Übersichtsarbeiten - OUP 06/2013

Der chronische Leistenschmerz des Sportlers

J. Krüger1

Zusammenfassung: Patienten mit chronischen Leistenschmerzen gehören zum Alltag einer sportmedizinischen Praxis. Hinter dem Symptom des Leistenschmerzes verbergen sich ganz unterschiedlich zu behandelnde Erkrankungen.
Immer wieder als myogene oder fasziale Verletzung oder Überlastung fehlgedeutet, ist der Leistenschmerz häufig die Ursache für lange Ausfallzeiten der Sportler. Eine erfolgreiche Therapie des Leistenschmerzes basiert auf einer profunden Diagnostik.

Die Arbeit gibt einen Überblick über die wichtigsten sportmedizinisch relevanten Ursachen des Leistenschmerzes, ihre Diagnostik und Therapie.

Schlüsselwörter: chronischer Leistenschmerz, Entrapment,
Ostitis pubis, Insertionstendopathie, Impingement

 

Zitierweise

Krüger J: Der chronische Leistenschmerz des Sportlers. OUP 2013; 6: 288–295. DOI 10.3238/oup.2013.0288–0295

Summary: Patients with chronic groin pain are an integral part of the daily routine in sports surgery. Various causes can account for “groin pain“ as a symptom, each requiring different treatment. Often misdiagnosed as muscular strain or fascial injury, chronic groin pain can lead to a prolonged interruption period of sport activity. Therefore, the successful therapy of groin pain requires detailed diagnostic work-up. This article provides a review of the most relevant causes of groin pain in sports medicine as well as their diagnostics and treatment.

Keywords: chronic groin pain, entrapment, osteitis pubis,
insertional tendinopathy, impingement

 

Citation

Krüger J: Chronic groin pain in athletes. OUP 2013; 6: 288–295. DOI 10.3238/oup.2013.0288–0295

Einleitung

Der chronische Leistenschmerz des Sportlers gehört noch immer zu den
diagnostischen Herausforderungen in der sportmedizinischen Praxis.

Dies liegt:

  • 1. an der engen räumlichen Nachbarschaft der Leiste zum Schambein, zum Hüftgelenk und zu den großen Muskelgruppen der vorderen Bauchdecke und des Oberschenkels,
  • 2. an der komplexen Anatomie der Leistenregion, in der verschiedene anatomische Strukturen kreuzen, die für sich allein oder im Zusammenspiel mit anderen Erkrankungen den Leistenschmerz auslösen können.

Etymologisch beschreibt der Begriff der Leiste eine Grenze. Dabei markiert eine Grenze immer einen Bereich, in dem eine definierte Qualität in eine andere übergeht. Die Leiste stellt in zweierlei Hinsicht eine solche Grenze dar.

Zum einen ist sie eine kraniokaudale Grenzregion zwischen dem Rumpf und der unteren Extremität. In diesem Raum verbinden sich muskuläre Strukturen (schräge Bauchmuskulatur, Adduktorenmuskulatur) mit faszialen Bandstrukturen, aber auch mit knöchernen Strukturen wie dem Schambein und dem Hüftgelenk. Im Alltag, jedoch besonders unter sportlicher Belastung, wird diese Region einer hohen dynamischen Belastung ausgesetzt. Rotation und Zugkräfte sind hier vorherrschend.

Zum anderen ist die Leiste eine antero-dorsale Grenzregion zwischen den Schichten der Bauchdecke und dem Bauchraum bzw. dem Retroperitonealraum. Die im Bauchraum auftretenden hohen Druckkräfte werden von den faszialen und muskulären Strukturen der Bauchdecke aufgenommen. Diese Kräfte wirken direkt auf die Leistenregion, aber auch auf die durch diese Region hindurchziehenden nervalen Strukturen. Sie können so Verletzungen und chronische Überlastungen der Bauchdecke auslösen.

Andererseits können Erkrankungen der benachbarten Regionen schmerzhaft in die Leiste ausstrahlen und einen lang anhaltenden Leistenschmerz verursachen. Bestehen die Schmerzen in der Leistenregion länger als 3 Monate, so spricht man von einem chronischen Leistenschmerz.

Der Grund für die Schwierigkeiten, den Leistenschmerz klinisch richtig einzuordnen, liegt zum einen in der Leistenanatomie begründet und zum anderen in der Vielzahl der möglichen und vom Arzt zu bedenkenden Differenzialdiagnosen. Das Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über die Ursachen des Leistenschmerzes zu geben (Tab. 1) und häufige Erkrankungen vorzustellen.

Aufbauend auf den geschilderten Pathologien wird versucht, einen Handlungsalgorithmus zu entwerfen, der es dem sportmedizinisch tätigen Kollegen erlaubt, in der täglichen Praxis gezielt, d.h. effektiv und erfolgreich vorgehen zu können.

Die Häufigkeit des Leistenschmerzes beim Sportler ist gut untersucht. Überdurchschnittlich häufig sind von dem Symptom des Leistenschmerzes Fußballspieler betroffen. Laut Lovell [17] findet sich bei 25 % der aktiven Fußballspieler ein Leistenschmerz, während Hölmich [11] die jährliche Inzidenz mit etwa 10–18 % angibt.

Wie oft sich allerdings hinter einem Leistenschmerz eine originäre Leistenpathologie verbirgt, die diesen Leistenschmerz auch auslöst, ist dagegen höchst umstritten. Die Angaben schwanken hier erheblich zwischen Hölmich [11], der in seinen Untersuchungen zum adduktorassoziierten Leistenschmerz von etwa 2 % tatsächlicher Leistenveränderungen ausgeht, und der Arbeitsgruppe um Muschaweck [21], die bei den von ihr behandelten Patienten ausschließlich Leistenpathologien fand.

Aufklärung darüber, mit wie vielen Leistenpathologien tatsächlich in der täglichen Praxis zu rechnen ist, gibt eine Arbeit der Arbeitsgruppe von Larson [15], die dieser Fragestellung auf sehr überzeugende Weise nachging. Im Ergebnis dieser Untersuchungen muss man bei einem Drittel der Sportler, die über Leistenschmerzen klagen, von einer direkten oder einer den Schmerz unterhaltenden Leistenpathologie ausgehen.

Der Übersicht halber sollten Erkrankungen, die direkt die Leistenregion betreffen, von extrainguinalen Erkrankungen getrennt werden.

Zu den inguinalen Ursachen des Leistenschmerzes zählen

  • 1. die Leistenhernie,
  • 2. die sog. Sportlerleiste und
  • 3. die Nervenkompressionssyndrome der Leiste.

Zu den extrainguinalen Ursachen gehören

  • 1. die leistennahen Muskelverletzungen,
  • 2. die Insertionstendinosen der Muskulatur,
  • 3. Hüfterkrankungen und
  • 4. die Veränderungen der Lendenwirbelsäule.

Inguinale Ursachen des chronischen Leistenschmerzes

Die Leistenhernie und
die Sportlerleiste

Der Leistenbruch gehört zu den Erkrankungen der Leistenregion, die sich durch eine häufig sichtbare, aber auch palpable Schwellung am äußeren Leistenring diagnostizieren lassen. Definiert ist der Leistenbruch als strukturelle Störung am inneren Leistenring (laterale Leistenhernie) bzw. als Defekt mit oder ohne sackartige Ausdünnung der die Hinterwand des Leistenkanals bildenden Faszia transversalis (mediale Leistenhernie).

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