Übersichtsarbeiten - OUP 01/2021

Die ulnare Neuropathie bei Ellenbogensteifen
Ein Präventions- und Lösungsalgorithmus

Marion Mühldorfer-Fodor, Karl Josef Prommersberger

Zusammenfassung:
Bestehen zum Zeitpunkt der geplanten Ellenbogenarthrolyse klinische Anzeichen einer Ulnaris-Neuropathie, sollte der Gelenkeingriff mit einer langstreckigen Neurolyse des N. ulnaris, eventuell auch mit subkutaner Ventralverlagerung kombiniert werden. Dies empfiehlt sich auch, wenn die anamnestischen und klinischen Symptome diskret ausgeprägt sind (z.B. lokales Hofmann-Tinel-Zeichen, intermittierende Kribbelparästhesien etc.) und die elektrophysiologische Untersuchung negativ ist. Sind keinerlei Anzeichen für eine Ulnaris-Neuropathie auszumachen, muss überlegt werden, den N. ulnaris prophylaktisch zu adressieren, insbesondere bei ausgeprägter Bewegungseinschränkung präoperativ. Hierbei muss nicht nur die Einschränkung der Flexion, sondern auch jene für die Extension berücksichtigt werden. Ebenso sind heterotope Ossifikationen, auch in Distanz zum N. ulnaris, als Risikofaktoren einzukalkulieren.
Eine Dekompression des N. ulnaris sollte über mindestens 7 cm erfolgen, bei perineuralen Vernarbungen mit zirkulärer Neurolyse. Intraoperativ muss eine mögliche Instabilität des Nervs nach diesen Maßnahmen überprüft werden, ggf. sollte eine Ventralverlagerung des N. ulnaris vorgenommen werden. Weiterhin sind ein längerstreckiges Narbenbett, Osteosynthesematerial oder heterotope Ossifikationen im Nervenverlauf, ein deformierter oder eingeengter Sulcus ulnaris sowie ein schlechter Zustand des Nervs selbst sinnvolle Indikationen, den N. ulnaris in ein neu geschaffenes Weichteilbett ohne knöchernes Widerlager zu verlagern, wo der Nerv außerdem möglichst wenig von Gelenkbewegungen und äußerem Druck beeinflusst wird. Eine submuskuläre Verlagerung ist besonderen Indikationen vorbehalten.

Schlüsselwörter:
Arthrolyse, Ellenbogensteife, N. ulnaris, Neuropathie

Zitierweise:
Mühldorfer-Fodor M, Prommersberger K J: Die ulnare Neuropathie bei Ellenbogensteifen. Ein Präventions- und Lösungsalgorithmus. OUP 2021; 10: 036–042 DOI 10.3238/oup.2021.0036–0042

Summary: If there are any clinical signs of ulnar neuropathy while planning an elbow arthrolysis, the surgery should include an ulnar decompression, a neurolysis if necessary, eventually combined with a subcutaneous transposition. This recommendation includes also mild anamnestic and clinical symptoms (e.g. local Hofmann-Tinel-sign, intermittent paresthesia, etc.), and a negative electrophysiological exam. If there are no signs of an ulnar neuropathy, the ulnar nerve may be prophylactically addressed, mainly in cases with severely limited range of motion. Not only the limitations toward flexion, but also toward extension, need to be taken into consideration. Further, heterotopic ossifications, also with some distance to the ulnar nerve, are risk factors to be considered.
The ulnar nerve should be decompressed over at least 7 cm length, in presence of perineural adhesions the nerve needs to be mobilized all around. After these interventions, a possible instability of the nerve needs to be checked intraoperatively, to perform consecutively a subcutaneous transposition if required. Further, wide areas of scar tissue, osteosynthetic material, or heterotopic ossifications in the nerve´s course, deformation of the cubital tunnel, as well as a bad condition of the nerve itself, are reasonable indications to transpose the nerve into a newly-created soft tissue bed, where the nerve is hardly affected by joint motion and external pressure. A submuscular transposition is reserved to special indications.

