Übersichtsarbeiten - OUP 06/2022

Die geriatrische Beckenringfraktur
Im Spannungsfeld zwischen therapeutischem Nihilismus und 360°-Versorgung

Juliana Hack, Julia Lenz, André Wirries, Ludwig Oberkircher, Steffen Ruchholtz, Christopher Bliemel

Zusammenfassung:
Geriatrische Fragilitätsfrakturen des Beckens gehören zu den häufigsten osteoporoseassoziierten Frakturen. Sie entstehen meist im Rahmen eines Bagatelltraumas und ihre Frakturmorphologie unterscheidet sich grundlegend von Beckenringfrakturen junger Patienten. Dementsprechend werden sie anders klassifiziert und es sind auch andere Therapiestrategien erforderlich als bei Beckenringfrakturen, die im Rahmen eines Hochrasanztraumas entstehen. Bei der Therapieplanung müssen neben der anderen Frakturmorphologie auch die Besonderheiten und speziellen Bedürfnisse geriatrischer Patienten berücksichtigt werden. Geriatrische Beckenringfrakturen gehen, ähnlich wie proximale Femurfrakturen, mit einer erhöhten Mortalität und mit einer langfristigen, relevanten Einschränkung von Mobilität, Lebensqualität und Alltagsfertigkeiten einher.

Schlüsselwörter:
Fragilitätsfraktur, Beckenringfraktur, Alterstraumatologie, Osteoporose

Zitierweise:
Hack J, Lenz J, Wirries A, Oberkircher L, Ruchholtz S, Bliemel C: Die geriatrische Beckenringfraktur. Im Spannungsfeld zwischen therapeutischem Nihilismus und 360°-Versorgung.
OUP 2022; 11: 257–262
DOI 10.53180/oup.2022.0257-0262

Summary: Geriatric fragility fractures of the pelvis are among the most frequent osteoporosis-associated fractures. They usually result from a minor fall and their fracture morphology differs fundamentally from pelvic fractures in younger patients. Besides the differences concerning the fracture morphology, the special demands of the mostly multimorbid and frail patients have to be considered in the treatment. Fragility fractures of the pelvis lead to increased mortality and long-lasting deterioration in mobility, quality of life, and activities of daily living, comparable with hip fractures.

Keywords: Fragility fracture, pelvic fracture, geriatric traumatology, osteoporosis

Citation: Hack J, Lenz J, Wirries A, Oberkircher L, Ruchholtz S, Bliemel C: Fragility fractures of the pelvis. Between therapeutic nihilism and 360° fixation.
OUP 2022; 11: 257–262. DOI 10.53180/oup.2022.0257-0262

Juliana Hack, Julia Lenz, Steffen Ruchholtz, Christopher Bliemel: Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg

André Wirries: Hessing Stiftung, Augsburg

Ludwig Oberkircher: Unfallchirurgie, Orthopädische Chirurgie und Endoprothetik, Medizin Campus Bodensee, Friedrichshafen/Tettnang

Einleitung

Geriatrische Beckenringfrakturen sind nach Wirbelkörperfrakturen, Handgelenksfrakturen und proximalen Femurfrakturen die vierthäufigsten osteoporoseassoziierten Frakturen [1]. Die Inzidenz von geriatrischen Beckenringfrakturen hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen [2, 3]. Etwas einschränkend muss dazu angemerkt werden, dass hierbei auch die verbesserten Möglichkeiten zur Diagnostik mit flächendeckend schnell verfügbarer Schnittbildgebung eine Rolle spielen dürften [4]. Dennoch wird zukünftig eine weitere Zunahme der Inzidenz geriatrischer Beckenringfrakturen erwartet [2, 3]. Aktuell liegt die Inzidenz in Deutschland bei 22,4/10.000 in der Bevölkerung über 60 Jahre [5]. Frauen sind dabei aufgrund der höheren Inzidenz von Osteoporose häufiger betroffen als Männer [17, 28, 33, 44, 46].

