Übersichtsarbeiten - OUP 01/2024

Coccygodynie
Ein Überblick

Achim Benditz

Lernziele:

Die Leserinnen und Leser sollen die theoretischen Grundlagen der
Coccygodynie verinnerlichen.

Sie sollen die typischen anamnestischen Angaben der betroffenen Steißbeinpatientinnen/-patienten kennen.

Sie sollen die seitlichen dynamischen Funktionsaufnahmen als Goldstandard der Bildgebung kennenlernen.

Sie sollen eine passende Behandlungsoption beurteilen können.

Zusammenfassung:
Obwohl die Coccygodynie schon 1859 erstmalig beschrieben wurde, bleibt sie bis heute ein kontrovers diskutiertes Krankheitsbild. Typisch für Patientinnen und Patienten mit Steißbeinbeschwerden ist ein langer Leidensweg mit vielen Voruntersuchungen ohne wirkliche Diagnose. Der tief sitzende Schmerz direkt über der Steißbeinspitze, meist nur beim Sitzen oder Lagewechsel kann als Leitsymptom gesehen werden. Frauen sind häufiger als Männer betroffen und nur in ca. 50 % der Fälle ist ein Trauma erinnerlich. Aus Sicht des Autors sind die dynamischen, lateralen Röntgenaufnahmen des Steißbeins die aufschlussreichste Bildgebung. Nach Diagnosestellung sollten zunächst konservative Maßnahmen wie orale NSAR-Einnahme und Entlastung durch ein Sitzkissen mit Aussparung probiert werden. Zudem können auch lokale Infiltrationen direkt am Steißbein mit Lokalanästhetikum und einem Glukokortikoid durchgeführt werden. Krankengymnastik (Beckenboden) und Osteopathie können auch einen positiven Einfluss auf die Beschwerden haben. Bei therapierefraktären Beschwerden über 6 Monate mit kurzzeitig gutem Ansprechen auf die konservative Therapie, sollte die Coccygektomie ins Auge gefasst werden. Bei der richtigen Auswahl der Patientinnen und Patienten stellt die Entfernung des Steißbeins eine sichere Methode mit einer Erfolgsrate laut Literatur von über 80–90 % dar.

Schlüsselwörter:
Coccygodynie, Kokzygodynie, Steißbeinschmerzen, Therapie, Coccygektomie

Zitierweise:
Benditz A: Coccygodynie. Ein Überblick
OUP 2024; 13: 37–44
DOI 10.53180/oup.2024.037-044

Summary: Although coccygodynia was already first described in 1859, it remains a controversially discussed clinical picture to this day. Typical for patients with tailbone pain is a long deal with many preliminary examinations without a real diagnosis. The deep-seated pain directly above the tip of the tailbone, usually only when sitting or changing position, can be seen as a leading symptom. Women are affected more often than men and trauma is only remembered in around 50 % of the cases. From the author‘s point of view, the dynamic, lateral x-rays of the coccyx are the most informative imaging methods. After diagnosis, conservative measures such as oral NSAID intake and discharge through a donut cushion should be tried. In addition, local infiltrations can be carried out directly on the tailbone with local anaesthetic and a glucocorticoid. Physiotherapy (pelvic floor) and osteopathy can also have a positive influence on the symptoms. Coccygectomy should be considered for treatment-resistant symptoms over 6 months with a good short-term response to conservative treatment. With the correct selection of patients, the removal of the coccyx is a safe method with a success rate of over 80–90 % according to the literature.

Keywords: Coccygodynia; coccydynia; tailbone pain; therapy; coccygectomy

Citation: Benditz A: Coccydynie. An overview
OUP 2024; 13: 37–44. DOI 10.53180/oup.2024.037-044

KU Klinikum Fichtelgebirge, Marktredwitz

Anatomie und Pathogenese

Als Coccygodynie bezeichnet man Beschwerden im Bereich des Steißbeins, die erstmalig von Simpson 1859 als schmerzhafter Zustand beim Sitzen und Aufstehen beschrieben wurden [1]. Das Wort Coccygodynie leitet sich aus den beiden griechischen Wörtern „Coccyx“ wegen der anatomisch ähnlichen Form eines Kuckucksschnabels und der für Schmerz verwendeten Nachsilbe „Dynie“ ab [2]. Die Patientinnen und Patienten berichten über Schmerzen im Sitzen, die sich bei Lageänderung verstärken und auch um das Steißbein herum ausstrahlen können. Je nach vorliegender Pathologie werden auch Schmerzen bei der Defäkation beschrieben. Bis heute gilt die Coccygodynie in Fachkreisen als umstrittenes Krankheitsbild, was zu einer verzögerten Behandlung führt und Patientinnen und Patienten fast immer über eine „Arzt-Odyssee“ berichten, bis es zu einer korrekten Diagnosestellung kommt. Im folgenden Artikel sollen die Leserinnen und Leser einen Überblick über die aktuelle Literatur und die Erfahrungen des Autors in der Behandlung der Coccygodynie erhalten.

