Originalarbeiten - OUP 12/2012

Die Bedeutung der sagittalen Balance in der Wirbelsäulenchirurgie

Bei der Vielzahl der in den letzten Jahren erschienenen Literatur sollen im Folgenden die wesentlichen Aspekte der sagittalen Parameter bei einzelnen Krankheitsbildern zusammengefasst werden (umfangreiche Literaturübersicht bei [7]). In der Literatur finden sich zahlreiche Belege dafür, dass eine globale sagittale, sowie eine spinopelvine Imbalance mit einem schlechteren postoperativen Ergebnis einhergeht. Dies zeigt sich etwa deutlich bei der operativen Therapie einer degenerativen Lumbalskoliose [8]. Jedoch lässt sich auch bei Wiederherstellung des physiologischen sagittalen Profils nicht regelhaft ein gutes postoperatives Ergebnisse vorhersagen, bei verbleibender sagittaler Imbalance ist aber mit einem schlechten postoperativen outcome zu rechnen [9]. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei der operativen Rekonstruktion der Wirbelsäule die Wiederherstellung bzw. der Erhalt der sagittalen Balance von entscheidender Bedeutung ist.

Posttraumatische Kyphose

Die zunehmende Kyphosierung entsteht durch einen Kollaps des frakturierten Wirbelkörpers sowie der kranial angrenzenden Bandscheibe, wobei das Ausmaß der initialen Zerstörung des Wirbelkörpers das Ausmaß des segmentalen Kollaps bestimmt. Eine multinationale Auswertung ergab jedoch keine Übereinstimmung darüber, welches Ausmaß der Kyphose zur signifikanten posttraumatischen Deformität führt [10]. Eine ausführliche Literaturübersicht hinsichtlich der Bedeutung des sagittalen Profils bei der Frakturbehandlung findet sich in den Arbeiten von Koller [11, 12]. Kommt es bei der konservativen Behandlung der Patienten zu einer progredienten Kyphose, so konnte eine Korrelation dieser zum schlechten klinischen Ergebnis gezeigt werden.

Betrachtet man das Langzeitergebnis nach konservativer Therapie, so zeigen neben dem Ausmaß der Berstung insbesondere das Ausmaß der PTK und die reduzierte lumbale Lordose ein signifikant schlechteres Ergebnis [11]. Das klinische Ergebnis war jedoch gut, sofern kompensatorische Mechanismen ausreichten, um eine physiologische sagittale Balance herzustellen. Es existieren jedoch zu wenige Langzeitstudien, die die klinischen Ergebnisse hinsichtlich der sagittalen Balance bewerten. Im Rahmen des zunehmenden Wissens über die Bedeutung der spinopelvinen Balance finden sich jedoch zahlreiche Belege in der Literatur, die für die Korrelation des Ausmass der PTK und einem schlechteren klinischen Ergebnis sprechen (Literaturübersicht bei [13]. Als Grenzwert kann aktuell gelten, dass im akuten Stadium bei vorliegender Kyphose von > 15–20° operativ therapiert werden sollte. Auch im Fall einer progredienten Kyphosierung unter konservativer Therapie sollte operiert werden.

Die Herausforderung weiterer Studien wird sein herauszufinden, welche Frakturtypen konservativ behandelt werden können, und welche mit den beschriebenen operativen Methoden rekonstruiert werden müssen, um durch Vermeidung einer posttraumatischen Kyphose ein besseres klinisches Resultat zu erreichen.

Spondylolisthese

Eine Vielzahl von Studien konnte einen Zusammenhang zwischen einer erhöhten Pelvic incidence und der Entstehung, der Progredienz und der Schwere einer Spondylolisthese finden. So bedeutet eine erhöhte Pelvic incidence eine Vergrößerung der lumbalen Lordose und des Sacral slope, das Resultat ist die Horizontalisierung des Sakrums [14]. Durch diese spezifische Position des Sakrums kommt es theoretisch zum Impingement der pars interartikularis und so möglicherweise durch repetitiven Stress zur unvollständigen Synostose. Insofern scheint die Beckenmorphologie eine Bedeutung für die Ätiologie der Spondylolisthese zu haben. Auch korreliert die Wahrscheinlichkeit der Progredienz einer Spondylolisthese mehr mit dem Wert der Pelvic incidence als mit der Schwere des Gleitens [15]. Hinsichtlich der Therapie kann zwischen der Spondylolisthese mit balancierten und nicht balancierten spinopelvinen Parametern unterschieden werden [16].

Ob hieraus ein unterschiedliches Therapieregime abgeleitet werden kann, so dass eine vollständige Reposition nur bei unbalanciertem Becken angestrebt werden sollte, müssen zukünftige Studien zeigen. Aus unserer Sicht sollte die Reposition das Ziel jeder Spondylolisthese-Operation sein. Neben der Reposition spielt aber auch die Korrektur der kyphotischen Deformität eine wesentliche Rolle. Die Wiederherstellung der Lordose erfolgt hierbei durch die dorsale Kompression über den eingebrachten intervertebralen Cage als Hypomochlion.

Degeneration

Auch hinsichtlich degenerativer Veränderungen gibt es Hinweise, dass eine spezifische Beckenmorphologie von ätiologischer Bedeutung ist. Während sich bei reiner Bandscheiben Degeneration keine erhöhte Pelvic incidence zeigte, so scheint eine vergrößerte Pelvic incidence die Entstehung einer degenerativen Spondylolisthese zu fördern [17]. Auch als Folge von Schmerzen entstehen jedoch auch spinopelvine Anpassungen: Patienten mit Low back pain haben eine verringerte LWS-Lordose, ein vertikaleres Sakrum und eine gesteigerte Hüft Extension [18].

Deformitäten

Das heutige Wissen über die Bedeutung des physiologischen sagittalen Profils für ein gutes postoperatives Ergebnis stammt im Wesentlichen von Studien der Erwachsenen Deformitäten. Patienten mit einer dekompensierten sagittalen Imbalance zeigten eine erhöhte Pelvic incidence und abgeflachte LWS-Lordose [19]. Die Folge ist eine erhöhte Rate an Pseudarthrosen, Implantatversagen und Anschlussinstabilitäten. Bei der Korrektur von Deformitäten der Wirbelsäule kann ein gutes Outcome nur bei Wiederherstellung der sagittalen Balance erreicht werden [20]. Postoperativ korreliert auch die Lebensqualität mit der Beckenkippung: Eine Retroversion des Beckens als Kompensation einer sagittalen Deformität führt zu vermehrten Schmerzen [21]. Zusammenfassend zeigen die vorhandenen Studien, dass die präoperative Erfassung der spinopelvinen Parameter notwendig ist.

So sollte etwa im Fall einer vergrößerten Pelvic incidence auch postoperativ eine übernormale lumbale Lordose angestrebt werden. Weniger ist bekannt über die Bedeutung der spinopelvinen Parameter für andere Deformitäten wie etwa die idiopathische Skoliose. Es gibt Hinweise, dass Patienten mit idiopathischer Skoliose eine größere Pelvic incidence aufweisen [22]. Da neben der coronaren auch die Korrektur des Sagittalprofils der idiopathischen Lordoskoliose von wesentlicher Bedeutung ist, so könnte auch die Beachtung der Pelvic incidence hinsichtlich der angestrebten lumbalen Lordose zunehmend Betrachtung finden.

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