Übersichtsarbeiten - OUP 02/2016

Beugesehnenrupturen nach winkelstabiler, palmarer Plattenosteosynthese nach distaler Radiusfraktur

Wir haben aufgrund der dargestellten Problematik mit der Früherkennung von Sehnenrupturen prinzipiell die Plattenentfernung nach knöcherner Konsolidierung der Radiusfraktur empfohlen. Wir haben diese Aussage dann jedoch insofern relativiert, da das Röntgenbild deutliche Hinweise auf eine potenzielle Gefährdung der Beugesehnen geben kann.

Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht ein relativ unerfahrener Assistent dies durchführen sollte, da narbige Verwachsungen die anatomische Übersicht gelegentlich erschweren und insbesondere der Nervus medianus gefährdet sein könnte.

Soong et al. [7] haben die Lage der Platte in Beziehung zur Watershed-Line gestellt und darauf basierend eine Einteilung mit 3 unterschiedlichen Graden entwickelt (Abb. 8): Parallel zur Kortikalis des Radiusschafts wird eine rote Linie an der palmaren Prominenz des distalen Radius (diese entspricht der Watershed-Line) gezogen.

Wenn die Platte diese rote Linie nicht überschreitet, sprechen wir von einem Stadium 0. Die Platte kann die Beugesehne nicht irritieren, somit wäre eine Plattenentfernung nicht erforderlich.

Das Stadium 1 ist dadurch gekennzeichnet, dass die distale Plattenkante der Watershed-Line aufliegt und die rote Linie, ggf. auch ein Schraubenkopf, diese eben überschreitet. Hier könnte die distale Kante die Beugesehne irritieren, eine Plattentfernung sollte durchgeführt werden. Ein etwas größerer zeitlicher Abstand zur Metallentfernung wäre jedoch möglich.

Beim Stadium 2 hat die Platte die Watershed-Line nach distal überschritten und reicht eventuell sogar bis zur Gelenkkante. Dies ist meist auch mit einem räumlichen Abstand zwischen Platte und Knochen verbunden. Hier besteht eine erhebliche Traumatisierung der Beugesehnen, insbesondere bei der Streckung des Handgelenks. Nach einer knöchernen Konsolidierung sollte die Plattenentfernung möglichst schnell erfolgen, und es sei darauf hingewiesen, dass in der Literatur schon Rupturen nach 2–5 Monaten gesehen wurden [3, 4].

Die angegebene Klassifizierung erscheint eine gute Methode, um die Gefahr einer drohenden Ruptur der Beugesehnen beurteilen zu können und möglichst rechtzeitig die prophylaktische Plattenentfernung durchzuführen. Wenn man diese Klassifikation auf die vorliegenden Röntgenbilder sowohl des eigenen Klientels wie auch in der Literatur überträgt, so kann man sagen, dass in nahezu allen Bildern das Stadium 1 oder 2 nachzuweisen ist, wobei die Frührupturen eher dem Stadium 2 und die Spätrupturen dem Stadium 1 zuzuordnen sind.

Weitere Faktoren, die bei der Vermeidung von Beugesehnenrupturen zu beachten sind:

  • 1. Der Pronator quadratus wird bei der Operation radial am Radius abgelöst, um Zugang zum Radius zu haben. Nach Plattenanlage sollte er wieder genäht werden, um die Platte mit Weichteilen zu bedecken. Man berücksichtige, dass der Pronator quadratus distal mit der sogenannten Watershed-Line endet. Der weitere distale Radius bis zur Gelenkkante ist dann nicht mehr muskulär bedeckt. Eine über die Watershed-Line nach distal verschobene Platte (Stadium 2) kann nicht mit dem Pronator quadratus bedeckt werden. Die Sehnen verlaufen über die distale Plattenkante, die bei Streckung des Handgelenks als Hypomochlion wirkt. Gelegentlich ist es schwierig, den Pronator quadratus überhaupt zu refixieren. Hier kann es hilfreich sein, die Naht in Pronationsstellung des Handgelenks durchzuführen. Hohendorf et al. [8] haben zudem eine Methode angegeben, bei der man den Pronator quadratus am Ansatz des Brachioradialis refixiert.
  • 2. Neben der beschriebenen Beziehung der distalen Plattenkante zur Watershed-Line, ist es auch wichtig, dass die Platte möglichst dicht an der Kortikalis anliegt, da dann nicht nur bei Überschreiten der Watershed-Line nach distal, sondern auch durch einen zu großen Abstand zwischen Platte und Kortikalis, die in Abbildung 8 dargestellte rote Linie überschritten werden kann. Im Gegensatz zur konventionellen Platte wirkt die winkelstabile Platte wie ein Fixateur interne. Wenn die Platte, insbesondere im distalen Teil nicht dicht an der Kortikalis anliegt, kann dies durch Anziehen der Schrauben nicht mehr korrigiert werden. Ggf. könnte ein kleiner Trick helfen: Bei Verwendung einer konventionellen Schraube kann die Platte zunächst durch Anziehen der Schraube fest an den distalen Radius angepresst werden, dann Einbringen der winkelstabilen Schrauben. (Nochmals der Hinweis, dass die Gegenkortikalis nicht perforiert werden darf, da sonst eine zusätzliche Irritation der Strecksehnen auftreten könnte). Die konventionelle Schraube kann dann entfernt und durch eine weitere winkelstabile Schraube ersetzt werden. Im proximalen Anteil der Platte können die Schrauben dann konventionell, d.h. mit Durchbohrung der Gegenkortikalis, eingebracht werden.
  • 3. Das Plattendesign spielt ebenfalls eine große Rolle, insbesondere die distale Plattenkante sollte abgerundet werden, das Profil der Platte sollte möglichst flach sein. Dies gilt ebenso für die Schraubenköpfe, die möglichst in der Platte nach dem Einschrauben verschwinden sollten. Inwieweit das Plattendesign eine Rolle spielt, geht auch aus der erwähnten Arbeit von Soong et al. [7] hervor, wobei mit der Einteilung in 3 Stadien 2 unterschiedliche Plattentypen miteinander verglichen wurden. Auf der einen Seite war es eine Acu-Loc-Platte (Acumed, Hillsboro, Oregon), die insbesondere im radialen Bereich die Watershed-Line nach distal überschritt, auf der anderen Seite handelte es sich um die DVR-Standard-Platte, die T-förmig gestaltet ist und die Watershed-Line an keinem Punkt überschreitet. In der Gruppe der Acu-Loc-Platte mit 72 Patienten bei einem Follow-up von 6–49 Monaten fand sich ein Grad 0 bei 19 %, Grad 1 bei 18 %, Grad 2 bei 63 %, Sehnenrupturen lagen bei 4 % vor, wobei jedoch zusätzlich in 3 Fällen die Platte wegen Sehnenirritationen entfernt wurden, ohne dass hier eine Sehnenrekonstruktion erforderlich war.
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