Übersichtsarbeiten - OUP 11/2016

Biomechanik der periprothetischen hüftgelenknahen Fraktur

Die operative Versorgungsstrategie der periprothetischen Femurfraktur wird vor allem durch die Knochenqualität, die Stabilität der Schaftverankerung und das Frakturmuster bestimmt. Bei stabiler Schaftverankerung kann eine osteosynthetische Versorgung gewählt werden, wohingegen bei gelockertem Prothesenschaft ein Schaftwechsel erfolgen sollte. Periprothetische Femurfrakturen mit weiterhin stabiler Schaftverankerung im Knochen sind häufig um die Prothesenspitze lokalisiert. An diesem Übergang besteht ein Abfall der Biegesteifigkeit, da der Knochen nicht mehr durch den Prothesenschaft geschient ist. Einfache Frakturen mit geschlossenem Frakturspalt und medialer kortikaler Abstützung gestatten eine Lastübertragung über den medialen Kortex [26].

Bisher wenig beleuchtet, jedoch von wesentlicher Bedeutung für die Implantatbelastung ist die Verlaufsrichtung der Fraktur: In einer Simulation konnte gezeigt werden, dass bei Ausrichtung des Frakturverlaufs gegen die Platte (Winkel < 90°), bei der die Platte funktionell als Abstützplatte bzw. Antigleitplatte wirkt, eine wesentlich geringere Implantatbelastung besteht als bei Ausrichtung von der Platte weg (Winkel > 90°), bei der das proximale Fragment wesentlich durch die Schrauben in der Platte gehalten wird und sich unter Belastung nicht an die Platte abstützen kann [26]. Die Mehrzahl der Frakturen, alle mehrfragmentären Frakturen eingeschlossen, sind jedoch letzterem Typ zuzuordnen. Bei Verwendung einer Plattenosteosynthese kann bei medialem kortikalem Kontakt durch Vorspannung des Implantats eine erhöhte Konstruktstabilität und eine verminderte Wechsellast im Implantat erreicht werden [27].

Die Implantatbelastung und die Relativbewegungen am Frakturspalt nehmen mit abnehmender Knochenqualität und bei weiter distal der Prothesenspitze gelegenen Frakturen zu [26, 28]. Bei Trümmerfrakturen mit offenem Frakturspalt und ohne mediale kortikale Abstützung bietet eine einzelne lateral positionierte Platte meist keine ausreichende Belastbarkeit, sodass eine steifere Platte oder eine anterolaterale Doppelplattenversorgung gewählt werden sollte, um ein vorzeitiges Implantatversagen zu vermeiden [27, 29, 30]. Anhand eines Finite-Elemente-Modells konnte gezeigt werden, dass sowohl die anterolaterale Doppelplattenversorgung als auch der Wechsel auf eine Langschaftprothese die Stressverteilung im Implantat ausbalanciert, die Konstruktsteifigkeit erhöht und die Relativbewegungen am Frakturspalt vermindert [31].

Aufgrund ihrer umlaufenden extraossären Verankerung ist die Anwendung von Cerclagen weitgehend von der lokalen Knochenqualität unabhängig [32]. Ausgenommen hiervon sind Areale mit dünner Kortikalis wie beispielsweise am großen Trochanter, an denen bei erhöhter Cerclagenanspannung während der Applikation ein Einschneiden beobachtet werden kann [33]. Die Kraftübertragung von Cerclagen erfolgt zentripetal zu ihrer Schlinge, sodass radial versprengte Fragmente fixiert werden können. Cerclagen eignen sich daher besonders sowohl zur zentripetalen Frakturreposition als auch zur Fixation eines Knochenfragments, sofern ein intramedullärer Kraftträger vorhanden ist oder nach Reposition eingebracht werden soll [34].

