Übersichtsarbeiten - OUP 05/2022

Diagnostische Kriterien und Stadieneinteilung als Basis für eine leitliniengerechte Therapie

Gunter Spahn, Cornelia Retzlaff, Gunther O. Hofmann

Zusammenfassung:
Die Prävalenz von Gelenkbeschwerden in der allgemeinen Bevölkerung ist sehr hoch. Diese Erkrankungen gelten daher als Zivilisationskrankheit. Mit zunehmendem Lebensalter steigt dabei die Arthroserate und bei einem großen Teil der älter werdenden Patienten sind Gelenkbeschwerden arthrosebedingt. Vor der Therapieplanung ist in jedem Einzelfall immer eine individuelle Analyse der Symptomatik (Schmerzen, Funktionseinschränkung und Minderung der Lebensqualität) in Kombination mit einer exakten klinischen Untersuchung und einer sinnvollen Anwendung weiterer, in der Regel radiologischer Verfahren erforderlich. Die Synopse dieser verschiedenen diagnostischen Bausteine gibt dann in den meisten Fällen ein Arthrosestadium vor, welches dann die individuelle Therapieplanung vorgibt. Allerdings muss dem Behandler klar sein, dass es bislang keinen diagnostischen Goldstandard für die Diagnostik dieses sehr komplexen Krankheitsbildes gibt. Immer wieder muss gewarnt werden, paraklinische Befunde überzubewerten und damit eine Übertherapie zu provozieren. In den letzten Jahren wurden die paraklinischen Methoden verfeinert und in Zukunft sind hier weitere Verbesserungen der diagnostischen Möglichkeit des Krankheitsbildes Arthrose zu erwarten.

Schlüsselwörter:
Arthrose, Diagnostik, Arthrose-Scores, Röntgen, MRT

Zitierweise: Spahn G, Retzlaff C, Hofmann GO: Diagnostische Kriterien und Stadieneinteilung als Basis für eine leitliniengerechte Therapie
OUP 2022; 11: 222–230
DOI 10.53180/oup.2022.0222-0230

Summary: The prevalence of joint complaints in the general population is very high. These diseases are therefore considered a so-called lifestyle disease. With increasing age, the arthrosis rate increases and in a large proportion of aging patients joint complaints are caused by arthrosis. Before planning therapy, an individual analysis of the symptoms (pain, functional impairment and reduction in quality of life) in combination with an exact clinical examination and a meaningful application of further, usually radiological procedures is always required in each individual case. The synopsis of these various diagnostic components then prescribes an arthrosis stage in most cases, which then prescribes the individual therapy planning. However, it must be clear to the practitioner that there is no diagnostic gold standard for the diagnosis of this very complex clinical picture. Again and again, it must be warned to overestimate paraclinical findings and thus provoke overtreatment. In recent years, the paraclinical methods have been refined and in the future further improvements in the diagnostic possibility of the clinical picture of osteoarthritis are to be expected.

Keywords: osteoarthritis, diagnostics, osteoarthritis scores, X-ray, MRI

Citation: Spahn G, Retzlaff C, Hofmann GO: Diagnostic criteria and stage classification as a basis for a guideline-compliant therapy
OUP 2022; 11: 222–230. DOI 10.53180/oup.2022.0222-0230

G. Spahn: Praxisklinik für Unfallchirurgie und Orthopädie Eisenach; Universitätsklinikum Jena

C. Retzlaff: Radiologie Eisenach-Eschwege BAG

G. O. Hofmann: Klinik für Unfall-, Hand-und Wiederherstellungschirurgie Justizklinikum Jena; BG-Klinik Bergmannstrost Halle/H.

Arthrosedefinition und
Epidemiologie

Der Terminus „Arthrosis deformans“ beschreibt einen Zustand der Gelenkfehlfunktion und/oder Gelenkzerstörung (Arthros = Gelenk; -osis = Normabweichung; deformans = Deformierung, Umformung).

