Übersichtsarbeiten - OUP 05/2022

Diagnostische Kriterien und Stadieneinteilung als Basis für eine leitliniengerechte Therapie

Für ein genaueres Arthrose-Grading ist es möglich, die Weite der Gelenkspalten an definierten Messpunkten zu bestimmen.

Im Bereich des Kniegelenks kann bei Unterschreitung der Normalwerte innerhalb der Gelenkspaltweite von einer definitiven Arthrose (KL Grad II oder höher) ausgegangen werden [7, 22].

  • Femorotibialgelenk medial (Alters-und geschlechtsunabhängig): ? 4 mm
  • Femorotibialgelenk lateral (Alters-und geschlechtsunabhängig): ? 5 mm
  • Femoropatellargelenk (60° Flexion):

Männer bis 50 Jahre ? 6 mm

Frauen bis 50 Jahre ? 5 mm

Männer und Frauen über 50 Jahre ? 5 mm

MRT

Lange Zeit wurde das Krankheitsbild „Arthrose“ dadurch definiert, dass in der Projektionsradiographie die vorstehend beschriebenen Arthrosezeichen vorliegen. Mit der Etablierung der Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie = MRT) fand hier ein Paradigmenwechsel statt. Durch die MRT ist es möglich, nicht nur die Knochenstruktur und daraus resultierenden arthrotischen Veränderungen im Gelenk darzustellen, sondern diese Methode erlaubt auch eine exakte Diagnostik der Schäden am hyalinen Gelenkknorpel und der übrigen Gelenksstrukturen (Meniscus, Synovia, Ligamente, Ausprägung des Gelenkergusses, periartikuläre Zysten und Bursae).

Die MRT-Untersuchung hat gegenüber der konventionellen Projektionsradiographie eine Reihe von Vorteilen:

Erfassung von arthrotischen Veränderungen des Gelenkes (Früharthrose = early OA) bei noch unauffälligem Röntgenbefund

dreidimensionale Erfassung der Schäden

Verzicht auf Strahlenbelastung, allerdings bei erheblichem apparativem, personellem und finanziellem Mehraufwand

In der MRT-Untersuchung werden viele einzelne Befunde vorgefunden, die den Zustand des arthrotischen Gelenkes erfassen. Um eine Gesamtschau im Sinne einer Beurteilung des Status eines „degenerative Joint“ zu ermöglichen, wurden komplexen Scores für die Zusammenschau dieser verschiedenen Befunde entwickelt (Tab. 2).

Da die MRT-Untersuchung eine hohe Sensitivität in Bezug auf die Gelenkspathologien aufweist, besteht jedoch gelegentlich die Gefahr, dass einzelne Befunde überinterpretiert werden, was zu falsch-positiven Ergebnissen und damit zu falschen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Therapie führen kann.

Die heute gebräuchlichste Klassifikation zur Beschreibung des Schweregrades der Knorpelschäden wurde von im Jahre 1995 von Vollotton et al. vorgestellt [37]. Diese Grad-Einteilung orientiert sich an der bis dato gültigen arthroskopischen „Outerbridge-Klassifikation“:

Grad 0: normal

  • Grad I: Knorpeloberfläche intakt, aber irreguläre Hyperdensität/Hypodensität innerhalb der Knorpelschicht, sogenannte „Chondromalazie“
  • Grad IIa: irreguläre Oberfläche, fokaler Höhenverlust < 50 %
  • Grad IIb: schwere Irregularitäten, fokaler Höhenverlust > 50 %
  • Grad IIIa: Knorpeldefekt (100 %); der subchondrale Knochen ist jedoch unauffällig
  • Grad IIIb: Knorpeldefekt und zusätzliche Knochenreaktion.

Gerade bei der Entscheidung, ob eine Früharthrose und damit initiale Knorpelschädigung vorliegt oder nicht sind auch der konventionellen MRT-Untersuchung Grenzen gesetzt. Für spezielle Fragestellungen eignet sich hier ein weiteres Verfahren, dGEMRIC (delayed gadolinium-enhanced MRI of cartilage). Wesentliches pathophysiologisches Moment der Arthroseentstehung sind die biochemischen und die daraus folgenden biomechanischen Veränderungen im hyalinen Gelenkknorpel (siehe Beitrag von Madry und Stöve in diesem Themenheft). Dabei korreliert der Verlust von Glykosaminoglykanen (GAG) mit dem Degenerationsgrad in der Knorpelmatrix. Die dGEMRIC-Technik basiert auf der hohen Bindungskapazität von Gadolinium (Gd (DPTA) 2) an die Glykosaminoglykane im Knorpel, die sich in der T1-Wichtung in der MRT als Bezirke mit hohem GAG-Gehalt und damit intakter Knorpelqualität bildlich darstellen lassen. Knorpelbezirke mit geringerer Gd-Bindung lassen sich so als degenerativ veränderte Bezirke darstellen [36]. Allerdings ist dieses Verfahren bislang für Routineanwendungen nicht etabliert.

