Übersichtsarbeiten - OUP 11/2016

Der Pararectus-Zugang – Innovation in der Azetabulumchirurgie

Der Pararectus-Zugang ermöglicht eine exzellente Exposition der Vorderwand, des vorderen Pfeilers und der quadrilateralen Fläche. Limiten sind gesetzt bei hohen Vorderpfeilerfrakturen. Bei solchen Frakturen muss das erste Fenster lateral des Musculus iliopsoas über den Pararectus-Zugang oder durch eine kleine Miniinzision am Beckenkamm dargestellt werden. Mittels Faraboeuf-Zange erfolgt die Innenrotation der Beckenschaufel zur Reposition des vorderen Pfeilers. Vor allem bei adipösen Patienten ist eine Zusatzinzision am Beckenkamm nötig, allenfalls als iliofemoraler Zugang wie es Sagi beim Stoppa-Zugang beschrieben hat [18, 19]. Für die Fixation der Platte dorsal oder die Platzierung einer Hinterpfeilerschraube ist jedoch eine Zusatzinzision im Gegensatz bei der Anwendung des Stoppa-Zugangs nicht nötig [20]. Ebenfalls ermöglich der Zugang eine exzellente Sicht und Präparationsrichtung für die Deimpaktion des Domfragments, sei es durch die dislozierte quadrilaterale Fläche oder über eine zusätzliche kleine Fenestrierung mittels Osteotom an der Linea terminalis. Durch dieses Loch kann nach Reposition des Domfragments unter Durchleuchtungskontrolle der entstandene Defekt mit Allograft-Knochen aufgefüllt werden analog zum Beispiel zu Schienbeinkopffrakturen. Zudem kann eine Dachbalkenschraube durch die mediale Platte erfolgen.

Durch Präparation weiter nach dorsal kann zusätzlich der gesamte anteriore Anteil des Iliosakralgelenks dargestellt werden [20]. Dies ist vor allem hilfreich bei Azetabulumfrakturen mit gleichzeitigen Dislokationen im Iliosakralgelenk, um eine anatomische Reposition und Fixation zu gewährleisten. Dabei müssen ventral zum Iliosakralgelenk die iliolumbalen Gefäße ligiert werden, um größere Blutverluste zu verhindern. In der eigenen Serie des Pararectus-Zugangs zeigte sich infolge Verletzungen dieser Gefäße, aber auch aufgrund der Lernkurve und der Dislokation der quadrilateralen Fläche, ein Blutverlust von ca. 1,5 l [21]. Durch Ligation dieser Gefäße konnte der Blutverlust nun auf ca. 800 ml gesenkt werden (Daten nicht publiziert). Die Adressierung dieser Gefäße scheint von Bedeutung zu sein, wie auch Daten der Arbeitsgruppe von Berlin mit einem Blutverlust von über 2 l aufzeigen, bei einem Blutverlust von 1,8 l beim ilioinguinalen Zugang [22].

Der Pararectus-Zugang ermöglicht auch in Kombination mit der simultanen chirurgischen Hüftluxation in Halbseitenlage als sog. „Floppy“-Lagerung die anatomische Rekonstruktion von komplexen Zweipfeiler- oder T-förmigen Azetabulumfrakturen, die früher über einen ausgedehnten iliofemoralen Zugang mit hoher Versager- und Komplikationsrate versorgt wurden [6, 17]. Mittelfristige klinische Resultate nach Einsatz dieser Kombinationszugänge fehlen jedoch noch.

Einen Vorteil hat der Pararectus-Zugang auch bei Patienten mit Leistenhernie oder bei solchen, wo bereits ein präperitoneales Netz zu einem früheren Zeitpunkt eingesetzt wurde. Dies konnten wir bei 15 % der Patienten beobachten [21]. Die Präparation erfolgt von kranial nach kaudal und das Netz muss nur über eine kurze Länge eingeschnitten werden, ohne dass im Gegensatz zum ilioinguinalen Zugang schwierige Vernarbungen gelöst werden müssen.

