Übersichtsarbeiten - OUP 02/2014

Das Facettensyndrom
Grundlagen, OP-Technik und Ergebnisse der perkutanen FacettenkoagulationBasics, surgical technique and results of the percutaneous coagulation

J. Jerosch1

Zusammenfassung: In der vorliegenden Arbeit werden zunächst die diagnostischen Schwierigkeiten beim sogenannten Facettensyndrom dargestellt. Es wird auf die Möglichkeiten der Facetteninfiltration im Rahmen der diagnostischen Evaluation eingegangen. Die Optionen der perkutanen minimalinvasiven Therapie werden dargestellt und die realistischen Therapieergebnisse erläutert.

Schlüsselwörter: Facettengelenk, Diagnostik, minimalinvasive Therapie

 

Zitierweise

Jerosch J: Das Facettensyndrom.
OUP 2014; 2: 064–072. DOI 10.3238/oup.2014.0064–0072

Summary: The present publication presents the diagnostic difficulties of the facet-syndrome. The possibilities of the facet infiltration within the diagnostic process are described. We also demonstrate the technique of the minimal invasive percutaneous techniques as well as the realistic results.

Keywords: facet joint, diagnostic, minimal invasive treatment

 

Citation

Jerosch J: The facet-syndrome.
OUP 2014; 2: 064–072. DOI 10.3238/oup.2014.0064–0072

Diagnose des
Facettensyndroms

Bei der Diagnose „Facettensyndrom“ handelt es nur um die Feststellung der im Vordergrund des Krankheitsgeschehens stehenden Symptome, die durch Störungen im Bereich der Facettengelenke verursacht werden. Das zeigt, dass keine zuverlässigen klinischen Zeichen für die Diagnose des Facettensyndroms existieren [1–6].

Um die Diagnose des Facettensyndroms stellen zu können, müssen i.A. eine Reihe von Kriterien erfüllt sein. Hierzu gehören übertragene Schmerzen (pseudoradikuläre Schmerzen, referred pain), die von verschiedenen Autoren wie folgt beschrieben werden:

Nach Bernard und Kirkaldy-Willis [7] sind übertragene Schmerzen dumpf, bohrend, diffus, schlecht beschreibbar und schlecht lokalisierbar. Schulitz und Lenz [8] beschreiben den Schmerz als stechend, brennend, bohrend, in der Tiefe gelegen, mit schlechterer Lokalisierbarkeit als bei radikulären Beschwerden, zunehmend im Laufe des Tages, im Liegen in der Regel vollständig nachlassend. Lippitt [9] unterscheidet Symptome (Hüft- und Gesäßschmerzen, krampfartige Beinschmerzen, Steifheit der lumbalen Rückenpartie, besonders morgens oder bei Inaktivität, Fehlen von Parästhesien) und Befunde (lokaler, paralumbaler Druckschmerz, Tenderness, Schmerzen bei Wirbelsäulenüberstreckung, Hüft-, Gesäß- oder Rückenschmerzen bei Anheben des gestreckten Beins, Fehlen neurologischer Defizite, Fehlen radikulärer Zeichen, Sitzen wird kaum toleriert).

Die Schmerzausstrahlung verläuft posterolateral in den Oberschenkel oder bis zur Wade, selten bis zum Fuß [7, 10] und soll Sklerotomen oder Myotomen (schlecht lokalisierbar) folgen. Andere Autoren halten nur eine Schmerzausstrahlung bis zum Knie für typisch [8, 11, 12]. Da Schmerz und Schmerzempfindung ein großenteils erlernter Prozess ist [10], sind bei gleichartiger Affektion der Facettengelenke interindividuell erhebliche Unterschiede zu erwarten [13]. Weitere Einflüsse auf Schmerzempfindungen sind durch die Intensität des Stimulus gegeben, außerdem ist zu beachten, dass eine anatomische Struktur, welche bei Provokation eine bestimmte Schmerzlokalisation bietet, nicht notwendigerweise die einzige oder tatsächlich übliche Schmerzquelle sein muss [14].