Anatomie

Das Steißbein bildet das dreieckige Ende der Wirbelsäule und besteht in der Regel aus 2–5 Segmenten. Die rudimentär angelegten Bandscheiben variieren stark in ihrer Anlage. Bis auf das erste Bandscheibenfach treten sie häufig fusioniert auf. Untersuchungen von Maigne haben auch gezeigt, dass die Bandscheibenzwischenräume auch gelenkartig mit knorpligen Anteilen angelegt sein können, was ebenfalls zu einer pathologischen Beweglichkeit führen kann [3]. Das cranialste Segment ist immer über rudimentäre (Facetten-)Gelenke mit dem Kreuzbein verbunden. Die Zygapophysengelenke bestehen aus den unteren Gelenkfortsätzen vom Kreuzbein und den oberen Gelenkfortsätzen des Steißbeins. An der ventralen Seite setzen der M. levator ani, M. iliococcygeus, M. coccygeus und der M. pubococcygeus an. Am caudalen Ende des Steißbeins verbindet das straffe Lig. anococcygeum den M. levator ani mit der mittleren Schicht des M. sphincter ani externus. An der dorsalen Fläche setzen Teile des M. gluteus maximum an.

Die Ligg. sacrococcygeale anterius und -posterius setzen ebenfalls am Steißbein an und können als Fortführung des vorderen und hinteren Längsbandes gesehen werden. Die bilateralen Befestigungen am Steißbein umfassen die Ligg. acrotuberale und -sacrospinale [4, 5].

Es gibt somatische Nerven und das sympathische Ganglion impar, die nozizeptive Signale übertragen, die vom Steißbein ausgehen. Der Plexus coccygeus besteht aus Fasern des 4. Sakralnervs, des 5. Sakralnervs und des Steißbeinnervs. Der Plexus coccygeus führt zum N. anococcygeus, der die über dem Steißbein liegende Haut innerviert. Die beiden sakralen sympathischen Ketten bilden am terminalen Ende das Ganglion impar. Die Lage des Ganglions impar kann variieren, liegt aber im Allgemeinen nahe der Mittellinie ventral des ersten Bandscheibenzwischenraumes [6]. Das Ganglion impar versorgt die Steißbeinregion nozizeptiv und sympathisch mit afferenter Innervation aus dem Perineum, dem distalen Rektum, dem Anus, der distalen Harnröhre und der distalen Vagina.

Biomechanisch kann das Steißbein mit den beiden Sitzbeinhöckern (Tuber ischiadicum) als Dreibein zur Stabilisierung der sitzenden Position angesehen werden [7].

Ätiologie

Die Inzidenz von Steißbeinbeschwerden wird mit 1 % angegeben, die Dunkelziffer liegt jedoch deutlich höher. Frauen, vor allem nach Schwangerschaften, sind fünfmal häufiger betroffen als Männer, Kinder dagegen sehr selten [8]. In der Literatur wird auch Adipositas als Risikofaktor beschrieben, was sich jedoch nicht mit den Erfahrungen des Autors deckt [9]. Diese soll durch die vermehrte Belastung im Sitzen erklärt werden. Dagegen soll ein schneller Gewichtsverlust ebenfalls einen Risikofaktor darstellen, da die dämpfende Wirkung von Fett im Gesäßbereich verloren geht [5].

