Übersichtsarbeiten - OUP 05/2020

Chronischer Kreuzschmerz ambulant, im Krankenhaus oder in der Rehabilitationsklinik
Wer behandelt wann?

Anke Steinmetz, Bernd Kladny

Zusammenfassung:

Kreuzschmerzen gehören in Deutschland zu den häufigsten Gründen für eine Arbeitsunfähigkeit. Aufgrund oft auftretender Rezidive und der Chronifizierung stellen sie eine extrem kostenintensive Belastung für das Gesundheitssystem dar. Akute und chronische Kreuzschmerzen sind immer wieder Grund für die ambulante Vorstellung beim Haus- oder Facharzt, aber auch in den Notaufnahmen ein bekanntes Problem. Insbesondere in der chronischen Situation, kommt es regelmäßig zu Ärztehopping und unnötiger, meist vom Patienten eingeforderter Doppel- oder Überdiagnostik. Dieser Problematik haben sich die Nationale Versorgungsleitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz (2017) [3] und die Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz (2018) [4] angenommen. Darüber hinaus gilt es zu überlegen, wann chronische Kreuzschmerzen im akutstationären oder im rehabilitativen Setting zu behandeln sind und welche unterschiedliche Zielstellungen diesen unterschiedlichen Versorgungssettings hinterlegt sind. Dieser Artikel soll die unterschiedlichen Therapiemöglichkeiten der einzelnen Versorgungsbereiche darstellen. Dabei sollen auch die unterschiedlichen Versorgungsaufträge und Zielstellungen der stationären Therapiekonzepte von Akutkliniken und Rehabilitationskliniken beleuchtet werden, um die Argumentation mit den Kostenträgern zu erleichtern.

Schlüsselwörter:
Nationale Versorgungsleitlinien, Multimodal-nicht operative Komplexbehandlung des Bewegungssystems, Multimodale Schmerztherapie

Zitierweise:
Steinmetz A, Kladny B: Chronischer Kreuzschmerz ambulant, im Krankenhaus oder in der Rehabilitationsklinik. Wer behandelt wann? OUP 2020; 9: 320–337 DOI 10.3238/oup.2020.0330–0337

Summary: Low back pain is one of the most common causes of incapacity for work in Germany. Due to the frequent recurrences and chronification, they represent an extremely cost-intensive burden for the health system. Acute and chronic low back pain are a common reason for outpatient visits to the doctor or specialist, but are also a known problem in emergency rooms. In chronic situations in particular, there is frequent doctor-shopping and unnecessary double or overdiagnosis, usually demanded by the patient. The National Care Guidelines for Non-Specific Low Backpain (2017) [3] and Specific Low Backpain (2018) [4] have addressed this problem. In addition, it is important to consider when chronic back pain should be treated in an acute inpatient or rehabilitative setting and what different objectives are associated with these different care settings. This article is intended to present the different therapy options available in the individual care areas. In this context, the different care assignments and objectives of the inpatient therapy concepts of acute clinics and rehabilitation clinics will also be examined in order to facilitate the argumentation with the cost bearers.
Keywords: National Care Guidelines, multimodal non-surgical complex treatment of the musculoskeletal system, multimodal pain therapy
Citation: Steinmetz A, Kladny B:Managing chronic low back pain in different therapy settings (outpatient, hospital and rehabilitation clinic). Who treats when? OUP 2020; 9: 320–337 DOI 10.3238/oup.2020.0330–0337

Anke Steinmetz: Loreley-Kliniken St. Goar-Oberwesel

Bernd Kladny: Fachklinik Herzogenaurach

Kreuzschmerzen in der
ambulanten Versorgung

Akuter Kreuzschmerz

Stellt sich ein Patient mit Kreuzschmerzen im ambulanten Versorgungsbereich vor, so ist das weitere ärztliche Vorgehen von verschiedenen Aspekten abhängig, welche in den NVL Nicht-Spezifischer Kreuzschmerz [3] und Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz [4] abgebildet sind. Die Primärdiagnostik sollte neben der Anamnese eine klinische neuro-orthopädische Untersuchung inklusive schmerzpalpatorischer und funktionspalpatorischer Untersuchungen umfassen. In diesem Rahmen ist das Vorliegen von red flags, als Hinweise auf eine schwerwiegende bzw. bedrohliche Erkrankung sowie Anhaltspunkte auf eine spezifische Kreuzschmerzerkrankung abzuklären. Gibt es für beides keinen Anhalt, so soll (starke Empfehlung ??) in beiden Fällen erst einmal keine weiteren diagnostischen (insbesondere keine radiologischen) Maßnahmen durchgeführt werden [3].

