklusionsverbände senken die Infektrate und beschleunigen die Reepithelialisierung [15]. Sie schaffen eine hypoxische Umgebung, die die Gefäßneubildung anregt.
  • 4. Waterproof: Wasserdichte Verbände erlauben dem Patienten zu duschen.
  • 5. Removal: Die Entfernung des Verbandes sollte einfach und schmerzfrei erfolgen.
  • 6. Cost: Die Kosten sollen adäquat sein.

Materialbeschreibung

Aquacel Ag Surgical ist ein Okklusionsverband, bestehend aus einem Hydrokolloidhaftrand, einem Wundkissen aus Natriumcarboxymethylzellulose, vernäht mit Nylon- und Elasthangarn und einem Polyurethanfilm. Der hautfreundliche Hydrokolloidhaftrand passt sich der Körperfläche an und ermöglicht die notwendige Bewegungsfreiheit. Das Wundkissen besteht aus Zellulose, die in einem patentierten Verfahren carboxymethyliert wird zu Natriumcarboxymethylzellulose (NaCMC). Diese NaCMC bildet bei Kontakt mit Wundexsudat ein formstabiles Gel, welches ein feuchtes Wundmilieu schafft und Wundexsudat und Bakterien aufnimmt, einschließt und nicht wieder an die Wunde abgibt. Der abschließende Polyurethanfilm macht den Verband wasserdicht und verhindert das Eindringen von Viren und Bakterien. Die Zusammensetzung des Verbandes gewährt Dehnbarkeit und Flexibilität. Dadurch kann sich der Verband zum Beispiel mit dem Knie dehnen und wieder zusammenziehen bei bleibend guter Haftung, ohne die Haut zu reizen.

Der Silberzusatz erfolgt, indem ca. jedes 12. Na-Ion durch ein Ag-Ion ausgetauscht wird. Dieses bleibt fest im Verband gebunden und wird nicht freigesetzt. Da das Silber im Gegensatz zu Implantatbeschichtungen schon ionisiert ist, kann es sofort wirksam werden. Die antibakterielle Wirkung erzielen die Silberionen durch Schädigung der Zellmembran und der DNA der Keime.

Methode

Der Aquacel Ag Surgical Wundverband wird in der Vitos Orthopädischen Klinik Kassel seit Februar 2012 nach Endoprothesenoperationen aufgebracht. Bis November 2012 konnte mit 202 Verbänden Erfahrung gesammelt werden: Hüft-TEP 95-mal, Knie-TEP 75-mal und beidseits 20-mal, Revisionsoperationen 10-mal, Schulter-TEP 2-mal.

Im Operationssaal werden die Wunde und ihre Umgebung gereinigt. Die Wunde wird desinfiziert und die Umgebung getrocknet. Danach wird das Pflaster aufgebracht und kurze Zeit mit der warmen Hand angedrückt. Der erste Verbandswechsel erfolgt erst beim Fadenzug am 11. postoperativen Tag. Es darf mit dem Pflaster geduscht werden. Frühzeitiger Wechsel ist erforderlich bei starker Sekretion, V.a. entzündliche Reaktion, ungewöhnlichen Schmerzen und CRP-Anstieg unklarer Ursache.

Erfahrungsbericht und
Ergebnisse

Die Einführung des neuen Wundverbandes bedeutet eine Umstellung für alle an der Behandlung Beteiligten. Zu Anfang mussten etliche Verbände frühzeitig gewechselt werden. Ursachen für frühzeitigen Wechsel waren zum Beispiel stark sezernierende Wunden, die besonders bei adipösen Patienten auftraten. Einmal wurde vergessen, die Redondrainage zu öffnen.