Die wichtigste, aber nicht einzige pathophysiologische Ursache dieser Erkrankung ist eine Schädigung des hyalinen Gelenkknorpels und des darunterliegenden subchondralen Knochens (siehe Beitrag von Madry und Stöve in diesem Themenheft). Zunächst kommt es zu einer Erweichung des hyalinen Gelenkknorpels (Chondropathie/Chondromalazie). Dies führt zu verminderter biomechanischer Resistenz des Gelenkknorpels, der rissig wird und sich schließlich vorwiegend in den Hauptbelastungszonen der Gelenke komplett vom subchondralen Knochen löst. Die biomechanisch-unphysiologische Belastung des darunterliegenden subchondralen Knochens führt einerseits zu einer Sinterung mit Entstehung der Sklerose und andererseits einem Auswalzen, indem sie für die erkrankungstypischen Osteophyten entstehen.

Infolge der Gewebealterung (Degeneration) des hyalinen Gelenkknorpels kommt es in den meisten Gelenken mit zunehmendem Lebensalter zu solchen Körperschäden respektive zu Arthroseentwicklung. Eine solche Krankheitsentwicklung bezeichnet man definitionsgemäß als „idiopathische = primäre Arthrose“, für die ein altersabhängiges, normales Grundrisiko besteht. Allerdings sind davon nicht alle Gelenke des Körpers in gleicher Weise betroffen (Abb. 1).

Zusätzlich zu diesen normalem Grundrisiko gibt es eine Reihe von Faktoren, die das Risiko für die Entwicklung einer Arthrose in unterschiedlicher Weise erhöhen können.

Dies sind zum einen angeborene oder erworbene Fehlstellungen im Bereich der Gelenke selbst bzw. der betroffenen Extremität. Hackenbroch bezeichnet solche Fehlstellungen als „präarthrotische Deformierung“ [15]. Können solche Deformierungen mit hoher Wahrscheinlichkeit als Ursache für die Entstehung einer Arthrose identifiziert werden, spricht man definitionsgemäß von „sekundären Arthrosen“. Diese grundlegende Unterscheidung der Arthroseformen spiegelt sich auch in der ICD 10-Klassifikation wieder.

Die wichtigste erworbene Fehlstellungen die zu einer sekundären Arthrose führen kann, sind durchgemachte Verletzungen am Gelenk oder im Bereich der betroffenen Extremität (posttraumatische Arthrose). Der Zusammenhang zwischen Verletzungsfolgen und erhöhtem Arthroserisiko wurde in zahlreichen epidemiologischen und Fallstudien nachgewiesen.

Typische, nicht-traumatisch verursachten präarthrotische Deformierungen findet man vor allem im Bereich des Hüftgelenkes. Dies betrifft klassischerweise die persistierende Dysplasie beim Erwachsenen. In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass vor allem Störungen im Bereich des Hüftkopf-Schenkelhals-Übergangs (Cam-Deformierung) Koxarthrose sehr häufig durch diese verursacht werden. Ipach et al. führten eine Ursachenanalyse bei insgesamt 228 Patienten, die zum Zeitpunkt der Endoprothesenimplantation < 60 Jahre alt waren durch. Dabei fanden sie in 42,1 % der Fälle arthrosebegünstigende Ursachen für die Entstehung der Koxarthrose [17]. Die Ergebnisse der Copenhagen-Osteoarthritis-Study zeigten noch höhere Koinzidenzen von präarthrotische Deformierungen vor allem bei Männern (71,0 %) im Vergleich zu Frauen mit 36,6 %. Sie gelangen daher zur Schlussfolgerung, dass die sogenannte „idiopathische, d.h. also primäre Koxarthrose“ in der Vergangenheit oft überbewertet wurde [13].

Primäre Arthrosen hingegen kommen am Kniegelenk und an den Fingergelenken wesentlich häufiger vor und sind hier als Regelfall anzusehen. Die Bedeutung präarthrotische Deformierungen am Kniegelenk (Dysplasien im Bereich des Patellofemoralgelenks oder Abweichungen der Beinachse im Varus-Valgus-Sinn) wurden in der Vergangenheit als Risikofaktor dabei in der Vergangenheit als epidemiologischer Faktor überbewertet.