Im Jahr 1988 beschrieben Wilson et al. einen weiteren pathologischen MRT-Befund, nämlich innerhalb der Spongiosa gelenknahe auftretende Hyperdensitäten [40]. Diese wurden zunächst als idiopathisches Knochenmarködem und später allgemeiner formuliert als BML (bone marrow lesion) oder Knochenmark-Ödem-Syndrom (KMÖS) bezeichnet.

In Kenntnis der inzwischen diesen ossären Stressreaktionen zu Grunde liegenden Pathologien mit dem damit einhergehenden Verlust der biomechanischen Festigkeit des Knochens, ist heute die Bezeichnung transiente Osteoporose allgemein gebräuchlich. Dieses MRT-Symptom darf trotz gleichen Aussehens im MRT-Bild nicht mit subchondralen Spongiosa-Frakturen nach Trauma (Bonebruise) verwechselt werden. Obwohl die Ausdehnung des Knochenmarködems häufig mit einer Arthrosesymptomatik korrelieren kann, ist der prädiktive Wert in Bezug auf die Schwere der Erkrankung bislang nicht sicher beurteilbar [31].

Arthroskopie

Knorpelschäden, welche in verschiedenen Schweregraden (Erweichung, Aufbruch und schließlich Defekt = Knorpelglatze) zu einer Gelenkzerstörung führen, wurden erstmals 1743 durch William Hunter beschrieben [16]. Grundsätzlich hat diese Klassifikation nach wie vor ihre Gültigkeit. Besonders bemerkenswert dabei ist vor allem aber die Erkenntnis von Hunter, dass einmal zerstörter Gelenkknorpel irreversibel geschädigt ist: „From Hippocrates to present age it is universally allowed that ulcerated cartilage is a troublesome thing and that, once destroyed , it is not repaired“.

Mit der Etablierung der Arthroskopie als Diagnostik für Gelenkerkrankungen wurde es erforderlich, Knorpelschäden zu klassifizieren. Dabei erlangte die „Outerbridge-Klassifikation“ für die Beschreibung des Schweregrades des Knorpelschadens allgemeine Bedeutung. Die Outerbridge-Klassifikation wird gelegentlich aber fälschlicherweise zur Beschreibung der Schwere der Knorpelschäden in der Arthroskopie verwandt. Zum einen handelt es sich um eine Klassifikation von Knorpelschäden ausschließlich nach Patella-Luxation und zum anderen wird in der Original-Publikation nicht die Schwere des Knorpelschadens entsprechend der Tiefenausdehnung, sondern in der Fläche (quare inch) angegeben. Insofern handelt es sich nur um eine Namensgleichheit.

Am gebräuchlichsten wird heute die Klassifikation gemäß dem Empfehlungen der ICRS (International Cartilage Research Society), der erstmals von Brittberg und Winalsky beschrieben wurde [8]. In Ergänzung zu dieser spezifizierten Schweregradeinteilung empfiehlt die ICRS zudem für das Kniegelenk ein Dokumentationsschema entsprechend der einzelnen Gelenkkompartimente. Eine Vorlage für Operationsberichte ist über die Webseite ICRS erhältlich: www.cartilage.org.

  • Grad 0: Normalbefund
  • Grad I: weitgehender Normalbefund. Allerdings mögliche oberflächliche Erweichungen oder oberflächliche Fissuren.
  • Grad II: abnormaler Befund. Risse und Flakes mit einer maximalen Ausdehnung von < 50 % der Knorpelschicht.
  • Grad III: schwer-abnormaler Befund. Dazu zählen Risse und Flakes > 50 % der Knorpelschicht (IIIa), Risse, die bis zur Tidemark reichen (IIIb) oder bis in den subchondralen Knochen hinein ausgebildet sind (IIIc). Zudem werden auch großflächige Knorpel-Blasen, bei denen der gesamte Knorpel von der subchondralen Knochenplatte abgehoben ist, als Stadium IIId klassifiziert.
  • Grad IV: schwerster abnormaler Befund mit komplettem Knorpel-Defekt. Ist der subchondrale Knochen unauffällig, handelt es sich um ein Stadium IVa. Liegen zusätzliche Schäden am subchondralen Knochen (Sklerose, Geröllzysten) vor, wird dies als Stadium IVb klassifiziert.
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