Traumatische Genese

Gerade bei Stürzen ist das Steißbein für Verletzung prädestiniert. In der Literatur werden äußere Traumata als Ursache mit 50–65 % angegeben [10]. Typisch in der Anamnese ist die Latenz zwischen Trauma und Auftreten der Beschwerden. Am ehesten ist dies mit der „normalen“ Reaktion der Patientinnen und Patienten zu erklären, die nach einem Sturz auf das Gesäß die Beschwerden zunächst als logisch empfinden und daher seltenst unmittelbar einen Arzt aufsuchen. Erst wenn die Schmerzen nach mehreren Wochen nicht besser werden, wird der Hausarzt konsultiert. Nicht selten kommt es zunächst zu einer Besserung und die Beschwerden treten mit einer deutlichen zeitlichen Latenz erneut oder sogar schlimmer auf. Aus Sicht des Autors liegt das daran, dass es meist zu keiner Fraktur der eher weichen und kleinen knöchernen Steißbeinsegmente kommt, sondern zu einer Verletzung der rudimentären Bandscheiben und Bänder. Im Verlauf, der auch mehrere Jahre dauern kann, entwickelt sich daraus eine Instabilität, die dann zu den Beschwerden führt. Zum Vergleich kann eine Olisthese der Lendenwirbelsäule herangezogen werden, die häufig Jahrzehnte lang asymptomatisch bleibt und erst im Laufe der Jahre mit zunehmenden degenerativen Veränderungen zu Problemen führt. Dabei reicht dann das längere Sitzen auf harten Unterlagen oder Aktivitäten wie Reiten oder Fahrradfahren als Auslöser. Schon im Jahr 1950 bezeichnete Schapiro die Krankheit als „Fernsehkrankheit“, was eine wichtige Rolle der Haltungsanpassung als prädisponierender Faktor für die Coccygodynie bedeutet [11].

Als internes Trauma können auch schwere Geburten angesehen werden.

Idiopathische Genese

Viele Patientinnen und Patienten stellen sich mit Coccygodynie ohne erklärbare Ursache vor. Aus Sicht des Autors sind dabei 2 mögliche Erklärungen gegeben. Entweder liegt das Trauma so lange zurück, dass es nicht mehr erinnerlich ist und die muskuläre Stabilisierung hat die Beschwerden lange unterdrückt oder es muss der schon oben genannte Vergleich zur Olisthese herangezogen werden. Eine weitere Erklärung ist die Degeneration der rudimentären Bandscheibensegmente oder im Falle von angelegten Gelenken eine Arthrose dieser. Maigne zeigte eine positive Schmerzprovokation durch eine Diskografie bei 15 von 21 Patientinnen und Patienten [12]. Andere Studien belegten histologisch die degenerativen Veränderungen entweder i. S. einer Bandscheibendegeneration oder auch degenerative Gelenkknorpelveränderungen [13, 14].

Manche Patientinnen und Patienten entwickeln am kaudalsten Segment einen dorsalen Sporn, i. S. eines Osteophyten, der ebenfalls zu lokalen Beschwerden durch direkte Reizung des Gewebes beim Sitzen führen kann.

Seltene Ursachen

In der Literatur gibt es einige wenige Fallberichte über sehr seltene Ursachen für eine Coccygodynie. Dabei sind Tuberkulose, Chordom und Osteoidosteom zu nennen [15, 16]. Diese vereinzelten Differenzialdiagnosen sollten im Hinterkopf behalten werden.

Die typische Patientin/
der typische Patient

Anamnestische Angaben

Eine erste klinische Beschreibung der Erkrankung wurde von Thiele 1963 gegeben [17]. Er beschreibt die Patientinnen und Patienten mit scharfem Stechen oder manchmal einen schmerzenden Schmerz in den unteren Kreuzbein- oder Steißbeinsegmenten, insbesondere beim Sitzen auf ebenen und harten Oberflächen. Die Schwere der Schmerzen variiert. Aktivitäten, die zu einer erhöhten Belastung des M. levator ani führen, wie Stuhlgang und Geschlechtsverkehr, können bei solchen Patientinnen und Patienten ebenfalls zu einer Verstärkung der Symptome führen.

Aus eigener Erfahrung präsentieren sich die Patientinnen und Patienten auf dem ersten Blick zwar mit sehr unterschiedlichen Beschwerden, jedoch nach Behandlung von über 700 Patientinnen und Patienten kann durchaus ein Muster erkannt werden:

Zunächst fällt auf, dass alle Patientinnen und Patienten eine nach vorne geneigte, häufig leicht seitliche Sitzposition im Sprechzimmer einnehmen, da die nach hinten geneigte Sitzposition immer zu einer Schmerzverstärkung führt. Anamnestisch berichten alle Patientinnen und Patienten über eine „Arzt-Odyssee“ mit mehr als 3 erfolglosen Konsultationen meist über mehrere Jahre. Viele haben eine koloskopische, urologische, und gynäkologische Abklärung ohne Ergebnis hinter sich. Manche sind zudem erfolglos an einer Sinus pilonidalis operiert. Der größte Teil wird schmerztherapeutisch und psychologisch mit der Diagnose einer chronischen Schmerzstörung betreut. Durchgeführte Bildgebungen blieben ebenfalls unauffällig.

