Übersichtsarbeiten - OUP 02/2016

Beugesehnenrupturen nach winkelstabiler, palmarer Plattenosteosynthese nach distaler Radiusfraktur

Horst Haferkamp1, Dieter Krackrügge1, Monika Schäfer2

Zusammenfassung: Ohne Zweifel bedeutet die Entwicklung der winkelstabilen palmaren Plattenosteosynthese bei der Versorgung der distalen Radiusfraktur einen gewaltigen Fortschritt. Damit verbunden ist jedoch eine Komplikation mit Ruptur der Beugesehnen, die fast immer den Daumenbeuger, aber auch andere Sehnen betreffen kann. Wir haben innerhalb von 3 Jahren insgesamt 8 Beugesehnenrupturen gesehen, die aufwändige Rekonstruktionen mit Sehnentransplantationen usw. erforderlich machten. Die Ruptur kann sich schon nach wenigen Monaten entwickeln, in einem Fall trat diese erst nach 5 Jahren ein und betraf neben dem Daumenbeuger auch die tiefe Zeigefingerbeugesehne und den Flexor carpi radialis. Das klinische Bild einer aufgehobenen aktiven Beugung im Daumen- und auch Zeigefingerendgelenk ließ zunächst an ein Interosseus-anterior-Syndrom denken. Ursächlich verantwortlich für die Sehnenrupturen werden hervorstehende Schraubenköpfe, aber insbesondere die distale Plattenkante gemacht, wobei deren Positionierung in Bezug zur sogenannten Watershed-Line eine Rolle spielt.

Neben der Sehnenrekonstruktion ist immer eine Plattenentfernung erforderlich, die jedoch nach knöcherner Konsolidierung auch relativ frühzeitig durchgeführt werden kann, wenn sich Hinweise auf eine drohende Sehnenruptur ergeben.

Schlüsselwörter: Beugesehnenrupturen, palmare Plattenosteosynthese, distale Radiusfraktur, DD: Interosseus-anterior-Syndrom

Zitierweise:
Haferkamp H, Krackrügge D, Schäfer M: Beugesehnenrupturen nach winkelstabiler, palmarer Plattenosteosynthese nach distaler Radiusfraktur.
OUP 2016; 2: 081–087 DOI 10.3238/oup.2015.0081–0087

Summary: There is no doubt that osteosynthesis with angle-stable implants is a great improvement in treatment of distal fracture of the radius. But sometimes it is combined with arrosion and rupture of flexor tendon we haven´t seen in that incident before. It seems to be caused by a prominence by the head of a screw and especially the distal edge of the plate. In 3 years we have seen 8 cases of flexor tendon rupture after angle-stable volar plate osteosynthesis. In some cases the tendon rupture occurred in the first year after operation. In one case it happened 5 years later, the patient came with the diagnosis of an interosseous-anterior-syndrome with no active flexing of the distal joint of the thumb and the index finger. Intraoperatively, we found a rupture of the flexor pollicis longus, the flexor profundus of the index finger and the flexor carpi radialis. Simultaneously with the explantation of the plate extensive operations with tendon grafting are necessary to repair the functional deficit. Very often it is necessary to remove the plate prophylactically to avoid tendon rupture.

Keywords: distal radius fracture, osteosynthesis, palmar angle-stable plate, rupture of flexor tendon, differential diagnosis (DD): interosseous-anterior-syndrome

Citation:
Haferkamp H, Krackrügge D, Schäfer M: Flexor tendon ruptures after angle-stable, palmar plate osteosynthesis after distal radius fracture. OUP 2016; 2: 081–087 DOI 10.3238/oup.2015.0081–0087

Einleitung

Ohne Zweifel ist die Osteosynthese mit der palmaren winkelstabilen Platte bei der Versorgung der distalen Radiusfrakturen ein gewaltiger Fortschritt. Sie hat uns aber auch neue Komplikationen beschert, die wir in diesem Ausmaß zuvor nicht kannten. Waren es anfänglich noch Strecksehnenrupturen, meistens durch Perforation der streckseitigen Kortikalis und Hineinragen der Schraubenenden in die Streckerkompartments hervorgerufen, so hat sich inzwischen doch herumgesprochen, dass bei winkelstabiler Versorgung eine Perforation der Gegenkortikalis nicht erforderlich und somit eine Traumatisierung der Strecksehnen bei diesen Verfahren eigentlich nicht mehr möglich ist. Es sind aber inzwischen zunehmend auch Beugesehnenrupturen zu beobachten, wobei in den meisten Fällen der Flexor pollicis longus betroffen ist, jedoch in fortgeschrittenen Fällen auch andere Sehnen der Langfinger, in einzelnen Fällen sogar der Flexor carpi radialis betroffen sein kann. Die in der Literatur angegebenen zeitlichen Abstände zwischen Operation und Ruptur reichen von 2 Monaten bis zu 5 Jahren [1, 2, 3, 4, 5, 6].

