Übersichtsarbeiten - OUP 01/2023

Diagnostik und Therapie der idiopathischen Skoliose

Primärziel der konservativen Therapie ist die Verhinderung der Kurvenprogression der Skoliose. Eine vollständige Korrektur darüber hinaus ist leider in den wenigsten Fällen möglich. Nach Wachstumsabschluss sollte ein Skoliosewinkel unter 40° erreicht werden, da dies das Risiko für ein Fortschreiten der Skoliose und damit das Risiko für eine operative Therapie nach Wachstumsende minimiert wird. ().

Die konservative Therapie umfasst zunächst regelmäßige klinische Kontrollen. Die Frequenz der klinischen Verlaufskontrollen richtet sich zum einen nach der Ausprägung und zum anderen nach der zu erwartenden Progredienz der Wirbelsäulenkrümmung. So genügt es Patienten mit einem Cobb-Winkel < 20° und/oder einem geringen Progredienzrisiko alle 6 Monate einzubestellen, Patienten dagegen mit einem Cobb-Winkel > 20° und/oder einem erhöhten Progredienzrisiko sollten alle 3 Monate gesehen werden. Besonders in den ersten
5 Lebensjahren und nach dem 10. Lebensjahr ist die Gefahr einer Progredienz gegeben.

Ein weiterer wichtiger Baustein der Skoliosetherapie ist die regelmäßige Durchführung von Krankengymnastik, möglichst nach Katharina Schroth. Ziel ist es, muskuläre Dysbalancen zu behandeln, die Rückenmuskulatur zu stärken und die Erlernung der Haltungskontrolle bei den activities of daily living (ADL), um krümmungsförderndes Verhalten im Alltag zu vermeiden. Grundvoraussetzung für einen Therapieerfolg ist aber eine gute Compliance der Patientin/des Patienten. So sollten neben regelmäßiger Übungseinheit bei dem speziellen Schroth-Therapeuten (möglichst ein- bis zweimal pro Woche), auch möglichst täglich eigenständige Übungen durchgeführt werden. Die Therapiedauer der Physiotherapie sollte begleitend zur Korsetttherapie über den gesamten Zeitraum der Behandlung erfolgen, idealerweise 1–2 Jahre darüber hinaus. Durch stationäre Rehabilitationsmaßnahmen kann die Behandlung intensiviert werden und ermöglicht einen Ausstauch mit anderen Betroffenen.

Bei der Korsetttherapie hat sich in Europa das Korsett nach Chêneau durchgesetzt. Es basiert auf 3-Punkte-Systeme, die den Wirbelsäulenverkrümmungen entgegenwirken. Expansionsräume im Korsett gegenüber dem Apex der Wirbelsäulenkrümmung bieten dabei einen Ausweichraum für die zu verschiebenden asymmetrischen Körpervolumina. Die rhythmischen Expansionsbewegungen des Thorax, der Rippen und des Abdomens drücken während der Atmung gegen die Pelotten des Korsetts und bewirken zusätzlich eine aktive Aufrichtung. Für ein optimales Therapieergebnis sind ebenfalls eine gute Compliance der Patientin/des Patienten und eine tägliche Tragedauer von 16–23 Stunden anzustreben. Die Indikation und Kontraindikationen einer Korsetttherapie sind in Tabelle 3 zusammengefasst (Tab. 3).

