Übersichtsarbeiten - OUP 06/2013

Der chronische Leistenschmerz des Sportlers

Als Ursachen einer Nervenirritation kommen infrage

  • 1. temporäre Drucksteigerungen in der Leistenregion,
  • 2. postoperative Verletzungen (nach Appendektomie, Hernioplastik, Hysterektomie),
  • 3. direkte Traumen der lateralen Bauchdecke mit einer Einblutung in die Muskulatur und
  • 4. eine Muskelhypertrophie der schrägen Bauchmuskulatur durch exzessives Training.

Der klinische Nachweis einer Nervenirritation gelingt am sichersten durch eine therapeutische Lokalanästhesie mit einem kurz wirksamen Lokalanästhetikum, das – an den peripheren Nerven injiziert – die Schmerzsensation beenden sollte. Neurologische Untersuchungen, wie die Elektromyografie (EMG) sind von geringerem Wert in der Diagnostik eines Entrapment-Syndroms der Leistennerven [13, 24]. Wurde eine Nervenirritation nachgewiesen und ließ sie sich nicht durch wiederholte Injektionen mit einem Lokalanästhetikum mit oder ohne Zusatz eines Kortikosteroids anhaltend beseitigen, ist die Indikation zur operativen Neurolyse bzw. zur Neurektomie gegeben. Neurolysen der Leistennerven bergen die Gefahr erneuter Verwachsungen. Die Neurektomie führt lediglich zu sensiblen Ausfällen, die von den Patienten gut toleriert werden. Ein gutes Ansprechen des Patienten auf die Neuraltherapie verbessert das postoperative Ergebnis nach einer operativen Neurektomie der Leistennerven [24].

Einengungen der Endäste des N. obturatorius am proximalen Oberschenkel wurden in der Literatur immer wieder beschrieben [4, 18]. Eine motorische Schwäche der Adduktorenmuskulatur und begleitende Sensibilitätsstörungen der Haut des Oberschenkels sind mögliche Symptome eines N. obturatorius-Entrapment-Syndroms. Ursachen können auch hier direkte Traumen mit Blutungen in die Muskulatur, eine Muskelhypertrophie, aber auch Narbenbildungen nach Beckenverletzungen und selten einmal Tumoren sein.

Diagnostisch gelingt der Nachweis eines Entrapment-Sydroms des N. obturatorius im EMG oder durch die Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG). Auch eine diagnostische Blockade des N. obturatorius zwischen dem M. pectineus und dem M. adductor longus ist möglich.

Die Therapie des N. obturatorius Kompressions-Syndroms besteht in der Spaltung des vor dem anterioren Ast des N. obturatorius verlaufenden faszialen Bändchens [4, 18].

Extrainguinale Ursachen des chronischen Leistenschmerzes

Muskelverletzungen

31 % aller Verletzungen im Fußball betreffen die Muskulatur [8]. Die Adduktorenmuskulatur ist mit 23 % [8] bis 56 % [10] betroffen. Sind Verletzungen der am Os pubis ansetzenden Adduktorenmuskulatur für einen chronischen Leistenschmerz verantwortlich, so handelt es sich um länger zurückliegende Verletzungen des M. adductor longus und des M. adductor brevis. Periphere Verletzungen der Adduktorenmuskulatur verursachen keinen Leistenschmerz. Er findet sich aber regelmäßig bei partiellen oder kompletten Verletzungen des sehnigen Ansatzes des M. adductor longus und knochennahen Verletzungen des M. adductor brevis.

Klinisch fallen die Patienten durch einen anhaltenden Kraftverlust und eine Funktionsschwäche der betroffenen Adduktorenmuskulatur auf. Schwellungen am knöchernen Ansatz und ein erheblicher Druckschmerz sind für die Diagnose wegweisend. Die sonografische Untersuchung der Oberschenkelmuskulatur und die ergänzende Magnetresonanztomografie (MRT) zeigen die Verletzung.

Frische Verletzungen der Sehne des M. adductor longus können refixiert werden. Die Refixation der Sehne des M. adductor longus ist wegen der begleitenden Retraktion bei einer älteren Verletzung nicht mehr möglich.

Im Verlauf der zunächst häufig konservativen Behandlung dieser Verletzung kann es zur Ausbildung einer zirkumskripten fokalen Myositis ossificans kommen. Finden sich nach einer knochennahen Verletzung der Adduktoren eingerollte Sehnenreste, oder ist es zu einer störenden Knochenneubildung im proximalen Anteil der Sehne gekommen, dann sollte eine operative Freilegung erwogen werden. Die Sehnenreste werden bei diesem Eingriff reseziert. Vor einem operativen Eingriff sollte eine bestehende entzündliche Aktivität der Verletzung im Blutbild und durch eine Szintigrafie ausgeschlossen werden.

Die Gefahr der erneuten Entwicklung einer postoperativen Myositis ossificans darf nicht unterschätzt werden.

Insertionstendinosen

An der Entwicklung eines chronischen Leistenschmerzes sind sehr häufig Reizungen der am Os pubis ansetzenden Muskulatur beteiligt. Hierzu zählen die Insertionstendinosen des M. rectus abdominis und des M. adductor longus und des M. gracilis.

Für die Entwicklung des Leistenschmerzes ist die anatomische Verbindung zwischen der geraden Bauchmuskulatur und der Adduktorenmuskulatur verantwortlich. Die sehnigen Ansätze des M. rectus abdominis strahlen ventral am Os pubis ein und bilden hier eine feste Aponeurose auf der Vorderseite des Knochens. Aus dieser aponeurotischen Platte entspringt der M. adductor longus, sodass von einer engen funktionellen Verbindung zwischen diesen beiden Muskelgruppen ausgegangen werden muss.

Die von diesen Muskeln gebildete Aponeurose ist zusätzlich mit der Schambeinfuge und den kaudalen Strukturen der Leiste verbunden (Ligamentum reflexum, Ligamentum inguinale, Externusaponeurose, Faszia transversalis).

Verletzungen und chronische Überlastungen im Ansatzbereich der Muskulatur können über diese ligamentären Verbindungen hartnäckige Leistenschmerzen auslösen. Neben der klinisch auffälligen schmerzhaften Schwäche der betroffenen Muskulatur, die mit den gängigen Tests (Sit-up-Test, Single-Adductor-Test und Squeeze-Test) nachgewiesen werden [28], sind die muskulären Ansätze am Os pubis palpatorisch schmerzhaft. Während der aufmerksamen Untersuchung des Patienten werden immer wieder Triggerpunkte in der Muskulatur und Tenderpunkte in den Sehnen gefunden.

Die bildgebende Diagnostik dieser chronischen Ansatzentzündungen ist schwierig. Im Röntgenbild sind gelegentlich erosive Veränderungen am Os pubis zu sehen. Die Darstellung echoarmer Areale im Ultraschall gilt als Hinweis für eine Entzündung am Ansatz des M. rectus abdominis, des M. adductor longus und des M. gracilis. Erfahrungsgemäß ist die sonografische Untersuchung durch die Nähe zu den knöchernen Strukturen des Beckens und dem daraus resultierenden Auslöschungsphänomen äußerst schwierig. Selten einmal gelingt der Nachweis eines kleinen knöchernen Dissektats als echoreiche Struktur mit dorsaler Auslöschung, getrennt von den Strukturen des Schambeins.

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