Ursächlich wird eine Traumatisierung der über die distale Plattenkante verlaufenden Beugesehnen angenommen, die die Sehnen arrodiert und später zu einer Ruptur führt. Ergeben sich Hinweise für eine drohende bzw. schon stattgefundene Sehnenruptur, so ist prinzipiell die Entfernung der störenden Platte erforderlich. Im Fall der Ruptur sind aufwändige Sehnenrekonstruktionen erforderlich, wobei fast immer eine direkte Sehnennaht nicht mehr möglich ist und Sehnentransplantationen erforderlich sind.

Wir haben in 3 Jahren insgesamt 8 Beugesehnenrupturen nach palmarer Plattenosteosynthese gesehen, wobei immer der lange Daumenstrecker betroffen war. Die durchschnittlichen Zeiten zwischen Operation und Ruptur lagen bei ca. einem Jahr. Wir möchten Ihnen jedoch einen besonderen Fall vorstellen, bei dem die Ruptur erst nach 5 Jahren auftrat. Dabei war neben dem Daumenbeuger auch die Profundus-Sehne des Zeigefingers und erstaunlicherweise der Flexor carpi radialis betroffen.

Es handelte sich um eine 76-jährige Patientin mit erheblicher körperlicher Behinderung durch ein sogenanntes Stiff-Man-Syndrom. Wegen ihrer Gehbehinderung war sie auf einen Rollator angewiesen.

Sie wurde mit der Verdachtsdiagnose eines Interosseus-anterior-Syndroms der rechten Hand überwiesen. Hier fand sich in klassischer Weise eine aufgehobene aktive Beugung des Daumen- und Zeigefingerendgelenks (Abb. 1a). Die Abbildung 1b zeigt die gesunde linke Hand mit dem gerundeten Spitzgriff, da die Endgelenke des Daumens und des Zeigefingers aktiv gebeugt werden können. Es war auch eine neurophysiologische Untersuchung zuvor durchgeführt worden, die kein eindeutiges Ergebnis ergab. Die Diagnose stützte sich also im Wesentlichen auf das klinische Bild.

Bei der klinischen Untersuchung fand sich eine längsverlaufende radiopalmare Narbe über den distalen Radius. Bei Nachfrage erinnerte sich die Patientin, dass sie sich vor ca. 5 Jahren eine Radiusfraktur zugezogen hatte – sie hatte dies völlig vergessen – und dann auch operiert worden war. Das jetzt angefertigte Röntgenbild zeigte die knöchern in zufriedener Stellung ausgeheilte distale Radiusfraktur mit einer palmaren Plattenosteosynthese mit einer winkelstabilen Platte, deren distale Kante in Höhe der sogenannten Watershed-Line endet (Abb. 2). Kritisch muss angemerkt werden, dass die sonst ordentlich durchgeführte Osteosynthese eine Schraubenperforation nach streckseitig zeigt (klinische Hinweise für eine zusätzliche Strecksehnenirritation fanden sich jedoch nicht), und dass die Platte zudem im distalen Anteil nicht dicht am Knochen anliegt und daher etwas prominenter über die palmare Kante der Watershed-Line hinausragt. Nebenbefundlich fand sich eine Rhiz- und STT-Arthrose und im Seitenbild eine DISI-Stellung des Handgelenks. Wir haben aufgrund der Vorgeschichte und des Röntgenbildes dann doch die Diagnose des „Interosseus-anterior-Syndroms“ in Zweifel gezogen und die sofortige Plattenentfernung, kombiniert mit entsprechender Sehnenrekonstruktion vorgeschlagen.