Konservative Therapie der
infantilen Skoliose

Infantile Skoliosen treten bis zum
3. Lebensjahr auf. Oft zeigt sich eine phänotypische Häufung mit einer linkskonvexen Thorakalkrümmung. Dabei zeigt ein Großteil der infantilen Skoliosen eine gute Spontanheilungsrate. Jedoch gibt es auch Fälle, bei denen es zu einer raschen Zunahme der Krümmung kommt. Zur Prognose hat sich die Rippen-Wirbelkörper-Winkel-Differenz nach Mehta am Scheitelwirbel als hilfreich erwiesen (Rib Vertebral Angle Difference, RVAD) [8]. Hierbei werden zunächst am Apexwirbel die Winkel der abgehenden Rippen zur Mittelachse des Wirbelkörpers bestimmt und dann die Differenz der beiden berechnet. Liegt der Betrag dieser Differenz unter 20°, so kann mit einer großen Wahrscheinlichkeit von ca. 80 % von einer Spontanremission ausgegangen werden [3]. Bei Werten > 20° muss dagegen in > 85 % der Fälle mit einer Progredienz gerechnet werden.

Therapeutisch sollten Skoliosen mit eine Cobb-Winkel < 25° und Skoliosen mit einem Cobb-Winkel von 25–50° und einem RVAD < 20° Krankengymnastik erhalten und je nach Progredienz regelmäßig kontrolliert werden (Tab. 4). Skoliosen mit einem Cobb-Winkel von 25–50° und einem RVAD > 20° oder Skoliosen mit einem Cobb-Winkel > 50° sollten in einem Gips redressiert oder mit einem Korsett versorgt werden. Bei der Gipsredression wird der Gips in Kurznarkose in Korrekturstellung oder leichter Überkorrektur angelegt. Die Gipsredression verspricht eine größere Auflageflächen und bessere Korrektur als ein Korsett. Der Aufwand ist aber groß und wird nur noch in wenigen Zentren praktiziert, zumal das Gipskorsett in 4–5-wöchigem Abstand angepasst werden muss. Bei einer Progredienz oder klinischen Verschlechterung sollte die konservative Therapie frühzeitig eskaliert werden und durch Non-Fusion-Operation z.B. mit mitwachsenden Stäben die Wirbelsäule stabilisiert werden.

Konservative Therapie der
juvenilen Skoliose

Im Gegensatz zu den infantilen Skoliosen treten bei der juvenilen Skoliose überwiegend einbogige rechtsthorakale Skoliosen, aber auch s-förmige Skoliosen auf. Mit einer Remission ist nur in 25 % der Fälle zu rechnen. In den allermeisten Fällen ist jedoch mit einer Progredienz im Verlauf zu rechnen, sodass engmaschige Kontrollen notwendig sind. Besonders gefährdet sind die Skoliosen mit einem Cobb-Winkel > 30° bei Eintritt in die Pubertät. Hier ist mit einer jährlichen Progredienz von 5–10° zu rechnen [14].

Die konservative Therapie gleicht der Therapie der adoleszenten Skoliose (Tab. 5). So sollte neben der Anwendung von Krankengymnastik, möglichst nach Katharina Schroth und regelmäßigen Kontrollen bei Winkeln von 20–50° eine Korsetttherapie durchgeführt werden. Kommt es zu einer Progredienz der Skoliose, sollte in Abhängigkeit der Verschlechterung ab 50° über eine Operation beraten werden. Hierbei kommen vor Wachstumsabschluss vor allem Non-Fusion-Operationen zum Einsatz.

Konservative Therapie der
adoleszenten Skoliose

Die Behandlung der idiopathischen adoleszenten Skoliose erfolgt nach Behandlungsleitlinien der SOSORT. Demnach wird bei einer Wachstumsprognose von > 2 Jahren und einem Krümmungsbereich von 20–50° (thorakale Hauptkrümmung) bzw. 15–30° (lumbale Hauptkrümmung) konservativ behandelt. Neben regelmäßigen klinischen Kontrollen sollten die Patienten Physiotherapie, möglichst nach Katharina Schroth erhalten, zu regelmäßigem Sport angehalten werden und mit einem Korsett versorgt werden. Bei Krümmungen > 50 wird eine operative Behandlung empfohlen. Die Indikation gerade bei grenzwertigen Krümmungen um die 50° ist schwierig und individuell zu stellen.

Operative
Therapiemöglichkeiten der idiopathischen Skoliose

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