Für den weiteren Vorgehensalgorithmus ist die Beschwerdedauer ein wesentlicher Faktor. Hält die Beschwerdesymptomatik erst 2–3 Wochen an, so wird zunächst nach der NVL Nicht-Spezifischer Kreuzschmerz behandelt, die Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz wird bei Verdacht auf einen Spezifischen Kreuzschmerz herangezogen und wenn die leitliniengerechte Therapie nach NVL Nicht-spezifischer Kreuzschmerz nicht zielführend ist.

Nach dieser sollen (starke Empfehlung) psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren (yellow, blue und black flags) von Beginn der Kreuzschmerzsymptomatik in den Behandlungsverlauf einbezogen werden. Das direkte Ansprechen eines möglichen Chronifizierungsrisikos von Kreuzschmerzen schon im Erstkontakt ist als günstig für die weitere Patientenführung und eine positive Arzt-Patienten-Beziehung anzusehen. Darüber hinaus empfiehlt es sich, mit dem Patienten zu kommunizieren, dass akute nicht-spezifische Kreuzschmerzen häufig selbstlimitierend sind, sodass häufig nur eine Beratung und Akutversorgung notwendig sind. Wenn nach 4 Wochen Schmerzdauer trotz leitliniengerechter Therapie nur ein unzureichender Therapieerfolg erreicht wird, sollten (Empfehlung) psychosoziale Risikofaktoren mit einem standardisierten Screeninginstrument (z.B. STarT Back Tool oder Örebro Kurzfragebogen) erfasst werden. Für die arbeitsplatzbezogenen Risikofaktoren liegt von Seiten der NVL Nicht-Spezifischer Kreuzschmerz eine „kann“ Empfehlung (Empfehlungsgrad 0 = offen ??) vor, z.B. mit den Fragebogeninstrumenten Work Ability Index (WAI) oder Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebnismuster (AVEM). Bei Patienten mit anhaltenden aktivitätseinschränkenden oder progredienten Kreuzschmerzen nach 4–6 Wochen leitliniengerechter Therapie soll (starke Empfehlung ??) die bisherige Diagnostik inklusive der Indikation zur Bildgebung überprüft werden.

Die leitliniengerechte Therapie des akuten nicht-spezifischen Kreuzschmerz umfasst [3]:

  • Edukation und Beratung mit dem Fokus auf die Vermittlung von Kompetenzen zu gesundheitsbewusstem Verhalten und des
    biopsychosozialen Krankheitsmodells:

körperliche Aktivierung und Aufklärung über deren grundsätzliche Unbedenklichkeit
mit dem Ziel einer Leistungssteigerung ohne Schmerzsteigerung (nicht Beseitigung
der Schmerzen)

Aufklärung über die leistungsangepasste Dosierung körperlicher Aktivität und Regeln für die Dosissteigerung

Aufklärung über die Verbesserung von Kraft und Ausdauer

Bedeutung der regelmäßigen Aktivität (mindestens 2x pro Woche mehr als 15 Minuten)
für den Trainingseffekt

Hinweis auf die Bedeutung
persönlicher Präferenzen bei
der Wahl der Aktivitäten

Bedeutung regelmäßiger kurzer Erholungspausen im Alltag

Bedeutung einer ausgewogenen Balance zwischen Be- und Entlastung

  • Thematisieren möglicher
    sozialer Risikofaktoren
    (s. yellow, blue und black flags):
  • ggf. unterstützende
    medikamentöse Therapie
    unter folgenden Grundsätzen
    (gilt auch für die medikamentöse Therapie subakuter und chronischer Kreuzschmerzen):

Aufklärung, dass Medikamente nur eine unterstützende Therapieoption darstellen

Festlegung eines realistischen und relevanten Therapieziels auch unter Berücksichtigung
der körperlichen Funktion
(z.B. Verbesserung der Gehstrecke oder Belastbarkeit, relevante Schmerzlinderung (> 30 oder 50 %))

