Übersichtsarbeiten - OUP 09/2017

Die persistierende periprothetische Infektion
Gibt es noch eine Legitimation zur Anlage einer Fistula persistens?Is the fistula peristens a viable option as an ultima ratio procedure?

In bestimmten Situationen ist jedoch ein Prothesenerhalt nicht sinnvoll – trotz des Vorliegens eines akuten Infekts. Beim Nachweis von Problemerregern, sog. Difficult-to-treat-Erregern (z.B. Rifampicin- resistente Staphylokokken, Chinolon-resistente gramnegative Stäbchen und Candida spp.) fehlt eine hinreichende medikamentöse Therapie zur Keimeradikation. Auch bei Zeichen einer Prothesenlockerung und kompromittierten Weichteilverhältnissen wird der Erhalt der Prothese nicht gelingen, sondern eine Explantation und ein Vorgehen analog zur chronischen periprothetischen Infektion muss eingeleitet werden (Abb. 1) [5].

Bei einer chronischen periprothetischen Infektion kann aus o.g. Gründen nicht prothesenerhaltend operiert werden. Im ausgereiften Biofilm sind die Erreger in einen inaktiven Zustand übergegangen und somit einer antimikrobiellen Therapie nicht mehr zugänglich. Die Explantation der Prothese inklusive sämtlichen Fremdmaterials (Knochenzement, Cerclagen, Sequester) stellt die einzige Möglichkeit einer beginnenden Eradikationstherapie dar.

In Abhängigkeit vom klinischen Befund und dem nachgewiesenen Erregerspektrum wird ein ein-, zwei- oder in u.g. Sonderfällen ein dreizeitiger Prothesenwechsel vorgenommen (Abb. 1).

Bei unklarem Erregerspektrum, schwierigen Weichteilverhältnissen oder bereits vorausgegangen Revisionseingriffen sollte ein zweizeitiger Wechsel erfolgen. Ob man einen zweizeitigen Wechsel im kurzen oder im langen Intervall durchführt, ist nicht nur vom nachgewiesenen Erreger abhängig, sondern wird unter ökonomischen Aspekten auch durch die Abrechnungsmöglichkeiten im DRG-System beeinflusst. Lieb et al. konnten in ihrer Arbeit zeigen, dass sich aktuell ein zweizeitiger Wechsel im kurzen Intervall in Deutschland unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht realisieren lässt [3].

Zeigt sich im Rahmen eines zweizeitigen Wechsels ein komplizierter Verlauf mit z.B. anhaltender oder neu aufgetretender Sekretion, die auf eine peristierende Infektsituation hinweisen kann, so ist ein erneutes chirurgisches Debridement vorzunehmen. Bei Nachweis einer periprothetischen Pilzinfektion empfehlen wir generell, einen dreizeitigen Prothesenwechsel durchzuführen. Diese Überlegung beruht auf der hohen Komplikationsrate und auf fehlenden biofilmwirksamen Behandlungsmöglichkeiten für Pilzinfektionen.

Persistierende
periprothetische Infektion –
Behandlungsstrategien bei Therapieversagen

Die Erfahrung lehrt uns, dass auch das beste Therapiekonzept nicht allen Patienten zur dauerhaften Infektfreiheit verhelfen kann. Daher ist es legitim und auch wichtig, nach Alternativen zu fragen und deren Berechtigung und Stellenwert kritisch zu prüfen.

Als Salvage-Prozeduren stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Zunächst sollte eruiert werden, ob die einliegende infizierte Prothese zugunsten einer möglichen Restfunktion des Gelenks erhalten bleiben soll. Eine Alternative dazu stellt der Ausbau der Prothese und die Anlage einer definitiven Girdlestone-Situation oder Arthrodese des betroffenen Gelenks dar.

Zum Erhalt der Prothese kann eine Langzeitsuppression oder die Anlage einer stabilen Fistel angewandt werden. Im Falle einer Langzeitsuppression besteht die Gefahr des Erregerwechsels oder einer Resistenzbildung. Auch müssen mögliche medikamentöse Neben- und Wechselwirkung berücksichtigt und engmaschig kontrolliert werden.