Klinisch berichten die Betroffenen über den Hauptschmerz im Sitzen mit einer Verstärkung bei Reklination und bei Lageänderung, vor allem beim Aufstehen. Gerade die Sitzposition im Auto wird als extrem schmerzhaft beschrieben, obwohl in der Regel schon ein Ringsitzkissen eingesetzt wird. Die wenigsten haben Schmerzen beim Gehen und im Liegen. Der Großteil bevorzugt weiche Sitzunterlagen. Der Schmerz kann als lokaler Schmerz im Bereich des Steißbeins angegeben werden. Fast alle fühlen sich nicht ernst genommen und sind in ihrer Lebensqualität maximal eingeschränkt. Viele Patientinnen und Patienten berichten zudem, dass sie das Gefühl hätten, das Steißbein bewege sich bei Lageänderung und berichten über Schmerzen bei der Defäkation. In Tabelle 1 sind die typischen Aussagen der Patientinnen und Patienten zusammengefasst.

Klinische Untersuchung

Die körperliche Untersuchung sollte mit der Beobachtung der Sitzhaltung der Patientin/des Patienten beginnen und dann nach Läsionen suchen, einschließlich Anzeichen eines Pilonidalsinus, Fistel oder Infektion. Als nächstes kann die Palpation der darüber liegenden Haut, des Steißbeins und der angrenzenden Bänder und Muskeln fokale Druckempfindlichkeit zeigen [18]. Danach ist es wichtig, das schmerzhafte Areal zu palpieren und die druckdolente Stelle von den cranialen Sacrumanteilen abzugrenzen. Typisch ist ein Druckschmerz direkt an der Steißbeinspitze. Dort kann auch eine ventrale Instabilität oder eine Subluxation getastet werden. Um einen besseren Eindruck über eine dorsale Instabilität zu bekommen, ist eine rektale Untersuchung nötig.

Radiologische Diagnostik

Magnetresonanztomografie

Häufig stellen sich die Patientinnen und Patienten mit einer MRT ohne pathologischen Befund vor. Durch die liegende Position während der MRT können Instabilitäten nur bei deutlichen Fehlstellungen aufschlussreich sein. Manchmal kann in der T2-Wichtung und STIR-Sequenz ein Knochenödem oder diskrete Flüssigkeitsansammlungen im Sinne einer Reizung dargestellt werden. Dies ist vor allem bei frischen Traumata und dem Vorhandensein eines dorsalen Sporns der Fall. Der dorsale Sporn ist ein kleiner Osteophyt, der in der MRT häufig besser gesehen werden kann als im Röntgen (Abb. 1). Ein dorsaler Sporn kann entweder ein Auslöser oder eine Folge einer Coccygodynie sein [5, 19]. Zudem dient eine MRT insbesondere zum Ausschluss der oben genannten seltenen Differenzialdiagnosen.

Immer wieder wird trotz der Diagnose Coccygodynie nur eine MRT der LWS durchgeführt, auf der das Steißbein gar nicht abgebildet ist und die Patientin/der Patient stellt sich dann mit einem Normalbefund vor.

Computertomografie

Die CT hat nur einen geringen Stellenwert in der Diagnosestellung und sollte nur bei Trauma mit Verdacht auf eine Beteiligung des Sacrums durchgeführt werden. Eine Studie zeigte in der CT die hohe Variabilität der Fusion der Kreuz- und Zwischenwirbelgelenke und dass weibliche Steißbeine häufig kürzer, gerader und mehr retrovertiert sind [20]. Eine Korrelation der Befunde als Ursache der Schmerzen zeigte sich jedoch nicht.

Konventionelles Röntgen

Die konventionellen Röntgenaufnahmen des Steißbeins in 2 Ebenen werden entweder seitlich im Liegen oder Stehen durchgeführt. Da die Patientinnen und Patienten meist weder im Liegen noch im Stehen Beschwerden haben, zeigen sich auch hier selten Pathologien. Dazu kommt noch die enorme Variabilität des Steißbeins, die eine Beurteilung über das Vorliegen einer Pathologie erschweren.

