Übersichtsarbeiten - OUP 09/2017

Die persistierende periprothetische Infektion
Gibt es noch eine Legitimation zur Anlage einer Fistula persistens?Is the fistula peristens a viable option as an ultima ratio procedure?

Florian Troendlin1, Jan Gessmann1, Thomas A. Schildhauer1, Hinnerk Baecker1

Zusammenfassung: Die Behandlung periprothetischer Infektionen erfährt seit einigen Jahren eine stetig wachsende Aufmerksamkeit. Moderne Behandlungsalgorithmen haben zu hohen Erfolgsraten mit dauerhafter Infektsanierung unter Gewährleistung einer bestmöglichen Funktion geführt.

Dennoch gibt es Patienten, bei denen eine Infektsanierung nicht möglich ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig – Multimorbidität, nicht bestehende Operationsfähigkeit, fehlende Aussicht auf Therapieerfolg bei mangelnder Compliance oder Ablehnung einer aufwendigen operativen und antimikrobiellen Therapie durch den Patienten sind nur einige Gründe. Umso wichtiger erscheint es, Therapiealternativen für dieses Klientel aufzuzeigen und die Vor- und Nachteile zu diskutieren.

Im folgenden Artikel wird der Stellenwert der Fistula persistens diskutiert und die strenge Indikationsstellung als ultima ratio erläutert.

Schlüsselwörter: periprothetische Infektion, PPI, stabile Fistel, Fistula persistens, ultima ratio

Zitierweise
Troendlin F, Gessmann J, Schildhauer TA, Baecker H: Die persistierende periprothetische Infektion. Gibt es noch eine Legitimation zur Anlage einer Fistula persistens?
OUP 2017; 9: 453–458 DOI 10.3238/oup.2017.0453–0458

Summary: Interest in the treatment of periprosthetic infections has been steadily growing in recent years. Modern treatment algorithms have high rates of success in achieving permanent infection eradication.

However, there are always some patients remaining who fail to achieve therapeutic success. Reasons for this may include: multiple morbidities, inoperability and a lack of compliance or rejection of elaborate surgical and antimicrobial therapies by the patient, to name only a few. Therefore it is important to present alternative therapy options to these patients, highlighting the advantages and disadvantages of each.

The aim of this article is to examine the clinical role of the persistent fistula and explain the strict indication as an ultima ratio procedure.

Keywords: periprosthetic joint infection, PJI, stable fistula, fistula persistens, ultima ratio

Citation
Troendlin F, Gessmann J, Schildhauer TA, Baecker H: The persistent
periprosthetic infections. Is the fistula peristens a viable option as an ultima ratio procedure?
OUP 2017; 9: 453–458 DOI 10.3238/oup.2017.0453–0458

Einleitung

Nach Angaben der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung werden in Deutschland pro Jahr ca. 219.000 Hüftendoprothesen und 180.000 Knieendoprothesen implantiert [8]. Dabei kommt es bei etwa 1 % der primären Endoprothesen zu einem Infekt. In der Revisionsendoprothetik liegt der Prozentsatz periprothetischer Infektionen bei bis zu 4 % [6].

Die Behandlung periprothetischer Infektionen stellt eine der wesentlichen Herausforderungen der modernen septischen Revisionsendoprothetik dar. Verschiedene Behandlungsansätze sind hier etabliert, das übergeordnete Ziel jeder Therapie bleibt jedoch die dauerhafte Infektsanierung unter Gewährleistung einer bestmöglichen Funktion der Prothese [10].

Die häufigsten Erreger der PPI sind koagulase-negative Staphylokokken, Staphylococcus aureus, Streptokokken, Enterokokken und gramnegative Bakterien [12].

Ätiologisch lassen sich verschiedene Risikofaktoren bestimmen, die zu einer periprothetischen Infektion führen können. Dabei wird zwischen patientenspezifischen und unspezifischen Risikofaktoren unterschieden. Seitens der Patienten gelten neben Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus, Übergewicht, immunsuppressiver Therapie und Nikotin- oder Drogenabusus auch das Alter, die Länge des stationären Krankenhausaufenthalts und die Compliance als Risikofaktoren. Als patientenunspezifische Risikofaktoren gelten u.a. die iatrogen beeinflussten Aspekte, wie z.B. sämtliche Maßnahmen zur Vermeidung einer Surgical Site Infektion (SSI) oder einer periprothetischen Infektion [4, 11]. Hausintern definierte Standards wie die Durchführung einer präoperativen Dekolonisierung von Elektivpatienten sind hier ebenso wichtig wie die präoperative Antibiose, die OP-Dauer, die chirurgische Technik und die Nachbehandlung.

Behandlungsalgorithmus

Laut aktuellen Studien kann bei strikter Umsetzung eines interdisziplinären Behandlungskonzepts eine Infektsanierung in 70–90 % aller periprothetischen Infektionen erzielt werden. Hierfür bedarf es einer konsequenten Zusammenarbeit von Chirurgen, Infektiologen, Mikrobiologen, Pathologen und plastischen Chirurgen, um sowohl in der operativen als auch in der sich anschließenden antimikrobiellen Therapie optimal aufgestellt zu sein [9].

Bereits die präoperative Diagnostik ist entscheidend für das weitere therapeutische Vorgehen. Je nach Vorliegen einer akuten oder chronischen Infektion schließen sich verschiedene Behandlungsstrategien an.

Es ist essenziell, eine ausführliche Anamnese des Patienten zu erheben, um wichtige Informationen zur Genese des Infekts zu sammeln. Wann erfolgte die Implantation der Prothese? Muss bei einer akut auftretenden Symptomatik und langer Liegedauer der Prothese von einer hämatogenen Streuung mit möglichem pulmonalen, urogenitalen oder anderweitigen Fokus ausgegangen werden? Könnte es sich um einen periprothetischen Frühinfekt auch bei schon seit Jahren implantierter Prothese handeln? Ist die Prothese gelockert und die Lockerung als Zeichen eines chronischen Infektgeschehens zu interpretieren?

Man unterscheidet zwischen akuten und chronischen periprothetischen Infekten. Der maßgebliche, die weitere Therapie festlegende Unterschied liegt in der Reife des Biofilms. Bei akuten Infektionen hat sich noch kein reifer Biofilm auf der Prothesenoberfläche gebildet und somit kann ein prothesenerhaltender Therapieversuch unternommen werden kann. Dieser sieht ein radikales chirurgisches Débridement, den Wechsel der mobilen Teile der Prothese [5] und eine sich anschließende biofilmwirksame, antimikrobielle Therapie vor.

Per definitionem liegt eine akute Infektion vor, wenn von Beginn der Symptome bis hin zum Revisionseingriff weniger als 3 Wochen verstreichen. Ist das Intervall zwischen Auftreten erster Symptome und nachfolgender Behandlung größer als 3 Wochen, so muss davon ausgegangen werden, dass der Biofilm ausgereift ist und es sich um eine chronische Infektion handelt. Demnach kann man es auch bei einer seit Jahren in situ befindlichen Prothese mit einem Frühinfekt zu tun haben, z.B. wenn es im Rahmen einer Bakteriämie zu einer hämatogenen Streuung gekommen ist [2]. Betroffene Patienten berichten dann in der Regel von plötzlich auftretenden Beschwerden mit deutlicher Verschlechterung der zuvor bestehenden Prothesenfunktion.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4