Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024
Diagnostik und Klassifikation der HKB-RupturWann konservativ und wann operativ?
Im Akutstadium ist das verletze Knie meist bewegungseingeschränkt und in der Kniekehle schmerzhaft. Eine Überstreckbarkeit des Kniegelenks kann erkennbar sein.
Der bekannteste und wichtigste Test für das hintere Kreuzband ist sicherlich der hintere Schubladentest. In 90°-Beugung des Kniegelenks bei aufgestelltem Bein wird der Tibiakopf stabil mit beiden Händen umfasst und impulsartig von anterior nach posterior geführt. Hierbei wird beurteilt, wie weit sich der Schienbeinkopf gegenüber dem Femur nach dorsal bewegen lässt und wie die Qualität des Anschlags ist (Abb. 1). Obwohl der Test geläufig ist, erfordert er doch für die exakte Beurteilung eine gewisse Erfahrung. Eine bestehende spontane dorsale Subluxationsstellung der Tibia (posterior sag sign) kann dazu führen, die daraus resultierende vermehrte Strecke nach anterior als VKB-Insuffizienz fehlzuinterpretieren, da das gleiche Phänomen auch in der Lachman-Testung bei 20°–30°-Flexionsstellung des Kniegelenks auftritt. Das arthroskopische Korrelat hierzu nennt man „sloopy ACL“-Zeichen, bei dem ein durchhängendes VKB bei HKB Insuffizienz während der Kniegelenksspiegelung auffällt, das sich erst anspannt, wenn die dorsale Subluxationsstellung des Knies aufgehoben wird. Hierauf sollte unbedingt geachtet werden, um nicht das VKB als elongiert anzusehen. 15 % aller HKB-Verletzungen erhalten fälschlicherweise eine VKB-Ersatzplastik [3].
Ein weiterer Test ist der Tibial Step-off-Test. Hierbei wir ebenfalls in 90°-Beugung des Kniegelenks das mediale Tibiaplateau umfasst und die Stellung in Relation zum distalen Femur beurteilt. Physiologisch ist hierbei ein „Step off“ des medialen Tibiaplateaus 1 cm anterior zum Femur und der Tibiakopf kann nicht nach dorsal geschoben werden. Ein aufgehobener Step off weist auf eine HKB Verletzung hin, gerade auch in Kombination mit einem Hämatom medial oder posteromedial. Zusätzlich kann dies visualisiert werden, indem die Hand von vorne auf das Knie aufgelegt wird. Besteht ein vermehrter Rückschub des Schienbeinkopfs kann dies an der Überstreckung der Finger des Untersuchers verdeutlicht werden (Hyperextensionstest).
Im chronischen Stadium ist eine HKB-Insuffizienz nicht selten kaum schmerzhaft, das Knie gut beweglich und das zurückliegende Trauma eher unscheinbar, sodass an ein so schweres Knietrauma wie eine HKB-Verletzung nicht gedacht wird. Dies mag auch ein Grund sein, warum HKB-Verletzungen nach wie vor übersehen werden und erst verspätet der nötigen Diagnostik zugeführt werden. Als klinisches Symptom steht die Instabilität im Vordergrund, die eher in der Beugung auffällt. Schmerzen können auch im patellofemoralen Gelenkkompartment aufgrund der vermehrten kompensatorischen Aktivierung des Streckapparats bestehen.
Neben den oben im Akutstadium beschriebenen Untersuchungstechniken mit den entsprechenden Interpretationsschwierigkeiten stehen weitere klinische Tests zur Verfügung. Klinisch fällt bei parallel aufgestellten beidseits 90° flektierten Kniegelenken ein spontanes Zurückfallen des Tibiakopfs in die dorsale Schublade der verletzten gegenüber der unverletzten Seite auf (Godfrey-Test). Beim Quadrizepstest wird die Patientin/der Patient in dieser Knieposition aufgefordert, den Quadrizeps anzuspannen, womit ggf. die posteriore Position des Tibiakopfs ausgeglichen werden kann.
Bei jeder HKB-Verletzung muss ein gesondertes Augenmerk auch auf Begleitverletzungen gelegt werden. Hierbei dürfen keinesfalls periphere Instabilitäten der (postero-) medialen und (postero-) lateralen Gelenkecke übersehen werden, da diese Auswirkungen auf die Art und das Timing der therapeutischen Versorgung haben.
Klinisch beschreibt die Patientin/der Patient im Vergleich zur isolierten HKB-Verletzung häufiger ein auffälliges subjektives Instabilitätsgefühl.
Als Untersuchungstechniken kommen die klassischen Tests für die Seitenbänder zum Einsatz. Das Außenband wird unter Varusstress in Streckstellung und in 30°-Flexion evaluiert. Klappt das Kniegelenk in 0° und 30° im Vergleich zur gesunden Gegenseite signifikant ohne sicheren festen Anschlag auf, liegt der Verdacht einer Instabilität der posterolaterale Gelenkecke mit Verletzungen u.a. des Außenbandes, der Popliteussehne und des Arcuatum-Komplexes mit den popliteofibularen Bändern nahe. Auch medial weist eine Aufklappbarkeit in Streckstellung im Rahmen des Valgusstress auf eine schwere Verletzung der (postero-) medialen Bandstrukturen hin.
Um eine vermehrte Außenrotation klinisch zu evaluieren, bietet sich der Dial-Test an (Abb. 1). Hierbei liegt die Patientin/der Patient in Bauchlage und die Untersuchung erfolgt in 30° sowie 90° gebeugtem Kniegelenk. Die Füße der Patientin/des Patienten werden nach außen rotiert und gegeneinander verglichen. Eine vermehrte Außenrotation in 30°-Flexion von mehr als 15° im Seitenvergleich weist auf eine Instabilität der posterolateralen Gelenkecke hin, wohingegen eine vermehrte Außenrotation in 30° und in 90° eine Verletzung der posterolateralen Ecke und des HKB anzeigen. Interindividuelle Schwankungen der knöchernen Torsion von Femur und Tibia oder Begleitverletzungen können die Interpretation erschweren. Ebenso sollte bei der Untersuchung die spontane dorsale Schublade ausgeglichen werden, da auch diese zu veränderten Werten führen kann.
Radiologische Diagnostik
Im Fall einer akuten Verletzung muss ein konventionelles Röntgenbild in 2 Ebenen (falls schmerzbedingt möglich 3 Ebenen: Knie a.p., seitlich und Patella tangential) erfolgen, um knöcherne Verletzungen wie z.B. Tibiakopffrakturen auszuschließen. Ein besonderes Augenmerk sollte hierbei auf knöcherne Ausrisse gelegt werden, da diese vor allem bei Dislokation zügig einer operativen Therapie zugeführt werden müssen. Sollte der Verdacht auf knöcherne Verletzungen bestehen, so ist eine Computertomografie obligat, um die Fraktur in Gänze korrekt einschätzen zu können, genau zu klassifizieren und die operative Versorgung bezüglich des Zugangs und der Osteosynthese planen zu können. Auch bei knöchernen Ausrissen ist die CT hilfreich, um abhängig von Dislokationsgrad, Morphologie sowie Anzahl und Größe der Fragmente die Osteosynthese (Schraube, (Haken-) Platte, Fadenankersysteme) festlegen zu können.