Übersichtsarbeiten - OUP 01/2021

Die ulnare Neuropathie bei Ellenbogensteifen
Ein Präventions- und Lösungsalgorithmus

Die meisten der genannten Neuropathien stellen kein klassisches Nervenengpass-Syndrom dar und können deshalb sehr unspezifische Beschwerden verursachen, eventuell auch mit nur geringen oder ohne elektrophysiologischen und myographischen Veränderungen. Besondere Bedeutung kommt deshalb der Anamnese und klinischen Untersuchung des N. ulnaris zu. Sensible Störungen können, unter Umständen nur intermittierend, mit Kribbelparästhesien, Taubheit oder Asensibilität an der ulnaren Hälfte des Handrückens, der ulnaren Handkante sowie des gesamten Kleinfingers und der ulnaren Hälfte des Ringfingers in Erscheinung treten. Motorische Störungen können sich bei diskreter Ausprägung durch Krämpfe im Hypothenarbereich, bei zunehmender Ausprägung durch Ungeschicklichkeit und Kraftlosigkeit der Hand äußern [1, 4, 26].

Die manifeste Parese führt zur Abschwächung oder Unfähigkeit, die Finger zu spreizen und zusammenzuführen. Das typische Abstehen des Kleinfingers wird als Wartenberg-Zeichen bezeichnet. Die Krallenhand (Duchenne-Zeichen), bei der es beim Versuch der Fingerstreckung zu einer Überstreckung der Grundgelenke und Streckinsuffizienz der Mittel- und Endgelenke kommt, kann aufgrund von Innervationsvariationen nur Ring- und Kleinfinger oder auch alle Finger betreffen. Beim Bovier-Test wird das Grundgelenk passiv in eine Beugestellung gebracht, wodurch die/der Untersuchte trotz Ulnarisparese die Mittelgelenke wieder aktiv strecken kann. Eine Parese der Daumenadduktion kann durch das Froment-Zeichen geprüft werden (kompensatorische Beugung des Daumenendgelenks beim Versuch, ein Blatt Papier zwischen Daumen und Zeigefingerbasis einzuklemmen). Bei länger bestehender Parese können Atrophien der Hypothenarmuskulatur, der Mm. interossei und der des M. adductor pollicis sichtbar sein [1] (Abb. 2).

Von großer Bedeutung für die Abklärung des N. ulnaris ist der Lokalbefund am Ellenbogen. An erster Stelle sollte der N. ulnaris in seinem Verlauf medial in der distalen Oberarmhälfte, über den Sulcus ulnaris bis zu seinem Eintritt in den M. flexor carpi ulnaris getastet und beklopft werden. Gerade nach auswärtiger Voroperation gilt es, den Verlauf des Nervs, insbesondere nach einer eventuellen Transposition, zu lokalisieren. Gleichzeitig kann hierbei eine lokale Empfindlichkeit, in der Regel mit elektrisierenden Missempfindungen (Hofmann-Tinel-Zeichen) einhergehend, abgeklärt werden. Diese kann entscheidende Hinweise auf den Ort einer Schädigung geben. Bei länger zurückliegender Schädigung kann das Hofmann-Tinel-Zeichen aber auch während der Regeneration im Nervenverlauf nach distal gewandert sein, so dass dieses langstreckig ausgelöst werden kann. Das Tasten des N. ulnaris unter Durchbewegen des Ellenbogens lässt eine Instabilität des Nervs mit Luxation oder Subluxation erkennen. Beim Flexionstest hält man den Ellenbogen, sofern dies die Gelenksteife zulässt, für ca. 30 Sekunden in maximaler Flexion. Treten hierbei zunehmende Schmerzen medialseitig am Ellenbogen oder periphere Sensibilitätsstörungen auf, spricht dies für eine relevante Subluxation des N. ulnaris durch Instabilität oder für eine verminderte Gleitamplitude des Nervs durch Vernarbungen [26].

