Übersichtsarbeiten - OUP 05/2020

Chronischer Kreuzschmerz ambulant, im Krankenhaus oder in der Rehabilitationsklinik
Wer behandelt wann?

Die Primärdiagnostik bei Verdacht auf einen spezifischen Kreuzschmerz umfasst neben der ausführlichen Befragung und Schmerzanamnese ebenso die klinische neuro-orthopädische Untersuchung inklusive schmerzpalpatorischer und funktionspalpatorischer Untersuchungen. Diese ist durch geeignete Laboruntersuchungen und bildgebende Verfahren zu ergänzen. Die Basisdiagnostik besteht in der Regel aus einem konventionellen Röntgenbild der Lendenwirbelsäule (LWS) im Stand und einer Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) der Lendenwirbelsäule. Da sich die Auswahl der bilddiagnostischen Technik an der Fragestellung orientiert, kann abhängig von der Fragestellung auch nur eines der Verfahren ergänzend zur Anwendung kommen. Je nach Krankheitsbild und Fragestellung können weitere bildgebende Verfahren zur Anwendung kommen (z.B. Computertomographie (CT), Wirbelsäulen-Ganzaufnahmen, LWS-Funktionsaufnahmen, Szintigraphie etc.). Eine weiterführende radiologische Bildgebung ohne klinische Konsequenz sollte jedoch auch hier vermieden werden. Generell ist zu beachten, die bildgebenden Befunde immer im Kontext mit dem klinischen Befund zu werten. Auch beim spezifischen Kreuzschmerz ist explizit das für chronische Schmerzen geltende biopsychosoziale Krankheitsmodell in die Behandlung einzubeziehen. Daher ist es wichtig, psychische Komorbiditäten auch in Diagnostik und Therapie akuter und chronischer spezifischer Wirbelsäulenerkrankungen zu berücksichtigen, insbesondere vor der Indikationsstellung einer operativen Maßnahme.

Einen generellen Versorgungsalgorhithmus entsprechend der NVL nicht-spezifischer Kreuzschmerz liefert die Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz nicht, was aufgrund der unterschiedlichen Entitäten nachvollziehbar ist. Da eine vollständige Zusammenfassung von Diagnostik und Therapie der einzelnen Entitäten den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde, muss diesbezüglich auf die Details der Leitlinie verwiesen werden [4]. Der Wechsel vom ambulanten ins stationäre kurative oder rehabilitative Setting sollte nichtdestotrotz analog des Vorgehens beim nicht-spezifischen Kreuzschmerz gehandhabt werden. Wesentliche Kriterien für den Wechsel in ein anderes Versorgungssetting sind ambulant therapierefraktäre Symptomatiken, Chronifizierungsgefahr bzw. bereits eingetretene Chronifizierung, psychische Komorbiditäten, fortbestehende Arbeitsunfähigkeit und zunehmende alltagsrelevante Aktivitätseinschränkungen.

Akutstationäre multimodale Therapiekonzepte für
chronische Kreuzschmerzen

Die Leitlinie spezifischer Kreuzschmerz geht, außer in den beiden Kapiteln zu den funktionellen Entitäten, nicht explizit auf multimodale Therapiestrategien bei chronischen spezifischen Kreuzschmerzen ein. Nichtdestotrotz sind sowohl die Indikationen wie auch Zielstellung und Voraussetzung akutstationärer multimodaler Therapiekonzepte problemlos auf den spezifischen Kreuzschmerz übertragbar.

Indikation einer
akutstationären Behandlung

Für den subakuten und chronischen (nicht-spezifischen) Kreuzschmerz liegt der cut off für ein multimodales Assessment mit ggf. konsekutiver multimodaler Behandlung zum einen in der Zeitdauer der Beschwerdesymptomatik sowie der Therapieresistenz bei adäquater leitliniengerechter Therapie. Wie bereits unter „Subakuter und chronischer nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ (s.o.) dargestellt, sollten subakute/chronische Kreuzschmerzen bei Vorliegen psychosozialer und/oder arbeitsplatzbezogener Chronifizierungsfaktoren bereits nach 6 Wochen, ansonsten nach 12 Wochen einem multimodalen Assessment und ggf. multimodaler Therapie zugeleitet werden.

Multimodale Therapiekonzepte sind prinzipiell sowohl im kurativen akutstationären sowie im rehabilitativen Versorgungsbereich möglich. Allerdings ist die Zuweisung und die Entscheidung für die jeweilige Versorgungsform nicht willkürlich oder alternativ, sondern anhand klar definierter Indikationskriterien zu stellen, welche in der NVL nicht-spezifischer Kreuzschmerz definiert sind [3]. Darüber hinaus ist zu beachten, dass nach SGB V § 39(1), SGB VI § 13(2) und der Rehabilitationsrichtlinie des GBA 2014 die kurative Behandlung vorrangig vor einer rehabilitativen Behandlung durchzuführen ist.