Keywords: Arthrolysis, stiff elbow, ulnar nerve, neuropathy

Citation: Mühldorfer-Fodor M, Prommersberger K J: Ulnar neuropathy with elbow stiffness - a prevention and treatment algorithm. OUP 2021; 10: 036–042 DOI 10.3238/oup.2021.0036–0042

Marion Mühldorfer-Fodor, Karl Josef Prommersberger: Klinik für Handchirurgie, Rhön-Klinikum, Campus Bad Neustadt

Problematik

Neuropathien des N. ulnaris in Zusammenhang mit einer posttraumatischen bzw. postoperativen Ellenbogensteife sind bekannt. Dabei können sie Mitursache, aber auch Folge einer Ellenbogensteife sein, werden aber auch nach einer Ellenbogenarthrolyse beobachtet. Kommt es im Rahmen eines Unfalls, aber auch einer Operation zu Beeinträchtigungen des N. ulnaris, insbesondere zu narbigen Verklebungen des Nervs, schonen die betroffenen Patienten den Ellenbogen aufgrund der mit Bewegung einhergehenden nervalen, oft elektrisierenden Sensationen, sei es lokal, aber auch in das Versorgungsgebiet des N. ulnaris ausstrahlend, was konsekutiv zu einer Bewegungseinschränkung führen kann („A bad ulnaris can make a good elbow bad“, Jesse Jupiter). Liegt bei Planung einer Ellenbogenarthrolyse eine Ulnaris-Neuropathie vor, gilt es abzuwägen, ob und ggf. wie diese bei der anstehenden Ellenbogenarthrolyse mit anzugehen ist [21, 24, 29].

Sowohl das frühzeitige als auch das verzögerte Auftreten einer Ulnaris-Neuropathie nach einer Ellenbogenarthrolyse, gleich ob arthroskopisch oder offen durchgeführt, ist mit einer Rate von bis zu 19 % ein nicht geringes Risiko des Eingriffs [6, 8, 11, 15, 21, 25, 30]. Selbst wenn vor der Ellenbogenarthrolyse keine Anzeichen für eine Neuropathie bestehen, können auslösende Faktoren, insbesondere Adhäsionen des Nervs, bereits vorhanden, aber durch ein geringes Bewegungsausmaß des Ellenbogens kaschiert sein. Durch die Verbesserung der Ellenbogenbeweglichkeit, insbesondere wenn diese „schlagartig“ im Rahmen einer operativen Arthrolyse erfolgt, kommt dann die reduzierte Gleitfähigkeit des N. ulnaris in Form einer sich rasch oder langsam progredient entwickelnden Traktionsneuropathie zum Tragen, die wiederum zu einer erneuten Verschlechterung der Ellenbogenbeweglichkeit führen kann. Nicht selten sind neuropathische Schmerzen und sensomotorische Störungen nach Ellenbogenarthrolyse trotz sekundärer Neurolyse und Transposition nicht mehr reversibel [5, 21, 27].

Blonna und Kollegen [5] beschrieben 3 unterschiedliche Gruppen einer verzögert einsetzenden Ulnaris-Neuropathie („delayed-onset ulnar neuritis“, DOUN) bei 26 von 235 Patienten (11 %) nach arthroskopischer Ellenbogenarthrolyse. Alle Patienten wiesen direkt postoperativ einen unauffälligen neurologischen Befund auf. Fünfzehn Patienten (58 %) zeigten schon früh postoperativ eine rasch progrediente Neuropathie mit sensomotorischen Ausfällen, Schmerzen im Sulcus ulnaris bei endgradiger Beugung oder Streckung und rascher Verschlechterung der Ellenbogenbeweglichkeit in der ersten Woche nach der Operation. Bei 8 (31 %) fand sich eine nicht progrediente milde sensible Neuropathie ohne motorische Ausfälle, Schmerzen und ohne Verschlechterung der Beweglichkeit. Drei Patienten (12 %) wiesen eine langsam zunehmende milde Ulnaris-Neuropathie auf. Als Risikofaktoren identifizierten Blonna und Kollegen heterotohe Ossifikationen, vorbestehende neurologische Symptome und den Umfang der präoperativen Bewegungseinschränkung.

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