Klinische und radiologische

Resultate

In der publizierten Serie von 48 Frakturen konnte eine anatomische Rekonstruktion mit einer stufenfreien (< 1 mm) Reposition in der CT-Untersuchung in 94 % erreicht werden, was höher ist als in den publizierten Serien nach ilioinguinalen (43–78 %) oder modifizierten Stoppa-Zugängen (52–83 %) [21]. Es muss zudem festgehalten werden, dass das Durchschnittsalter in den meisten Serien ? 20 Jahre tiefer lag und die Beurteilung der Reposition nur anhand von postoperativen konventionellen Röntgenbildern erfolgte. Klinisch wurden innerhalb der ersten 2 Jahre ei n Versagen mit Implantation einer Hüfttotalprothese in 13 % beobachtet. Die restlichen 33 Patienten der 38 nachuntersuchten Patienten zeigten nach 2 Jahren (Nachuntersuchungsrate: 79 %) klinisch in 39 % exzellente und in 61 % gute funktionelle Resultate [21].

Zusammenfassend kann heute von vielversprechenden Resultaten nach Pararectus-Zugang auch bei der Versorgung von Azetabulumfrakturen beim alten Patienten gesprochen werden. Interessant scheint der Zugang auch für die Versorgung von akuten (periprothetischen Frakturen) oder chronischen Beckendiskontinuitäten nach Hüfttotalprothesen zu sein. Laufende klinische Studien sollten in den nächsten Jahren entsprechende Daten liefern.

Teil II von
Andreas Thannheimer:

Aus der Sicht des ersten
internationalen Schülers

Anmerkungen des Schülers

Ein häufiger Kritikpunkt bei Innovationen in den chirurgischen Disziplinen ist die fehlende Übertragbarkeit der meist guten Ergebnisse des Erstbeschreibers auf eine größere Anzahl von Anwendern. Dies kann anhand der eigenen Erfahrungen bei dieser Methode widerlegt werden. Die Technik ist leicht zu erlernen – soweit eine Basisausbildung auch für allgemeinchirurgische Techniken vorliegt. Daher hat sich der Zugang sehr schnell zum Standard an der eigenen und mehreren anderen unfallchirurgischen Kliniken in Deutschland entwickelt.

Die Gründe für die Einführung liegen neben dem einfachen Erlernen der Technik in den Möglichkeiten der Darstellung, Übersicht und Reposition. Bewährt hat sich die Zugangstechnik in unseren Händen speziell bei der Behandlung von Destruktionen des vorderen Pfeilers oder zentraler Gelenkanteile bei den zunehmend älteren Patienten, aber auch bei der Versorgung ausgedehnter Fraktursituationen bei jüngeren Patienten.

Technische Aspekte

Erheblich vorteilhaft zeigt sich insbesondere die direkt der Dislokationsrichtung entgegenwirkende Repositionsmöglichkeit. Während beim ilioinguinalen Zugang vorwiegend durch Zug und Kompression gearbeitet wird, kann hier durch den von medial kommenden, zwischen Peritoneum und lateraler Bauchmuskulatur gelegenen Zugang unter Sicht direkt den nach zentral gerichteten Frakturkräften entgegengewirkt werden. Dies erleichtert die Reposition erheblich und führt zu einer verbesserten Repositionsqualität mit über 90 % stufenfreien Repositionsergebnissen. Zudem ist von medial her oft die direkte Sicht in den Gelenkspalt möglich. Hierdurch können freie Gelenkkörper entfernt, der Knorpelüberzug des Hüftkopfs beurteilt und impaktierte Domfragmente unter Sicht gehoben und anatomisch reponiert werden (Abb. 5). Um der Dislokationsrichtung dauerhaft entgegenzuwirken, ist entsprechend auch eine Plattenpositionierung medial möglich (Abb. 5), was die Stabilität der Osteosynthese nach biomechanischen Gesichtspunkten verbessert. Gezielte biomechanische Untersuchungen hierzu sind im Gange. Selbst bei adipösen Patienten bieten sich noch gewisse Vorteile wie die Repositionskontrolle von medial. Die Übersicht ist wie bei den Zugangsalternativen eingeschränkt und es gelingt meist keine Plattenpositionierung medial.

Besondere Indikationen

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4