Übersichtsarbeiten - OUP 05/2022

Diagnostische Kriterien und Stadieneinteilung als Basis für eine leitliniengerechte Therapie

Primäre Arthrosen hingegen kommen am Kniegelenk und an den Fingergelenken wesentlich häufiger vor und sind hier als Regelfall anzusehen. Die Bedeutung präarthrotische Deformierungen am Kniegelenk (Dysplasien im Bereich des Patellofemoralgelenks oder Abweichungen der Beinachse im Varus-Valgus-Sinn) wurden in der Vergangenheit als Risikofaktor dabei in der Vergangenheit als epidemiologischer Faktor überbewertet.

Zusätzlich zu den Deformierungen gibt es eine weitere Reihe von möglichen endogenen Risikofaktoren, die das Arthroserisiko erhöhen können: Übergewicht/Adipositas, Gicht und Chondrokalzinose, rheumatische Erkrankungen, Psoriasis vulgaris. Ebenso gibt es Unterschiede in Bezug auf das Risiko für einige Arthroseformen zwischen männlichen und weiblichen Patienten. Beispiel dafür ist das höhere Risiko für Gonarthrosen und Finger-Gelenksarthrose bei Frauen. Interessant dabei ist jedoch, dass sich das Koxarthrose-Risiko bei Männern und Frauen kaum unterscheidet (Abb. 1). Überbelastungen in Beruf und Sport können zudem als exogene Risikofaktoren bei einigen Patienten das Arthroserisiko erhöhen. Beispiele dafür sind die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten (Arbeit mit Pressluftwerkzeugen mit erhöhtem Risiko für Handgelenks-Ellenbogenarthrosen oder knieende Tätigkeit mit einem erhöhten Gonarthroserisiko). Auch die Ausübung bestimmter Sportarten wird immer wieder als Risikofaktor für die Entstehung von Arthrosen einiger Gelenke diskutiert.

Anamnese und klinischer Befund

Die Annahme einer Arthrose als Krankheit setzt immer voraus, dass die Gelenk-Fehlfunktion beim Patienten zu Beschwerden und Funktionseinschränkungen führt. Diese können bei den einzelnen Gelenken sehr unterschiedliche Symptome verursachen.

Schmerzen sind sicherlich das Leitsymptom für die meisten Arthrosen. Diese lassen sich in Belastungsschmerzen bzw. Ruhe- und Nachtschmerzen differenzieren. Entscheidend in der Anamnese ist dabei, wann die Schmerzen auftreten. Um dies genau zu differenzieren, haben sich eine Reihe von Arthrose-Scores etabliert (siehe Outcome-Kriterien). Grundsätzlich ist es dabei möglich, die Schmerzintensität semi-quantitativ durch den Patienten auf der visuellen Analogskala (VAS) beschreiben zu lassen. Die VAS hat dabei vor allem Bedeutung in der Verlaufskontrolle.

Allerdings muss eingeschränkt werden, dass die Schmerzausprägung nicht für alle Gelenke gleichermaßen zutreffen muss. Oftmals sind bei der Koxarthrose zunächst die Schmerzen nur gering und die Beschwerden beginnen mit Funktionseinschränkungen (Gangstörung, Unfähigkeit, die Hüfte zu beugen und damit verbundenen Schwierigkeiten bei Alltagsaktivitäten, z.B. Treppensteigen, Schuhe binden und Sitzen mit gebeugtem Hüftgelenk). Arthrosen der Fingerendgelenke (Heberden) verursachen nur selten Beschwerden infolge der Störung der Greiffunktion und Schmerzen sind hier die Ausnahme.

Eine symptomatische Arthrose lässt sich durch eine Synopse aus Anamnese und klinischen Befund bereits mit hoher Sicherheit feststellen. Dazu eignet sich sehr gut das Bewertungsschema, welches das American College of Rheumatology (ASR) empfiehlt (Tab. 1).

Outcome-Kriterien
(Arthrose-Scores)

In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Arthrose-Scores entwickelt, welche versuchen, die Gesamtheit des Krankheitsbildes (Schmerzen, Bewegungseinschräkungen, Funktionseinschränkung, Minderung der Lebensqualität) umfassend zu beschreiben.

