Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024

Diagnostik und Klassifikation der HKB-Ruptur
Wann konservativ und wann operativ?

Johannes Zellner, Dustin Franke, Peter Angele

Zusammenfassung:
Rupturen des hinteren Kreuzbands (HKB) stellen eine schwere Verletzung des Kniegelenks dar. Da sie zu einer erheblichen Instabilität des Kniegelenks mit deutlicher Funktionseinschränkung führen können, müssen sie frühzeitig erkannt werden, um die optimale Therapie einleiten zu können. Dieser Artikel gibt eine Übersicht über die klinische und radiologische Diagnostik einer HKB-Verletzung und die sich daraus ergebenden therapeutischen Möglichkeiten. Frische isolierte HKB-Rupturen können konservativ behandelt werden, wohingegen Kombinationsverletzungen zusammen mit posteromedialen bzw. posterolateralen Instabilitäten oder chronische Verletzungen operativ therapiert werden sollten.

Schlüsselwörter:
Hinteres Kreuzband, HKB-Verletzung, gehaltene Aufnahmen, HKB-Ersatzplastik, posteromediale
Instabilität, posterolaterale Instabilität

Zitierweise:
Zellner J, Franke D, Angele P: Diagnostik und Klassifikation der HKB-Ruptur. Wann konservativ und wann operativ?
OUP 2024; 13: 278?283
DOI 10.53180/oup.2024.0278-0283

Summary: Ruptures of the posterior cruciate ligament (PCL) are severe injuries of the knee. As they may cause an instability of the knee with a significant loss of function, they have to be detected at an early stage to initiate the optimal therapy. This article gives an overview about essential clinical and radiological diagnostic tools and the different treatment options. Acute isolated PCL injuries can be treated conservatively whereas PCL lesions in combination with instabilities of the posteromedial and/or the posterolateral corner or chronic injuries should be treated operatively.

Keywords: Posterior cruciate ligament, PCL rupture, stress x-ray, PCL reconstruction, posteromedial instability, posterolateral instability

Citation: Zellner J, Franke D, Angele P: Diagnostics and classification of PCL ruptures. When should they be treated conservatively or operatively?
OUP 2024; 13: 278?283. DOI 10.53180/oup.2024.0278-0283.

J. Zellner, D. Franke: Sporthopaedicum Regensburg

P. Angele: Sporthopaedicum Regensburg & Universitätsklinikum Regensburg, Klinik für Unfall- Hand und Wiederherstellungschirurgie

Einführung

Verletzungen des hinteren Kreuzbands (HKB) isoliert oder in Kombination mit anderen Instabilitäten z.B. posteromedial oder posterolateral kommen im Gegensatz zur vorderen Kreuzbandverletzung seltener vor, werden jedoch leider auch relativ häufig übersehen. Die Prävalenz einer HKB-Verletzung liegt bei 2:100000 pro Jahr, wobei isolierte Verletzungen lediglich bei einem Drittel der Patientinnen und Patienten vorliegen, hingegen Kombinationsverletzungen mit zusätzlichen peripheren Instabilitäten den Hauptanteil ausmachen [1].

Das HKB ist der Hauptstabilisator des Kniegelenks, vor allem in der posterioren tibialen Translation und wirkt so gegen eine hintere Schublade. Von vorne betrachtet, weist es femoral eine breite Insertion von 9 Uhr (links) bzw. 3 Uhr (rechts) bis jeweils 12 Uhr auf. Tibial setzt das Band relativ zentral in der Fossa intercondylaris am posterioren Aspekt der Tibia mit Übergängen in das Periost an. Das Band kann in ein kräftigeres anterolaterales Bündel und ein posteromediales Bündel unterteilt werden. Zusätzlich entspringen vom Außenmeniskushinterhorn ein anteriores (Humphrey) und ein posteriores (Wrisberg) meniskofemorales Ligament. Diese zeigen jeweils bis zum femoralen Ansatz der HKB.