Während Beckenringfrakturen bei jungen Patienten typischerweise im Rahmen von Hochrasanzunfällen entstehen und durch Bandzerreißungen meist mit einer relevanten Instabilität sowie häufig mit Blutungen und hämorrhagischem Schock einhergehen, liegt beim geriatrischen Patienten meist ein Bagatelltrauma zugrunde [10, 11]. Sowohl eine Instabilität der Fraktur als auch Blutungskomplikationen sind aufgrund des niedrigenergetischen Unfallmechanismus sowie des veränderten Kräfteverhältnisses zwischen Knochen und Bändern sehr selten [10, 12]. Aufgrund der Unterschiede in der Frakturmorphologie, aber auch wegen der Fragilität und Multimorbidität geriatrischer Patienten sowie der osteoporosebedingt reduzierten Knochenqualität bedürfen geriatrische Fragilitätsfrakturen des Beckenrings komplett anderer Therapiestrategien als Beckenringfrakturen bei jungen Patienten.

Auch wenn in den letzten Jahren das wissenschaftliche Interesse an diesem Thema gewachsen ist und inzwischen schon erste prospektive Studien publiziert wurden, ist aktuell noch deutlich weniger Wissen vorhanden als bspw. zu geriatrischen Wirbelkörperfrakturen oder proximalen Femurfrakturen und es existieren bisher noch keine evidenzbasierten Therapieempfehlungen zur Behandlung geriatrischer Beckenringfrakturen.

Klassifikation

Tile-/AO-Klassifikation

Die Einteilung von Beckenringfrakturen bei jüngeren Patienten erfolgt meist anhand der Klassifikation der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) nach dem Vorschlag von Tile [13, 14]. Die Tile-/AO-Klassifikation teilt Beckenringfrakturen in die 3 Gruppen A-, B- und C-Verletzungen mit jeweils 3 Untergruppen ein, bei denen die Instabilität von Typ A- bis Typ C-Frakturen zunimmt.

Bei Typ A-Frakturen handelt es sich um stabile Beckenrandfrakturen. Bei Typ B-Verletzungen liegt eine horizontale Instabilität bei erhaltener vertikaler Stabilität vor. Typ B1-Frakturen sind die sog. „Open-Book-Läsionen“ mit Symphysensprengung, Typ B2-Frakturen beschreiben eine jeweils unilaterale Fraktur des vorderen Beckenrings und dorsale Stauchung und bei Typ B3-Frakturen liegen beidseits eine Fraktur des vorderen Beckenrings und eine dorsale Stauchung vor. Typ C-Verletzungen sind gekennzeichnet durch eine komplette Sprengung des vorderen und hinteren Beckenrings mit horizontaler und vertikaler Instabilität [15, 16].

Zur Einteilung von Fragilitätsfrakturen des Beckens ist die Tile-/AO-Klassifikation allerdings nur bedingt geeignet, da bei geriatrischen Patienten nur selten ligamentäre Verletzungen auftreten. Dies liegt einerseits am meist niedrigenergetischen Unfallmechanismus und andererseits am veränderten Kräfteverhältnis zwischen osteoporotischem, weicherem Knochen und durch degenerative Veränderungen rigideren, festeren Bandstrukturen [10, 12]. Dadurch besteht bei geriatrischen Patienten insbesondere bei den Typ B-Frakturen die Gefahr, die Instabilität der Fraktur zu überschätzen [12].