Das Auftreten radikulärer Zeichen im Rahmen eines Facettensyndroms wird in der Literatur kontrovers gesehen. Sensible Störungen (radikuläres Zeichen) sollten bei Vorliegen eines Facettensyndroms selten erwartet werden [7], von anderen Autoren wurden sie nicht gefunden [8]. Motorische Schwäche (radikuläres Zeichen) wird häufiger festgestellt, doch muss kritisch geprüft werden, ob sie nicht eher als subjektive Schwäche wegen Schonhaltung zu interpretieren ist; objektiv sind Schwäche oder Atrophie selten [7]. Unilaterale Parästhesien sind häufig mit pseudoradikulären Symptomen assoziiert [12]. Bei hypertropher Facettenarthrose kann der Übergang vom reinen Facettensyndrom zur lateralen Wirbelkanalstenose mit entsprechender Nervenkompression jedoch fließend sein. Schmerzsteigerung durch Husten, Niesen oder Pressen (radikuläres Zeichen) wird von Ray [10] im akuten Stadium gelegentlich beobachtet. Ein Reflexdefizit (radikuläres Zeichen) wird selten [7, 15], von anderen Autoren nicht gefunden [8].

Anamnese und klinische
Untersuchung

Mit der Anamnese müssen vorausgegangene Rückenerkrankungen, hereditäre oder erworbene Wirbelsäulenerkrankungen und Auslösefaktoren (Verheben, langes Bücken etc.) erfasst werden. Besonders wichtig ist die Abklärung sozialer Konfliktsituationen (Arbeitsplatzsituation, Rentenansprüche o.Ä.). Da nach wie vor die Diagnose auf der Schmerzangabe des Patienten beruht und psychosomatische Bilder die Diagnose erheblich beeinflussen können, muss in der Anamnese bereits nach Hinweisen für eine mögliche psychogene Beteiligung gefahndet werden. Die psychosomatischen Aspekte haben gerade in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Wie bereits dargestellt, gibt es keine strenge diagnostische Möglichkeit, um das Facettensyndrom zu identifizieren [2, 6]. Zwar wird die Schmerzausstrahlung gelegentlich als Leitsymptom angesehen [8], aber dabei muss berücksichtigt werden, dass verschiedene ganz unterschiedliche Läsionen häufig gleiche Symptome haben [8, 14, 15].

Somit kommt der klinischen Untersuchung die bedeutende Funktion zu, sog. untypische Störungen („inappropriate signs“) und damit das Vorliegen psychosomatischer Krankheitsbeteiligung aufzudecken.

Bildgebende Verfahren

Röntgen: Die Röntgenaufnahme ist und bleibt das erste Glied in der diagnostischen Kette der bildgebenden Verfahren, obwohl es nicht spezifisch ist. Verschiedene ernsthafte Veränderungen lassen sich jedoch hierdurch schon erkennen (s. Abb. 1). An der degenerativen Wirbelsäule findet sich zwar eine Vielzahl von radiologischen Befunden; der Aussagewert bei der degenerativen Wirbelsäule ist bekanntermaßen jedoch nur sehr eingeschränkt.

Computertomografie: Die Computertomografie hat ihren Wert in der Feststellung anatomischer Veränderungen im Bereich des Bewegungssegments, wie z.B. Bandscheibenvorfall, Spinalstenose, Facettenasymmetrie und Facettenarthrose (s. Abb. 2).

Kernspintomografie: Durch den adjuvanten Einsatz von Kontrastmittel (Gadolinium-DPTA) kann man zusätzliche Aussagen über entzündliche Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke und deren angrenzende Strukturen erwarten. Hierdurch hat die Kernspintomografie einen besonderen Stellenwert in der Differenzialdiagnose unspezifischer Rückenschmerzen einnehmen können.

Facetteninfiltration unter BW-Kontrolle: Unter Bildwandlerkontrolle wird eine 22-G-Spinalnadel langsam bis zum unteren Rand eines Wirbelgelenks und dann durch die Gelenkkapsel vorgeschoben (Abb. 3). Falls beim Durchstechen der Gelenkkapsel Schmerzen auftreten, so sollten der Schmerzcharakter und die Schmerzausstrahlung dokumentiert werden. Anschließend werden je nach Autor zwischen 1,0 und 5,0 ml (!!) einer 1 %igen Lösung eines Lokalanästhetikums in den unteren Gelenkrecessus gespritzt. Die Menge des injizierten Lokalanästhetikums hat einen entscheidenden Einfluss auf die Selektivität der Methode. Bei Injektionsvolumina von 5 ml kann von einer selektiven Facetteninfiltration keine Rede mehr sein. Eine Kontrastmittelinjektion (Abb. 4) wird von manchen Autoren vor Gabe des Lokalanästhetikums zur Verifizierung einer intraartikulären Nadelposition injiziert, gehört jedoch nicht zum Routineprogramm.

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