Übersichtsarbeiten - OUP 09/2017

Die persistierende periprothetische Infektion
Gibt es noch eine Legitimation zur Anlage einer Fistula persistens?Is the fistula peristens a viable option as an ultima ratio procedure?

Die Datenanalyse wurde unter Verwendung der Software Statistical Package for Social Sciences (IBM SPSS Statistics, Chicago, IL) durchgeführt. Deskriptive statistische Ergebnisse (Mittelwert, Standardabweichung, Spanne und Prozente) wurden erhoben, um Gruppen, Komplikationen und chirurgische Ergebnisse zu beschreiben. Der T-Test wurde zur Bestimmung von Unterschieden zwischen den Therapie-Untergruppen und einzelnen Parametern herangezogen. Das Signifikanzniveau wurde bei p < 0,05 festgesetzt.

Ergebnisse

Während des erfassten Untersuchungszeitraums wurden 180 Patienten mit der Diagnose „stabile Fistel“ behandelt. Nach Berücksichtigung der Ausschlusskriterien konnten 145 Patienten in die Studie eingeschlossen werden.

Das Patientenkollektiv wurde in verschiedene Gruppen untergliedert: nach dem Vorliegen einer Hüft- oder Knieprothese, Girdlestone-Hüfte oder Kniearthrodese.

Die klinischen Basispararmeter (Tab. 1) bestehend aus Alter, Geschlecht und BMI zeigten keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. Im Mittel waren die Patienten 80 Jahre alt, knapp zwei Drittel waren weiblich. Bei einem durchschnittlichen ASA-Wert von 3 zeigte das Patientenkollektiv in allen Gruppen eine deutliche Einschränkung des Gesundheitszustands (Tab. 2).

Die Auswertung der mittleren Verweildauer betrug durchschnittlich 109 Tage für die Summe der stationären Aufenthalte pro Patient. In der Analyse ließ sich ein signifikanter Unterschied der Verweildauer zwischen der Gruppe „Hüft-Prothese“ und „Girdlestone-Situation“ (77 Tage vs. 146 Tage, p < 0,05) zeigen. Analog zeigte sich eine längere Verweildauer zwischen der Gruppe „Knie-Prothese“ und „Kniearthrodese“ (80 Tage vs. 135 Tage, p = 0,36).

Durchschnittlich wurden alle Patienten 4-mal stationär behandelt. Weiterhin wurden 6 Operationen pro Patient durchgeführt. Nach Anlage einer stabilen Fistel wurden die Patienten im Mittel einem Revisionseingriff unterzogen.

Die retrospektive Datenanalyse zeigte, dass der überwiegende Anteil der periprothetischen Infekte auf den Nachweis grampositiver Staphylokokken zurückgeführt wurde. Es konnten insgesamt 98 Patienten hinsichtlich des Erregerspektrums analysiert werden. Patienten mit unvollständiger Dokumentation wurden aus der Analyse ausgeschlossen (Tab. 3).

Klinisch wurden 38 Patienten nachuntersucht. Die funktionellen Ergebnisse zeigten insgesamt schlechte Ergebnisse. Auch die Patientenzufriedenheit und die Lebensqualität ist massiv eingeschränkt (Tab. 4).

Diskussion

Das steigende Interesse an der Behandlung periprothetischer Infektionen spiegelt sich in der wachsenden Anzahl an Publikationen wider. Mit dem Aspekt des Therapieversagens haben sich bisher jedoch wenige Arbeitsgruppen beschäftigt.

Thieman A et al. hat sich 2007 mit dem klinischen und funktionellen Outcome bei Patienten mit stabiler Fistel aufgrund eines chronischen, persistierenden, periprothetischen Infekts auseinandergesetzt [12]. In die Studie wurden 12 Patienten eingeschlossen mit einem Durchschnittsalter von 79 Jahren. Die Auswertung der ASA-Klassifikation erbrachte einen durchschnittlichen Wert von 3 Punkten. Somit deckt sich das Patientenkollektiv der zitierten Studie mit dem Kollektiv der am Universitätsklinikum Bergmannsheil behandelten Patienten.