Intraoperativ (Abb. 3) fand sich eine Ruptur des Daumenbeugers, des tiefen Zeigefingerbeugers und auch des Flexor carpi radialis, die mit fast bindfadendünnen Narbenbrücken an der Handgelenkkapsel fixiert waren. Die distalen Sehnenstümpfe des Daumen- und tiefen Zeigefingerbeugers waren erst nach Spalten des Karpaltunnels darstellbar (Abb. 4). Nach Plattenentfernung und Resektion der Sehnenstümpfe wurde der Defekt mit Sehnentransplantaten überbrückt (Abb. 5), wobei wir beim Flexor pollicis longus ein Transplantat der restlichen Sehne des Flexor carpi radialis verwandten, zumal bei der funktionellen Überprüfung eine funktionell nutzbare Elastizität des zugehörigen Muskels des FCR nicht mehr nachweisbar war. Der tiefe Zeigefingerbeuger wurde mit einem gedoppelten Transplantat des Palmaris longus versorgt. Cave: Bei Verlängerung des radiopalmaren Zugangs nach distal in den Karpaltunnel hinein kreuzt der Ramus palmaris des Nervus medianus das OP-Gebiet. Er sollte deshalb unbedingt dargestellt und angeschlungen werden (Abb. 5)!

Am Ende der OP überprüften wir die Funktionalität der Transplantate bzw. deren richtige Länge mit dem sogenannten Tenodese-Test. Abbildung 6a zeigt bei passiver Beugung des Handgelenks eine normale Streckung des Daumen- wie auch Zeigefingerendgelenks. Bei Streckung des Handgelenks (Abb. 6 b) werden Daumen- und Zeigefingerendgelenk gebeugt. Postoperativ wurde die Hand mit einer dorsalen Gipsschiene mit Einschluss des Daumens und der Langfinger in Intrinsic-Plus-Stellung ruhiggestellt und vom ersten Tag an aus der Schiene heraus, unter physiotherapeutischer Anleitung, Bewegungsübungen durchgeführt, die dann später ambulant durch eine handtherapeutische Übungsbehandlung ergänzt wurden. Insgesamt waren 20 Behandlungstermine erforderlich.

Abbildung 7a–b zeigt nach 4 Monaten Behandlung eine ungestörte Beugung und Streckung des Daumen- wie auch Zeigefingerendgelenks mit wiederhergestelltem, gerundeten Spitzgriff.

Man mag die Frage stellen, ob bei dieser älteren Patientin, schon durch ihre Grunderkrankung des Stiff-Man-Syndroms stark behindert, eine so aufwändige Operation und Nachbehandlung allein zur Wiederherstellung des Spitzgriffs zwischen Daumen und Zeigefinger sinnvoll ist. Es handelte sich um ihre rechte Gebrauchshand. Aufgrund des fehlenden Spitzgriffs war sie nicht mehr in der Lage, sich allein anzuziehen und Kleidungsstücke zuzuknöpfen. Dies wurde durch den wiederhergestellten Spitzgriff beseitigt und die Autonomie der Patientin in ihrer eigenständigen Versorgung wesentlich gefördert.

Diskussion

Beugesehnenrupturen nach winkelstabiler palmarer Plattenosteosynthese der distalen Radiusfraktur sind eine schwerwiegende Komplikation des an sich sinnvollen operativen Verfahrens. Die Rekonstruktion rupturierter Beugesehnen ist sehr aufwändig. Direkte Nähte sind aufgrund der langstreckigen Zerstörung meist nicht mehr möglich, sodass die Überbrückung der Defekte durch Sehnentransplantationen, bei der Ruptur des Daumenbeugers ggf. auch die Transposition einer Superficialissehne der Langfinger, erforderlich ist.

Bei den 8 Fällen mit Beugesehnenrupturen, die wir innerhalb von 3 Jahren gesehen haben, war nur ein Fall, der aus dem eigenen Patientengut stammt. Dies mag daran liegen, dass der Beugeverlust des Daumens und der Langfinger als isolierte handchirurgische Erkrankung wahrgenommen wird und häufig auch nicht in einem kausalen Zusammenhang mit der ursächlichen Radiusfraktur gesehen wird. Dies insbesondere dann, wenn der zeitliche Abstand zwischen Unfall und Ruptur, wie in unserem dargestellten Fall, einige Jahre beträgt. In diesem Falle konnte sich die Patientin nicht mehr an ihren Unfall und die damit verbundene Operation erinnern und wurde letztlich aufgrund des aufgehobenen Spitzgriffs von einem Neurologen mit der Diagnose Interosseus-anterior-Syndrom überwiesen.

