Übersichtsarbeiten - OUP 03/2013

Bicepssehnenpathologie
Aktueller Stand der Diagnostik und TherapieverfahrenState of the art in diagnosis and therapy

Für die Beurteilung der Sehnenposition im Sulcus ist es hilfreich, den Arm in vermehrte Innen- und Außenrotation zu bringen. Bei Außenrotation wird der ventrale Anteil des Pulleysystems gespannt. Zeigt sich nun eine vermehrte Medialisierung, liegt ein Schaden der ventralen Pulley-Anteile vor. Gerade Subluxationen können so diagnostiziert werden, die in der statischen MRT-Bildgebung regelhaft nicht abgebildet werden und dennoch symptomrelevant sind.

Beim Verdacht einer vorliegenden Pulley-Läsion ist das genaue Ausmaß zu eruieren. Es werden die Elongation, die Pulley-Ruptur und die in Verbindung mit der umgebenden RM-Läsion vorliegende Ruptur des Pulleys unterschieden. Bei vorliegender Pulley-Läsion liegt eine Instabilität der LBS vor, welche als Subluxation oder komplette Dislokation aus dem Sulcus intertubercularis imponieren kann. Wenn nun durch eine anteriore Pulleyschädigung eine anteriore Luxation der LBS vorliegt, kann es konsekutiv im Sinne einer degenerativen Schädigung zu einer SSC-Läsion kommen [17].

Dabei wirkt die luxierte LBS wie der gespannte Sägedraht einer Laubsäge und schädigt sukzessive die oberflächlichen und kranialen Anteile der SSC-Sehne. Durch diesen Mechanismus wird typischerweise nicht mehr als ein Drittel der Sehnensubstanz geschädigt. Bei größeren Läsionen des SSC ist eher an eine traumatische Genese zu denken, die konsekutiv zu einer Luxation der LBS geführt hat[18].

Posteriore Pulley-Läsionen treten in der Regel in Kombination mit Schädigungen der SSP-Sehne auf. Nicht selten ist die LBS dabei nach posterior luxiert. Gleichzeitig scheint nach Lafosse [18] bei diesen Läsionen gehäuft eine anteriore Luxationstendenz vorzuliegen, was nach beschriebenem Sägedrahtmechanismus zu einer SSC-Läsion führen kann. Dies ist eine Erklärung für die Kombination aus Läsion des SSP, luxierter LBS und Partialläsion des SSC. Daher sollte bei vorliegender Läsion des SSC die LBS mit einer Tenodese/Tenotomie bedacht werden [19].

Eine Rekonstruktion des Pulley-Systems ist in der Regel nicht erfolgversprechend.

Ruptur der LBS

Nicht selten kommt es gerade beim älteren Patienten vor, dass sich arthroskopisch die LBS nicht darstellen lässt. In diesen Fällen ist von einer Spontanruptur der LBS auszugehen, wodurch der distale Sehnenanteil durch den Muskelzug distalisiert wurde und daher der arthroskopischen Visualisierung nicht mehr zugänglich ist. Typischerweise zeigt sich in diesen Fällen ein distalisierter Muskelbauch bei Anspannung der Bicepsmuskulatur (positives Popey-Zeichen). Zeigt sich ein großer, verbliebener proximaler Sehnenstumpf, kann dieser zu Einklemmungen führen und symptomatisch werden.

Handelt es sich um eine proximal aufgetriebene und dicke Sehne, kann sie bei Ruptur in den engeren Sulcus rutschen und dort verklemmen. Durch diese Spontantenodese kommt es entsprechend nicht zum Popey-Zeichen, obwohl keine LBS im Sulcus zu finden ist.

Neben der kompletten Ruptur der LBS kommen häufig Partialläsionen vor. Zur Beurteilung ist die Klassifikation nach Lafosse [18] hilfreich:

  • Grad 0: makroskopisch intakte LBS
  • Grad 1: minor Läsion (weniger als 50% des Sehnendurchmessers betroffen)
  • Grad 2: major Läsion (mehr als 50% des Sehnendurchmessers betroffen)
  • Grad 3: komplette Ruptur der LBS

Therapieoptionen bei
LBS-Läsion

Prinzipiell kann zwischen einer Tenotomie und einer Tenodese unterschieden werden.

Tenotomie

Bei der Tenotomie wird die LBS wahlweise mit dem Elektrokauter oder scharf durchtrennt. Durch den Muskelzug wird die Sehne nach distal gezogen. Wie bei der Ruptur kann es auch hier bei aufgetriebenen Sehnen zu einem Verklemmen im Sulcus im Sinne der Spontantenodese kommen, oder die LBS gleitet noch weiter nach distal und bleibt funktionslos.

Gerade beim jüngeren oder sportlichen älteren Patienten ist präoperativ zu klären, ob eine Distalisierung des Muskelbauches kosmetisch akzeptabel ist. Funktionell führt die Tenotomie lediglich zu einer geringen Kraftminderung bei der Supination, die für die meisten Patienten nicht relevant ist. Relevant hingegen ist die meist direkte Schmerzminderung nach Tenotomie bei chronisch gereizter und strukturell veränderter symptomatischer LBS.

Tenodese

Die Tenodese beinhaltet das Ablösen der LBS ansatznah unter Schonung des Labrums und das anschließende Fixieren am proximalen Sulcus intertubercularis. In der Literatur finden sich verschiedene offene und arthroskopische Techniken. Die arthroskopischen Techniken lassen sich in epiossär und intraossär fixierende Techniken sowie weichteilige Techniken unterscheiden.

Bei der weichteiligen Fixation wird die LBS mit der RM vernäht, sodass es funktionell zu erhöhter Zugspannung bei Bicepsaktivität kommt. Mittlerweile sind weichteilige Fixationen weitgehend verlassen worden, da sie in puncto Stabilität den ossären Fixationen unterlegen sind und entsprechend mit höherer Komplikationsrate und schlechterem Outcome einhergehen [20].

Bei der epiossären Technik werden Fadenanker im Humeruskopf platziert, dessen Fäden der Fixierung der LBS am Knochen dienen. Im Gegensatz dazu wird bei den intraossären Techniken ein Loch in den Humerus gebohrt, in das die LBS platziert und beispielsweise durch eine Interferenzschraube fixiert wird [21]. Diese Technik bietet den Vorteil großer Primärstabilität [22] und lässt sich besonders bei gleichzeitig vorliegender RM-Ruptur schnell und einfach durchführen.

Wir bevorzugen im Wesentlichen 2 verschiedene epiossäre Techniken, die wir im Folgenden vorstellen:

Lasso-Loop-Technik mit intra-artikulärer Armierung

Diese Technik wenden wir vor allem bei weniger muskulösen Patienten und Patienten mit guter Compliance an, da sie im Vergleich zur Technik mit extraartikulärer Armierung die niedrigere Primärstabilität aufweist und meist mit einer retrahierteren Nachbehandlung einhergeht. Vorteil dieser rein arthroskopischen Technik sind die schnelle Durchführbarkeit sowie die Kombinationsmöglichkeit der Ankerfixierung mit gleichzeitiger Fixierung der RM. Allerdings birgt die Lasso-Loop-Technik gerade bei degenerativer Sehnenqualität ein erhöhtes Versagerrisiko.

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