Übersichtsarbeiten - OUP 01/2021

Die ulnare Neuropathie bei Ellenbogensteifen
Ein Präventions- und Lösungsalgorithmus

Ring und Kollegen [21] analysierten die Verläufe von 46 Patienten mit Ellenbogenarthrolyse bei posttraumatischer Gelenksteife. Von den 19 Patienten mit präoperativer Ulnarissymptomatik wiesen 13 gemischt sensomotorische und 6 ausschließlich sensible Defizite auf. Bei allen erfolgte neben der Ellenbogengelenklösung eine Neurolyse des N. ulnaris mit subkutaner Ventralverlagerung. Bei der Nachuntersuchung nach durchschnittlich 48 Monaten wiesen 12 Patienten immer noch Beeinträchtigungen des N. ulnaris auf, 8 kombiniert sensomotorisch, 4 rein sensibel. Achtmal persistierte eine vorbestehende Ulnarissymptomatik, dreimal davon trotz einer zweiten Neurolyse nach der Ellenbogenarthrolyse. Bei 4 Patienten entwickelte sich nach einer von lateral durchgeführten Ellenbogenlösung nach 6 und mehr Monaten (durchschnittlich 16 Monate) eine Irritation des Ellennervs, die bis zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung trotz Neurolyse und Ventral- (3 Patienten) bzw. submuskulärer Verlagerung (1 Patient) des Ellennervs fortbestand. Eine Korrelation zwischen dem Ausmaß der präoperativen Bewegungseinschränkung und dem Auftreten der neuen Ulnarisirritation fand sich nicht. Patienten mit Ulnaris-Symptomatik bei der Nachuntersuchung hatten ein schlechteres klinisches Ergebnis bezüglich DASH (Disability of Arm, Shoulder, and Hand) Score, MEPI (Mayo Elbow Performance Index) und ASES (American Shoulder and Elbow Surgeons) Elbow Evaluationsinstrument als jene ohne Neuropathie.

Obwohl die Problematik bekannt ist, sind die Konzepte zur Handhabung dieses Problems unklar bzw. umstritten. Wünschenswert ist ein umfassendes Therapiekonzept, um einerseits bereits vorhandene Neuropathien im Rahmen der Ellenbogenarthrolyse adäquat zu behandeln, andererseits ein Neu-Auftreten oder eine Verschlechterung von Neuropathien nach Ellenbogenarthrolyse zu verhindern.

Ursachen

Als Ursache für eine Neuropathie des N. ulnaris bei Ellenbogensteife kommen eine primäre Nervenschädigung durch das initiale Trauma und/oder dessen operativer Behandlung in Frage, meist durch Traktion, Kompression oder Kontusion, seltener durch eine scharfe Verletzung. Vorbestehende, bis dato a- oder gering symptomatische Engpass-Syndrome an den natürlichen Engstellen im Nervenverlauf können durch die posttraumatische/postoperative Schwellung oder ein Hämatom exazerbieren. Durch Valgus-Fehlstellung im Ellenbogenbereich kann es zu einer ständigen, latenten Nerventraktion kommen. In der Fallserie von Ring und Kollegen [21] hatten 19 von 46 Patienten (41 %) bei Planung der Ellenbogenarthrolyse eine elektrophysiologisch bestätigte Ulnaris-Neuropathie. Williams und Kollegen [30] berichten über 63 von 164 Patienten (41 %) mit Ulnaris-Neuropathie bereits zum Zeitpunkt der Ellenbogenarthrolyse.

