Übersichtsarbeiten - OUP 01/2023

Diagnostik und Therapie der idiopathischen Skoliose

Ziel der operativen Therapie ist eine möglichst optimale dreidimensionale Korrektur der Deformität mit Rekonstruktion des sagittalen Profils. Die Fusionsstrecke sollte dabei möglichst kurz sein, um möglichst viele Bewegungssegmente zu erhalten. Der Übergang von der Fusion zum ersten Bewegungssegment sollte möglichst physiologisch sein. So lassen sich Anschlussdegenerationen verringern, auszuschließen ist dies dennoch nicht. Aus kosmetischer Sicht ist für die Patientinnen und Patienten die Reduzierung der Rippenvorwölbung und der Lendenwulst wichtig, sowie die Korrektur der Schulterpartie.

Bei der Indikationsstellung sind verschiedene Faktoren bei der Entscheidung für das operative Vorgehen hinsichtlich Operationszeitpunkt, Operationsverfahren und Zugangsweg ausschlaggebend. Besonders wichtig ist das Progredienzverhalten der Skoliose und die Ausprägung der Krümmungen und die damit verbundenen Komorbiditäten. Ein weiterer wichtiger Faktor hinsichtlich der Entscheidung Non-Fusion-Operationen und Fusionsoperationen ist das noch zu erwartende Restwachstum der Patientinnen und Patienten. Aber die Möglichkeiten weiterer konservativer Möglichkeiten und ästhetische Beeinträchtigungen spielen vor allem aus Patientensicht eine große Rolle.

Bei der operativen Versorgung stehen grundsätzlich ventrale und dorsale Operationsverfahren zur Verfügung. Die Auswahl für den jeweiligen Zugangsweg hängt dabei im Wesentlichen vom vorliegendem Kurventyp und der jeweiligen Präferenz des Operateurs ab. So bietet sich für einbogige Skoliosen (Typ Lenke 1 und 5) ein ventrales Vorgehen an. Vorteil der ventralen Versorgung ist die kürzere Fusionsstrecke von End- zu Endwirbel der Krümmung und eine gute segmentale Derotation und Rekonstruktion des sagittalen Profils über ein ventrales Release durch Diskektomien. Nicht geeignet für ein ventrales Vorgehen sind dagegen kyphotische Skoliosen. Nachteilig ist jedoch die zugangsbedingte Morbidität mit Einschränkung der Lungenfunktion. Dorsale Operationsverfahren bieten sich vor allem bei doppelbogigen Skoliosen (Typ Lenke 2, 3, 4 und 5) an. Vorteil der dorsalen Versorgung liegt in der geringeren Morbidität des Zugangs. Zudem haben sich gerade in den letzten Jahren durch Weiterentwicklung der Implantationssysteme mit vielfältigen Verankerungsmöglichkeiten und die höhere Implantatdichte die Korrekturmöglichkeiten deutlich verbessert. Damit hat sich die Fusionslänge fast an die der ventralen Operationsverfahren angenähert und damit weitestgehend durchgesetzt.

Non-Fusions-Operationen finden eine Anwendung, wenn der präpubertäre Wachstumsschub noch nicht eingetreten ist. Die unterschiedlichen Verfahren sind so konzipiert, dass Sie mit der Patientin/dem Patienten mitwachsen und nach Wachstumsabschluss mit Ausnahme des Vertebral Body Tethering in eine Fusion münden. Aktuell stehen folgende Optionen zur Verfügung: Vertical Expandable-Prosthetic Titanium Rib (VEPTR), Traditioneller Growing Rod, Magnetischer Growing Rod und das Vertebral Body Tethering.

Das VEPTR-System findet vor allem eine Anwendung bei kongenitalen, neurogenen oder idiopathischen Skoliosen mit einer Thoraxdeformität mit Rippenfusionen oder Fehlanlagen. Über eine kleine Thorakotomie erfolgt die Implantation der Rippenhalterung am kranialen Befestigungspunkt und Implantation der Gegenhalterung am kaudalen Befestigungspunkt z.B. einer Rippe, Lamina eines Wirbelkörpers oder am Ilium. Die Verlängerungsschiene wird über eine Untertunnelung eingebracht. Vorteil des Verfahrens ist die minimalinvasive Einbringung des Systems und dass die Wirbelsäule selbst nicht freigelegt wird. Spontanfusionen sind im Vergleich zum Growing Rods damit seltener. Nachteilig ist jedoch, dass regelmäßige Nachoperation für die Verlängerungen notwendig sind und Wundheilungsstörungen. Zudem kommt es wie bei fast allen Non-Fusion-Operationen zu einer Entlordosierung der Wirbelsäule.

Eine weitere Möglichkeit der Non-Fusions-Operationen stellen die Growing Rods dar. Sie finden Anwendung bei flexiblen, progredienten infantilen und juvenilen Skoliosen. Die Einbringung erfolgt ebenfalls minimalinvasiv mit Einbringung von Pedikelschrauben, Haken oder Laminabändern am kranialen und caudalen Ankerpunkt der Skoliose. Die Stäbe werden dann subfaszial eingeschoben. Bei den traditionellen Growing Rods erfolgt die Verlängerung über eine mechanische Distraktion des Konstrukts ca. alle 6 Monate in einer Operation. Vorteil des traditionellen Growing Rods ist im Vergleich zu den magnetisch verlängerbaren Systemen die größere Kraftaufbringung in axialer Richtung. Der wesentliche Vorteil der magnetisch verlängerbaren Growing Rods ist die transdermale Distraktion über eine Magnetspule ohne Operation. Die magnetische Kopplung der beiden Spulen am Growing Rod selbst und Verlängerungsgerät ist aber von der Distanz der Spulen abhängig. Eine Kopplung bei tiefliegenden Growing Rods ist daher mitunter problematisch. Zudem können die Antriebe arrodieren. Beiden Verfahren gemein ist die Entlordosierung der Wirbelsäule sowie die Kyphosierung der angrenzenden Wirbelsäulensegmente. Nach Wachstumsabschuss erfolgt dann die Fusion der Wirbelsäule.

Relativ neu ist die Möglichkeit des Vertebral Body Tethering. Es wird bei flexiblen idiopathischen Adoleszentenskoliosen mit einem Restwachstum von mindestens 2 Jahren eingesetzt. Beim Tethering werden über konvexseitige Thorakotomien bzw. Lumbotomien Schrauben an den seitlichen Wirbelkörpern eingebracht und ein Kunststoffseil zwischen den Schrauben gespannt. Der Vorteil ist, dass die Beweglichkeit der Wirbelsäule erhalten bleibt. Jedoch gibt es zu diesem Verfahren noch keine Langzeiterfahrungen. Bekannt ist jedoch, dass das Seil zwischen den Schrauben reißen kann und es somit zu einem Korrekturverlust kommen kann. Die Gefahr ist besonders im lumbalen Bereich vorhanden, der im Vergleich zum Thorax deutlich flexibler ist. So werden hier bereits 2 Seile eingebracht, um das Risiko zu minimieren. Das Verfahren selbst eignet nicht für infantile oder juvenile Skoliosen mit großer Wachstumsprognose.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
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www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Dipl.-Ing. Florian Völlner

Medartes

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