Maigne et al. veröffentlichten bereits 1994 die Technik der dynamischen Funktionsaufnahmen des Steißbeins in seitlich stehender und sitzender Position des Steißbeins [12, 21]. Dabei wird zunächst eine Aufnahme im Stehen und nach fünfminütigem Sitzen in schmerzhafter, reklinierter Position im Sitzen angefertigt. Danach wurden die Folien der Aufnahmen übereinandergelegt und eine Winkelbeweglichkeit von mehr als 25° oder weniger als 5° wurde als abnormal beschrieben. Aufgrund des Fehlens validierter Techniken zur Messung der Winkelbeweglichkeit ist die dynamische Bildgebung jedoch weitgehend unbekannt, sie ist auch schwierig anzufordern.

Die von Maigne beschriebene Messmethode ist aufgrund der Digitalisierung im Röntgen heutzutage nur schwer durchführbar. Da die Funktionsaufnahmen aus Sicht des Autors jedoch der Goldstandard in der Diagnosestellung sein sollten, wurde vom Autor 2021 die Benditz-König-Klassifikation veröffentlicht [22]. Dabei werden 4 Typen unterschieden. Bei Typ I handelt es sich um ein Segment, das nach ventral mehr als 15° abkippt, bei Typ II um mehrere Segmente. Typ II war der häufigste Typ. Typ III und IV beschreiben Subluxationen nach dorsal, wobei mehr als 50 % der Typ-IV-Patientinnen/-Patienten operiert wurden, was im Vergleich zu Typ I und II signifikant erhöht ist [Abb. 2a–d].

Die AP-Aufnahmen haben nur einen geringeren Stellenwert in der Diagnosestellung und werden aus Strahlenschutzgründen nicht regelhaft benötigt. Sollte die klinische Untersuchung eine laterale Achsdeviation vermuten lassen, so ist die Aufnahme zur Verifikation sinnvoll.

Viele Patientinnen und Patienten haben Schwierigkeiten, einen Radiologen zu finden, der mit der Durchführung von Funktionsaufnahmen des Steißbeins im Sitzen im Vergleich zum Stehen vertraut ist. Selbst mit detaillierter Überweisung kommt es zu Schwierigkeiten. Diese Erfahrungen machte nicht nur der Autor schon häufig, sondern werden auch aus anderen Ländern berichtet [5].

Therapie

Konservative Therapie

In der Literatur ist eine Vielzahl von konservativen Behandlungsmethoden beschrieben. Diese sollten vor den Gedanken an eine operative Therapie immer vollumfänglich ausgeschöpft werden und über mindestens 6 Monate nach Beginn der Schmerzen probiert werden. Laut Literatur sind konservative Maßnahmen in 90 % der Fälle erfolgreich [23].

Entzündungshemmende
Maßnahmen, Sitzkissen,
Haltungstraining

Im ersten Anlauf sollten nicht-steroidale entzündungshemmende Medikamente in Kombination mit einem Ringsitzkissen oder Keilkissen verordnet werden. Zudem kann Krankengymnastik zum Haltungstraining eingesetzt werden. Beweise in der Literatur für die Behandlung sind spärlich.

Manuelle oder physikalische Therapie mit Manipulation
des Steißbeins und
Beckenbodentraining

Je nach dargestellter Instabilität in der Bildgebung gibt es 2 Ansätze für die manuelle Therapie. Bei geringer Instabilität kann von einem Spasmus der Beckenbodenmuskulatur (M. levator ani) ausgegangen werden. Thiele beschrieb eine zentrale Rolle des Levator-ani-Spasmus; Steißbeinkrämpfe verschlimmern zusätzlich Schmerzen und Degeneration der Kreuzbein- und Steißbeingelenke, was wiederum zu mehr Krämpfen führt. So spielt das Massieren der langen Fasern des Levator ani eine Rolle bei der Linderung der Muskelkrämpfe und der Unterbrechung des Teufelskreises der Schmerzen [17].

Bei Patientinnen und Patienten mit erheblicher Instabilität dagegen führen Massagen zu einem eher schlechten Ergebnis, sodass Maigne in diesen Fällen eine Steißbeinmanipulation empfiehlt. Dabei sollte mit dem Finger innerhalb des Rektums und dem Daumen außen das Steißbein umgriffen werden. Weiterhin sollte die Steißbeinstreckung nach Manipulation für einige Minuten aufrechterhalten werden, indem mit dem Zeigefinger Gegendruck auf das Steißbein und mit der anderen Hand Druck nach hinten auf das untere Kreuzbein ausgeübt wird [24]. Diese Behandlungen werden auch von Osteopathen häufig erfolgreich durchgeführt.