Die sich daraus ergebende Konsequenz zur Vermeidung von Sehnenrupturen nach palmarer Plattenosteosynthese ist, Hinweise für eine drohende Ruptur frühzeitig zu erkennen, um dann die immer notwendige Plattenentfernung durchzuführen.

Das Problem ist allerdings, dass die drohende Sehnenruptur kaum eine klinische Symptomatik aufweist. Davon wird in der Literatur gelegentlich berichtet, wir haben jedoch bei unseren 8 Fällen in keinem Fall prodromale Symptome gefunden. Die Patienten waren meist beschwerdefrei. Die Ruptur macht sich meistens mit einem fühl- und hörbaren „Plopp“ bemerkbar, wobei dann auch sofort der funktionelle Ausfall mit aufgehobener Beugung des Endgelenks nachweisbar war.

Im Gegensatz dazu zeigte sich bei den früheren streckseitigen Sehnenrupturen häufig eine klinische Symptomatik mit Schwellung und Schmerz. Dies kann auch dadurch erklärt werden, dass streckseitig die Rupturen in einem Kompartment, d.h. in den Sehnenfächern stattfinden. Beugeseitig besteht im Bereich der Sehnenruptur allerdings kein Kompartment, sodass die Sehnenarrosion und die damit verbundene Schwellung sich ohne große Schmerzsymptomatik entwickeln können. So berichten Cho et al. [6] ebenfalls von einer Spätruptur des Pollicis longus nach 5 Jahren. Sie weisen ausdrücklich darauf hin, dass im Vorfeld keine Warnsymptome im Hinblick auf eine Sehnenirritation nachzuweisen waren, empfehlen allerdings, dass bei klinischen Hinweisen auf eine drohende Sehnenruptur die Platte entfernt werden sollte. Aus unserer Sicht eine Inkonsequenz im Hinblick auf das zuvor Gesagte.

Wir haben aufgrund der dargestellten Problematik mit der Früherkennung von Sehnenrupturen prinzipiell die Plattenentfernung nach knöcherner Konsolidierung der Radiusfraktur empfohlen. Wir haben diese Aussage dann jedoch insofern relativiert, da das Röntgenbild deutliche Hinweise auf eine potenzielle Gefährdung der Beugesehnen geben kann.

Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht ein relativ unerfahrener Assistent dies durchführen sollte, da narbige Verwachsungen die anatomische Übersicht gelegentlich erschweren und insbesondere der Nervus medianus gefährdet sein könnte.

Soong et al. [7] haben die Lage der Platte in Beziehung zur Watershed-Line gestellt und darauf basierend eine Einteilung mit 3 unterschiedlichen Graden entwickelt (Abb. 8): Parallel zur Kortikalis des Radiusschafts wird eine rote Linie an der palmaren Prominenz des distalen Radius (diese entspricht der Watershed-Line) gezogen.

Wenn die Platte diese rote Linie nicht überschreitet, sprechen wir von einem Stadium 0. Die Platte kann die Beugesehne nicht irritieren, somit wäre eine Plattenentfernung nicht erforderlich.

Das Stadium 1 ist dadurch gekennzeichnet, dass die distale Plattenkante der Watershed-Line aufliegt und die rote Linie, ggf. auch ein Schraubenkopf, diese eben überschreitet. Hier könnte die distale Kante die Beugesehne irritieren, eine Plattentfernung sollte durchgeführt werden. Ein etwas größerer zeitlicher Abstand zur Metallentfernung wäre jedoch möglich.

Beim Stadium 2 hat die Platte die Watershed-Line nach distal überschritten und reicht eventuell sogar bis zur Gelenkkante. Dies ist meist auch mit einem räumlichen Abstand zwischen Platte und Knochen verbunden. Hier besteht eine erhebliche Traumatisierung der Beugesehnen, insbesondere bei der Streckung des Handgelenks. Nach einer knöchernen Konsolidierung sollte die Plattenentfernung möglichst schnell erfolgen, und es sei darauf hingewiesen, dass in der Literatur schon Rupturen nach 2–5 Monaten gesehen wurden [3, 4].

Die angegebene Klassifizierung erscheint eine gute Methode, um die Gefahr einer drohenden Ruptur der Beugesehnen beurteilen zu können und möglichst rechtzeitig die prophylaktische Plattenentfernung durchzuführen. Wenn man diese Klassifikation auf die vorliegenden Röntgenbilder sowohl des eigenen Klientels wie auch in der Literatur überträgt, so kann man sagen, dass in nahezu allen Bildern das Stadium 1 oder 2 nachzuweisen ist, wobei die Frührupturen eher dem Stadium 2 und die Spätrupturen dem Stadium 1 zuzuordnen sind.