Zusätzlich zu den Deformierungen gibt es eine weitere Reihe von möglichen endogenen Risikofaktoren, die das Arthroserisiko erhöhen können: Übergewicht/Adipositas, Gicht und Chondrokalzinose, rheumatische Erkrankungen, Psoriasis vulgaris. Ebenso gibt es Unterschiede in Bezug auf das Risiko für einige Arthroseformen zwischen männlichen und weiblichen Patienten. Beispiel dafür ist das höhere Risiko für Gonarthrosen und Finger-Gelenksarthrose bei Frauen. Interessant dabei ist jedoch, dass sich das Koxarthrose-Risiko bei Männern und Frauen kaum unterscheidet (Abb. 1). Überbelastungen in Beruf und Sport können zudem als exogene Risikofaktoren bei einigen Patienten das Arthroserisiko erhöhen. Beispiele dafür sind die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten (Arbeit mit Pressluftwerkzeugen mit erhöhtem Risiko für Handgelenks-Ellenbogenarthrosen oder knieende Tätigkeit mit einem erhöhten Gonarthroserisiko). Auch die Ausübung bestimmter Sportarten wird immer wieder als Risikofaktor für die Entstehung von Arthrosen einiger Gelenke diskutiert.

Anamnese und klinischer Befund

Die Annahme einer Arthrose als Krankheit setzt immer voraus, dass die Gelenk-Fehlfunktion beim Patienten zu Beschwerden und Funktionseinschränkungen führt. Diese können bei den einzelnen Gelenken sehr unterschiedliche Symptome verursachen.

Schmerzen sind sicherlich das Leitsymptom für die meisten Arthrosen. Diese lassen sich in Belastungsschmerzen bzw. Ruhe- und Nachtschmerzen differenzieren. Entscheidend in der Anamnese ist dabei, wann die Schmerzen auftreten. Um dies genau zu differenzieren, haben sich eine Reihe von Arthrose-Scores etabliert (siehe Outcome-Kriterien). Grundsätzlich ist es dabei möglich, die Schmerzintensität semi-quantitativ durch den Patienten auf der visuellen Analogskala (VAS) beschreiben zu lassen. Die VAS hat dabei vor allem Bedeutung in der Verlaufskontrolle.

Allerdings muss eingeschränkt werden, dass die Schmerzausprägung nicht für alle Gelenke gleichermaßen zutreffen muss. Oftmals sind bei der Koxarthrose zunächst die Schmerzen nur gering und die Beschwerden beginnen mit Funktionseinschränkungen (Gangstörung, Unfähigkeit, die Hüfte zu beugen und damit verbundenen Schwierigkeiten bei Alltagsaktivitäten, z.B. Treppensteigen, Schuhe binden und Sitzen mit gebeugtem Hüftgelenk). Arthrosen der Fingerendgelenke (Heberden) verursachen nur selten Beschwerden infolge der Störung der Greiffunktion und Schmerzen sind hier die Ausnahme.

Eine symptomatische Arthrose lässt sich durch eine Synopse aus Anamnese und klinischen Befund bereits mit hoher Sicherheit feststellen. Dazu eignet sich sehr gut das Bewertungsschema, welches das American College of Rheumatology (ASR) empfiehlt (Tab. 1).

Outcome-Kriterien
(Arthrose-Scores)

In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Arthrose-Scores entwickelt, welche versuchen, die Gesamtheit des Krankheitsbildes (Schmerzen, Bewegungseinschräkungen, Funktionseinschränkung, Minderung der Lebensqualität) umfassend zu beschreiben.

Der Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC) wurde in den achtziger Jahren von Bellamy und Buchanan entwickelt und beurteilt verschiedene Fehlfunktionen von Kniegelenk und Hüftgelenk im Rahmen (Schmerzen, Steifigkeit, körperliche Funktion) und galt viele Jahre als Standard-Messinstrument für die Ergebnisbeurteilung nach Arthrosetherapie im internationalen Schrifttum.

