Übersichtsarbeiten - OUP 11/2016

Biomechanik der periprothetischen hüftgelenknahen Fraktur

Mark Lenz1, Wolfgang Lehmann2

Zusammenfassung: Die Versorgung periprothetischer
Femurfrakturen weist einige biomechanische Besonderheiten auf, da in der Regel das Zusammenspiel mehrerer Implantate berücksichtigt werden muss. Hiervon ausgenommen ist der einfache Schaftwechsel. Durch ein vorhandenes intramedulläres Implantat wird sowohl das Frakturverhalten als auch die Steifigkeit des Schaftknochens verändert. Bestimmte Implantatkombinationen können die Belastbarkeit des Knochens schwächen. Die wesentlichen Einflussfaktoren sind die Zementierung des Prothesenschafts versus einer unzementierten Schaftverankerung, die Anzahl und Lokalisation einer intramedullären Implantatverriegelung, die intramedulläre versus extramedulläre Lage des Implantats, die Überlappungslänge bei mehreren Implantaten und die kortikale Dicke des umgebenden Knochens. Cerclagen eignen sich hervorragend zur Reposition und Fixation von radial versprengten Fragmenten gegen ein intrameduläres Implantat, jedoch sind sie anfällig gegen Axialkraft und Torsionsmoment. Sofern die Cerclage die Platte einfasst, eignen sich Schrauben zur Aufnahme dieser Kräfte. Die Schraubenverankerung im Knochen auf der Höhe des Prothesenschafts kann durch eine bikortikale Schraubenpositionierung, seitlich des intramedullären Implantats verlaufend und dieses umgreifend, verbessert werden.

Schlüsselwörter: periprothetische Fraktur, interprothetische
Fraktur, Nagel, Platte

Zitierweise

Lenz M, Lehmann W: Biomechanik der periprothetischen hüftgelenknahen Fraktur.
OUP 2016; 9: 633–639 DOI 10.3238/oup.2016.0633–0639

Summary: The treatment of periprosthetic femur fractures has some own biomechanical characteristics, since, except replacement of the prosthesis shaft, the interaction of multiple implants has to be taken into account. Intramedullary implants have direct influence on the fracture type and the stiffness of the femoral shaft. Certain implant combinations reduce the stability of the bone. The main influencing factors are cemented versus uncemented prosthesis stems, the number and localization of the locking screws, the intramedullary versus extramedullary localization of the implants, the overlapping distance of the implants and the cortical thickness of the surrounding bone. Cerclages are very valuable for fracture reduction and fixation of radially displaced fragments in addition to an intramedullary implant, but do not resist torsional moments and axial forces.
If a plate is fixed to a bone by cerclages, torsional moments and axial loads can be transduced by screws. Screw anchorage in the bone can be enhanced by bicortical screw placement lateral to the intramedullary implant in an embracement configuration.

Keywords: periprosthetic fracture, interprosthetic fracture, nail, plate

Citation

Lenz M, Lehmann W: Biomechanics of periprosthetic proximal femur fractures.
OUP 2016; 9: 633–639 DOI 10.3238/oup.2016.0633–0639

Einleitung

Bei zunehmender Zahl von Endoprothesenträgern rückt die periprothetische Frakturversorgung immer mehr in den Vordergrund [1, 2]. Der oft reduzierte Allgemeinzustand der meist älteren Patienten stellt bereits eine Herausforderung für die Frakturversorgung dar. Die koordinativen und muskulären Einschränkungen vieler Patienten erlauben keine postoperative Teilbelastung und erfordern eine hohe Primärstabilität des Konstrukts. Zusätzlich tragen undiagnostizierte gelockerte Prothesenschäfte, die intraoperativ als fest verankert eingeschätzt werden, zur hohen Versagensrate osteosynthetisch versorgter periprothetischer Femurfrakturen bei [3]. Die derzeit verwendeten gängigen operativen Verfahren sind der Wechsel auf einen längeren, die Frakturzone überbrückenden unzementierten Schaft, die Plattenosteosynthese und die intramedulläre Nagelung. Obwohl die Wahl des Operationsverfahrens meist individualisiert erfolgt, lassen sich einige biomechanische Prinzipien aus der Literatur ableiten. Neben den verschiedenen Konfigurationen des Frakturspalts beeinflusst zusätzlich der Implantattyp und seine Positionierung die Konstruktstabilität [4]. Abgesehen von der Spannweite (working length) eines Implantats müssen bei der Versorgung periprothetischer Femurfrakturen zusätzliche Faktoren wie das Zusammenspiel von intramedullären und extramedullären Implantaten berücksichtigt werden [5].

Interprothetische Frakturen, die eine Stabilisierung zwischen 2 Prothesenschäften erfordern, stellen eine gesonderte Gruppe dar [6].

Der Artikel fasst die mechanischen Prinzipien der periprothetischen Frakturversorgung zusammen und beleuchtet hierbei Aspekte der Implantatbiomechanik und ihre Auswirkung auf die Knochenfestigkeit.

Einfluss von Implantaten auf die Stabilität des Knochens

Die Anzahl an orthopädischen Implantaten, insbesondere der Einbau von Hüft- und Knieprothesen, nimmt kontinuierlich zu und beeinflusst wesentlich die Stabilität des Knochens. So wird allein durch die Implantation einer zementierten Hüftprothese und die Veränderung der Steifigkeit das Risiko für eine Fraktur bereits um 30 % erhöht [6, 7]. Wenn gleichzeitig ein zweiter intramedullärer Kraftträger eingebracht wird, beispielsweise ein retrograder Nagel, erhöht sich das Risiko für eine intraimplantäre Fraktur nochmals deutlich (Abb. 1). In diesem Fall ist das Risiko für eine Fraktur im Vergleich zum nativen Femur um 50 % erhöht [6]. Somit stellt diese Kombination das höchste Risiko für eine Fraktur des Femurs dar. Eine andere Situation ergibt sich, wenn bei proximal implantierter Hüftprothese eine distal geführte Knieprothese eingebracht wird. Biomechanische Studien konnten zeigen, dass in diesem Fall das Risiko einer Fraktur geringer ist als bei einem retrograden Femurnagel bei gleichzeitiger Hüftprothese [4]. Eine mögliche Ursache hierfür sind die Verriegelungsschrauben, die an der Kortikalis einen Punkt verminderter Resistenz bilden. Dabei spielt der Abstand zwischen den Implantaten eine weit weniger entscheidende Rolle als angenommen. Deutlich entscheidender für das Frakturrisiko ist die kortikale Dicke [8].

Das Risiko einer Fraktur zwischen einer Hüftprothese und einem extramedullären Implantat auf der distalen Seite des Femurs ist dabei deutlich geringer [4]. Daraus ergibt sich, dass für die Versorgung distaler Femurfrakturen bei gleichzeitig einliegender Hüftprothese die Versorgung mit einem retrograden Nagel nicht geeignet ist und eher eine Plattenosteosynthese verwendet werden sollte.

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