Weitere Faktoren, die bei der Vermeidung von Beugesehnenrupturen zu beachten sind:

  • 1. Der Pronator quadratus wird bei der Operation radial am Radius abgelöst, um Zugang zum Radius zu haben. Nach Plattenanlage sollte er wieder genäht werden, um die Platte mit Weichteilen zu bedecken. Man berücksichtige, dass der Pronator quadratus distal mit der sogenannten Watershed-Line endet. Der weitere distale Radius bis zur Gelenkkante ist dann nicht mehr muskulär bedeckt. Eine über die Watershed-Line nach distal verschobene Platte (Stadium 2) kann nicht mit dem Pronator quadratus bedeckt werden. Die Sehnen verlaufen über die distale Plattenkante, die bei Streckung des Handgelenks als Hypomochlion wirkt. Gelegentlich ist es schwierig, den Pronator quadratus überhaupt zu refixieren. Hier kann es hilfreich sein, die Naht in Pronationsstellung des Handgelenks durchzuführen. Hohendorf et al. [8] haben zudem eine Methode angegeben, bei der man den Pronator quadratus am Ansatz des Brachioradialis refixiert.
  • 2. Neben der beschriebenen Beziehung der distalen Plattenkante zur Watershed-Line, ist es auch wichtig, dass die Platte möglichst dicht an der Kortikalis anliegt, da dann nicht nur bei Überschreiten der Watershed-Line nach distal, sondern auch durch einen zu großen Abstand zwischen Platte und Kortikalis, die in Abbildung 8 dargestellte rote Linie überschritten werden kann. Im Gegensatz zur konventionellen Platte wirkt die winkelstabile Platte wie ein Fixateur interne. Wenn die Platte, insbesondere im distalen Teil nicht dicht an der Kortikalis anliegt, kann dies durch Anziehen der Schrauben nicht mehr korrigiert werden. Ggf. könnte ein kleiner Trick helfen: Bei Verwendung einer konventionellen Schraube kann die Platte zunächst durch Anziehen der Schraube fest an den distalen Radius angepresst werden, dann Einbringen der winkelstabilen Schrauben. (Nochmals der Hinweis, dass die Gegenkortikalis nicht perforiert werden darf, da sonst eine zusätzliche Irritation der Strecksehnen auftreten könnte). Die konventionelle Schraube kann dann entfernt und durch eine weitere winkelstabile Schraube ersetzt werden. Im proximalen Anteil der Platte können die Schrauben dann konventionell, d.h. mit Durchbohrung der Gegenkortikalis, eingebracht werden.
  • 3. Das Plattendesign spielt ebenfalls eine große Rolle, insbesondere die distale Plattenkante sollte abgerundet werden, das Profil der Platte sollte möglichst flach sein. Dies gilt ebenso für die Schraubenköpfe, die möglichst in der Platte nach dem Einschrauben verschwinden sollten. Inwieweit das Plattendesign eine Rolle spielt, geht auch aus der erwähnten Arbeit von Soong et al. [7] hervor, wobei mit der Einteilung in 3 Stadien 2 unterschiedliche Plattentypen miteinander verglichen wurden. Auf der einen Seite war es eine Acu-Loc-Platte (Acumed, Hillsboro, Oregon), die insbesondere im radialen Bereich die Watershed-Line nach distal überschritt, auf der anderen Seite handelte es sich um die DVR-Standard-Platte, die T-förmig gestaltet ist und die Watershed-Line an keinem Punkt überschreitet. In der Gruppe der Acu-Loc-Platte mit 72 Patienten bei einem Follow-up von 6–49 Monaten fand sich ein Grad 0 bei 19 %, Grad 1 bei 18 %, Grad 2 bei 63 %, Sehnenrupturen lagen bei 4 % vor, wobei jedoch zusätzlich in 3 Fällen die Platte wegen Sehnenirritationen entfernt wurden, ohne dass hier eine Sehnenrekonstruktion erforderlich war.

In der 2. Gruppe mit der DVR-Platte fanden sich bei 93 Patienten ein Grad 0 bei 49 %, Grad 1 bei 51 % und kein Fall mit Grad 2. Es gab keinen einzigen Fall einer Sehnenruptur. In einem Fall wurde jedoch die Platte bei Sehnenirritation entfernt.