Neben der dauerhaften Infektsuppression ist die Anlage einer Fistula persistens als weitere Salvage-Prozedur zur Gewährleistung einer ausreichenden Restfunktion bei einliegender Prothese beschrieben. Es wird durch die Sicherstellung einer ausreichenden Drainage ein dauerhafter Abfluss generiert und der chronische periprothetische Infekt palliativ versorgt [12]. Für dieses Therapiekonzept sollten lediglich polymorbide Patienten mit kurzer Lebensspanne eingeschlossen werden, um eine Restmobilität und damit einhergehende Lebensqualität zu erhalten [12].

Hauptvorteil der Anlage einer Fistula persistens gegenüber einem mehrzeitigen Wechsel ist die kürzere und weniger invasive Operation. Damit soll eine schnellere Rekonvaleszenz der Patienten einhergehen. Ein Nachteil ist die hohe Komplikationsrate (z.B. Verlegung der Fistel, akute Infektion), der pflegerische Mehraufwand und die Einschränkung im alltäglichen Leben. Gleichzeitig besteht die Gefahr der hämatogenen Streuung. Scheint diese Komplikation beim multimorbiden Patienten zu groß, kann eine Arthrodese, Girdlestone-Situation oder Amputation in Betracht gezogen werden. Hierbei wird eine mögliche Immobilisation des Patienten akzeptiert.

Im Falle eines nicht zu sanierenden Infekts gibt es generell 2 Sichtweisen – die des Arztes und die des Patienten. Das medizinische Fachpersonal strebt oftmals nach dem Erreichen eines kurativen Therapiekonzepts. Der Grund des Therapieversagens sollte seitens der behandelnden Ärzte kritisch hinterfragt werden. Dabei gilt es zu klären, ob das operative Vorgehen oder das antibiotische Regime optimiert werden kann.

Seitens der Patienten hat die klinische Praxis gezeigt, dass die Motivation für einen Revisionseingriff mit der Anzahl der Voroperationen nachlässt. Besteht die Möglichkeit der Infektsanierung, muss diese mit dem Patienten ausführlich besprochen werden. Es muss geklärt werden, ob der Patient tatsächlich von einer erneuten Revision in dem Maße profitiert, dass mögliche therapeutische Komplikationen und Nebenwirkungen gerechtfertigt sind. Jede therapeutische Option, von der Infektsanierung hin zur Langzeitsuppression oder Anlage einer stabilen Fistel, muss abgewägt und ein patientenspezifischer, individueller Therapieplan entwickelt werden.

Am Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum wurden im Rahmen einer retrospektiven Datenanalyse Patienten mit einem chronischen periprothetischen Infekt und stabiler Fistel nachuntersucht. Die Studie wurde aufgrund der komplikationsträchtigen Verläufe nach Anlage einer stabilen Fistel im eigenen Patientengut ebenso wie bei zugewiesenen Patienten durchgeführt, um den Stellenwert dieses Behandlungskonzepts kritisch zu hinterfragen. Die Erfassung diente neben der Charakterisierung des Patientenkollektivs auch der Darstellung ökonomischer Aspekte, die in der Behandlung solch komplexer Fälle eine wichtige Rolle spielen.

Methode

In der retrospektiven Analyse wurden alle Patienten erfasst, die innerhalb der Jahre 2005 bis 2015 aufgrund des Vorhandenseins oder der Etablierung einer stabilen Fistel bei chronisch persistierender, periprothetischer Infektion in domo behandelt wurden. Ausgeschlossen wurden Patienten mit falscher Diagnose oder unvollständiger Dokumentation.

Es wurden die klinischen Basisparameter (Alter, Geschlecht, BMI) und weitere deskriptive Daten (Anzahl der Voroperationen, Erregerspektrum, ASA-Klassifikation, Primärbehandlung vor Anlage der stabilen Fistel) erfasst. Die Funktion des betroffenen Gelenks wurde anhand des Harris Hip Score und Knee Society Score dokumentiert. Zur Beschreibung der Lebensqualität wurde der SF-36 verwendet.

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