Injektionen und
Ganglion-Impar-Block

Sollten diese nicht-invasiven Behandlungsmethoden nicht zum Erfolg führen, sollten Injektionen mit einem Lokalanästhetikum und Steroiden zum Einsatz kommen. Dabei hat die Lokalanästhetikagabe auch eine diagnostische Funktion, um ein mögliches operatives Ergebnis abzuschätzen. In der Literatur werden bildwandlergestütze, CT-gesteuerte oder Freihandinjektionen beschrieben. Ziel ist dabei die Umflutung des schmerzhaften Areals [2, 7].

Eine Sonderform der Injektion ist der Ganglion-Impar-Block. Dieser ist ebenfalls mit unterschiedlichen Techniken in der Literatur vertreten. Unter Bildgebung (CT, Bildwandler) wird dabei das ventral des ersten Bandscheibenfaches gelegene Ganglion entweder direkt durch die Bandscheibe oder von seitlich kommend, zunächst mit Kontrastmittel dargestellt (reversed C-sign) und dann infiltriert. Eine Sonderform ist dabei die Thermodenervierung oder Dextrose-Prolotherapie [25–28].

Weitere Methoden aus der
Literatur

Es gibt einzelne Fallberichte zur erfolgreichen perkutanen Sakralnervenstimulation unter Verwendung eines Burst-SCS-Systems, die den Patientinnen und Patienten eine verbesserte Fähigkeit verleiht, längere Zeit zu sitzen [29]. Giordano et al. demonstrierten einen erfolgreichen Fall, in dem die Dorsal-Root-Ganglion-(DRG-)Stimulation zur Behandlung von chronischer Coccygodynien erfolgreich eingesetzt wurde [30].

Eine Studie zeigte einen positiven Effekt der extrakorporalen Stoßwellentherapie (ESWT). Es wurde gezeigt, dass die ESWT die Schmerz- und Behinderungswerte senkt und sich als überlegen gegenüber physikalischen Maßnahmen darstellt [31, 32].

Operative Therapie

Die Entfernung des Steißbeins wird trotz guter Studienlage immer noch sehr kritisch gesehen, da sich nur wenige mit der Thematik intensiv beschäftigen. Nach Ausschöpfen der konservativen Maßnahmen zeigt die Literatur eine Erfolgsrate von 85–100 % bei richtig ausgewähltem Patientinnen- und Patientengut [8, 33–37]. Zur guten Auswahl der Patientinnen und Patienten gehören für den Autor auch eine ausführliche Aufklärung und eine deutliche Instabilität in den Funktionsaufnahmen sowie eine wenigstens kurzfristig erfolgreiche Testinfiltration mit einem Lokalanästhetikum.

Technisch sind verschiedene Methoden beschrieben. Prinzipiell unterscheidet man die totale von einer partiellen Coccygektomie. Je nach Literatur sind beide gleich erfolgreich, wobei bei der partiellen Coccygektomie Rezidive beschrieben sind. Der Autor setzt das Steißbein immer an der instabilen Stelle ab, um möglichst wenig Kollateralschaden zu verursachen.

Die Coccygektomie wird üblicherweise über einen hinteren Mittellinienschnitt direkt über dem Steißbein, wie von Key 1937 beschrieben, durchgeführt [38]. Die Dissektion erfolgt durch Einschneiden der Bandscheibe cranial des instabilen Segmentes und ein knochennahes nach caudal gerichtetes Abpräparieren, um eine Verletzung der Rektumwand zu vermeiden. Idealerweise werden alle Segmente en-bloc herausgetrennt. Die cranio-caudale Vorgehensweise hat sich als sicherer herausgestellt als die Präparation von caudal nach cranial.