Individuelle Auswahl der Medikation unter Berücksichtigung der Begleiterkrankungen, Begleitmedikation, Unverträglichkeiten, Vorerfahrungen und
Präferenzen des Patienten

Stufenweise Dosistitration der Medikation zum Erreichen des Therapieziels mit der geringsten effektiven Dosierung

Überprüfen des Auftretens
von Nebenwirkungen und
des klinischen Effekts in regelmäßigen Intervallen

Bei akuten Schmerzen zeitiges Ausschleichen bzw. Absetzen mit Besserung der Symptomatik

Fortführung der Therapie nur bei guter Wirksamkeit und Verträglichkeit, Überprüfung in regelmäßigen Intervallen (alle 3 Monate)

Ausschleichen/Absetzen der Therapie bei nicht ausreichender Wirksamkeit (trotz angemessener Dosierung) oder relevanten Nebenwirkungen

  • ggf. begleitende nicht
    medikamentöse Therapie

Akupunktur
(Empfehlungsgrad ??)

Bewegungstherapie
(Empfehlungsgrad ??)

Progressive Muskelentspannung (PMR) bei erhöhtem Chronifizierungsrisiko
(Empfehlungsgrad ??)

Manuelle Therapie
(Empfehlungsgrad ??)

Wärmetherapie im Rahmen des Selbstmanagements in Kombination mit aktivierenden Maßnahmen (Empfehlungsgrad ??)

Subakuter und chronischer nicht-spezifischer Kreuzschmerz

Halten Kreuzschmerzen länger als 6 bis maximal 12 Wochen an, so werden sie als subakute Kreuzschmerzen klassifiziert, bei einer Zeitdauer ab 12 Wochen spricht man von chronischen Kreuzschmerzen. Beim Erreichen eines subakuten Stadiums mit 6 Wochen Schmerzdauer, alltagsrelevanter Aktivitätseinschränkungen und unzureichendem Therapieerfolg trotz leitliniengerechter Therapie und dem Vorliegen psychosozialer und/oder arbeitsplatzbezogener Chronifizierungsfaktoren soll (starke Empfehlung ??) ein multimodales Assessment mit Abklärung einer Indikation für eine multimodale Behandlung durchgeführt werden. Ein multimodales Assessment soll ebenfalls generell ab 12 Wochen Schmerzdauer, alltagsrelevanter Aktivitätseinschränkung und unzureichendem Therapieerfolg trotz leitliniengerechter Therapie und auch bei Vorliegen eines chronischen nicht-spezifischen Kreuzschmerzes mit erneuter therapieresistenter Exazerbation veranlasst werden.

Wichtiges Ziel bei Kreuzschmerzen mit einer Beschwerdesymptomatik von mehr als 4–6 Wochen Dauer und längerer Arbeitsunfähigkeit ist die Vermeidung einer Chronifizierung. Neben der nochmaligen Evaluation auf eine spezifische Kreuzschmerzursache und der Überlegung, inwiefern weitere Fachrichtungen in die Behandlung miteinbezogen werden müssen, sollte im subakuten Stadium eine ambulante Therapieintensivierung insbesondere der begleitendenden nichtmedikamentösen Therapiemaßnahmen vorgenommen werden. Hier benennt die NVL nicht-spezifischen Kreuzschmerz folgende Maßnahmen [3]:

  • Begleitende nicht
    medikamentöse Therapie

Bewegungstherapie kombiniert mit edukativen Maßnahmen nach verhaltenstherapeutischen Prinzipien (??)

Rehabilitationssport- bzw.
Funktionstrainingsgruppe bei anhaltenden alltagsrelevanten Aktivitätseinschränkungen und Gefährdung der beruflichen Wiedereingliederung (?)

PMR bei erhöhtem Chronifizierungsrisiko (?)

Manuelle Therapie (??)

Massage (in Kombination mit aktivierenden Maßnahmen) (??)

Rückenschule auf biopsychosozialen Ansatz basierend (??)

Wärmetherapie im Rahmen
des Selbstmanagements in Kombination mit aktivierenden Maßnahmen (??)

