Übersichtsarbeiten - OUP 02/2016

Beugesehnenrupturen nach winkelstabiler, palmarer Plattenosteosynthese nach distaler Radiusfraktur

Bei der klinischen Untersuchung fand sich eine längsverlaufende radiopalmare Narbe über den distalen Radius. Bei Nachfrage erinnerte sich die Patientin, dass sie sich vor ca. 5 Jahren eine Radiusfraktur zugezogen hatte – sie hatte dies völlig vergessen – und dann auch operiert worden war. Das jetzt angefertigte Röntgenbild zeigte die knöchern in zufriedener Stellung ausgeheilte distale Radiusfraktur mit einer palmaren Plattenosteosynthese mit einer winkelstabilen Platte, deren distale Kante in Höhe der sogenannten Watershed-Line endet (Abb. 2). Kritisch muss angemerkt werden, dass die sonst ordentlich durchgeführte Osteosynthese eine Schraubenperforation nach streckseitig zeigt (klinische Hinweise für eine zusätzliche Strecksehnenirritation fanden sich jedoch nicht), und dass die Platte zudem im distalen Anteil nicht dicht am Knochen anliegt und daher etwas prominenter über die palmare Kante der Watershed-Line hinausragt. Nebenbefundlich fand sich eine Rhiz- und STT-Arthrose und im Seitenbild eine DISI-Stellung des Handgelenks. Wir haben aufgrund der Vorgeschichte und des Röntgenbildes dann doch die Diagnose des „Interosseus-anterior-Syndroms“ in Zweifel gezogen und die sofortige Plattenentfernung, kombiniert mit entsprechender Sehnenrekonstruktion vorgeschlagen.

Intraoperativ (Abb. 3) fand sich eine Ruptur des Daumenbeugers, des tiefen Zeigefingerbeugers und auch des Flexor carpi radialis, die mit fast bindfadendünnen Narbenbrücken an der Handgelenkkapsel fixiert waren. Die distalen Sehnenstümpfe des Daumen- und tiefen Zeigefingerbeugers waren erst nach Spalten des Karpaltunnels darstellbar (Abb. 4). Nach Plattenentfernung und Resektion der Sehnenstümpfe wurde der Defekt mit Sehnentransplantaten überbrückt (Abb. 5), wobei wir beim Flexor pollicis longus ein Transplantat der restlichen Sehne des Flexor carpi radialis verwandten, zumal bei der funktionellen Überprüfung eine funktionell nutzbare Elastizität des zugehörigen Muskels des FCR nicht mehr nachweisbar war. Der tiefe Zeigefingerbeuger wurde mit einem gedoppelten Transplantat des Palmaris longus versorgt. Cave: Bei Verlängerung des radiopalmaren Zugangs nach distal in den Karpaltunnel hinein kreuzt der Ramus palmaris des Nervus medianus das OP-Gebiet. Er sollte deshalb unbedingt dargestellt und angeschlungen werden (Abb. 5)!

Am Ende der OP überprüften wir die Funktionalität der Transplantate bzw. deren richtige Länge mit dem sogenannten Tenodese-Test. Abbildung 6a zeigt bei passiver Beugung des Handgelenks eine normale Streckung des Daumen- wie auch Zeigefingerendgelenks. Bei Streckung des Handgelenks (Abb. 6 b) werden Daumen- und Zeigefingerendgelenk gebeugt. Postoperativ wurde die Hand mit einer dorsalen Gipsschiene mit Einschluss des Daumens und der Langfinger in Intrinsic-Plus-Stellung ruhiggestellt und vom ersten Tag an aus der Schiene heraus, unter physiotherapeutischer Anleitung, Bewegungsübungen durchgeführt, die dann später ambulant durch eine handtherapeutische Übungsbehandlung ergänzt wurden. Insgesamt waren 20 Behandlungstermine erforderlich.

Abbildung 7a–b zeigt nach 4 Monaten Behandlung eine ungestörte Beugung und Streckung des Daumen- wie auch Zeigefingerendgelenks mit wiederhergestelltem, gerundeten Spitzgriff.