Das HKB ist keine isometrische Struktur, da das posteromediale Bündel in Extension gespannt ist, sich im Laufe der Flexion entspannt und erst in tiefen Beugegraden wieder auf Spannung kommt. Das anterolaterale Bündel ist hingegen strecknah entspannt und nimmt im Laufe der Flexion Spannung auf und ist somit in zunehmender Flexion der Hauptstabilisator gegen die posteriore Translation [2].

Im Gegensatz zum VKB besitzt das HKB eine bessere synoviale Ummantelung und eine vermehrte Durchblutung, was als Grund für das verbesserte Regenerationspotential herangeführt werden kann.

Der typische Verletzungsmechanismus ist eine von vorne nach posterior einwirkende Kraft bei meist flektiertem Kniegelenk, wie es z.B. bei einem Verkehrsunfall im Rahmen einer Dashboard Injury beim Aufprall des Kniegelenks gegen das Armaturenbrett vorkommt. Dies ist auch der Grund, warum HKB-Verletzungen zusammen mit Tibiakopffrakturen, Patellafrakturen und dorsalen Acetabulumfrakturen vorkommen können. Noch häufiger kommen HKB-Rupturen jedoch bei Sporttraumata bei Kontaktsportarten vor. Beim Fußball scheint vor allem der Torwart gefährdet zu sein.

Bei der klinischen Evaluation ist auf Kontusionsmarken im Bereich der Patella und der proximalen Tibia sowie auf einen Erguss zu achten. Des Weiteren finden sich häufig, jedoch nicht immer, Hämatome in der Kniekehle oder bei Kombinationsverletzungen auch medial und/oder lateral. Diese können bei verzögerter Diagnostik bereits in Resorption begriffen sein. Eine Belastungsfähigkeit des Beins ist in der Regel bei isolierten Verletzungen gegeben. Generell gilt jedoch, dass bei einer hinteren Kreuzbandverletzung ein erheblicher Krafteinfluss stattgefunden haben muss und deshalb immer Begleitverletzungen im Bereich anderer Bandstrukturen des Kniegelenks sowie der Menisken oder des Knorpels abgeklärt werden müssen. Im Rahmen von Luxationen oder erheblichen Kapsel-Band-Rupturen muss auch an Gefäß-Nerven-Verletzungen gedacht werden. Eine N. peroneus-Läsion muss klinisch ausgeschlossen werden. Eine besondere Gruppe stellen hier besonders adipöse Patientinnen und Patienten dar, bei denen teilweise auch ein geringer Impakt ausreicht, um schwere Verletzungen am hinteren Kreuzband bis hin zu Knieluxationen zu erleiden.

Klinische Diagnostik

Die oben beschriebenen Begleitumstände der Verletzung sollten natürlich abgefragt werden. Für die Therapieentscheidung ist vor allem das Alter der Verletzung (akut oder chronisch) ein wichtiger Faktor und muss in die Therapieüberlegungen miteinfließen.

Eine hintere Kreuzbandverletzung ist in der Regel eine klinische Diagnose, für die verschiedene Tests zur Verfügung stehen. Das klinische Bild stellt sich jedoch bei akuten und chronischen Verletzungen meist unterschiedlich dar.

Im Akutstadium ist das verletze Knie meist bewegungseingeschränkt und in der Kniekehle schmerzhaft. Eine Überstreckbarkeit des Kniegelenks kann erkennbar sein.

Der bekannteste und wichtigste Test für das hintere Kreuzband ist sicherlich der hintere Schubladentest. In 90°-Beugung des Kniegelenks bei aufgestelltem Bein wird der Tibiakopf stabil mit beiden Händen umfasst und impulsartig von anterior nach posterior geführt. Hierbei wird beurteilt, wie weit sich der Schienbeinkopf gegenüber dem Femur nach dorsal bewegen lässt und wie die Qualität des Anschlags ist (Abb. 1). Obwohl der Test geläufig ist, erfordert er doch für die exakte Beurteilung eine gewisse Erfahrung. Eine bestehende spontane dorsale Subluxationsstellung der Tibia (posterior sag sign) kann dazu führen, die daraus resultierende vermehrte Strecke nach anterior als VKB-Insuffizienz fehlzuinterpretieren, da das gleiche Phänomen auch in der Lachman-Testung bei 20°–30°-Flexionsstellung des Kniegelenks auftritt. Das arthroskopische Korrelat hierzu nennt man „sloopy ACL“-Zeichen, bei dem ein durchhängendes VKB bei HKB Insuffizienz während der Kniegelenksspiegelung auffällt, das sich erst anspannt, wenn die dorsale Subluxationsstellung des Knies aufgehoben wird. Hierauf sollte unbedingt geachtet werden, um nicht das VKB als elongiert anzusehen. 15 % aller HKB-Verletzungen erhalten fälschlicherweise eine VKB-Ersatzplastik [3].