Anfangs wurde im OP der Verband gelegentlich nicht sorgfältig genug wie oben beschrieben aufgebracht, wodurch er nicht gut haftete. Die Redondrainage wurde zu nahe an der Wunde ausgeleitet und der Verband der Redondrainage auf den Aquacel Verband aufgeklebt, sodass dieser bei der Redonentfernung mit entfernt werden musste. Bei äußerst unruhigen Patienten kann es ebenfalls vorkommen, dass sich der Verband löst. Auf einer Station wurde aus Unwissenheit ein Duschpflaster über den Aquacel Verband geklebt, sodass nach dem Duschen beide Pflaster gemeinsam entfernt wurden. Es passierte auch, dass aus Routine der Verband nach wenigen Tagen schon gewechselt wurde.

Zu Beginn der Anwendung mussten aus oben genannten Gründen 30 % der Verbände frühzeitig gewechselt werden. Inzwischen hat es sich auf 5 % eingependelt. Bei der Kalkulation der durch den neuen Verband entstehenden Kosten konnte berechnet werden, dass diese durch Materialeinsparung der herkömmlichen Verbände ausgeglichen werden.

Auffallend war, dass bei der Entfernung des Wundverbands am 11. postoperativen Tag die Wunden vollkommen sauber waren (s. Abbildung 2). Es fanden sich keine Verkrustungen, die das Entfernen von Fäden oder Klammern erschweren. Der Verband war an einigen Stellen gelartig aufgequollen aber trocken. Das Entfernen der Verbände war immer schmerzfrei, auch auf behaarter Haut. Die Epithelialisierung schien im Vergleich zu herkömmlichen Verbänden weiter fortgeschritten. Es wurden keine Wundinfekte gesehen.

Diskussion

Der Aquacel Ag Surgical Wundverband ist gewöhnungsbedürftig, weil man sich die Wunde nicht ansehen kann. Das Sekret erscheint von außen als schwarzer Fleck. Allerdings ist die Aufnahmekapazität beschränkt, sodass er sich nicht für erwartungsgemäß stark sezernierende Wunden eignet.

Für den Patienten ist der Verband angenehm, da schmerzhafte Verbandswechsel unterbleiben. Es treten keine Spannungsblasen und Hautirritationen auf, die den Heilverlauf stören. Der Tragekomfort ist hoch, da sich der Verband mitbewegt ohne dabei zu scheuern und Duschen erlaubt ist. Dadurch wird das Pflegepersonal deutlich entlastet. Allerdings erfährt der Patient auch etwas weniger Zuwendung, da die Verbandswechsel entfallen. Bei der Einführung des neuen Wundverbandes ist auf eine gute Schulung aller betroffenen Mitarbeiter im OP und auf den Stationen zu achten, um die unnötigen oben aufgeführten Anfängerfehler zu vermeiden.

Die Senkung der Infektrate von 1,8 % bei Mullverbänden auf 0,4 % mit dem Aquacel Ag Surgical konnte das Riddle Memorial Hospital, Philadelphia auf dem Musculoskeletal Infection Society Meeting 2012 in San Antonio in einer Studie mit 1892 Patienten vorstellen. Eine Studiengruppe des Royal Oldham Hospitals [16] konnte eine deutliche Reduktion der perioperativen Blasenbildung mit dem Aquacel ohne Silber an 200 Patienten nachweisen, wie auch weitere Studien mit Aquacel Ag Surgical im Vergleich zu Varihesive Extra Dünn [17]und Mepore [7].

Im OrthoCarolina Hip and Knee Center in Charlotte, NC, wird derzeit von
Bryan D. Springer und James Kudrna eine prospektiv randomisierte Studie durchgeführt, die den neuen Wundverband mit der Standardversorgung vergleicht. Sie beschäftigt sich mit der Auswertung der Komplikationsraten, Blasenbildung, Infekten, Kosten sowie Zufriedenheit bei Patienten und Personal. Die Ergebnisse wurden noch nicht veröffentlicht.