FFP-Klassifikation

Aufgrund der bereits genannten Unterschiede in Bezug auf Frakturmorphologie und besondere Bedürfnisse geriatrischer Patienten ist eine gesonderte Klassifikation für geriatrische Fragilitätsfrakturen des Beckens sinnvoll. Die erste eigene Klassifikation für geriatrische Beckenfrakturen haben Rommens et al. 2013 vorgestellt [10]. In dieser „Fragility Fractures of the Pelvis“-Klassifikation, abgekürzt FFP-Klassifikation, werden 4 verschiedene Frakturgruppen unterschieden, jeweils mit weiterer Unterteilung in Untergruppen. FFP-Typ I-Frakturen fassen isolierte Frakturen des vorderen Beckenrings zusammen, FFP-Typ II-Frakturen beschreiben undislozierte Frakturen des hinteren Beckenrings (Abb. 1), FFP-Typ III-Frakturen dislozierte einseitige hintere Beckenringfrakturen mit gleichzeitig vorliegender Instabilität des vorderen Beckenrings und FFP-Typ IV-Frakturen beidseitige dislozierte Frakturen des hinteren Beckenrings [10].

Die FFP-Klassifikation ermöglicht es, Frakturen geriatrischer Patienten anhand ihrer typischen Frakturmorphologie einzuteilen. Kritikpunkte an dieser Klassifikation sind einerseits, dass die Einteilung in die Untergruppen komplex ist und dadurch die Interobserver-Reliabilität relativ gering zu sein scheint; außerdem kann aus der FFP-Klassifikation nicht direkt eine Therapieentscheidung abgeleitet werden, wodurch ihr Nutzen relativiert wird [17–19].

Andere Klassifikationen

Inzwischen wurden noch weitere Klassifikationen zur Einteilung von Fragilitätsfrakturen des Beckens entwickelt. Krappinger et al. haben 2020 die ANC-Klassifikation („Alphanumeric classification of osteoporotic pelvic ring injuries”) vorgestellt, bei der zunächst die Unterteilung in vordere Beckenringfraktur (Typ A), hintere Beckenringfraktur (Typ P) oder vordere und hintere Fraktur (Typ AP) erfolgt und anschließend bei den Typen P und AP noch die Einteilung in verschiedene Gruppen (unilateral, bilateral, mit Kreuzen der Mittellinie) und Subgruppen (inkomplette Sakrumfraktur, komplette Sakrumfraktur, extrasakrale hintere Beckenringfraktur) [17]. Jedoch wurden auch in diese Klassifikation keine Modifikatoren für Patientenmerkmale wie Schmerzlevel, Mobilität, Vorerkrankungen oder Allgemeinzustand integriert, sodass es aktuell noch keine Klassifikation gibt, aus der sich Therapieentscheidungen ableiten lassen.

Diagnostik

Im konventionellen Röntgen können insbesondere wenig und nicht dislozierte Frakturen des hinteren Beckenrings bei geriatrischen Patienten aufgrund der meist osteopenen Knochenstruktur und den häufig ausgeprägten Darmgasüberlagerungen nicht zuverlässig diagnostiziert werden (Abb. 1) [4]. Um eine verzögerte Diagnosestellung mit negativen Konsequenzen für den Patienten zu vermeiden, sollte großzügig die Indikation zur Schnittbildgebung gestellt werden [12]. Während die Computertomografie noch das Standardverfahren darstellt, gibt es inzwischen Hinweise dafür, dass durch eine zusätzliche MRT-Untersuchung eine höhere Zahl an Frakturen detektiert werden kann und teilweise auch die Verletzungsschwere höher eingestuft wird als bei alleiniger Computertomografie [20, 21]. Somit erscheint eine zeitnahe zusätzliche MRT-Untersuchung zur Detektion okkulter Sakrumfrakturen zumindest bei persistierenden Beschwerden im Bereich des hinteren Beckenrings trotz unauffälligem Befund in der Computertomografie sinnvoll [12]. Eine noch relativ neue Alternative zur MRT stellt die Dual-energy CT (DECT) dar, bei der durch die gleichzeitige Anwendung von 2 Strahlenenergiespektren Knochenmarködeme dargestellt werden können. Ein Vorteil der DECT im Vergleich zur MRT ist die gute Darstellung knöcherner Strukturen, außerdem besteht dadurch eine Alternative für Patienten, bei denen beispielsweise aufgrund eines Herzschrittmachers eine MRT-Untersuchung nicht möglich ist. Die bisher vorliegenden Daten weisen darauf hin, dass die DECT genauso gut zur Diagnose von okkulten Beckenringfrakturen geeignet ist wie die MRT [22].