Intraoperative Schaftfrakturen, die bei der Markraumpräparation oder beim Einbringen eines unzementierten Prothesenschafts entstanden sind und häufig als Längsfissuren vorliegen, stellen eine Domäne der Cerclagenanwendung dar. Auch nach Versorgung einer intraoperativen Femurschaftfraktur durch Cerclagen besteht bei unzementierten Prothesenschäften eine verminderte Primärstabilität, sodass postoperativ eine Teilbelastung erfolgen sollte [35]. Für die Stabilität der Cerclagenfixation sind eine stufenlose Frakturreposition mit guter Verzahnung der Frakturfragmente sowie eine intramedulläre Schienung der Fraktur durch den Prothesenschaft von wesentlicher Bedeutung. Als Faustregel gilt, dass der Prothesenschaft die Fraktur um mindestens 2 Femurschaftdurchmesser überbrücken [35] und bei metaphysären Frakturen ein diaphysär verankerter Schaft gewählt werden sollte. Nach Armierung des fissurierten Femurschafts durch Cerclagen ist grundsätzlich auch das Einbringen eines zementierten Prothesenschafts möglich [35]. Dieser bietet zusätzliche Stabilität durch Anwendung des inneren Verbundprinzips. Hierbei ist kompromisslos auf eine wasserdichte Frakturreposition zu achten, um ein Austreten von Zement in den Frakturspalt mit konsekutiv ausbleibender Frakturheilung zu verhindern [35]. Da lange Röhrenknochen keine kreisrunde Oberfläche aufweisen wie ein Hohlzylinder, kommt es an der Knochenoberfläche unter der Cerclage zu einer ungleichen Druckverteilung mit hohen Druckwerten an den Umlenkpunkten der Cerclage [36]. Vergleichbar der Point-Contact-Fixation moderner Plattensysteme, spannt sich die Cerclage von Knochenvorsprung zu Knochenvorsprung mit dazwischenliegenden überspannten, unbelasteten Arealen [36] (Abb. 1). Die Kontaktfläche einer angezogenen 1,5 mm Draht- oder 1,7 mm Seilcerclage bewegt sich bezogen auf den Querschnitt der Cerclage zwischen 0,3–0,36 mm [32]. Bei einer stufenlos reponierten Schaftfraktur ist es unwahrscheinlich, dass es durch Anziehen der Cerclage zu einer Fraktur oder einem Einschneiden der Cerclage in den Knochen kommt, da die Kortikalis statischem konzentrischem Druck widersteht [36]. Unter Belastung konnten unter der Cerclage keine Mikrofrakturen am kortikalen Knochen nachgewiesen werden [36].

Die Furchenbildung, das Einschneiden der Cerclage in die Knochenoberfläche, auch biologische Lockerung der Cerclage genannt [34], wird durch die Mikrobewegungen einer bereits gelockerten Cerclage induziert und ist nicht durch die mangelnde Widerstandsfähigkeit des knöchernen Kortex gegenüber dem Druck der Cerclage oder durch etwaige periostale Durchblutungsstörungen hervorgerufen [34, 36, 37]. Bei fest sitzenden Cerclagen wurde anstelle der erwarteten Knochenresorption ein knöchernes Einwachsen der Cerclage beobachtet [36–38].

Der mechanische Schwachpunkt der Cerclage ist ihr Verschluss, bei Drahtcerclagen der Zwirbel. An dieser Stelle kommt es meist zum Verlust der Vorspannung. Wähnert et al. haben herausgearbeitet, dass die Vorspannung bei Drahtcerclagen neben dem Cerclagendurchmesser im Wesentlichen durch folgende Punkte bei Anlage des Zwirbels bestimmt wird [39]: Durch Anlage eines symmetrischen Zwirbels unter konstantem Zug mit der Zange, durch plastische Deformation des Drahts gegen Ende der Verzwirbelung, durch Abschneiden der Drahtenden außerhalb des Zwirbels und durch Vorwärtsbiegen des Drahts am Ende der Verzwirbelung. Rückwärtsbiegen des Drahts am Ende der Verzwirbelung sollte strikt vermieden werden, da hierdurch ca. 90 % der erreichten Vorspannung wieder verloren gehen [39]. Sobald die plastische Deformation des Drahts erreicht ist, sollte die weitere Verzwirbelung unterbleiben, bevor der Draht im Zwirbel abbricht [39].

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