  • Kognitive Verhaltenstherapie
    (auf das individuelle Risikoprofil bezogen) bei Vorliegen psychosozialer Risikofaktoren (??)

Erreicht der nicht-spezifische Kreuzschmerz mit einer Schmerzdauer von größer als 12 Wochen das chronische Stadium, soll (??) ein multimodales Assessment durchgeführt werden. Dieses wird in der Regel in spezialisierten Einrichtungen vorgenommen. Theoretisch kann nach der NVL auch der koordinierende Arzt ein solches Assessment im Rahmen eines interdisziplinären (ggf. telefonischen) Austausch mit den konsultierten Physiotherapeuten und dem Psychotherapeuten sowie ggf. weiteren konsultierten Fachärzten durchführen. Allerdings gibt es derzeit für dieses zeitintensive multidisziplinäre Assessment aktuell keine Vergütungsstruktur im ambulanten Versorgungssektor. Zudem ist die Qualität eines eher nicht gleichzeitigen telefonischen Austauschs nicht der eines echten gleichzeitigen interdisziplinären Austauschs vergleichbar. Ziel des multimodalen Assessment ist das Festlegen der weiteren Therapie, entweder im Rahmen einer intensivierten hausärztlichen/orthopädischen Behandlung, einer multimodalen Schmerztherapie oder einer Rehabilitation.

Für die intensivierte ambulante Behandlung im chronischen Stadium stehen neben Edukation und Beratung sowie einer psychotherapeutischen Mitbehandlung folgende Maßnahmen der nicht medikamentösen Therapie zur Verfügung [3]:

  • – Akupunktur (??)
  • – Bewegungstherapie kombiniert mit edukativen Maßnahmen nach verhaltenstherapeutischen Prinzipien (??)
  • – Rehabilitationssport- bzw.
    Funktionstrainingsgruppe bei
    anhaltenden alltagsrelevanten
    Aktivitätseinschränkungen und Gefährdung der beruflichen
    Wiedereingliederung (?)
  • – PMR bei erhöhtem Chronifizierungsrisiko (?)
  • – Manuelle Medizin (??)
  • – Massage (??)
  • – Rückenschule (??)
  • – Kognitive Verhaltenstherapie im Rahmen von Bewegungsprogrammen multimodaler Behandlungskonzepten (??)

Auf die detaillierten Möglichkeiten der medikamentösen Therapie soll hier wie beim akuten und subakuten Kreuzschmerz aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden, sondern nochmals auf die oben und im folgenden aufgeführten Grundsätze zum Einsatz einer Schmerzmedikation verwiesen werden. Ergänzend ist bei der Verwendung von Opioiden die S3-Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen – „LONTS“ einzubeziehen [1]. In der Langzeitbetreuung ist der kontinuierliche Austausch mit den weiteren behandelnden Ärzten, Psychologen, Physiotherapeuten und Angehörige weiter beteiligter Fachgruppen wichtig.

Für den Betreuungsbedarf in verschiedenen besonderen Situationen hat die NVL Nicht-Spezifischer Kreuzschmerz folgende Empfehlungen aufgestellt (Tab. 2):

Spezifischer chronischer
Kreuzschmerz

Die Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz [4] gibt Hinweise auf mögliche spezifische Kreuzschmerzursachen, welche differentialdiagnostisch in Betracht zu ziehen sind. Sie umfasst neben morphologischen auch funktionelle Entitäten, für spezifische psychosoziale Kreuzschmerzursachen wird auf die S3-Leitlinie „Umgang mit Patienten mit nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden“ (aktualisierte Fassung 2018: Leitlinie „Funktionelle Körperbeschwerden“[2]) sowie auf die S3-Leitlinie „Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms“ [5] verwiesen.

