Übersichtsarbeiten - OUP 05/2020

Chronischer Kreuzschmerz ambulant, im Krankenhaus oder in der Rehabilitationsklinik
Wer behandelt wann?

Anke Steinmetz, Bernd Kladny

Zusammenfassung:

Kreuzschmerzen gehören in Deutschland zu den häufigsten Gründen für eine Arbeitsunfähigkeit. Aufgrund oft auftretender Rezidive und der Chronifizierung stellen sie eine extrem kostenintensive Belastung für das Gesundheitssystem dar. Akute und chronische Kreuzschmerzen sind immer wieder Grund für die ambulante Vorstellung beim Haus- oder Facharzt, aber auch in den Notaufnahmen ein bekanntes Problem. Insbesondere in der chronischen Situation, kommt es regelmäßig zu Ärztehopping und unnötiger, meist vom Patienten eingeforderter Doppel- oder Überdiagnostik. Dieser Problematik haben sich die Nationale Versorgungsleitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz (2017) [3] und die Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz (2018) [4] angenommen. Darüber hinaus gilt es zu überlegen, wann chronische Kreuzschmerzen im akutstationären oder im rehabilitativen Setting zu behandeln sind und welche unterschiedliche Zielstellungen diesen unterschiedlichen Versorgungssettings hinterlegt sind. Dieser Artikel soll die unterschiedlichen Therapiemöglichkeiten der einzelnen Versorgungsbereiche darstellen. Dabei sollen auch die unterschiedlichen Versorgungsaufträge und Zielstellungen der stationären Therapiekonzepte von Akutkliniken und Rehabilitationskliniken beleuchtet werden, um die Argumentation mit den Kostenträgern zu erleichtern.

Schlüsselwörter:
Nationale Versorgungsleitlinien, Multimodal-nicht operative Komplexbehandlung des Bewegungssystems, Multimodale Schmerztherapie

Zitierweise:
Steinmetz A, Kladny B: Chronischer Kreuzschmerz ambulant, im Krankenhaus oder in der Rehabilitationsklinik. Wer behandelt wann? OUP 2020; 9: 320–337 DOI 10.3238/oup.2020.0330–0337

Summary: Low back pain is one of the most common causes of incapacity for work in Germany. Due to the frequent recurrences and chronification, they represent an extremely cost-intensive burden for the health system. Acute and chronic low back pain are a common reason for outpatient visits to the doctor or specialist, but are also a known problem in emergency rooms. In chronic situations in particular, there is frequent doctor-shopping and unnecessary double or overdiagnosis, usually demanded by the patient. The National Care Guidelines for Non-Specific Low Backpain (2017) [3] and Specific Low Backpain (2018) [4] have addressed this problem. In addition, it is important to consider when chronic back pain should be treated in an acute inpatient or rehabilitative setting and what different objectives are associated with these different care settings. This article is intended to present the different therapy options available in the individual care areas. In this context, the different care assignments and objectives of the inpatient therapy concepts of acute clinics and rehabilitation clinics will also be examined in order to facilitate the argumentation with the cost bearers.
Keywords: National Care Guidelines, multimodal non-surgical complex treatment of the musculoskeletal system, multimodal pain therapy
Citation: Steinmetz A, Kladny B:Managing chronic low back pain in different therapy settings (outpatient, hospital and rehabilitation clinic). Who treats when? OUP 2020; 9: 320–337 DOI 10.3238/oup.2020.0330–0337

Anke Steinmetz: Loreley-Kliniken St. Goar-Oberwesel

Bernd Kladny: Fachklinik Herzogenaurach

Kreuzschmerzen in der
ambulanten Versorgung

Akuter Kreuzschmerz

Stellt sich ein Patient mit Kreuzschmerzen im ambulanten Versorgungsbereich vor, so ist das weitere ärztliche Vorgehen von verschiedenen Aspekten abhängig, welche in den NVL Nicht-Spezifischer Kreuzschmerz [3] und Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz [4] abgebildet sind. Die Primärdiagnostik sollte neben der Anamnese eine klinische neuro-orthopädische Untersuchung inklusive schmerzpalpatorischer und funktionspalpatorischer Untersuchungen umfassen. In diesem Rahmen ist das Vorliegen von red flags, als Hinweise auf eine schwerwiegende bzw. bedrohliche Erkrankung sowie Anhaltspunkte auf eine spezifische Kreuzschmerzerkrankung abzuklären. Gibt es für beides keinen Anhalt, so soll (starke Empfehlung ??) in beiden Fällen erst einmal keine weiteren diagnostischen (insbesondere keine radiologischen) Maßnahmen durchgeführt werden [3].

Für den weiteren Vorgehensalgorithmus ist die Beschwerdedauer ein wesentlicher Faktor. Hält die Beschwerdesymptomatik erst 2–3 Wochen an, so wird zunächst nach der NVL Nicht-Spezifischer Kreuzschmerz behandelt, die Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz wird bei Verdacht auf einen Spezifischen Kreuzschmerz herangezogen und wenn die leitliniengerechte Therapie nach NVL Nicht-spezifischer Kreuzschmerz nicht zielführend ist.

Nach dieser sollen (starke Empfehlung) psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren (yellow, blue und black flags) von Beginn der Kreuzschmerzsymptomatik in den Behandlungsverlauf einbezogen werden. Das direkte Ansprechen eines möglichen Chronifizierungsrisikos von Kreuzschmerzen schon im Erstkontakt ist als günstig für die weitere Patientenführung und eine positive Arzt-Patienten-Beziehung anzusehen. Darüber hinaus empfiehlt es sich, mit dem Patienten zu kommunizieren, dass akute nicht-spezifische Kreuzschmerzen häufig selbstlimitierend sind, sodass häufig nur eine Beratung und Akutversorgung notwendig sind. Wenn nach 4 Wochen Schmerzdauer trotz leitliniengerechter Therapie nur ein unzureichender Therapieerfolg erreicht wird, sollten (Empfehlung) psychosoziale Risikofaktoren mit einem standardisierten Screeninginstrument (z.B. STarT Back Tool oder Örebro Kurzfragebogen) erfasst werden. Für die arbeitsplatzbezogenen Risikofaktoren liegt von Seiten der NVL Nicht-Spezifischer Kreuzschmerz eine „kann“ Empfehlung (Empfehlungsgrad 0 = offen ??) vor, z.B. mit den Fragebogeninstrumenten Work Ability Index (WAI) oder Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebnismuster (AVEM). Bei Patienten mit anhaltenden aktivitätseinschränkenden oder progredienten Kreuzschmerzen nach 4–6 Wochen leitliniengerechter Therapie soll (starke Empfehlung ??) die bisherige Diagnostik inklusive der Indikation zur Bildgebung überprüft werden.

Die leitliniengerechte Therapie des akuten nicht-spezifischen Kreuzschmerz umfasst [3]:

  • Edukation und Beratung mit dem Fokus auf die Vermittlung von Kompetenzen zu gesundheitsbewusstem Verhalten und des
    biopsychosozialen Krankheitsmodells:

körperliche Aktivierung und Aufklärung über deren grundsätzliche Unbedenklichkeit
mit dem Ziel einer Leistungssteigerung ohne Schmerzsteigerung (nicht Beseitigung
der Schmerzen)

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