In den letzten Jahrzehnten jedoch haben sich mehr und mehr die speziell auf die Fragen von Hüftgelenk und Kniegelenk explizit spezialisierten Scores durchgesetzt:

Hip disability and Osteoarthritis Outcome Score (HOOS) [10]

Knee Injury and Osteoarthritis Outcome Score (KOOS Score) [28]

Beide Scores wurden für die deutsche Sprache inzwischen validiert und der Vorteil besteht darin, dass diese kostenfrei zum Download zur Verfügung stehen. Der Vorteil dieser Scores ist die komplexe Erfassung der konkreten Beschwerden der Patienten und die arthrosebedingte Einschränkung der Lebensqualität. Sie liefern sichere Indizien für die subjektiv empfundene Schwere der Erkrankung und den bei den Patienten bestehenden Leidensdruck. Dadurch werden sie zu validen diagnostischen Instrumenten für die jeweilige patientenindividuelle Therapieentscheidung, aber auch für die Verlaufskontrolle und Therapieanpassung.

Projektionsradiographie

Die Standard-Projektionsradiographie in 2 Ebenen ist neben der Erhebung der Anamnese und Klinik das wichtigste diagnostische Tool bei der Feststellung einer Arthrose. Im Jahr 1948 beschrieb Fairbank [12] radiologische Gelenkveränderungen die in unterschiedlichen Stadien im Anschluss an die damals üblichen offenen Meniskektomien auftraten (Tab. 2).

Die meisten radiologischen Arthroseklassifikationen orientieren sich dabei an der Stadieneinteilung nach Kellgren-Lawrence [19]. Grundsätzlich ähnelt diese Klassifikation der von Fairbank. Es ist jedoch das Verdienst von Kellgren und Lawrence, dass diese erstmals systematisch größere Populationen in Bezug auf die radiologischen Veränderungen an den Gelenken und die Manifestation von Gelenkssymptomen untersuchten. Dabei fanden sie heraus, dass in ca. 30 % der von ihnen untersuchten Patienten trotz vorliegenden radiologischen Arthrosezeichen (radiological osteoarthitis = ROA) keine Beschwerden bei den Patienten vorlagen. Auch diese Klassifikation umfasst 4 Schweregrade (Abb. 2):

  • Grad I: Gelenkspaltverschmälerung möglich, Osteophyten möglich
  • Grad II: Gelenkspaltverschmälerung sicher, Osteophyten möglich, minimale Sklerose
  • Grad III: Deutliche Gelenkspaltverschmälerung, geringe Osteophyten, geringe Sklerose
  • Grad IV: Erhebliche Gelenkspaltverschmälerung, große Osteophyten, Sklerose, Zysten, ausgeprägte Deformierung

Diese Klassifikation wurde ursprünglich für die Bestimmung der Koxarthrose, Gonarthrose und Fingergelenke entwickelt. Sie wurde aber für eine Reihe von anderen Gelenken entsprechend den jeweiligen Fragestellungen erweitert (Tab. 2).

Die Empfehlungen der OARSI (Osteoarthritis-Research-Society-International) empfehlen für die Schweregradbestimmung der Arthrose in den einzelnen Gelenken in der Proiektionsradiographie nur eine deskriptive Beschreibung und haben diesbezüglich einen umfangreichen Atlas mit entsprechenden Beispielbildern veröffentlicht [3].

Allerdings muss in diesem Kontext darauf hingewiesen werden, dass die Befunde in der Proiektionsradiographie oft eine erhebliche Inter-Observer-Varianz aufweisen. Dies vor allem in Abhängigkeit vom Ausbildungsstand des Untersuchers aber vor allem bei der Diagnostik leichterer Arthrosestadien [41].

Für ein genaueres Arthrose-Grading ist es möglich, die Weite der Gelenkspalten an definierten Messpunkten zu bestimmen.

Im Bereich des Kniegelenks kann bei Unterschreitung der Normalwerte innerhalb der Gelenkspaltweite von einer definitiven Arthrose (KL Grad II oder höher) ausgegangen werden [7, 22].