Die Primärdiagnostik bei Verdacht auf einen spezifischen Kreuzschmerz umfasst neben der ausführlichen Befragung und Schmerzanamnese ebenso die klinische neuro-orthopädische Untersuchung inklusive schmerzpalpatorischer und funktionspalpatorischer Untersuchungen. Diese ist durch geeignete Laboruntersuchungen und bildgebende Verfahren zu ergänzen. Die Basisdiagnostik besteht in der Regel aus einem konventionellen Röntgenbild der Lendenwirbelsäule (LWS) im Stand und einer Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) der Lendenwirbelsäule. Da sich die Auswahl der bilddiagnostischen Technik an der Fragestellung orientiert, kann abhängig von der Fragestellung auch nur eines der Verfahren ergänzend zur Anwendung kommen. Je nach Krankheitsbild und Fragestellung können weitere bildgebende Verfahren zur Anwendung kommen (z.B. Computertomographie (CT), Wirbelsäulen-Ganzaufnahmen, LWS-Funktionsaufnahmen, Szintigraphie etc.). Eine weiterführende radiologische Bildgebung ohne klinische Konsequenz sollte jedoch auch hier vermieden werden. Generell ist zu beachten, die bildgebenden Befunde immer im Kontext mit dem klinischen Befund zu werten. Auch beim spezifischen Kreuzschmerz ist explizit das für chronische Schmerzen geltende biopsychosoziale Krankheitsmodell in die Behandlung einzubeziehen. Daher ist es wichtig, psychische Komorbiditäten auch in Diagnostik und Therapie akuter und chronischer spezifischer Wirbelsäulenerkrankungen zu berücksichtigen, insbesondere vor der Indikationsstellung einer operativen Maßnahme.

Einen generellen Versorgungsalgorhithmus entsprechend der NVL nicht-spezifischer Kreuzschmerz liefert die Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz nicht, was aufgrund der unterschiedlichen Entitäten nachvollziehbar ist. Da eine vollständige Zusammenfassung von Diagnostik und Therapie der einzelnen Entitäten den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde, muss diesbezüglich auf die Details der Leitlinie verwiesen werden [4]. Der Wechsel vom ambulanten ins stationäre kurative oder rehabilitative Setting sollte nichtdestotrotz analog des Vorgehens beim nicht-spezifischen Kreuzschmerz gehandhabt werden. Wesentliche Kriterien für den Wechsel in ein anderes Versorgungssetting sind ambulant therapierefraktäre Symptomatiken, Chronifizierungsgefahr bzw. bereits eingetretene Chronifizierung, psychische Komorbiditäten, fortbestehende Arbeitsunfähigkeit und zunehmende alltagsrelevante Aktivitätseinschränkungen.

Akutstationäre multimodale Therapiekonzepte für
chronische Kreuzschmerzen

Die Leitlinie spezifischer Kreuzschmerz geht, außer in den beiden Kapiteln zu den funktionellen Entitäten, nicht explizit auf multimodale Therapiestrategien bei chronischen spezifischen Kreuzschmerzen ein. Nichtdestotrotz sind sowohl die Indikationen wie auch Zielstellung und Voraussetzung akutstationärer multimodaler Therapiekonzepte problemlos auf den spezifischen Kreuzschmerz übertragbar.

Indikation einer
akutstationären Behandlung

Für den subakuten und chronischen (nicht-spezifischen) Kreuzschmerz liegt der cut off für ein multimodales Assessment mit ggf. konsekutiver multimodaler Behandlung zum einen in der Zeitdauer der Beschwerdesymptomatik sowie der Therapieresistenz bei adäquater leitliniengerechter Therapie. Wie bereits unter „Subakuter und chronischer nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ (s.o.) dargestellt, sollten subakute/chronische Kreuzschmerzen bei Vorliegen psychosozialer und/oder arbeitsplatzbezogener Chronifizierungsfaktoren bereits nach 6 Wochen, ansonsten nach 12 Wochen einem multimodalen Assessment und ggf. multimodaler Therapie zugeleitet werden.

Multimodale Therapiekonzepte sind prinzipiell sowohl im kurativen akutstationären sowie im rehabilitativen Versorgungsbereich möglich. Allerdings ist die Zuweisung und die Entscheidung für die jeweilige Versorgungsform nicht willkürlich oder alternativ, sondern anhand klar definierter Indikationskriterien zu stellen, welche in der NVL nicht-spezifischer Kreuzschmerz definiert sind [3]. Darüber hinaus ist zu beachten, dass nach SGB V § 39(1), SGB VI § 13(2) und der Rehabilitationsrichtlinie des GBA 2014 die kurative Behandlung vorrangig vor einer rehabilitativen Behandlung durchzuführen ist.