Diese Fälle zeigen, dass auch das Plattendesign, insbesondere wenn wir die Gruppe 2 mit der DVR-Platte betrachten, eine erhebliche Rolle in der Vermeidung von Sehnenrupturen spielen kann.

  • 4. Mit der Sonografie kann gelegentlich eine frühzeitige Arrosion der Sehnen mit begleitender Synovialitis erkannt werden. Wenn dies der Fall ist, sollte eine sofortige Plattenentfernung erfolgen. Ein weiteres Zuwarten und ggf. weitere Kontrollen erscheinen nicht sinnvoll, da sich die Situation nur verschlechtern kann.

Unter Berücksichtigung der Spätrupturen, wenn diese erst nach 5 Jahren und ggf. sogar noch später nachgewiesen wurden, erscheint es uns kaum durchführbar, über solch einen langen Zeitraum sonografisch die Patienten zu kontrollieren.

Zusammenfassung

Die Sehnenruptur nach palmarer Plattenosteosynthese ist eine ernsthafte Komplikation, die aufwändige rekonstruktive Eingriffe erfordert. Deshalb ist es wichtig, frühzeitig diese Gefahr zu erkennen und ggf. die Plattenentfernung durchzuführen. Die Einteilung nach Soong et al. in 3 Stadien anhand röntgenologischer Kriterien erscheint uns sinnvoll, um schon im Vorfeld diese Gefahren zu erkennen. Bei Stadium 1 und 2 nach Soong sollte eine baldige Plattenentfernung durchgeführt werden.

Eine Weichteilbedeckung der Platte mit dem Pronator quadratus ist unbedingt anzustreben.

Die Platte sollte dicht mit der Kortikalis des Radius schließen.

Die Verbesserung des Plattendesigns ist ein weiterer Faktor, der die Gefahr der Sehnenruptur verringern kann.

Bei kombinierter Ruptur des Flexor pollicis longus mit dem tiefen Zeigefingerbeuger ergibt sich eine klinische Symptomatik, die mit dem Interosseus-anterior-Syndrom verwechselt werden kann. Differenzialdiagnostisch sollte hier an die Sehnenruptur als Folge einer palmaren Plattenosteosynthese bei Radiusfraktur gedacht werden.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med. Horst Haferkamp

Vitos Orthopädische Klinik Kassel gGmbH

Wilhelmshöher Allee 345

34131 Kassel

haferkamp.kassel@t-online.de

Literatur

1. Ateschrang A, Eisenbarth I, Schaller HE, Weise K. Arrosion der Beugesehnen nach palmarer Plattenosteosynthese des distalen Radius: Drei Fallberichte. Handchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39: 418–422

2. Klug RA, Press CM, Gonzales MH. Rupture of the Flexor Pollicis Longus Tendon after Volar Fixed-Angle Plating of a Distal Radius Fracture: A Case Report. J Hand Surg Am. 2007; 32: 984–988

3. Berglund LM, Messer TM. Complications of volar plate fixation for managing distal radius fractures. J Am Acad Orthop Surg. 2009; 17: 369–377

4. Adham MN, Prorembski M, Adham C. Flexor Tendon Problems after Volar Plate Fixation of Distal Radius Fractures. Hand 2009; 4: 406–409

5. Cross AW, Schmidt CC. Flexor Tendon Injuries Following Locked Volar Plating after Distal Radius Fractures. J Hand Surg Am. 2008; 33: 164–167

6. Cho CH, Lee KJ, Song KS, Bae KC. Delayed Rupture of Flexor Pollicis Longus after Volar Plating for a Distal Radius Fracture. Clin Orthop Surg. 2012; 4: 325–328

7. Soong M, Earp BE, Bishop G, Leung A, Blazar P. Volar Locking Plate Implant Prominence and Flexor Tendon Rupture. J Bone Joint Surg Am. 2011; 93: 328–335

8. Hohendorff B, Surberg D, Maier J, Burkhart KJ, Müller LP, Ries C. Ablösung und Refixierung des M. Pronator quadratus mit einem Teil des M. brachioradialis Ansatzes. Hand Chir Mikrochir Plast Chir 2015; 47: 149–154

Fussnoten

1 Vitos Orthopädische Klinik, Kassel

2 Praxis für Ergotherapie & Handtherapie, Kassel

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