  • Femorotibialgelenk medial (Alters-und geschlechtsunabhängig): ? 4 mm
  • Femorotibialgelenk lateral (Alters-und geschlechtsunabhängig): ? 5 mm
  • Femoropatellargelenk (60° Flexion):

Männer bis 50 Jahre ? 6 mm

Frauen bis 50 Jahre ? 5 mm

Männer und Frauen über 50 Jahre ? 5 mm

MRT

Lange Zeit wurde das Krankheitsbild „Arthrose“ dadurch definiert, dass in der Projektionsradiographie die vorstehend beschriebenen Arthrosezeichen vorliegen. Mit der Etablierung der Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie = MRT) fand hier ein Paradigmenwechsel statt. Durch die MRT ist es möglich, nicht nur die Knochenstruktur und daraus resultierenden arthrotischen Veränderungen im Gelenk darzustellen, sondern diese Methode erlaubt auch eine exakte Diagnostik der Schäden am hyalinen Gelenkknorpel und der übrigen Gelenksstrukturen (Meniscus, Synovia, Ligamente, Ausprägung des Gelenkergusses, periartikuläre Zysten und Bursae).

Die MRT-Untersuchung hat gegenüber der konventionellen Projektionsradiographie eine Reihe von Vorteilen:

Erfassung von arthrotischen Veränderungen des Gelenkes (Früharthrose = early OA) bei noch unauffälligem Röntgenbefund

dreidimensionale Erfassung der Schäden

Verzicht auf Strahlenbelastung, allerdings bei erheblichem apparativem, personellem und finanziellem Mehraufwand

In der MRT-Untersuchung werden viele einzelne Befunde vorgefunden, die den Zustand des arthrotischen Gelenkes erfassen. Um eine Gesamtschau im Sinne einer Beurteilung des Status eines „degenerative Joint“ zu ermöglichen, wurden komplexen Scores für die Zusammenschau dieser verschiedenen Befunde entwickelt (Tab. 2).

Da die MRT-Untersuchung eine hohe Sensitivität in Bezug auf die Gelenkspathologien aufweist, besteht jedoch gelegentlich die Gefahr, dass einzelne Befunde überinterpretiert werden, was zu falsch-positiven Ergebnissen und damit zu falschen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Therapie führen kann.

Die heute gebräuchlichste Klassifikation zur Beschreibung des Schweregrades der Knorpelschäden wurde von im Jahre 1995 von Vollotton et al. vorgestellt [37]. Diese Grad-Einteilung orientiert sich an der bis dato gültigen arthroskopischen „Outerbridge-Klassifikation“:

Grad 0: normal

  • Grad I: Knorpeloberfläche intakt, aber irreguläre Hyperdensität/Hypodensität innerhalb der Knorpelschicht, sogenannte „Chondromalazie“
  • Grad IIa: irreguläre Oberfläche, fokaler Höhenverlust < 50 %
  • Grad IIb: schwere Irregularitäten, fokaler Höhenverlust > 50 %
  • Grad IIIa: Knorpeldefekt (100 %); der subchondrale Knochen ist jedoch unauffällig
  • Grad IIIb: Knorpeldefekt und zusätzliche Knochenreaktion.

Gerade bei der Entscheidung, ob eine Früharthrose und damit initiale Knorpelschädigung vorliegt oder nicht sind auch der konventionellen MRT-Untersuchung Grenzen gesetzt. Für spezielle Fragestellungen eignet sich hier ein weiteres Verfahren, dGEMRIC (delayed gadolinium-enhanced MRI of cartilage). Wesentliches pathophysiologisches Moment der Arthroseentstehung sind die biochemischen und die daraus folgenden biomechanischen Veränderungen im hyalinen Gelenkknorpel (siehe Beitrag von Madry und Stöve in diesem Themenheft). Dabei korreliert der Verlust von Glykosaminoglykanen (GAG) mit dem Degenerationsgrad in der Knorpelmatrix. Die dGEMRIC-Technik basiert auf der hohen Bindungskapazität von Gadolinium (Gd (DPTA) 2) an die Glykosaminoglykane im Knorpel, die sich in der T1-Wichtung in der MRT als Bezirke mit hohem GAG-Gehalt und damit intakter Knorpelqualität bildlich darstellen lassen. Knorpelbezirke mit geringerer Gd-Bindung lassen sich so als degenerativ veränderte Bezirke darstellen [36]. Allerdings ist dieses Verfahren bislang für Routineanwendungen nicht etabliert.

