Übersichtsarbeiten - OUP 06/2013

Der chronische Leistenschmerz des Sportlers

Leistenbrüche sind beim Mann häufiger als bei der Frau. Im schwedischen Hernienregister [27] finden sich für den Zeitraum zwischen 1992 und 2006 Angaben zur Häufigkeit der verschiedenen Bruchformen. Bei Männern traten 54 % laterale Hernien, 36 % mediale Hernien und 8 % kombinierte Leistenhernien auf. Eine Schenkelhernie stellte mit 1 % eine Rarität dar. Bei den Frauen kamen 48 % laterale Hernien, 21 % mediale Hernien, 25 % Schenkelhernien und 3 % kombinierte Hernien vor. Leistenschmerzen mit Ausstrahlung in die Adduktoren sollten bei einer Frau immer auch an eine Schenkelhernie als Ursache denken lassen.

Als Grenzbefund im eigentlichen Sinn muss die sog. weiche Leiste oder Sportlerleiste betrachtet werden. Hierbei beschreibt der Begriff der „weichen Leiste“ eine beginnende Ausdünnung und Vorwölbung der Hinterwand des Leistenkanals (Faszia transversalis) gegen die Strukturen im Leistenkanal (Samenstrang und Nerven). Über eine belastungsabhängige Druckschädigung der faszialen Strukturen und der die Leistenregion passierenden Nerven (N. ilioinguinalis, N. iliohypogastricus, R. genitalis des N. genitofemoralis) kann ein Leistenschmerz ausgelöst werden. Es besteht dabei ein fließender Übergang zwischen der einen Schmerz auslösenden „weichen Leiste“ und den Nervenkompressionssyndromen der Leiste. Ausstrahlungen der Schmerzen in den Hoden, den Unterbauch und die Adduktorenregion sind möglich und stellen klinisch wichtige Symptome dar.

Eine weitere, nur schwer zu diagnostizierende Pathologie der Leistenregion ist die Gilmore-Hernie [9]. Bei der Gilmore-Hernie handelt es sich im Gegensatz zur Ausdünnung der Faszia transversalis (weiche Leiste) um eine fasziale Ausdünnung der Externusaponeurose lateral des äußeren Leistenrings. Diese Ausdünnung kann zu einer Druckschädigung des unter der Faszie verlaufenden N. ilioinguinalis führen.

Die klinische Untersuchung der „weichen Leiste“ und der Gilmore-Hernie beschränkt sich auf die Inspektion der Leistenregion und die Palpation des äußeren Leistenrings von skrotal. Eine „weiche Leiste“ ist palpatorisch nur unsicher zu diagnostizieren. Eine Gilmore-Hernie kann lediglich vermutet werden, wenn ein weiter und schlaffer äußerer Leistenring ertastet wurde.

Valide ist die palpatorische Untersuchung für diese beiden frühen Leistenveränderungen nicht. Obligat ist deshalb die zusätzliche sonografische Untersuchung der Leistenregion. Sie erlaubt beim Vorliegen eines Leistenbruchs dessen Differenzierung in einen medialen oder lateralen Bruch und die zusätzliche Abgrenzung von differenzialdiagnostisch wichtigen Erkrankungen, wie Lymphknotenschwellungen und Schenkelhernien. Mit der Sonografie kann, eine entsprechende Erfahrung des Untersuchers vorausgesetzt, auch die frühe Pathologie der Faszia transversalis und damit die „weiche Leiste“ dargestellt werden.

Im Valsalva-Pressversuch beim auf dem Rücken liegenden Patienten zeigt sich in der Sonografie eine deutliche Vorwölbung der Faszia transversalis gegen den Samenstrang. Kommt es zu einer Vorwölbung der Faszia transversalis von mehr als 3 mm, so sprechen wir in unserer Praxis von einer „weichen Leiste“. Wölbt sich die Faszia transversalis mehr als 10 mm nach ventral, liegt für uns eine mediale Leistenhernie vor.

Die sonografische Darstellung einer Gilmore-Hernie ist äußerst unsicher.

Die Behandlung der Leistenbrüche, aber auch der schmerzhaften „weichen Leiste“ und der Gilmore-Hernie beim Sportler erfolgt operativ. Neben den
minimalinvasiven Operationstechniken (MIC) kommen auch die offenen Operationstechniken nach Shouldice oder Lichtenstein zur Anwendung. Die in der Literatur publizierten Ergebnisse sind durchweg gut [20]. Der Schlüssel für den Erfolg der operativen Therapie ist eine strenge Patientenselektion.

Besteht der Verdacht auf eine begleitende neurogene Reizung, ist aus unserer Sicht die operative Versorgung mit einer offenen Operationstechnik der MIC-Technik vorzuziehen.

Mit den offenen Operationstechniken kann problemlos eine Neurolyse oder die Neurektomie der betroffenen Leistennerven durchgeführt werden.

Leistenoperationen, ob minimalinvasiv oder offen ausgeführt, bergen die nicht unerhebliche Gefahr von chronischen postoperativen Leistenschmerzen [1, 16].

Dieser postoperativ anhaltende Schmerz unterscheidet sich qualitativ von den präoperativen Beschwerden des Patienten. Die Ursachen für diesen Schmerz sind bisher nicht endgültig geklärt. Infrage kommen Irritationen der Leistennerven durch die implantierten Netze, Verletzungen der Leistennerven und Verwachsungen (sog. Meshome). Dieser postoperative Schmerz ist nur schwer behandelbar.

Nach minimalinvasiven Operationen [3] ist eine kausale Therapie besonders schwierig, da die präperitoneal eingelegten Kunststoffnetze den N. genitofemoralis weit zentral reizen und er hier für eine Neurektomie nur schwer erreichbar ist. Lediglich eine operativ sehr aufwendige Denervation des N. genitofemoralis retroperitoneal auf dem M. iliopsoas, die von der Arbeitsgruppe um Amid [3] beschrieben wurde, scheint einen Therapieansatz darzustellen.

Nach offenen Leistenoperationen sinkt das Risiko chronischer postoperativer Schmerzen, wenn konsequent eine Neurektomie [26] durchgeführt wird.

Nervenkompressionssyndrome der Leiste

Die Entrapment-Syndrome der Leistennerven sind eine seltene, aber wichtige Ursache für einen chronischen Leistenschmerz [18]. Bei den dabei betroffenen Nerven handelt es sich um den aus der ventralen Wurzel L1/2 abgehenden N. iliohypogastricus, den N. ilioinguinalis und den N. genitofemoralis. Im erweiterten Sinne muss der N. obturatorius
als gemischter sensorisch-motorischer Nerv ergänzend erwähnt werden, da er – wenn auch selten – einen chronischen, adduktorenassoziierten Leistenschmerz verursachen kann [4].

Für die 3 erstgenannten Nerven ist die Diagnostik besonders schwierig, da ihr Verlauf variabel ist und sich ihr sensibles Innervationsgebiet im Bereich der Leiste oftmals überlappt. Typische neurologische Symptome, wie muskuläre Ausfälle oder Reflexstörungen können nicht erwartet werden. Sind diese Nerven distal der Spina iliaca anterior superior geschädigt, führt dies zu einem Leistenschmerz, verbunden mit Hypästhesie, Hyperästhesie oder Allodynie. Eine weiter zentral gelegene Schädigung der Leistennerven kann einen Spannungsverlust der seitlichen Bauchdeckenmuskulatur verursachen. Sie zeigt sich klinisch in einer muskulären Schwäche der schrägen Bauchmuskulatur mit sichtbarer, asymmetrischer Vorwölbung der Bauchdecke beim stehenden Patienten.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6