Therapie

Wegen der oben genannten Unterschiede zwischen geriatrischen und jungen Patienten mit Beckenringfraktur sind bei geriatrischen Beckenringfrakturen auch andere Therapiestrategien erforderlich als bei jungen Patienten. Dabei müssen zum einen die anderen Stabilitätsverhältnisse und andererseits die Besonderheiten geriatrischer Patienten wie Osteoporose und Multimorbidität berücksichtigt werden.

Begleitverletzungen wie hämodynamisch relevante Blutungen sind bei geriatrischen Patienten zwar die Ausnahme, können jedoch insbesondere bei Patienten unter therapeutischer Antikoagulation gelegentlich auftreten. Besteht der Verdacht auf eine relevante Blutung, muss eine notfallmäßige Computertomografie mit Kontrastmittel durchgeführt werden. Die Therapie einer relevanten Blutung erfolgt in der Regel interventionell-radiologisch mittels Angiografie und Embolisation [23].

Prinzipiell sind die Therapieziele bei geriatrischen Patienten mit Beckenringfraktur eine adäquate Schmerzreduktion sowie eine möglichst schnelle Mobilisierung, um immobilitätsassoziierte Komplikationen zu vermeiden.

Sowohl bei konservativer, als auch bei operativer Therapie hat das geriatrische Co-Management, bspw. im Rahmen regelmäßiger Visiten zusammen mit einem Geriater, eine wichtige Rolle für das Outcome der Patienten [24]. Auch Osteoporosediagnostik und -therapie sollten schon während des stationären Aufenthalts initiiert werden, da bei Patienten mit geriatrischer Beckenringfraktur ein hohes Risiko für das Auftreten einer weiteren osteoporoseassoziierten Fraktur im kurzfristigen Verlauf besteht [25].

Zwar sind in den letzten Jahren zahlreiche retrospektive und auch wenige prospektive Studien zum Thema geriatrische Beckenringfraktur veröffentlicht worden, jedoch fehlen aktuell noch prospektive, randomisierte Studien mit großen Fallzahlen, sodass momentan größtenteils noch auf „eminenzbasierte“ Therapieempfehlungen zurückgegriffen werden muss, die jedoch teilweise voneinander abweichen [26].

In Abbildung 2 ist der hausinterne Behandlungsalgorithmus dargestellt, der für die Therapie geriatrischer Beckenringfrakturen im Universitätsklinikum Marburg entwickelt wurde [12, 27, 28].

Konservative Therapie

In der Literatur besteht größtenteils Konsens darin, dass bei stabilen Frakturen, also FFP-Typ I- und Typ II-Frakturen nach Rommens, zunächst ein konservativer Therapieversuch unternommen werden soll. Nur bei unzureichender Besserung der Schmerzen oder wenn die Mobilisierung trotz intensiver Physiotherapie und analgetischer Therapie nicht adäquat gelingt, sollten auch diese Frakturen operativ stabilisiert werden [10, 12]. Im eigenen klinischen Vorgehen erfolgt bei konservativer Therapie nach 5–7 Tagen eine Reevaluation von Schmerzsituation und Mobilitätsniveau und bei unzureichendem Therapieerfolg werden die Patienten zeitnah der operativen Therapie zugeführt, um immobilitätsassoziierte Komplikationen zu vermeiden (Abb. 2). Bei dieser Entscheidung muss immer das OP-Risiko des Patienten individuell beurteilt werden.