Im Jahr 1988 beschrieben Wilson et al. einen weiteren pathologischen MRT-Befund, nämlich innerhalb der Spongiosa gelenknahe auftretende Hyperdensitäten [40]. Diese wurden zunächst als idiopathisches Knochenmarködem und später allgemeiner formuliert als BML (bone marrow lesion) oder Knochenmark-Ödem-Syndrom (KMÖS) bezeichnet.

In Kenntnis der inzwischen diesen ossären Stressreaktionen zu Grunde liegenden Pathologien mit dem damit einhergehenden Verlust der biomechanischen Festigkeit des Knochens, ist heute die Bezeichnung transiente Osteoporose allgemein gebräuchlich. Dieses MRT-Symptom darf trotz gleichen Aussehens im MRT-Bild nicht mit subchondralen Spongiosa-Frakturen nach Trauma (Bonebruise) verwechselt werden. Obwohl die Ausdehnung des Knochenmarködems häufig mit einer Arthrosesymptomatik korrelieren kann, ist der prädiktive Wert in Bezug auf die Schwere der Erkrankung bislang nicht sicher beurteilbar [31].

Arthroskopie

Knorpelschäden, welche in verschiedenen Schweregraden (Erweichung, Aufbruch und schließlich Defekt = Knorpelglatze) zu einer Gelenkzerstörung führen, wurden erstmals 1743 durch William Hunter beschrieben [16]. Grundsätzlich hat diese Klassifikation nach wie vor ihre Gültigkeit. Besonders bemerkenswert dabei ist vor allem aber die Erkenntnis von Hunter, dass einmal zerstörter Gelenkknorpel irreversibel geschädigt ist: „From Hippocrates to present age it is universally allowed that ulcerated cartilage is a troublesome thing and that, once destroyed , it is not repaired“.

Mit der Etablierung der Arthroskopie als Diagnostik für Gelenkerkrankungen wurde es erforderlich, Knorpelschäden zu klassifizieren. Dabei erlangte die „Outerbridge-Klassifikation“ für die Beschreibung des Schweregrades des Knorpelschadens allgemeine Bedeutung. Die Outerbridge-Klassifikation wird gelegentlich aber fälschlicherweise zur Beschreibung der Schwere der Knorpelschäden in der Arthroskopie verwandt. Zum einen handelt es sich um eine Klassifikation von Knorpelschäden ausschließlich nach Patella-Luxation und zum anderen wird in der Original-Publikation nicht die Schwere des Knorpelschadens entsprechend der Tiefenausdehnung, sondern in der Fläche (quare inch) angegeben. Insofern handelt es sich nur um eine Namensgleichheit.

Am gebräuchlichsten wird heute die Klassifikation gemäß dem Empfehlungen der ICRS (International Cartilage Research Society), der erstmals von Brittberg und Winalsky beschrieben wurde [8]. In Ergänzung zu dieser spezifizierten Schweregradeinteilung empfiehlt die ICRS zudem für das Kniegelenk ein Dokumentationsschema entsprechend der einzelnen Gelenkkompartimente. Eine Vorlage für Operationsberichte ist über die Webseite ICRS erhältlich: www.cartilage.org.

  • Grad 0: Normalbefund
  • Grad I: weitgehender Normalbefund. Allerdings mögliche oberflächliche Erweichungen oder oberflächliche Fissuren.
  • Grad II: abnormaler Befund. Risse und Flakes mit einer maximalen Ausdehnung von < 50 % der Knorpelschicht.
  • Grad III: schwer-abnormaler Befund. Dazu zählen Risse und Flakes > 50 % der Knorpelschicht (IIIa), Risse, die bis zur Tidemark reichen (IIIb) oder bis in den subchondralen Knochen hinein ausgebildet sind (IIIc). Zudem werden auch großflächige Knorpel-Blasen, bei denen der gesamte Knorpel von der subchondralen Knochenplatte abgehoben ist, als Stadium IIId klassifiziert.
  • Grad IV: schwerster abnormaler Befund mit komplettem Knorpel-Defekt. Ist der subchondrale Knochen unauffällig, handelt es sich um ein Stadium IVa. Liegen zusätzliche Schäden am subchondralen Knochen (Sklerose, Geröllzysten) vor, wird dies als Stadium IVb klassifiziert.