Ein weiterer Test ist der Tibial Step-off-Test. Hierbei wir ebenfalls in 90°-Beugung des Kniegelenks das mediale Tibiaplateau umfasst und die Stellung in Relation zum distalen Femur beurteilt. Physiologisch ist hierbei ein „Step off“ des medialen Tibiaplateaus 1 cm anterior zum Femur und der Tibiakopf kann nicht nach dorsal geschoben werden. Ein aufgehobener Step off weist auf eine HKB Verletzung hin, gerade auch in Kombination mit einem Hämatom medial oder posteromedial. Zusätzlich kann dies visualisiert werden, indem die Hand von vorne auf das Knie aufgelegt wird. Besteht ein vermehrter Rückschub des Schienbeinkopfs kann dies an der Überstreckung der Finger des Untersuchers verdeutlicht werden (Hyperextensionstest).

Im chronischen Stadium ist eine HKB-Insuffizienz nicht selten kaum schmerzhaft, das Knie gut beweglich und das zurückliegende Trauma eher unscheinbar, sodass an ein so schweres Knietrauma wie eine HKB-Verletzung nicht gedacht wird. Dies mag auch ein Grund sein, warum HKB-Verletzungen nach wie vor übersehen werden und erst verspätet der nötigen Diagnostik zugeführt werden. Als klinisches Symptom steht die Instabilität im Vordergrund, die eher in der Beugung auffällt. Schmerzen können auch im patellofemoralen Gelenkkompartment aufgrund der vermehrten kompensatorischen Aktivierung des Streckapparats bestehen.

Neben den oben im Akutstadium beschriebenen Untersuchungstechniken mit den entsprechenden Interpretationsschwierigkeiten stehen weitere klinische Tests zur Verfügung. Klinisch fällt bei parallel aufgestellten beidseits 90° flektierten Kniegelenken ein spontanes Zurückfallen des Tibiakopfs in die dorsale Schublade der verletzten gegenüber der unverletzten Seite auf (Godfrey-Test). Beim Quadrizepstest wird die Patientin/der Patient in dieser Knieposition aufgefordert, den Quadrizeps anzuspannen, womit ggf. die posteriore Position des Tibiakopfs ausgeglichen werden kann.

Bei jeder HKB-Verletzung muss ein gesondertes Augenmerk auch auf Begleitverletzungen gelegt werden. Hierbei dürfen keinesfalls periphere Instabilitäten der (postero-) medialen und (postero-) lateralen Gelenkecke übersehen werden, da diese Auswirkungen auf die Art und das Timing der therapeutischen Versorgung haben.

Klinisch beschreibt die Patientin/der Patient im Vergleich zur isolierten HKB-Verletzung häufiger ein auffälliges subjektives Instabilitätsgefühl.

Als Untersuchungstechniken kommen die klassischen Tests für die Seitenbänder zum Einsatz. Das Außenband wird unter Varusstress in Streckstellung und in 30°-Flexion evaluiert. Klappt das Kniegelenk in 0° und 30° im Vergleich zur gesunden Gegenseite signifikant ohne sicheren festen Anschlag auf, liegt der Verdacht einer Instabilität der posterolaterale Gelenkecke mit Verletzungen u.a. des Außenbandes, der Popliteussehne und des Arcuatum-Komplexes mit den popliteofibularen Bändern nahe. Auch medial weist eine Aufklappbarkeit in Streckstellung im Rahmen des Valgusstress auf eine schwere Verletzung der (postero-) medialen Bandstrukturen hin.