Der N. ulnaris muss sich dem Bewegungsspiel des Ellenbogengelenks anpassen, welches zwischen 30° Überstreckbarkeit insbesondere bei jungen Frauen und einer Beugung bei manchen Menschen bis zu 150° betragen kann, was eine entsprechende Gleitamplitude des Nervs voraussetzt [2, 23, 31]. Bei gleichzeitigem Bewegen von Schulter (30–110° Abduktion), Ellenbogen (10–90° Flexion) und Handgelenk (60° Extension bis 65° Flexion) beträgt die Gleitamplitude des N. ulnaris am Ellenbogen 21.9 mm und 23.2 mm am Handgelenk [31]. Dabei verändert sich die Form des Sulcus ulnaris und damit der Druck im Nerventunnel je nach Ellenbogenposition [2, 13]. In einer Leichenuntersuchung konnten Gelbermann und Kollegen messen, dass die Querschnittsfläche des Kubitaltunnels zwischen dem Epikondylus humeri medialis und dem Flexor carpi ulnaris-Muskel um 30–41% zwischen voller Ellenbogenstreckung und 135° Beugung abnimmt, der Durchmesser des N. ulnaris um 33–50 %. Bei einer Ellenbogenbeugung von ? 90° lag der intraneurale Druck über dem extraneuralen Druck im Kubitaltunnel, bei einer Beugung von 135° als Maximum um 45 % höher [13]. In einer posttraumatischen Situation mit periartikulären und -neuralen Adhäsionen reißen die Narbenbriden bei forcierter Steigerung des Bewegungsumfanges auf, was Schwellung und Einblutungen verursacht. Dies führt einerseits zu einer Verdickung von Kapsel und Bändern mit Einengung des Kubitaltunnels und entsprechender Drucksteigerung. Andererseits verursachen Schwellung und Einblutung eine Verdickung des Perineuriums, welche die Gleitfähigkeit des N. ulnaris verschlechtert und erneute perineurale Narbenadhäsionen begünstigt. Durch beide Pathomechanismen kann der N. ulnaris statisch und dynamisch zunehmend bedrängt werden (Abb. 1).

Unabhängig davon können ungünstig platziertes Osteosynthesematerial ebenso wie knöcherne Formationen (Osteophyten, Ossifikationen) den Ellennerv direkt irritieren. Bei einem ausgeprägten Cubitus valgus schnappt der mediale Rand des Trizeps nicht nur hör- und sichtbar über den medialen Condylus humeri, sondern komprimiert oft auch den N. ulnaris [5, 7].

Auch wenn bei der operativen Versorgung einer Ellenbogenfraktur, -luxation oder -luxationsfraktur eine Dekompression des N. ulnaris erfolgte, kann es in Folge zu einer Neuropathie des Ellennervs kommen, und dies sowohl bei In-situ-Dekompression als auch bei Dekompression mit Ventralverlagerung [10, 22]. Ursachen sind, wie vorstehend beschrieben, Hämatome, postoperative Schwellungen, Irritationen durch Osteosynthesematerial, knöcherne Irritationen, etc.

Erfolgte lediglich eine Dekompression ohne Ventralverlagerung des Ellennervs, resultiert zum einen oft eine narbige Verklebung des Nervens im Sulcus ulnaris. Zum anderen beobachtet man nicht selten nach vorausgegangener operativer Mobilisierung des N. ulnaris ohne Transposition, dass dieser bewegungsabhängig über die mediale Kante des Sulkus, ja sogar des Epikondylus ulnaris (sub-)luxiert und durch dieses rezidivierende Gleiten oder sogar Schnappen gereizt wird [22, 27]. Selbst wenn der N. ulnaris bereits nach ventral verlagert wurde, kann er durch äußere Einwirkung beeinträchtig werden. Risikoquellen sind z.B. eine „Knickbildung“, wenn der Nerv zu kurzstreckig transponiert wurde oder eine lokale Kompression des Nervs durch ein ungenügend exzidiertes Septum intermusculare mediale, welches der Nerv nach der Transposition kreuzt [17, 22, 27]. Des Weiteren beobachteten mehrere Autoren eine Ulnaris-Neuropathie in Kombination mit heterotopen Ossifikationen im Ellenbogenbereich, wobei die knöchernen Formationen nicht unbedingt direkten Kontakt zum N. ulnaris hatten [5, 9].

Klinisches Bild

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