Als reine diagnostische Maßnahme hat die Arthroskopie durch die Fortschritte und Verbreitung der MRT in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung verloren. Zu beachten ist zudem, dass in Deutschland im kassenärztlichen Bereich eine Arthroskopie bei der Gonarthrose (ICD10 M 17) nur gesondert zu begründenden Ausnahmeindikationen vorbehalten ist. In Bezug auf die Diagnostik ist die Arthroskopie aber im Zusammenhang mit chondroplastischen Maßnahmen oder bei der Indikationsstellung zur Umstellungsosteotomie nach wie vor anzuwenden.

Zu beachten ist zudem, dass bei der Diagnostik des Knorpelschadens auch die Arthroskopie eine erhebliche Inter-Observer-Varianz hat [33].

Andere Verfahren

Andere diagnostische Verfahren kommen zusätzlich zu den radiologischen Standardverfahren (Projektionsradiographie und Kernspintomografie) in Abhängigkeit von der individuell-konkreten Situation beim Patienten zur Anwendung. Sie stellen aber keineswegs Standardverfahren für die Arthrosediagnostik dar.

Zur Beurteilung der Ausdehnung von osteochondralen Schäden, insbesondere vor gelenkerhaltender Knorpeltherapie gilt die Computertomografie (CT) als Methode der Wahl. Mit dieser Methode ist es möglich, das gesamte Ausmaß des Schadens genau zu beurteilen und ggf. eine Chondroplastik mit einer notwendigen Spongiosaplastik zu kombinieren. Die CT ist zudem ein sicheres Instrument, präarthrotische Deformierungen genau zu detektieren, was bspw. bei gelenkerhaltenden Korrekturosteotomien der Fall ist. Für die Schweregradbestimmung der Arthrose allein ist jedoch die CT in der Regel verzichtlich.

Die Ultraschalluntersuchung der Gelenke ermöglicht die Beurteilung der Ausdehnung eines Gelenkergusses, ebenso wie die MRT eine rechtssichere Beurteilung der Weichteilstrukturen, insbesondere begleitender Schäden am Meniskus, den Busae, den Ligamenten und gelenknahen Sehnen. Eine generelle Ultraschalluntersuchung ist jedoch in der Arthrosediagnostik ebenso selten zwingend erforderlich [24].

Nuklearmedizinische Untersu-
chungen (Entzündungsszintigrafie) spielen ebenso eine untergeordnete Rolle. Sie sind jedoch geeignet, eine primäre degenerativ-bedingte Arthrose von einer entzündlich-verursachten Arthrose (z.B. Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises) zu differenzieren und kommen bei dieser Fragestellung gelegentlich als Zusatzdiagnostik zur Anwendung.

Die SPECT (single photon emission computed tomography) ist ein weiteres bildgebendes Verfahren, welches die Methode der Szintigrafie (Applikation eines radionuclides, die Detektion mit einer Gamma Kamera verbindet, aber bei ihr ist möglich ist, dreidimensionale Schnittbild-Bildrekonstruktionen (ähnlich der CT) vorzunehmen. Zarringam et al. publizierten 2021 ein systematisches Review zur Wertigkeit der SPECT, in das insgesamt 9 Studien zur Wertigkeit dieser Untersuchungsmethode einflossen. In allen dieser Untersuchungen konnte eine gute Korrelation von nativen radiologischen Befund bzw. der MRT in Bezug auf die SPECT nachgewiesen werden. Die Autoren gelangen schlussfolgernd zur Kenntnis, dass diese Methode eine zum Teil höhere diagnostische Ausbeute als die einzelnen Verfahren liefert und daher als hoffnungsvolles Verfahren in der OA-Diagnostik in Zukunft haben wird [42]. Allerdings wird diese Methode derzeit jedoch von der OARSI noch nicht als Standardmethode in der primären routinemäßigen Arthrosediagnostik empfohlen [20].