Zentrale Indikationskriterien für akutstationäre multimodale Therapiekonzepte leiten sich einerseits aus dem umfassenden Diagnostikbedarf und andererseits aus dem spezifischen Behandlungsbedarf ab, der verschiedenen komplexen Situationen zugrunde liegt. Der umfassende Diagnostikbedarf ergibt sich aus der Notwendigkeit einer multimodalen Diagnostik, welche alle Ebenen des biopsychosozialen Krankheitskonzepts sowie eine umfassende Funktions- und Schmerzdiagnostik beinhalten sollte. Es bietet sich im akutstationären Kontext daher an, standardisiert eine Eingangsdiagnostik zu verwenden, welche eine neuroorthopädische Strukturdiagnostik, eine manualmedizinische Funktionsdiagnostik, eine apparative Funktionsdiagnostik, eine Schmerzdiagnostik sowie eine Psychodiagnostik beinhaltet. Auf dieser Grundlage ist sowohl eine Multimodal-nichtoperative Komplexbehandlung des Bewegungssystems (OPS 8–977) wie auch eine Multimodale Schmerztherapie (8–918) möglich (zu Details dieser Therapien s. Artikel von Emmerich auf Seite 309). Die notwendige Diagnostik ist definitionsgemäß interdisziplinärer Natur und erfordert eine gemeinsame interdisziplinäre Wertung der einzelnen Diagnostikebenen und eine daraus resultierenden Behandlungsplanung. Neben einer nicht gegebenen Rehabilitationsfähigkeit, welche zwangsläufig eine multimodale Therapiestrategie im kurativen Bereich erfordert, sind auch Exacerbationen einer Schmerzerkrankung, die Zunahme körperlicher Beeinträchtigung oder therapieerschwerende Komorbiditäten Indikationen, welche die Behandlung im kurativen Versorgungsbereich notwendig machen. Prinzipiell erfordern komplexe Situationen mit einem erhöhten Bedarf ärztlicher Betreuung, z.B. durch die Notwendigkeit interventioneller Verfahren, erschwerter Medikamentenumstellung oder die Therapie beeinflussende Komorbiditäten, die Versorgung im akutstationären Bereich. Dasselbe gilt für Patienten mit einem erhöhten psychischen Betreuungsbedarf sowie dem Bedarf einer höheren Therapieintensität und Therapiedichte (Tab. 3).

Zielstellung und
Voraussetzung der
akutstationären Behandlung

Die Zielstellung ist kurativ und versucht über eine, wie es die NVL [3] formuliert, funktionale Wiederherstellung des Patienten, eine Schmerzlinderung sowie eine Verbesserung der Funktionsfähigkeit inklusive der Arbeitsfähigkeit des Patienten zu erreichen. Darüber hinaus ist beim Versagen unimodaler Ansätze eine Chronifizierungsvermeidung essentiell. Bei einem exacerbierten chronischen Schmerzgeschehen ist eine Stabilisierung der Schmerzerkrankung Ziel der multimodalen Behandlung, um eine Rehabilitationsfähigkeit oder die Behandlungsfähigkeit im ambulanten Versorgungssektor wiederherzustellen bzw. zu erreichen.

Voraussetzungen für eine Krankenhausbehandlung sind neben dem in der NVL erwähnten § 27(1) SGB V insbesondere die GBA Krankenhauseinweisungs-Richtlinie (2015) [8]. Diese legt fest, dass ein Krankheitsbild vorliegen muss, welches die Notwendigkeit einer Behandlung mit den Mitteln eines Krankenhauses bedingt.

Häufig wird vergessen, dass auch Voraussetzungen von Patientenseite existieren. Neben dem sprachlichen und inhaltlichen Verständnis sind eine grundlegende Therapiemotivation und Offenheit gegenüber einem biopsychosozialen Krankheitskonzept wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche multimodale Therapie. Laut Studienlage sind unzureichende Sprachkenntnisse, Fixierung auf ein monokausales Krankheitsverständnis sowie ein laufendes Rentenverfahren Prädiktoren für eine geringere Wirksamkeit der multimodalen Programme [9, 10]. Nichtdestotrotz sollte individuell fallbezogen überlegt werden, ob zumindest die letzten beiden Kriterien absolute Kontraindikationen darstellen oder ob nicht im Laufe der Therapie ein entsprechendes Verständnis erarbeitet werden kann.

Rehabilitation

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