Der Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC) wurde in den achtziger Jahren von Bellamy und Buchanan entwickelt und beurteilt verschiedene Fehlfunktionen von Kniegelenk und Hüftgelenk im Rahmen (Schmerzen, Steifigkeit, körperliche Funktion) und galt viele Jahre als Standard-Messinstrument für die Ergebnisbeurteilung nach Arthrosetherapie im internationalen Schrifttum.

In den letzten Jahrzehnten jedoch haben sich mehr und mehr die speziell auf die Fragen von Hüftgelenk und Kniegelenk explizit spezialisierten Scores durchgesetzt:

Hip disability and Osteoarthritis Outcome Score (HOOS) [10]

Knee Injury and Osteoarthritis Outcome Score (KOOS Score) [28]

Beide Scores wurden für die deutsche Sprache inzwischen validiert und der Vorteil besteht darin, dass diese kostenfrei zum Download zur Verfügung stehen. Der Vorteil dieser Scores ist die komplexe Erfassung der konkreten Beschwerden der Patienten und die arthrosebedingte Einschränkung der Lebensqualität. Sie liefern sichere Indizien für die subjektiv empfundene Schwere der Erkrankung und den bei den Patienten bestehenden Leidensdruck. Dadurch werden sie zu validen diagnostischen Instrumenten für die jeweilige patientenindividuelle Therapieentscheidung, aber auch für die Verlaufskontrolle und Therapieanpassung.

Projektionsradiographie

Die Standard-Projektionsradiographie in 2 Ebenen ist neben der Erhebung der Anamnese und Klinik das wichtigste diagnostische Tool bei der Feststellung einer Arthrose. Im Jahr 1948 beschrieb Fairbank [12] radiologische Gelenkveränderungen die in unterschiedlichen Stadien im Anschluss an die damals üblichen offenen Meniskektomien auftraten (Tab. 2).

Die meisten radiologischen Arthroseklassifikationen orientieren sich dabei an der Stadieneinteilung nach Kellgren-Lawrence [19]. Grundsätzlich ähnelt diese Klassifikation der von Fairbank. Es ist jedoch das Verdienst von Kellgren und Lawrence, dass diese erstmals systematisch größere Populationen in Bezug auf die radiologischen Veränderungen an den Gelenken und die Manifestation von Gelenkssymptomen untersuchten. Dabei fanden sie heraus, dass in ca. 30 % der von ihnen untersuchten Patienten trotz vorliegenden radiologischen Arthrosezeichen (radiological osteoarthitis = ROA) keine Beschwerden bei den Patienten vorlagen. Auch diese Klassifikation umfasst 4 Schweregrade (Abb. 2):

  • Grad I: Gelenkspaltverschmälerung möglich, Osteophyten möglich
  • Grad II: Gelenkspaltverschmälerung sicher, Osteophyten möglich, minimale Sklerose
  • Grad III: Deutliche Gelenkspaltverschmälerung, geringe Osteophyten, geringe Sklerose
  • Grad IV: Erhebliche Gelenkspaltverschmälerung, große Osteophyten, Sklerose, Zysten, ausgeprägte Deformierung

Diese Klassifikation wurde ursprünglich für die Bestimmung der Koxarthrose, Gonarthrose und Fingergelenke entwickelt. Sie wurde aber für eine Reihe von anderen Gelenken entsprechend den jeweiligen Fragestellungen erweitert (Tab. 2).

Die Empfehlungen der OARSI (Osteoarthritis-Research-Society-International) empfehlen für die Schweregradbestimmung der Arthrose in den einzelnen Gelenken in der Proiektionsradiographie nur eine deskriptive Beschreibung und haben diesbezüglich einen umfangreichen Atlas mit entsprechenden Beispielbildern veröffentlicht [3].

Allerdings muss in diesem Kontext darauf hingewiesen werden, dass die Befunde in der Proiektionsradiographie oft eine erhebliche Inter-Observer-Varianz aufweisen. Dies vor allem in Abhängigkeit vom Ausbildungsstand des Untersuchers aber vor allem bei der Diagnostik leichterer Arthrosestadien [41].

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