Man mag die Frage stellen, ob bei dieser älteren Patientin, schon durch ihre Grunderkrankung des Stiff-Man-Syndroms stark behindert, eine so aufwändige Operation und Nachbehandlung allein zur Wiederherstellung des Spitzgriffs zwischen Daumen und Zeigefinger sinnvoll ist. Es handelte sich um ihre rechte Gebrauchshand. Aufgrund des fehlenden Spitzgriffs war sie nicht mehr in der Lage, sich allein anzuziehen und Kleidungsstücke zuzuknöpfen. Dies wurde durch den wiederhergestellten Spitzgriff beseitigt und die Autonomie der Patientin in ihrer eigenständigen Versorgung wesentlich gefördert.

Diskussion

Beugesehnenrupturen nach winkelstabiler palmarer Plattenosteosynthese der distalen Radiusfraktur sind eine schwerwiegende Komplikation des an sich sinnvollen operativen Verfahrens. Die Rekonstruktion rupturierter Beugesehnen ist sehr aufwändig. Direkte Nähte sind aufgrund der langstreckigen Zerstörung meist nicht mehr möglich, sodass die Überbrückung der Defekte durch Sehnentransplantationen, bei der Ruptur des Daumenbeugers ggf. auch die Transposition einer Superficialissehne der Langfinger, erforderlich ist.

Bei den 8 Fällen mit Beugesehnenrupturen, die wir innerhalb von 3 Jahren gesehen haben, war nur ein Fall, der aus dem eigenen Patientengut stammt. Dies mag daran liegen, dass der Beugeverlust des Daumens und der Langfinger als isolierte handchirurgische Erkrankung wahrgenommen wird und häufig auch nicht in einem kausalen Zusammenhang mit der ursächlichen Radiusfraktur gesehen wird. Dies insbesondere dann, wenn der zeitliche Abstand zwischen Unfall und Ruptur, wie in unserem dargestellten Fall, einige Jahre beträgt. In diesem Falle konnte sich die Patientin nicht mehr an ihren Unfall und die damit verbundene Operation erinnern und wurde letztlich aufgrund des aufgehobenen Spitzgriffs von einem Neurologen mit der Diagnose Interosseus-anterior-Syndrom überwiesen.

Die sich daraus ergebende Konsequenz zur Vermeidung von Sehnenrupturen nach palmarer Plattenosteosynthese ist, Hinweise für eine drohende Ruptur frühzeitig zu erkennen, um dann die immer notwendige Plattenentfernung durchzuführen.

Das Problem ist allerdings, dass die drohende Sehnenruptur kaum eine klinische Symptomatik aufweist. Davon wird in der Literatur gelegentlich berichtet, wir haben jedoch bei unseren 8 Fällen in keinem Fall prodromale Symptome gefunden. Die Patienten waren meist beschwerdefrei. Die Ruptur macht sich meistens mit einem fühl- und hörbaren „Plopp“ bemerkbar, wobei dann auch sofort der funktionelle Ausfall mit aufgehobener Beugung des Endgelenks nachweisbar war.

Im Gegensatz dazu zeigte sich bei den früheren streckseitigen Sehnenrupturen häufig eine klinische Symptomatik mit Schwellung und Schmerz. Dies kann auch dadurch erklärt werden, dass streckseitig die Rupturen in einem Kompartment, d.h. in den Sehnenfächern stattfinden. Beugeseitig besteht im Bereich der Sehnenruptur allerdings kein Kompartment, sodass die Sehnenarrosion und die damit verbundene Schwellung sich ohne große Schmerzsymptomatik entwickeln können. So berichten Cho et al. [6] ebenfalls von einer Spätruptur des Pollicis longus nach 5 Jahren. Sie weisen ausdrücklich darauf hin, dass im Vorfeld keine Warnsymptome im Hinblick auf eine Sehnenirritation nachzuweisen waren, empfehlen allerdings, dass bei klinischen Hinweisen auf eine drohende Sehnenruptur die Platte entfernt werden sollte. Aus unserer Sicht eine Inkonsequenz im Hinblick auf das zuvor Gesagte.

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