Zentrale Indikationskriterien für akutstationäre multimodale Therapiekonzepte leiten sich einerseits aus dem umfassenden Diagnostikbedarf und andererseits aus dem spezifischen Behandlungsbedarf ab, der verschiedenen komplexen Situationen zugrunde liegt. Der umfassende Diagnostikbedarf ergibt sich aus der Notwendigkeit einer multimodalen Diagnostik, welche alle Ebenen des biopsychosozialen Krankheitskonzepts sowie eine umfassende Funktions- und Schmerzdiagnostik beinhalten sollte. Es bietet sich im akutstationären Kontext daher an, standardisiert eine Eingangsdiagnostik zu verwenden, welche eine neuroorthopädische Strukturdiagnostik, eine manualmedizinische Funktionsdiagnostik, eine apparative Funktionsdiagnostik, eine Schmerzdiagnostik sowie eine Psychodiagnostik beinhaltet. Auf dieser Grundlage ist sowohl eine Multimodal-nichtoperative Komplexbehandlung des Bewegungssystems (OPS 8–977) wie auch eine Multimodale Schmerztherapie (8–918) möglich (zu Details dieser Therapien s. Artikel von Emmerich auf Seite 309). Die notwendige Diagnostik ist definitionsgemäß interdisziplinärer Natur und erfordert eine gemeinsame interdisziplinäre Wertung der einzelnen Diagnostikebenen und eine daraus resultierenden Behandlungsplanung. Neben einer nicht gegebenen Rehabilitationsfähigkeit, welche zwangsläufig eine multimodale Therapiestrategie im kurativen Bereich erfordert, sind auch Exacerbationen einer Schmerzerkrankung, die Zunahme körperlicher Beeinträchtigung oder therapieerschwerende Komorbiditäten Indikationen, welche die Behandlung im kurativen Versorgungsbereich notwendig machen. Prinzipiell erfordern komplexe Situationen mit einem erhöhten Bedarf ärztlicher Betreuung, z.B. durch die Notwendigkeit interventioneller Verfahren, erschwerter Medikamentenumstellung oder die Therapie beeinflussende Komorbiditäten, die Versorgung im akutstationären Bereich. Dasselbe gilt für Patienten mit einem erhöhten psychischen Betreuungsbedarf sowie dem Bedarf einer höheren Therapieintensität und Therapiedichte (Tab. 3).

Zielstellung und
Voraussetzung der
akutstationären Behandlung

Die Zielstellung ist kurativ und versucht über eine, wie es die NVL [3] formuliert, funktionale Wiederherstellung des Patienten, eine Schmerzlinderung sowie eine Verbesserung der Funktionsfähigkeit inklusive der Arbeitsfähigkeit des Patienten zu erreichen. Darüber hinaus ist beim Versagen unimodaler Ansätze eine Chronifizierungsvermeidung essentiell. Bei einem exacerbierten chronischen Schmerzgeschehen ist eine Stabilisierung der Schmerzerkrankung Ziel der multimodalen Behandlung, um eine Rehabilitationsfähigkeit oder die Behandlungsfähigkeit im ambulanten Versorgungssektor wiederherzustellen bzw. zu erreichen.

Voraussetzungen für eine Krankenhausbehandlung sind neben dem in der NVL erwähnten § 27(1) SGB V insbesondere die GBA Krankenhauseinweisungs-Richtlinie (2015) [8]. Diese legt fest, dass ein Krankheitsbild vorliegen muss, welches die Notwendigkeit einer Behandlung mit den Mitteln eines Krankenhauses bedingt.

Häufig wird vergessen, dass auch Voraussetzungen von Patientenseite existieren. Neben dem sprachlichen und inhaltlichen Verständnis sind eine grundlegende Therapiemotivation und Offenheit gegenüber einem biopsychosozialen Krankheitskonzept wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche multimodale Therapie. Laut Studienlage sind unzureichende Sprachkenntnisse, Fixierung auf ein monokausales Krankheitsverständnis sowie ein laufendes Rentenverfahren Prädiktoren für eine geringere Wirksamkeit der multimodalen Programme [9, 10]. Nichtdestotrotz sollte individuell fallbezogen überlegt werden, ob zumindest die letzten beiden Kriterien absolute Kontraindikationen darstellen oder ob nicht im Laufe der Therapie ein entsprechendes Verständnis erarbeitet werden kann.