Um Wundheilungsstörungen zu minimieren, wurden in letzter Zeit unterschiedliche Möglichkeiten der Hautinzision veröffentlicht. Kulkarni et al. fügen dem Einschnitt eine Z-Plastik hinzu, um die auf den Einschnitt wirkenden Spannungen und Zentrifugalkräfte zu reduzieren und somit das Auftreten von Wundkomplikationen zu reduzieren [39]. Bei seiner Fallserie von 10 Patientinnen und Patienten (männlich 6) betrug das Durchschnittsalter 40,78 Jahre (19–55 Jahre). Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 1,75 Jahre. Alle Wunden heilten gut, ohne dass es zu Wunddehiszenzen oder Wundinfektionen kam. Die mittlere VAS (visuelle Analogskala) verbesserte sich von 7,33 ± 0,5 auf 2,11 ± 1,2 (P < 0,05). Neun Patientinnen und Patienten berichteten über hervorragende Ergebnisse und ein Patient über schlechte Ergebnisse in Bezug auf Schmerzlinderung.

Nagappa et al. haben einen curved-paramedian Schnitt verwendet, um damit die Rima ani zu schonen [40]. Das Durchschnittsalter dieser Population betrug 39 Jahre mit einer mittleren Dauer der Symptome vor der Operation von 7,4 Jahren. Der mittlere VAS-Schmerz verbesserte sich von 8 auf 2 (p < 0,001) und der Medianwert der Zufriedenheit der Patientinnen- und Patienten betrug 8 (von 10), was auf ein gutes bis ausgezeichnetes Ergebnis hindeutet. Es gab insgesamt 5 (11 %) Wundinfektionen bei 45 operierten Patientinnen und Patienten, von denen 2 eine chirurgische Revision brauchten, die anderen konnten mit Antibiotikagabe über 14 Tage behandelt werden.

Mulpuri et al. veröffentlichten vor kurzem eine paramediane Schnittführung bei dem bisher größten Patientinnen-/Patientenkollektiv mit insgesamt 173 Personen, welche von einem Operateur im Zeitraum von 2006–2019 operiert wurden (77 % Frauen, mittleres Alter = 46,56 Jahre, mittlere Nachbeobachtungszeit 5,58 Jahre) [41]. Die häufigsten Ursachen der Coccygodynie waren spontan oder unbekannt (42,2 %) oder Trauma (41 %). VAS-Schmerz und Patientinnen-/Patientenzufriedenheit verbesserten sich postoperativ signifikant. Höheres Alter, Wirbelsäulenvoroperationen und Frauen hatten schlechtere Ergebnisse. Es wurde keine Vorgeschichte einer Wirbelsäulenoperation (zervikal, thorakal oder lumbal) vor der Steißbeinentfernung gefunden, um verbesserte postoperative VAS-Rückenwerte vorherzusagen. Bei 16 Patientinnen und Patienten (9,25 %) wurden postoperative Infektionen an der Inzisionsstelle festgestellt, ohne dass sich die Langzeitergebnisse unterschieden (alle p < 0,05).

Der Autor verwendet einen Y-förmigen Schnitt, um zum einen die vulnerable Haut der Rima ani auszusparen und zum anderen die Scherkräfte beim Sitzen postoperativ besser zu verteilen (Abb. 3). Dabei kam es bisher bei 144 Patientinnen und Patienten in 9,8 % der Fälle zu einer verzögerten Wundheilung, bei einer Reoperationsrate von 6,9 %.

Auch eine aktuelle Metaanalyse von Sagoo bestätigt in insgesamt 21 Studien mit 826 Patientinnen und Patienten (Frauen = 75 %) die Wirksamkeit der Prozedur [42]. Die gepoolte mittlere Differenz der Schmerz-Scores vom Ausgangswert auf einer Skala von 0–10 betrug 5,03 bei einer Nachuntersuchung nach 6–12 Monaten (FU), 5,02 bei > 12–36 Monaten FU und 5,41 bei > 36 Monaten FU.

Als Alternativen zur herkömmlichen Technik veröffentlichten Manfre et al. in diesem Jahr die Technik der Coccygeoplastie [43]. Dabei wird eine Jamshidi-Nadel entlang der Mittellinie von der Höhe von S4 bis zum Steißbein platziert und dann unter Durchleuchtung beim Zurückziehen der Nadel Knochenzement appliziert.

Bei der Nachbeobachtung der 12 behandelten Patientinnen und Patienten nach 3 und 12 Monaten hatte die Mehrheit (75 %) signifikant niedrigere VAS-Werte, es kam zu keinem Wiederauftreten der Schmerzen. Bei einem Patienten trat keine Besserung ein.

Einen weiteren Ansatz für die Zukunft zeigten Roa et al. ebenfalls 2022, in dem sie einen Fall mit einer endoskopischen Entfernung des Steißbeins präsentierten [44].