Abweichend von diesem Konzept beschreiben vereinzelt Autoren, dass sie teilweise auch bei Patienten mit FFP-Typ III und Typ IV-Frakturen einen konservativen Therapieversuch unternehmen und bei den konservativ behandelten Patienten kein schlechteres Outcome in Bezug auf Mobilität und Komplikationen beobachten [29, 30].

Bei der konservativen Therapie sollte die Mobilisierung unter Freigabe der schmerzadaptierten Vollbelastung an Hilfsmitteln durchgeführt werden. Eine Entlastung oder Teilbelastung ist bei geriatrischen Patienten aufgrund der meistens schon vorbestehenden Gangunsicherheit, Nutzung von Gehhilfen und Einschränkung der koordinativen und kognitiven Fähigkeiten in der Regel nicht praktikabel. Entsprechende Maßgaben führen meist entweder zu Immobilisierung oder werden nicht umgesetzt [31, 32].

Bei konservativ behandelten Patienten sollten im Verlauf Röntgenkontrollen durchgeführt werden, vor allem dann, wenn persistierende oder zunehmende Schmerzen beschrieben werden und die Mobilisierung nicht zufriedenstellend gelingt, um eine ausbleibende Frakturheilung oder eine Frakturprogression auszuschließen [12, 33]. Die Frakturprogression ist eine Besonderheit, die gelegentlich bei Fragilitätsfrakturen des Beckens beobachtet werden kann, bei der initial stabile Frakturen durch die veränderte Kraftübertragung im Verlauf auch ohne erneutes Trauma zu instabilen Frakturen fortschreiten können [33–35].

Operative Therapie

Die operative Therapie ist indiziert, wenn eine instabile Fraktur vorliegt, also bei FFP-Typ III- und Typ VI-Frakturen oder einer mechanischen Instabilität in der klinischen Untersuchung, sowie bei persistierenden Schmerzen und dadurch bedingter unzureichender Mobilität bei stabilen Frakturen.

Um bei den oft multimorbiden Patienten lange Operationszeiten und invasive offen-chirurgische Zugänge zu vermeiden, sollten minimalinvasive Verfahren genutzt werden, wenn die Frakturmorphologie dies zulässt. Durch ein minimalinvasives Vorgehen lassen sich peri- und postoperative Komplikationen sowie die Revisionsrate reduzieren [36, 37]. Die Stabilität der Osteosynthese ist hierbei wichtiger als eine anatomische Reposition der Fraktur [33].

Eine weitere Herausforderung bei der operativen Therapie geriatrischer Beckenringfrakturen besteht darin, im osteoporotisch veränderten Knochen eine stabile Osteosynthese zu erzeugen. Die Zementaugmentierung stellt dabei eine inzwischen etablierte Technik zur Verbesserung der Stabilität dar, die insbesondere bei der iliosakralen Schraubenosteosynthese häufig zur Anwendung kommt und deren positiver Einfluss auf die Stabilität der Osteosynthese in biomechanischen Studien gezeigt werden konnte [38–44].

Das am häufigsten angewandte Operationsverfahren zur Behandlung geriatrischer Beckenringfrakturen ist die iliosakrale Schraubenosteosynthese (Abb. 3) [26]. Sie wird bei Frakturen der Massa lateralis des Os sacrum eingesetzt und kann bei undislozierten oder wenig dislozierten Frakturen perkutan durchgeführt werden. Hierbei wird minimalinvasiv unter Durchleuchtungskontrolle eine kanülierte Voll- oder Teilgewindeschraube mit Unterlegscheibe vom hinteren Anteil des Os iliums durch das Iliosakralgelenk in den Korridor des S1-Wirbelkörpers positioniert [27]. In der Regel werden die Schrauben zementaugmentiert eingebracht. Um die Stabilität zu erhöhen, kann auch eine zweite Schraube – je nach anatomischer Gegebenheit in S1 oder S2 – implantiert werden. Bei bilateralen Frakturen ist auch eine beidseitige iliosakrale Schraubenosteosynthese möglich [12, 27]. Alternativ findet hier ein transsakraler Positionsstab Anwendung, für den ein langer Stab vom hinteren Anteil des Os iliums der ersten Seite durch den S1 hindurch bis durch den hinteren Anteil des Os iliums auf der Gegenseite eingebracht und auf beiden Seiten mit Muttern fixiert wird [45].