Rehabilitation

Im Gegensatz zur kurativen Medizin wird in der Rehabilitation primär nicht die Krankheit behandelt, sondern es geht um das Management der Krankheits- und Verletzungsfolgen mit Wiederherstellung von Körperfunktionen, Aktivitäten und Partizipation. Die bedeutsamsten Einschränkungen der Partizipation (Teilnahme am sozialen Leben) beziehen sich in der Regel im erwerbsfähigen Alter auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit (Kostenträger Rentenversicherung) und bei Menschen, die nicht mehr im Erwerbsleben stehen (Kostenträger gesetzliche Krankenkassen) auf die Selbstversorgungsfähigkeit (Grundsatz Sozialgesetzbuch „Reha vor Rente“ und „Reha vor Pflege“).

Voraussetzung Einleitung
Rehabilitation

Aus einem Befundbericht für die Einleitung einer Rehabilitation ist die genaue Darstellung der Auswirkung der Erkrankung auf die Aktivitäten und die Partizipation von ganz besonderer Bedeutung und wichtiger als die Aufzählung zahlreicher körperlicher Befunde und Diagnosen sowie Ergebnissen der Bildgebung, um den Reha-Bedarf darzulegen. Die notwendige Diagnostik soll abgeschlossen sein. Ambulante Behandlung wurde durchgeführt und ist nicht mehr ausreichend. Eine Krankenhausbehandlung ist nicht oder nicht mehr erforderlich. Es sollte in der Abschätzung eine positive Reha-Prognose gegeben werden können. Weiterhin ist die Reha-Fähigkeit darzustellen, d.h. der Patient muss psychisch und physisch ausreichend belastbar für ein Rehabilitationsprogramm sein.

Stehen Einschränkungen der Aktivitäten und der Partizipation im Vordergrund, dann kann beim zuständigen Rehabilitationsträger eine Rehabilitationsmaßnahme beantragt werden. Die Rehabilitationsleistung kann sich aber auch an einen akut-stationären Aufenthalt anschließen, sofern noch Defizite dieser Art bestehen, die eine Rehabilitation begründen. Kurative Medizin und Rehabilitation ergänzen sich.

Durchführung und Inhalte der Rehabilitation

In der Regel dauert eine rehabilitative Maßnahme ca. 3 Wochen mit der Möglichkeit der Verlängerung.

Die Therapieinhalte werden in Abhängigkeit von den bestehenden Einschränkungen und den individuell gemeinsam mit dem Patienten festzulegenden und dem Reha-Team (bestehend aus Ärzten, Psychologen, Physiotherapeuten und weiteren Berufsgruppen in unterschiedlichen Zusammensetzungen) zu kommunizierenden Therapiezielen bestimmt. Die Zielerreichung wird im Behandlungsverlauf im Reha-Team besprochen, dokumentiert, evaluiert und ggf. angepasst.

Bestandteile der multimodalen Therapie in der Rehabilitation sind die medizinische ärztliche Behandlung. Diese wird ergänzt durch eine intensive Information und Schulung mit Inhalten zur Schmerzerkrankung und Bezug zur individuellen Problematik wie psychosoziale Risikofaktoren und Bewegungsmangel. Die Reha-Fähigkeit ist von besonderer Bedeutung, da das Behandlungsprogramm eine konsequente Steigerung der körperlichen Aktivität durch Bewegungstherapie und Sporttherapie vorsieht. Ziel muss es sein, dass der Patient motiviert wird, diese Inhalte im Alltag weiterzuführen und dass er Kompetenz zur eigenen Trainingssteuerung erhält. Die psychologischen Behandlungsmaßnahmen zielen ab auf eine Veränderung eines maladaptiven, auf Ruhe und Schonung oder Durchhalten ausgerichteten Krankheitsverhaltens sowie zur Stärkung von eigenen Ressourcen im Umgang mit Schmerz und Beeinträchtigung. Der Patient muss Entspannungs- und Stressbewältigungstechniken erlernen. Für Patienten im erwerbsfähigen Alter haben die Beratung im Hinblick auf den individuellen Arbeitsplatz sowie Trainingsprogramme unter Einbezug ergotherapeutischer Maßnahmen für den Einsatz am Arbeitsplatz einen besonderen Stellenwert.