Biochemische Arthrosemarker

Seit vielen Jahren wurde versucht, biochemische Marker für die Arthrosediagnostik, Verlaufskontrolle und Schweregrad-Beurteilung zu finden. Dabei kamen früher allgemeine Entzündungsparameter (BSG, Blutbildveränderungen, CRP) zur Anwendung. Diese sind völlig unspezifisch und daher grundsätzlich kaum für eine Einzelfallentscheidung und Therapieplanung verwertbar. Es verwundert daher, dass die Erhöhung der BSG nach wie vor wesentliches diagnostisches Kriterium der ACR-Leitlinie für die Koxarthrose ist [2].

Hinsichtlich der Labordiagnostik wurden für die Arthrose bisher zahlreiche biochemische Marker detektiert, von denen die meisten im Zusammenhang mit dem Abbau der chondralen Matrix-Bestandteile, insbesondere des Kollagens stehen. Die größte Bedeutung hat dabei das Cartilage Oligomeric Matrix Protein (COMP) erlangt, welches im Rahmen der Degeneration des Gelenkknorpels vermehrt entsteht und sich sowohl in der Synovialflüssigkeit, als auch im Serum bzw. Urin nachweisen lässt. Kommerzielle Test-Kits stehen dafür zur Verfügung. Allerdings sind diese ausgesprochen kostenintensiv. Nachteilig ist bei diesen biochemischen Markern aber vor allem der Umstand, dass sie weder gelenksspezifisch sind, noch bislang eine sichere Korrelation von Erkrankungsschwere unter Beweis stellen konnten [5, 23].

Wertigkeit verschiedener diagnostischer Verfahren in Bezug auf die Diagnose: „Arthrose“

Bei der Beurteilung der einzelnen diagnostischen Verfahren für die Therapieentscheidung sind 2 wesentliche Umstände bedeutsam:

Diskrepanz zwischen individueller Symptomatik (Schmerzsituation, Einschränkung der Lebensqualität) und festgestellter Schweregrad der Erkrankung durch bildgebende oder sonstige Untersuchungsmethoden. Zudem ist es zu vermeiden, dass einfache Schweregrade jeweils konkret angeben, welche Klassifikation hier beurteilt wurde. Eine gewisse Diskrepanz besteht dabei z.B. zwischen den Röntgenbefunden und den Schweregradeinteilungen in der MRT (Tab. 3).

Inter-Observer-Varianz der verschiedenen Untersuchungsmethoden. Ein absolut sicheres diagnostisches Kriterium für die Bestimmung des Schweregrades der Arthrose im Sinne eines „Goldstandards“ gibt es bislang nicht.

So haben bereits Kellgren und Lawrence darauf hingewiesen, dass in etwa 30 % aller Fälle von Patienten, bei denen sich pathologische Röntgenbefunde fanden, keine oder nur ausgesprochen geringe Symptome vorhanden waren. Sie unterscheiden daher die Krankheitsbilder „Arthrose“, d.h. Symptomatik + radiologische Arthrosezeichen von einer alleinigen „ROA = radiologische Arthrose“. Umgekehrt finden sich häufig jedoch auch symptomatische Gelenke, bei denen sich keine oder allenfalls nur geringfügige Pathologien in den Zusatzuntersuchungen zeigen (sog. funktionelle Gelenkbeschwerden). Einer exakte Analyse der individuell-ausgeprägten Symptomatik bei jedem einzelnen Patienten kommt daher die entscheidende Bedeutung bei und die Bewertung der verschiedenen Arthrosestadien kann allenfalls Hilfestellung bei der individuellen Therapieplanung sein.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. habil. Gunter Spahn

Praxisklinik für Unfallchirurgie und

Orthopädie Eisenach

Universitätsklinikum Jena

Sophienstraße 16

99817 Eisenach

spahn@pk-eisenach.de

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