Die Studiengruppe um Kapadia et al. hat ökonomische Aspekte einer periprothetischen Infektion nach primärer Hüft-TEP Implantation analysiert. Er konnte zeigen, dass sich bereits durch die erste Revision die durchschnittliche stationäre Liegedauer verdoppelt und die Behandlungskosten verdreifacht haben [2].

Dieser Effekt potenziert sich im Patientengut der vorliegenden Studie, denn jeder eingeschlossene Fall stellt einen Therapieversager dar, der zuvor nicht mit dem zugrunde gelegten Behandlungsregime saniert werden konnte. Es handelt sich um komplexe Fälle mit komplizierten Verläufen und prolongierter Krankengeschichte. Durchschnittlich waren 4 stationäre Aufenthalte notwendig und die mittlere Liegedauer lag bei 109 Tagen. Das Ergebnis war dennoch nicht die angestrebte Infektsanierung, sondern als ultima ratio die stabile Fistel.

Die Gründe für die Anlage einer stabilen Fistel waren vielseitig. Es gab Patienten, die aufgrund ihres allgemeinen Gesundheitszustands aus ärztlicher Sicht nicht mehr operationsfähig waren. Es gab Patienten, die aufgrund des Erregernachweises und Mischinfektionen mit Difficult-to-treat-Erregern (DTT) nicht saniert werden konnten. Den Hauptanteil mit über 80 % der untersuchten Patienten bildete jedoch die Gruppe, die nach leidensreichem Krankheitsverlauf jede weitere Art der operativen Intervention abgelehnte. Diese Patienten akzeptierten die Risiken, Einschränkungen und Nachteile der stabilen Fistel und wollten nur eins – das Krankenhaus verlassen.

Als behandelnder Arzt sollte man diese Patienten eng über die Sprechstunde anbinden, denn es zeigen sich bei nahezu 100 % der Fälle im Verlauf weitere Komplikationen. Es kommt häufig zum Verschluss der Fistel oder zu einem Keimwechsel vom niedrig virulenten Erreger hin zum hoch-virulenten Keim, der sich für die Anlage einer stabilen Fistel per se nicht eignet. Es können sich abszedierende Infekte mit ausgeprägter Weichteilbeteiligung bilden. Es sind häufig diese Patienten, die dann über die Notaufnahme wieder aufgenommen und operiert werden müssen, da sich ein beginnender septischer Verlauf abzeichnet.

Schlussfolgerung

Während moderne Therapiealgorithmen in der Behandlung von periprothetischen Infekten optimistische Prognosen zulassen, findet sich in der Literatur kaum ein Hinweis für den Umgang mit Therapieversagern.

Der Umgang mit diesem selektionierten und meist schwierigen Patientenklientel bedarf vermehrter Aufmerksamkeit. Neben optimierten innerklinischen Behandlungspfaden muss auch außerhalb des Krankenhauses die weitere Versorgung gewährleistet sein.

Wir empfehlen zunächst bei jedem periprothetischen Infekt, die Möglichkeiten einer Infektsanierung zu überprüfen. Hier spielen nicht nur die Erreger, die Weichteile und die chirurgische Machbarkeit eine Rolle, sondern es sind auch die Wünsche der Patienten und die realistische Einschätzung der Therapieergebnisse zu beachten. Aus diesem Grund sollten die Anamnese des Patienten und der Behandlungsverlauf nachvollzogen werden, um so mögliche Gründe einer bisher insuffizienten Therapie zu eruieren. Erfolgte das operative Vorgehen im geeigneten Ausmaß? Wurde eine resistogrammgerechte antimikrobielle Therapie durchgeführt? Ist der Patient compliant? Gibt es Kontraindikationen für einen Sanierungsversuch? Ist in Anbetracht der individuellen Situation des Patienten eine Salvage-Prozedur in Erwägung zu ziehen? Kann der chronische persistierende Infekt supprimiert werden? Muss eine stabile Fistel angelegt werden oder ist sogar die Amputation die beste Behandlungsmöglichkeit. Das kritische Hinterfragen der bisherigen Maßnahmen ist notwendig, um Schwachstellen der vorausgegangenen Therapie aufzudecken und eine realistische Planung der weiteren Behandlung vorzunehmen.

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