Die deutsche Rentenversicherung hat auf wissenschaftlicher Basis Reha-Therapiestandards für die Rehabilitation bei chronischen Rückenschmerzen etabliert [7], deren Einhaltung im Rahmen eines externen Qualitätsmanagements überprüft wird. Konkrete Vorgaben im Hinblick auf Leistungen zur Rehabilitation bei Patienten, bei denen eine gesetzliche Krankenversicherung Kostenträger ist, existieren in dieser Form nicht.

Rehabilitation bei besonderen Problemlagen –
MBOR und VOR

Jede Einrichtung der medizinischen Rehabilitation muss diagnostische und therapeutische Kompetenz auf dem Feld der beruflichen Integration entwickeln und vorhalten. Allerdings gibt es Rehabilitanden mit besonderen beruflichen Problemlagen ohne manifeste psychische Komorbidität, die spezifischer Angebote bedürfen. In der Regel handelt es sich um Versicherte mit problematischen sozialmedizinischen Verläufen (z.B. lange oder häufige Zeiten Arbeitsunfähigkeit und/oder Arbeitslosigkeit), negativer subjektiver beruflicher Prognose, verbunden mit der Sorge, den Anforderungen des Arbeitsplatzes nicht gerecht werden zu können und bei aus sozialmedizinischer Sicht erforderlicher beruflicher Veränderung. Für diese Versicherten wurde auf wissenschaftlicher Grundlage das Konzept der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR) entwickelt und etabliert [6]. Im Rahmen der MBOR lernen die Rehabilitanden Strategien, die ihnen helfen, die Anforderungen ihres Arbeitsplatzes zu bewältigen.

Wenn in einem reharelevanten somatischen Indikationsbereich eine gravierende Funktionseinschränkung im Vordergrund steht und diese von einer wesentlichen psychischen Komponente der Fähigkeitseinschränkung begleitet wird, dann kann die Indikation für eine verhaltensmedizinisch orientierte Rehabilitation (VOR) gegeben sein. In diesem seit 2001 entwickelten Reha-Konzept tritt besonders die psychosoziale Belastung bei chronischen Schmerzerkrankungen in den Vordergrund. Das verhaltensmedizinische Behandlungskonzept erfolgt vorwiegend im Bereich Psychologie/Psychotherapie und Bewegungs-/Sporttherapie.

Steht die psychische Störung im Vordergrund der gefährdeten Erwerbsfähigkeit, dann ist VOR nicht geeignet und es sollte der Bedarf einer psychosomatisch psychotherapeutischen Rehabilitation geprüft werden. Liegt eine reharelevante somatische Funktionsstörung mit einer besonderen beruflichen Problemlage ohne psychische Komorbidität vor, dann ist vorrangig die Indikation der oben erwähnten medizinischberuflich orientierten Rehabilitation (MBOR) zu prüfen. Selbstverständlich können bei entsprechender Problemlage die Verfahren auch kombiniert werden.

Dem einleitenden Arzt sollen diese Ausführungen nur zur Information über die Verfahren dienen. Die Indikationsstellung wird in der Regel bei und durch die DRV auf Grundlage der Zusammensicht der ärztlichen Befunde und der Stellungnahmen der Versicherten getroffen.

Ambulante Rehabilitation

Rehabilitationsleistungen werden sowohl ambulant als auch stationär erbracht. Die ambulante ganztägige Durchführung hat prinzipiell Vorrang vor stationären Verfahren. Dabei muss sichergestellt sein, dass die Voraussetzungen für eine ambulante Rehabilitation gegeben sind (Tab. 4).

Rehabilitation und Multimodale Schmerztherapie

Multimodale Schmerztherapie und Rehabilitation unterliegen unterschiedlichen Indikationen und Zielsetzungen und ergänzen sich gegenseitig. Als Hilfestellung kann zur Differenzierung die der Nationalen Versorgungsleitlinie nicht-spezifischer Kreuzschmerz entnommene Tabelle 5 dienen [3].

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf: www.online-oup.de

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Anke Steinmetz

Loreley-Kliniken St. Goar-Oberwesel

Hospitalgasse 11

55430 Oberwesel

a.steinmetz@loreley-kliniken.de

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