Originalarbeiten - OUP 12/2012

Die Bedeutung der sagittalen Balance in der Wirbelsäulenchirurgie

Die chirurgischen Grundprinzipien der Therapie einer sagittalen Imbalance beinhalten die Verlängerung der ventralen Säule und die Verkürzung der dorsalen Säule. Um dies erreichen zu können, muss ein suffizientes Release mit Facettektomie, Flavektomie, Diskektomie, Osteotomie oder Korporektomie erfolgen. Darüber hinaus ist die instrumentierte Spondylodese mit dem Ziel der möglichst hohen Primärstabilität anzustreben. Insbesondere bei reduzierter Knochenqualität ist auf eine ausreichende Länge und Rigidität der Instrumentation zu achten. Sicher durchführbare Korrekturen sind jedoch nur möglich, wenn knöcherne Stenosen komplett beseitigt und narbige Verwachsungen der Dura gelöst werden, um nicht bei der Korrektur ein Kneifzangenphänomen des Myelons zu erzeugen.

Bei allen Deformitäten-korrigierenden Eingriffen stellt sich die Frage nach der exakten Planung der Korrektur und damit der Planung der Osteotomien. Liegt lediglich eine fokale Deformität bei ansonsten mobiler Wirbelsäule mit intakten Kompensationsmechanismen vor, so muss bei der Korrektur nur der lokale Kyphosewinkel wiederhergestellt werden. Besteht jedoch eine sagittale Imbalance, so wird klassischerweise das Korrekturausmaß bestimmt anhand von herkömmlichen Röntgen-Wirbelsäulenganzaufnahmen. Die Kalkulation der gewünschten lumbalen Lordose kann dann zur Korrekturplanung verwendet werden.

Kann durch eine lokale Korrektur keine physiologische globale sagittale Balance hergestellt werden, so muss eine längerstreckige Korrektur erfolgen. Selbstverständlich ist es wichtig zwischen der notwendigen Stabilität (und damit der Länge einer Instrumentation) und dem Erhalt von intakten Segmenten abzuwägen, vor allem bei jüngeren Patienten. Meist werden die nachfolgend genannten OP-Verfahren kombiniert, insbesondere um komplexen Revisionsfällen gerecht zu werden. Eine HALO-Traktion kommt bei sagittalen Deformitäten nur in seltenen Fällen zur Anwendung. Liegt jedoch eine rigide Krümmung mit ausgeprägter sagittaler Imbalance in Kombination mit einer spinalen Enge oder Myelopathie vor, so sollte präoperativ über einen am Schädel angreifenden HALO-Ring extendiert werden.

Ventrales Release

Das ventrale Release mittels Thorakotomie, Lumbotomie oder Thorakophrenolumbotomie dient zur Lockerung der ventralen Wirbelanteile über die Entfernung von Bandscheiben bis hin zu kompletten Korporektomien, um eine nachfolgende dorsale Kyphosekorrektur zu ermöglichen. Über den gleichen Zugangsweg führt die ventrale intersomatische Fusion durch das Einbringen eines Knochenblockes oder Titanium-Mesh-Cages zur zusätzlichen Stabilisierung. Viele dieser ventralen Techniken können auch minimalinvasiv durchgeführt werden, wobei objektivierbare Unterschiede hinsichtlich der Zugangsmorbidität zwischen offenem und gering-invasivem Verfahren entsprechend aktuelleren Arbeiten [5] nicht zu bestehen scheinen. Es kommt auf eine adäquate OP-Technik am Ort der Pathologie an, also auf ein suffizientes Release, eine komplette ventrale Dekompression, eine maximale ventrale Defektrekonstruktion und Stabilisierung sowie eine gute knöcherne (biologische) Fusion an.

Osteotomien

Der instrumentierten Korrekturspondylodese geht das dorsale Release voraus, wobei natürlich das Ausmaß der gewünschten Korrektur die Technik des dorsalen Release bestimmt. Sind nur geringe segmentale Korrekturen vonnöten sind oft multisegmentale Facettektomien ausreichend. Die Korrekturergebnisse betragen dabei 2° bis max 5° pro Segment. Dann kann der Stab in der gewünschten Kyphose bzw. Lordose vorgebogen, der Stab eingebracht und so die gewünschte Korrektur erreicht werden. Dabei ist auf eine ausreichende Dekompression zu achten, um eine Stenosierung im Rahmen der Korrektur zu verhindern.