Um eine vermehrte Außenrotation klinisch zu evaluieren, bietet sich der Dial-Test an (Abb. 1). Hierbei liegt die Patientin/der Patient in Bauchlage und die Untersuchung erfolgt in 30° sowie 90° gebeugtem Kniegelenk. Die Füße der Patientin/des Patienten werden nach außen rotiert und gegeneinander verglichen. Eine vermehrte Außenrotation in 30°-Flexion von mehr als 15° im Seitenvergleich weist auf eine Instabilität der posterolateralen Gelenkecke hin, wohingegen eine vermehrte Außenrotation in 30° und in 90° eine Verletzung der posterolateralen Ecke und des HKB anzeigen. Interindividuelle Schwankungen der knöchernen Torsion von Femur und Tibia oder Begleitverletzungen können die Interpretation erschweren. Ebenso sollte bei der Untersuchung die spontane dorsale Schublade ausgeglichen werden, da auch diese zu veränderten Werten führen kann.

Radiologische Diagnostik

Im Fall einer akuten Verletzung muss ein konventionelles Röntgenbild in 2 Ebenen (falls schmerzbedingt möglich 3 Ebenen: Knie a.p., seitlich und Patella tangential) erfolgen, um knöcherne Verletzungen wie z.B. Tibiakopffrakturen auszuschließen. Ein besonderes Augenmerk sollte hierbei auf knöcherne Ausrisse gelegt werden, da diese vor allem bei Dislokation zügig einer operativen Therapie zugeführt werden müssen. Sollte der Verdacht auf knöcherne Verletzungen bestehen, so ist eine Computertomografie obligat, um die Fraktur in Gänze korrekt einschätzen zu können, genau zu klassifizieren und die operative Versorgung bezüglich des Zugangs und der Osteosynthese planen zu können. Auch bei knöchernen Ausrissen ist die CT hilfreich, um abhängig von Dislokationsgrad, Morphologie sowie Anzahl und Größe der Fragmente die Osteosynthese (Schraube, (Haken-) Platte, Fadenankersysteme) festlegen zu können.

Das Diagnostikum der Wahl für das hintere Kreuzband sind die gehaltenen Aufnahmen [4]. Hierbei wird das Kniegelenk in einen Halteapparat eingespannt, um eine genau seitliche Aufnahme mit sich exakt überlagernden dorsalen Femurkondylen unter Applikation einer definierten Kraft von anterior nach posterior (hintere Schublade) und von posterior nach anterior (vordere Schublade) anzufertigen. In der Messmethode nach Jacobsen [5] lässt sich somit genau das Ausmaß der Verletzung darstellen und messen, wie weit sich der Tibiakopf im Vergleich zum Femur nach dorsal verschieben lässt. Der Abstand vom Mittelpunkt zwischen den dorsalen Femurkondylen zum Mittelpunkt zwischen den beiden Tibiaplateauhinterkanten wird auf einer Horizontalen zur Ebene des Tibiakopfes gemessen (Abb. 2). Somit lässt sich eine objektivierbare Quantifizierbarkeit erreichen. Die Aufnahmen werden initial beidseitig durchgeführt, um einen Vergleich zu den individuellen Normalwerten der unverletzten Seite zu haben. Bei frischen Verletzungen werden in den ersten 14 Tagen nach Verletzung die Aufnahmen, falls diese wirklich für die Diagnosestellung erforderlich sind, lediglich mit 5 kp angefertigt, um nicht das frische Regenerat und die beginnende Heilung mit einsetzender Narbenbildung durch Druck von vorne unnötig zu elongieren oder zu zerreißen. Aus demselben Grund wird nach über 14 Tagen nach der Verletzung auf gehaltene Aufnahmen meist verzichtet. Im chronischen Stadium (nach ca. 3 Monaten) kommen die oben beschriebenen Aufnahmen mit einer Kraftapplikation von 15 kp zum Einsatz. Physiologisch sind hier 0–3 mm Rückschub in den HSL-Aufnahmen, ab 5 mm Seit zu Seit Differenz ist der Verdacht auf eine HKB-Verletzung gegeben. Die Aufnahmen werden aber immer auch mit VSL-Aufnahmen kombiniert, um eine sogenannte fixierte hintere Schublade auszuschließen. Hierbei lässt sich der Tibiakopf trotz Kraftapplikation von posterior nach anterior nicht ausreichend nach ventral bewegen und der Schienbeinkopf bleibt in einer dorsalen Subluxationsstellung verhaftet, die mehr als –3 mm beträgt. Dies kommt vor, wenn die HKB-Verletzung elongiert der Schwerkraft folgend in einer Dorsalstellung verheilt ist und narbig fibrotisch in dieser Position verhaftet ist. Eine fixierte hintere Schublade sollte unbedingt vor einer operativen Stabilisierung ausgeschlossen werden, um das Knie nicht in einer unphysiologischen Position zu fixieren.