Mögliche Komplikationen der iliosakralen Schraubenosteosynthese sind Schraubenfehllage, Nervenläsionen, Schraubenlockerung sowie die Zementleckage bei zementaugmentierter Implantation [12, 33, 46].

Die seltenen Frakturen des hinteren Beckenrings im Bereich des Os iliums lateral des Iliosakralgelenks werden in der Regel mittels 2 von ventral eingebrachten Platten stabilisiert [12, 27].

Bei den ebenfalls seltenen geriatrischen Frakturen des hinteren Beckenrings mit deutlicher Dislokation sowie vertikaler Instabilität kommt die lumbopelvine Abstützung zum Einsatz. Dabei überbrückt ein Stab die Frakturregion, der mit Pedikelschrauben in der unteren Lendenwirbelsäule und einer Schraube im hinteren Os ilium fixiert wird. Zusätzlich wird in der Regel bei der sog. triangulären lumbopelvinen Fixierung eine iliosakrale Schraube eingebracht, um die Stabilität in horizontaler Richtung zu erhöhen [12, 27].

Eine Stabilisierung des vorderen Beckenrings ist bei geriatrischen Fragilitätsfrakturen relativ selten erforderlich; im eigenen klinischen Vorgehen wird sie nur bei relevanten Schmerzen im Bereich des vorderen Beckenrings durchgeführt sowie bei ausgeprägter vorderer und hinterer Instabilität in Kombination mit einer Osteosynthese des hinteren Beckenrings.

Als Standardverfahren kann hierzu ein Fixateur externe angebracht werden. Den Vorteilen wie Minimal-invasivität, kurzer Operationszeit, einfacher technischer Handhabung und breiter Verfügbarkeit stehen jedoch relevante Nachteile gegenüber, bspw. die begrenzte Anwendungsdauer aufgrund der Gefahr von Pintrakt-Infektionen, häufige Lockerungen, die Gefahr der sekundären Frakturdislokation, hoher pflegerischer Aufwand durch die tägliche Pflege der Pineintrittstellen, schlechter Patientenkomfort, Probleme bei der Mobilisierung sowie eingeschränkte Einsatzmöglichkeiten bei adipösen Patienten [47–50]. Deshalb ist nach initialer Anlage eines Fixateur externe in der Regel eine weitere Operation zur definitiven Stabilisierung erforderlich. Da bei geriatrischen Patienten jedoch die Versorgung mit nur einer Operation sowie eine schnelle Mobilisierung angestrebt werden, ist der Einsatz des Fixateur externe bei geriatrischen Beckenringfrakturen nur in Ausnahmefälle sinnvoll.

Als Alternative zum Fixateur externe gibt es seit einigen Jahren verschiedene Varianten minimalinvasiver interner Fixateure, die zur definitiven Osteosynthese von Beckenringfrakturen mit transpubischer oder transsymphysärer Instabilität eingesetzt werden, üblicherweise in Kombination mit einer Versorgung begleitender Frakturen des hinteren Beckenrings z.B. mit einer ISG-Schraube (sog. „270°-Versorgung“ bei unilateraler ISG-Schraube und „360°-Versorgung“ bei bilateraler ISG-Schraube, (Abb. 4)) [12, 51–58].