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Achim Benditz, MHBA

KU Klinikum Fichtelgebirge

Schillerhain 1–8

95615 Marktredwitz

info@professor-benditz.de

CME-Fragen:

1. Welche Symptomatik wird am häufigsten von Patientinnen/Patienten mit Steißbein-Problemen geschildert?

Patientinnen/Patienten berichten über ...

Schmerzen, die in ein Bein ausstrahlen.

Schmerzen im Sitzen, die sich bei Lageänderung verstärken und auch um das Steißbein herum ausstrahlen können.

Schmerzen, die ausschließlich nachts im Liegen auftreten.

Schmerzen, die im ganzen Körper zu spüren sind.

Schwächegefühl in den Beinen.

2. Welche Aussage über die Anatomie des Steißbeins trifft zu?

Das Steißbein ...

besteht immer aus 1 Segment.

besteht immer aus 2 Segmenten.

bildet das dreieckige Ende der Wirbelsäule und besteht in der Regel aus 2–5 Segmenten.

bildet das viereckige Ende der Wirbelsäule und besteht nur aus 1 Segment.

liegt direkt an der Dura an.

3. Welche Aussage trifft zu?

Das Ganglion impar versorgt die Steißbeinregion nozizeptiv und sympathisch.

Dorsal des Steißbeins liegt das Ende der Cauda equina.

Ventral des Steißbeins liegt das Ende der Cauda equina.

Das Steißbein ist für den aufrechten Gang notwendig.

Das Steißbein ist in der Regel immer starr und unbeweglich.

4. Welche Aussage zur
Epidemiologie der
Coccygodynie ist richtig?

Kinder sind am häufigsten betroffen.

Männer sind fünfmal häufiger betroffen als Frauen, Kinder dagegen sehr selten.

Frauen, vor allem nach Schwangerschaften, sind fünfmal häufiger betroffen als Männer, Kinder dagegen sehr selten.

Frauen, vor allem nach Schwangerschaften, sind häufiger betroffen als Männer, Kinder sogar noch häufiger.

Kinder sind nie betroffen, dagegen Männer und Frauen gleich häufig.

5. Welche Beschwerdesymptomatik wird bei Coccygodynie eher selten beschrieben?

Scharfes Stechen in den unteren Steißbeinsegmenten

Schmerzen, insbesondere beim Sitzen auf ebenen und harten Oberflächen

Die Schwere der Schmerzen variiert.

Aktivitäten wie Stuhlgang und Geschlechtsverkehr können zu einer Verstärkung führen.

Schmerzen im Bereich der Facettengelenke der LWS

6. Welches klinisches Untersuchungsergebnis finden Sie typischerweise immer bei
einer Coccygodynie?

Typischer Druckschmerz direkt an der Steißbeinspitze

Offene Stelle über dem Steißbein

Öffnung eines Sinus pilonidalis

Prominenter Knochenwulst nach dorsal

Rötung und Schwellung im Schmerzgebiet

7. Welche Aussage bei einer Coccygodynie trifft zu?

Ein dorsaler Sporn kann entweder ein Auslöser oder eine Folge einer Coccygodynie sein.

Ein dorsaler Sporn tritt am Steißbein nie auf.

Ein dorsaler Sporn spielt bei der Coccygodynie keine Rolle.

Ein ventraler Sporn kommt häufiger als ein dorsaler Sporn vor.

Um einen dorsalen Sporn zu erkennen, ist eine Computertomografie obligat.

8. Welche Aufnahmen sollten der Goldstandard in der
Diagnosestellung der
Coccygodynie sein?

Konventionelles Röntgen;
2 Ebenen

Konventionelles Röntgen in
Seitlage

Konventionelles Röntgen; Funktionsaufnahmen seitlich stehend und sitzend

Computertomografie

MRT der LWS

9. Was zählt in der Regel nicht zu Therapiemaßnahmen
innerhalb der ersten
6 Monate nach Auftreten
einer Coccygodynie?

Entzündungshemmende Maßnahmen

Sitzkissen

Haltungstraining

Coccygektomie

Manuelle Therapie

10. Welche Aussage zur
Coccygektomie trifft zu?

Das Rektum kann bei der OP nicht verletzt werden.

Ein primärer Wundverschluss ist nicht möglich.

Es besteht am Tag nach der OP sofortige Schmerzfreiheit.

Stuhlinkontinenz ist fast immer die Folge der Operation.

Wundheilungsstörungen sind die häufigsten Komplikationen.

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