Achsaufnahmen müssen gerade auch im chronischen Fall in Erwägung gezogen werden, um ggf. auch die additive Behandlung weiterer knöcherner Pathologien zu diskutieren. Ganzbeinaufnahmen zur Bestimmung der frontalen Achse, aber gerade im Revisionsfall seitliche Röntgenaufnahmen mit langem Unterschenkel zur Evaluation des tibialen Slopes, sollten deshalb angefertigt werden. Ein niedriger Slope wurde in der Literatur als Risikofaktor für das Versagen einer HKB-Ersatzplastik bestätigt, sodass in derartigen Fällen eine Flexionsosteotomie diskutiert werden muss [6]. Ob die Korrektur eines flachen Slopes als Risikofaktor für eine HKB-Ruptur auch im Primärfall eine Rolle spielen sollte, ist derzeit Gegenstand der Forschung.

Eine MRT-Untersuchung muss bei jedem Verdacht auf eine HKB-Verletzung gerade auch bei initial schmerzbedingt schlechter Untersuchbarkeit angestrebt werden, wobei die meisten Patientinnen und Patienten im subakuten oder chronischen Stadium bereits eine Kernspintomografie erhalten haben. Während jedoch die Sensitivität bei frischen HKB-Verletzungen bei 100 % liegt, ist diese bei chronischen Verläufen deutlich geringer. Oft ist nur schwer zwischen einer Komplett- oder Partialruptur zu unterscheiden. Darüber hinaus erhält man im Gegensatz zu den gehaltenen Aufnahmen keine Information über die Funktionalität und das Ausmaß der biomechanischen Konsequenzen der HKB-Insuffizienz für das Knie. Aber dennoch ist die MRT-Untersuchung wichtig, um Kombinationsverletzungen oder Begleitverletzungen anderer Strukturen des übrigen Bandapparats, der Menisken und des Knorpels zu erkennen (Abb. 2). Derartige Läsionen haben einen wesentlichen Einfluss auf die Steuerung sowie das Timing der Therapie und können eine konservative Behandlung ausschließen.

Klassifikation

Es gibt neben der Unterscheidung in akute und chronische Verletzungen des HKB verschiedene Klassifikationen und Einteilungen, die jeweils mehr oder weniger Einfluss auf die Therapieentscheidung nehmen können.

Cooper et al. beschreiben in ihrer Klassifikation die Komplexität der Verletzung, so dass diese für Akutverletzungen verwendet werden kann [7]:

Grad 1: Isolierte Verletzung des HKB oder der posterolateralen Ecke

Grad 2: Kombinierte Verletzungen mit dorsaler Tibiaverschiebung ohne vermehrte mediale oder laterale Aufklappbarkeit in Streckung, aber in 30°-Flexion, sowie Zunahme der Außenrotation in 30°

Grad 3: wie Grad 2, aber mit zusätzlicher medialer bzw. lateraler Aufklappbarkeit in Streckung

Grad 4: Luxation

Eine sehr bekannte Klassifikation wurde von Harner et al. eher für chronische Verletzungen eingeführt und berücksichtigt die Schwere der HKB-Instabilität mit oder ohne posterolaterale Verletzung (Tab. 1) [8].

Nach der Auswertung von über 1000 gehaltenen Aufnahmen führten Schultz et al. [9] eine Klassifikation ein, an der zielgerichtet und pragmatisch das Ausmaß der Verletzung an der radiologischen posterioren tibialen Translation abgeschätzt werden kann (Tab. 2).