Vorteile der internen Fixateure sind die Tatsache, dass die Fraktur damit ausbehandelt werden kann, der bessere Patientenkomfort, da z.B. Sitzen und Liegen in Seitenlage möglich sind, weniger Pflegeaufwand durch Wegfallen der Pinpflege, Anwendbarkeit auch bei adipösen Patienten, eine niedrigere Lockerungsrate und weniger infektassoziierte Komplikationen als beim Fixateur externe. Potenzielle Komplikationen des Fixateur interne sind Läsionen des N. cutaneus femoris lateralis, heterotope Ossifikationen und lokales Irritationsgefühl bei schlanken Patienten [51, 55, 57].

Die meisten dieser internen Fixateure werden subkutan platziert [51, 53–58]. In unserer Klinik findet seit 2010 ein submuskulärer Fixateur interne Anwendung, bei dem ein vorgebogener Titanbügel minimalinvasiv direkt am oberen Schambeinast eingebracht und auf beiden Seiten mit supraazetabulären Pedikelschrauben fixiert wird. Die Pedikelschrauben werden beidseits über einen minimalinvasiven transabdominalen, retroperitonealen Zugang eingebracht, der Titanbügel wird nach stumpfer Weichteilpräparation unterhalb der Gefäße direkt entlang der Schambeinäste von der einen zur anderen Seite eingeschoben [12, 52]. Durch die Lage des Bügels direkt an den oberen Schambeinästen hat der submuskuläre Fixateur interne die gleichen Vorteile wie die subkutanen Varianten, zusätzlich sind Fremdkörpergefühl oder lokale Irritationen vor allem bei schlanken und kachektischen Patienten durch die tiefere Lage des Osteosynthesematerials sehr selten, wodurch eine Metallentfernung in aller Regel nicht erforderlich ist. Außerdem ist durch die direkte Positionierung am Knochen die biomechanische Stabilität potenziell höher. Eine mögliche Komplikation, speziell den submuskulären Fixateur interne betreffend, stellt das Risiko von Gefäß- und Nervenverletzungen beim minimalinvasiven Tunneln des Lagers für den Bügel dar [12, 52].

Eine weitere Möglichkeit zur Therapie wenig dislozierter Schambeinastfrakturen ist eine Kriechschraube, die perkutan retrograd von medial nach lateral in den frakturierten Schambeinast eingebracht wird [12].

Generell muss das Ziel jeder operativen Stabilisierung, genau wie bei der konservativen Therapie, die Nachbehandlung unter schmerzadaptierter Vollbelastung sein, da geriatrischen Patienten aus den bereits bei der konservativen Therapie genannten Gründen eine Teilbelastung oder Entlastung in aller Regel nicht möglich ist.

Outcome

Die bisher veröffentlichten Studien konnten zeigen, dass geriatrische Beckenringfrakturen mit einer erhöhten Mortalität und mit langfristigen relevanten Einschränkungen von Mobilität, Lebensqualität und Alltagsfertigkeiten einhergehen, vergleichbar mit proximalen Femurfrakturen. Die 1-Jahres-Mortalitätsrate wird bei 16–19 % angegeben [25, 59, 60]. Weiterhin wird beschrieben, dass 1 Jahr nach der Fraktur nur 40 % der Patienten das vorbestehende Aktivitätsniveau wieder erreichen und dass die Lebensqualität und die körperliche Leistungsfähigkeit auch im Langzeitverlauf 1 bzw. 2 Jahre nach Fraktur noch signifikant niedriger als in der altersentsprechenden Normalbevölkerung ist [59–61].

Geriatrische Beckenringfrakturen stellen also ein einschneidendes Lebensereignis dar, zu deren Therapie es aktuell noch viele Unklarheiten gibt. Um die Therapie zu optimieren und somit die Prognose der Patienten zu verbessern, bedarf es noch weiterer intensiver Forschung.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Juliana Hack

Zentrum für Orthopädie und
Unfallchirurgie

Universitätsklinikum Gießen und
Marburg GmbH

Standort Marburg

Baldingerstraße

35043 Marburg

hackj@med.uni-marburg.de

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