Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024

Diagnostik und Klassifikation der HKB-Ruptur
Wann konservativ und wann operativ?

Die Durchführung einer exakten Klassifizierung führt dazu, sich intensiv mit den klinischen und radiologischen Befunden auseinanderzusetzen und sollte deshalb immer erfolgen, um die korrekten therapeutischen Maßnahmen einzuleiten.

Therapie

Eine eingehende Diagnostik und genaue Klassifikation einer Verletzung des hinteren Kreuzbands sind unabdingbar, um die richtige Therapie in die Wege zu leiten, mit dem Ziel, die Stabilität und die Funktion des Kniegelenks wiederherzustellen. Hierbei gilt es, wie oben dargestellt, akute von chronischen, sowie isolierte von Kombinationsverletzungen zu unterscheiden.

Frische isolierte HKB-Verletzungen können konservativ behandelt werden. Diese ist sehr restriktiv und beginnt in den ersten 6 Wochen mit Unterarmgehstützen und einer Tag und Nacht zu tragenden immobilisierenden Orthese mit einem posterioren tibialen Support, um ein Zurückfallen des Unterschenkels nach dorsal mit konsekutivem Stress auf das HKB zu verhindern. Aus diesem Grund findet die initiale Mobilisierung in diesem Zeitraum in Bauchlage ab der 3. Woche bis 60°-Flexion statt. Nach 6 Wochen wird diese Orthese weiter zur Nacht getragen. Tags kann auf eine bewegliche HKB-Orthese, ggf. auch mit dynamischer Unterstützung nach anterior gewechselt werden. Als funktioneller Agonist sollte vor allem der Quadrizeps physiotherapeutisch auftrainiert werden und ein Anspannen der Hamstrings unterbleiben. Die Erfolgskontrolle erfolgt mit gehaltenen Aufnahmen nach 3 Monaten.

Akute Kombinationsverletzungen sollten bei entsprechender Instabilität zeitnah einer operativen Stabilisierung der Peripherie, ggf kombiniert mit einem HKB-Ersatz bzw. in ausgewählten Fällen einem Bracing des HKB zugeführt werden [12]. Ob ein einzeitiges oder gestagtes Vorgehen bei der operativen Versorgung akuter Verletzungen zu favorisieren ist, hängt auch von der Weichteilsituation und den Begleitverletzungen ab, wobei Multiligamentverletzungen und Luxationen im Akutfall gut auf das Bracing des HKB ansprechen [13]. Auch ein früh-elektiver HKB-Ersatz kann bei guter Weichteilsituation und entsprechender Erfahrung des Operateurs diskutiert werden. Klar ist jedoch, dass die Seitenbänder frühzeitig operativ stabilisiert werden sollten. Medial kann dies ggf. durch eine Refixation gelingen, (postero-) lateral hingegen sollte die Naht zusätzlich augmentiert werden.

Bei chronischen Verletzungen des HKB ist ein genauer Cut-off, ab wann eine operative Versorgung zu empfehlen ist, nicht festlegbar, sondern individuell, abhängig von der subjektiven und objektivierbaren Instabilität sowie dem Aktivitätsniveau der Patientin/des Patienten, zu entscheiden. Bei einer hinteren Schublade von kleiner 5 mm sollte ein konservatives Vorgehen mit Quadrizepstraining angestrebt werden. Zwischen 8 mm und 12 mm ist bei subjektivem Instabilitätsgefühl und Aktivitätsanspruch die HKB-Ersatzplastik zu empfehlen. In unklaren Situationen kann ein Bracetest vorangeschaltet werden. Die hierzulande häufigste Methode der operativen Stabilisierung ist die arthroskopisch gestützte HKB-Ersatzplastik im Wesentlichen des anterolateralen Bündels mit Semitendinosus- und Gracilissehne [14]. Der Vorteil dieser Transplantate liegt darin, dass diese eine geringe Entnahmemorbidität aufweisen und durch die Hamstringsehnen antagonistisch zum HKB wirken. Die elongierten Fasern des verletzten HKB sollen durch die Sehnentransplantate augmentiert werden, weshalb das Restgewebe (remnant) immer geschont werden sollte.

Bei chronischen kombinierten Instabilitäten mit einer hinteren Schublade von größer 12 mm ist eine operative Stabilisierung des Kniegelenks mit HKB-Ersatzplastik zusammen mit einer Stabilisierung der posteromedialen oder posterolateralen Ecke zu empfehlen. Posterolateral kommen hier vor allem Augmentationsformen mit Gracilissehne nach Arciero oder in modifizierter Larson-Technik zum Einsatz [15]. Die Nachbehandlung nach HKB-Ersatz oder kombinierten Stabilisierungen entspricht hiernach der konservativen Therapie.

Der Einfluss des Slopes auf die Kreuzbandstabilität wird durch die wissenschaftliche Literatur in den letzten Jahren immer klarer [16]. Es konnte gezeigt werden, dass ein verminderter Slope mehr biomechanischen Stress auf das hintere Kreuzband bringt und so ein Faktor für das Versagen einer HKB-Ersatzplastik sein kann [6]. Daher sollte der Slope immer im Falle einer HKB-Revision abgeklärt werden und ggf. eine Slope-Korrektur mittels Osteotomie zusätzlich in Erwägung gezogen werden. Gegenstand der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion bleibt aber der genaue Cut-off-Wert, ab wann definitiv der Slope korrigiert werden sollte, und welche Rolle dieser im Primärfall spielt [17].

Ähnliches gilt auch für Abweichungen in der Coronarebene, da z.B. Achsabweichungen von einem Varus > 3° vermehrten Stress auf die posterolateralen Strukturen bringt und somit eine Stabilisierung posterolateral und zentral gefährden kann. Klinisch ist hierbei vor allem auf das Vorliegen eines Varus Thrusts zu achten.

Schlussfolgerung

Instabilitäten des HKB erfordern eine genaue klinische und radiologische Evaluation, um die optimale Therapie einleiten zu können. Diagnostisch kommen hierfür klinische Tests wie der hintere Schubladentest oder der Dial-Test zum Einsatz. Radiologisch haben das MRT zur Evaluation des Gesamtbilds der Verletzung und im Speziellen für das HKB gehaltene Aufnahmen in HSL- und VSL-Technik eine besondere Bedeutung für die Therapieentscheidung. Die Unterscheidung zwischen akuter Verletzung und chronischer Instabilität ist hierbei wichtig. Akute isolierte HKB-Verletzungen können konservativ behandelt werden, wohingegen akute Kombinationsverletzungen eine operative Stabilisierung wenigstens der Peripherie, ggf. aber auch des zentralen Anteils erfordern. Chronische HKB-Verletzungen mit nachweisbarer klinischer und radiologischer Instabilität sollten operativ mit einer HKB-Ersatzplastik versorgt werden. Besonderes Augenmerk muss auch hier auf zusätzlich bestehende posteromediale oder posterolaterale Instabilitäten gelegt werden. Diese sollten in jedem Fall mitadressiert werden. Die konservative Therapie einer HKB-Verletzung bzw. die Nachbehandlung nach erfolgter operativer Stabilisierung ist eher restriktiv und vorsichtig zu gestalten.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5