Zur genaueren Definition der posterolateralen Instabilität hat neben der Einteilung nach Fanelli (A: rotatorische Instabilität: Verletzung der Popliteussehne und des Lig. popliteofibulare; B: rotatorische und leicht varische Instabilität: zusätzlich Partialläsion des Außenbands; C: kombinierte hintere varische und rotatorische Instabilität: Ruptur HKB und Außenband) [10] eine neue Klassifikation, der sog. Posterolateral Instability Score (PoLIS) nach Weiler et al. [11] Einzug gehalten. In diesen fließen zur Beurteilung neben der (postero-) lateralen Instabilität und der Kreuzbandbeteiligung Kofaktoren wie Beinachse, Varus Thrust, Slope und das Vorliegen einer Fraktur mit ein.

Die Durchführung einer exakten Klassifizierung führt dazu, sich intensiv mit den klinischen und radiologischen Befunden auseinanderzusetzen und sollte deshalb immer erfolgen, um die korrekten therapeutischen Maßnahmen einzuleiten.

Therapie

Eine eingehende Diagnostik und genaue Klassifikation einer Verletzung des hinteren Kreuzbands sind unabdingbar, um die richtige Therapie in die Wege zu leiten, mit dem Ziel, die Stabilität und die Funktion des Kniegelenks wiederherzustellen. Hierbei gilt es, wie oben dargestellt, akute von chronischen, sowie isolierte von Kombinationsverletzungen zu unterscheiden.

Frische isolierte HKB-Verletzungen können konservativ behandelt werden. Diese ist sehr restriktiv und beginnt in den ersten 6 Wochen mit Unterarmgehstützen und einer Tag und Nacht zu tragenden immobilisierenden Orthese mit einem posterioren tibialen Support, um ein Zurückfallen des Unterschenkels nach dorsal mit konsekutivem Stress auf das HKB zu verhindern. Aus diesem Grund findet die initiale Mobilisierung in diesem Zeitraum in Bauchlage ab der 3. Woche bis 60°-Flexion statt. Nach 6 Wochen wird diese Orthese weiter zur Nacht getragen. Tags kann auf eine bewegliche HKB-Orthese, ggf. auch mit dynamischer Unterstützung nach anterior gewechselt werden. Als funktioneller Agonist sollte vor allem der Quadrizeps physiotherapeutisch auftrainiert werden und ein Anspannen der Hamstrings unterbleiben. Die Erfolgskontrolle erfolgt mit gehaltenen Aufnahmen nach 3 Monaten.

Akute Kombinationsverletzungen sollten bei entsprechender Instabilität zeitnah einer operativen Stabilisierung der Peripherie, ggf kombiniert mit einem HKB-Ersatz bzw. in ausgewählten Fällen einem Bracing des HKB zugeführt werden [12]. Ob ein einzeitiges oder gestagtes Vorgehen bei der operativen Versorgung akuter Verletzungen zu favorisieren ist, hängt auch von der Weichteilsituation und den Begleitverletzungen ab, wobei Multiligamentverletzungen und Luxationen im Akutfall gut auf das Bracing des HKB ansprechen [13]. Auch ein früh-elektiver HKB-Ersatz kann bei guter Weichteilsituation und entsprechender Erfahrung des Operateurs diskutiert werden. Klar ist jedoch, dass die Seitenbänder frühzeitig operativ stabilisiert werden sollten. Medial kann dies ggf. durch eine Refixation gelingen, (postero-) lateral hingegen sollte die Naht zusätzlich augmentiert werden.