Sind größere Korrekturen nötig, um das sagittale Profil wiederherzustellen, kommen Osteotomien zum Einsatz. Die Osteotomie nach Ponte (1987) besteht in der partiellen Resektion der oberen und unteren Facettengelenke, der vollständigen interlaminären Weichteilresektion sowie dem Unterschneiden („undercutting“) der benachbarten Laminae. Es resultiert dann thorakal eine nahezu quer, und lumbal eine v-förmig verlaufende Osteotomie. Anschließend wird über das Schrauben-Stab System eine reine Kompression und Verkürzung der dorsalen Strukturen herbeigeführt. Es resultiert eine Korrektur von etwa 1° pro 1 mm reseziertem Knochen (max. 5° pro Segment). Die Smith-Peterson-Osteotomie wurde 1945 erstmals beschrieben. Es erfolgt wie bei der Ponte Osteotomie eine v-förmige interlaminäre segmentale Resektion aufsteigend in Richtung der Neuroforamina. Über ein Anheben des Oberkörpers und eine dorsale Kompression mit Verschluss der Osteotomie über das Schrauben-Stab-System kommt es im Unterschied zur Ponte-Osteotomie auch zu einem leichten ventralen Aufspreizen (bei vorhandener ventraler Mobilität). So sind Korrekturen von ca. 8–12° pro Segment möglich. Insbesondere bei langstreckigen, arkulären Kyphosen erfolgt der multisegmentale Einsatz derartiger Osteotomien.

Durch den Summationseffekt mehrerer Osteotomien können so Korrekturen von bis zu 40° erreicht werden. Die Pedikelsubtraktionsosteotomie (PSO) und ihre Varianten kommen bei ausgeprägten und angulären Kyphosen ab etwa 20° zur Anwendung. Die Varianten unterscheiden sich jeweils im Ausmaß der Knochenresektion. Es erfolgt die Entnahme eines Knochenkeils aus dorsalen Elementen und Wirbelkörper. Lamina und Pedikel werden beidseits entfernt, ggf. auch die bestehende dorsale Spondylodese bei einem Revisionseingriff. Dann erfolgt unter Kontrolle der lateralen Wirbelkörperwand die mediolaterale intrakorporale Knochenresektion inklusive der Hinterkante des Wirbelkörpers und anschließend die laterale Kortikalisresektion bis zum vorderen Wirbelkörperdrittel. Eine asymmetrisch durchgeführte Resektion und Kompression ermöglicht zusätzlich die Korrektur einer skoliotischen Komponente. Nach Osteotomie ist auf einen kontrollierten, langsamen Osteotomieverschluss zu achten um eine akute translatorische Instabilität in der anteroposterioren Ebene mit der Gefahr neurologischer Schäden zu vermeiden. Korrekturen von 20–40° können so in einem Segment erzielt werden. Die VCR (vertebral column resection), also die komplette Entfernung des Wirbels, bleibt aufgrund der iatrogen verursachten Instabilität und dem erhöhten neurologischen Risiko Sonderfällen der sagittalen Deformitäten vorbehalten [6]. Diese kann ventro-dorsal oder auch als einzeitiges rein dorsales Verfahren durchgeführt werden.

Allgemein lässt sich sagen, dass die multisegmentale Ponte- oder auch Smith-Peterson Osteotomie die Therapie der Wahl bei längerstreckiger Kyphosierung ist. Sie führt zur Wiederherstellung eines harmonischen sagittalen Wirbelsäulenprofils bei geringem neurologischen Risiko. Die PSO hingegen ist die Therapie der Wahl bei kurzstreckigen Kyphosen. Zu einem physiologischen sagittalen Profil kann diese jedoch nur bei erhaltenen Kompensationsmechanismen bzw. erhaltener Flexibilität der benachbarten Segmente führen. Anderenfalls müssen die verschiedenen Osteotomieformen kombiniert und zusätzliche PSO oder Ponte Osteotomien durchgeführt werden.

Literaturübersicht

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5