Schlussfolgerung

Der Aquacel Ag Surgical Wundverband scheint sich zu bewähren. Die Wunden scheinen bei reduzierter Infektgefahr besser zu heilen. Allerdings ist bei der Anwendung auf eine korrekte Indikationsstellung und Handhabung zu achten. Er gewährt einen hohen Tragekomfort und entlastet die Pflege. Der geringere Materialverbrauch und die Einsparung von Personalressourcen können die höheren Kosten für den neuen Wundverband ausgleichen. Weitere Anwendungsbeobachtungen sind notwendig, um die Aussagen zu untermauern.

Korrespondenzadresse

Dr. Sabine Mai

Vitos Orthopädische Klinik Kassel gGmbH

Wilhelmshöher Allee 345, 34117 Kassel

sabine.mai@vitos-okk.de

Literatur

1. Bongartz T, Halligan CS, Osmon DR, et al. Incidence and risk factors of prosthetic joint infection after total hip or knee replacement in patients with rheumatoid arthritis. Arthritis & Rheumatism. 2008; 59: 1713–1720

2. Chukler Jm, Star AM, Alavi A, Noto RB. Diagnosis and management of the infected total joint arthroplasty. Orthopaedic Clinics of North America. 1991; 22: 523–530

3. Garvin KL, Cordero GX. Infected total knee arthroplasty: diagnosis and treatment. Instructional Course Lectures. 2008; 57: 305–315

4. Garvin KL, Hanssen AD. Infection after total hip arthroplasty. Past, present and future. Journal of Bone & Joint Surgery – American Volume. 1995; 77: 1576–1588

5. Jester R, Russel L, Fell S, Williams S., Prest C. A one hospital study of the effect of wound dressings and other rela
ted factors on skin blistering following total hip and knee arthroplasty. Journal of Orthopaedic Nursing 2000; 4: 71–77

6. Wright M. Hip blisters. Nurs Times. 1994; 90: 86–88

7. Hopper GP, Deakin AH, Crane EO, Clarke JV. Enhancing patient recovery following lower limb arthroplasty with a modern wound dressing: a prospective, comparative audit.J Wound Care. 2012; 21: 200–203

8. Dennis DA. Wound complications in total knee arthroplasty. Instr. Course Lec 1997; 46: 165–169

9. Lonner JH, Lotke PA. Aseptic complications after total knee arthroplasty. J Am Acad Orthop Surg 1999; 7: 311–324

10. Saleh K, Olson M, Resig S, Bershadsky B, Kuskowski M, Gioe T, Robinson H, Schmidt R, McElfresh E. Predictors of wound infection in hip and knee joint replacement: results from a 20 year surveillance program. J Orthop Res 2002; 20: 506–515

11. Parvizi J, Parwasarat IM, Azzam KA, Joshi A. Periprostethic Joint Infection: The Economic Impact of Methicillin-Resistant Infections. J of Arthro 2010; 25: 138–144

12. McGuiness W, Vella E, Harrison D. Influence of dressing changes on wound temperature. J Wound Care 2004; 13: 383–385

13. Xia Z, Sato A, Hughes MA, Cherry GW. Stimulation of fibroblast growth in vitro by intermittent radiant warming. Wound Repair Regen 2000; 8: 138–144

14. Guideline National Institute for Health and Clinical Excellence, 2008: http://guidance.nice.org.uk/CG74 (surgical site infection prevention)

15. Hutchinson JJ, McGuckin M. Occlusive dressings: a microbiologic and clinical review. Am J Infect Control. 1990; 18: 257–268.

16. Ravenscroft MJ, Harker J, Buch KA. A prospective, randomised, controlled trial comparing wound dressings used in hip and knee surgery: Aquacel and Tegaderm versus Cutiplast. Ann R Coll Surg Engl. 2006; 88: 18–22

17. Clarke JV, Deakin AH, Dillon JM, Emmerson S, Kinninmonth AWG. A prospective clinical audit of a new dressing design for lower limb arthroplasty wounds. J Wound Care 2009; 18: 5–8; 10–11

Fussnoten

Vitos Orthopädische Klinik Kassel

DOI 10.3238/oup.2013.0200–0202

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