Bei chronischen Verletzungen des HKB ist ein genauer Cut-off, ab wann eine operative Versorgung zu empfehlen ist, nicht festlegbar, sondern individuell, abhängig von der subjektiven und objektivierbaren Instabilität sowie dem Aktivitätsniveau der Patientin/des Patienten, zu entscheiden. Bei einer hinteren Schublade von kleiner 5 mm sollte ein konservatives Vorgehen mit Quadrizepstraining angestrebt werden. Zwischen 8 mm und 12 mm ist bei subjektivem Instabilitätsgefühl und Aktivitätsanspruch die HKB-Ersatzplastik zu empfehlen. In unklaren Situationen kann ein Bracetest vorangeschaltet werden. Die hierzulande häufigste Methode der operativen Stabilisierung ist die arthroskopisch gestützte HKB-Ersatzplastik im Wesentlichen des anterolateralen Bündels mit Semitendinosus- und Gracilissehne [14]. Der Vorteil dieser Transplantate liegt darin, dass diese eine geringe Entnahmemorbidität aufweisen und durch die Hamstringsehnen antagonistisch zum HKB wirken. Die elongierten Fasern des verletzten HKB sollen durch die Sehnentransplantate augmentiert werden, weshalb das Restgewebe (remnant) immer geschont werden sollte.

Bei chronischen kombinierten Instabilitäten mit einer hinteren Schublade von größer 12 mm ist eine operative Stabilisierung des Kniegelenks mit HKB-Ersatzplastik zusammen mit einer Stabilisierung der posteromedialen oder posterolateralen Ecke zu empfehlen. Posterolateral kommen hier vor allem Augmentationsformen mit Gracilissehne nach Arciero oder in modifizierter Larson-Technik zum Einsatz [15]. Die Nachbehandlung nach HKB-Ersatz oder kombinierten Stabilisierungen entspricht hiernach der konservativen Therapie.

Der Einfluss des Slopes auf die Kreuzbandstabilität wird durch die wissenschaftliche Literatur in den letzten Jahren immer klarer [16]. Es konnte gezeigt werden, dass ein verminderter Slope mehr biomechanischen Stress auf das hintere Kreuzband bringt und so ein Faktor für das Versagen einer HKB-Ersatzplastik sein kann [6]. Daher sollte der Slope immer im Falle einer HKB-Revision abgeklärt werden und ggf. eine Slope-Korrektur mittels Osteotomie zusätzlich in Erwägung gezogen werden. Gegenstand der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion bleibt aber der genaue Cut-off-Wert, ab wann definitiv der Slope korrigiert werden sollte, und welche Rolle dieser im Primärfall spielt [17].

Ähnliches gilt auch für Abweichungen in der Coronarebene, da z.B. Achsabweichungen von einem Varus > 3° vermehrten Stress auf die posterolateralen Strukturen bringt und somit eine Stabilisierung posterolateral und zentral gefährden kann. Klinisch ist hierbei vor allem auf das Vorliegen eines Varus Thrusts zu achten.

Schlussfolgerung

Instabilitäten des HKB erfordern eine genaue klinische und radiologische Evaluation, um die optimale Therapie einleiten zu können. Diagnostisch kommen hierfür klinische Tests wie der hintere Schubladentest oder der Dial-Test zum Einsatz. Radiologisch haben das MRT zur Evaluation des Gesamtbilds der Verletzung und im Speziellen für das HKB gehaltene Aufnahmen in HSL- und VSL-Technik eine besondere Bedeutung für die Therapieentscheidung. Die Unterscheidung zwischen akuter Verletzung und chronischer Instabilität ist hierbei wichtig. Akute isolierte HKB-Verletzungen können konservativ behandelt werden, wohingegen akute Kombinationsverletzungen eine operative Stabilisierung wenigstens der Peripherie, ggf. aber auch des zentralen Anteils erfordern. Chronische HKB-Verletzungen mit nachweisbarer klinischer und radiologischer Instabilität sollten operativ mit einer HKB-Ersatzplastik versorgt werden. Besonderes Augenmerk muss auch hier auf zusätzlich bestehende posteromediale oder posterolaterale Instabilitäten gelegt werden. Diese sollten in jedem Fall mitadressiert werden. Die konservative Therapie einer HKB-Verletzung bzw. die Nachbehandlung nach erfolgter operativer Stabilisierung ist eher restriktiv und vorsichtig zu gestalten.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Johannes Zellner

Sporthopaedicum Regensburg

Hildegard-von-Bingen-Straße 1

93053 Regensburg

zellner@sporthopaedicum.de

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