Therapie

OP-Planung

Bestehen zum Zeitpunkt der Operationsplanung für eine Ellenbogenarthrolyse Anzeichen einer Ulnaris-Neuropathie, egal wie ausgeprägt, empfiehlt sich eine fachneurologische Beurteilung mit elektrophysiologischer und myographischer Untersuchung, bei der auch differentialdiagnostisch eine übergeordnete Pathologie (HWS, Thoracic outlet, Plexus brachialis) oder eine Läsion des N. ulnaris in der Loge de Guyon abgeklärt werden sollten [4]. Liegt eine elektrophysiologisch bestätigte Ulnaris-Neuropathie vor, sollte der N. ulnaris operativ angegangen werden [21]. Allerdings schließt eine unauffällige Elektrophysiologie oder Myographie nicht aus, dass bereits eine, durch die Bewegungseinschränkung kompensierte Affektion des N. ulnaris vorliegt. Somit ist bei jeglichen klinischen Auffälligkeiten, trotz negativer Elektrophysiologie, eine operative Intervention am Nervus ulnaris zu empfehlen [11, 20, 30]. Blonna und Kollegen konnten eine vorbestehende, diskrete Ulnaris-Affektion als Risikofaktor identifizieren, um eine relevante Ulnaris-Neuropathie nach einer Ellenbogenarthrolyse zu entwickeln [5]. Weitere Risikofaktoren waren heterotope Ossifikationen (an anderer Stelle am Ellenbogen, nicht direkt am Nerv) und eine stark ausgeprägte Bewegungseinschränkung, v.a. eine starke Beugekontraktur.

Shuai und Kollegen [25] empfehlen eine prophylaktische Neurolyse/Transposition des Nervs auch ohne Anzeichen einer Ulnaris-Neuropathie. Unter der Annahme, dass der N. ulnaris aufgrund narbiger Adhäsionen bei der Ellenbogenbeugung überdehnt wird, wird von einigen als Indikation das Ausmaß der Beugehemmung angeführt, z.B. wenn die präoperative Beugung auf 90–100° limitiert ist [14, 18, 28]. Einige Autoren und auch wir selbst haben aber auch postoperative Ulnaris-Neuropathien beobachtet, wenn die Ellenbogenbeugung nur wenig beeinträchtigt war und durch die Arthrolyse vor allem die Streckung verbessert wurde [6, 11, 21]. Mehrere Studien fanden Hinweise dafür, dass das präoperative Ausmaß der Bewegungseinschränkung Einfluss auf die Ausbildung einer Ulnaris-Neuropathie hat, wenngleich keine konkreten Grad-Angaben, welche als kritisch anzusehen sind, erarbeitet werden konnten [5, 9].

Blonna und Kollegen [7] fanden in einer großen pro- und retrospektiv kombinierten Serie bei 26 von 235 Patienten (11 %) eine Ulnaris-Neuropathie nach arthroskopischer Ellenbogenarthrolyse ohne prophylaktische Nervenkompression, dagegen bei nur bei 8 von 295 Patienten (3 %), wenn bei der Arthrolyse eine prophylaktische Nervendekompression mit oder ohne Transposition vorgenommen wurde. Zusätzlich waren die Symptome der Betroffenen nach Dekompression leichter ausgeprägt als bei jenen ohne Dekompression. In dieser Studie wurde auch ausgewertet, welche Form der prophylaktischen Nervendekompression am effektivsten war. Kein Patient entwickelte eine Ulnaris-Neuropathie, wenn eine prophylaktische Ulnaris-Transposition bei der Ellenbogenarthrolyse (n = 74) erfolgt war oder ein Patient eine Ulnaris-Transposition bereits vor der Arthrolyse durchlaufen hatte (n = 33). Je ein Patient mit einer Standard-Dekompression über eine Strecke von mindestens 8 cm im Nervenverlauf (meist 12–14 cm, n = 88) oder einer limitierten Dekompression (7–8 cm, n = 53) entwickelte nach der Ellenbogenarthrolyse eine Ulnaris-Neuropathie. Deutlich weniger effektiv erwies sich eine Mini-Dekompression über 4–6 cm des Nervenverlaufs, welche bei 6 von 80 Patienten zu einer Ulnaris-Neuropathie nach der Ellenbogenarthrolyse führte. Allerdings hatten Patienten mit einer Ulnaris-Transposition mehr Komplikationen, wie Hämatome, Wundinfektionen und Läsionen des N. cutaneus antebrachii medialis im Vergleich zu Patienten mit nur einer alleinigen Dekompression. Ebenso fanden Shuai und Kollegen [25] nach Ellenbogenarthrolyse bei 10 von 53 Patienten (18.9 %) mit Dekompression des N. ulnaris sowie bei 2 von 4 Patienten ohne Eingriff am N. ulnaris eine Ulnaris-Neuropathie, aber nur bei 3 von 37 (8,1 %) Patienten, wenn die Ellenbogenarthrolyse mit einer Ventralverlagerung des N. ulnaris kombiniert wurde. In einer weiteren Studie fand die gleiche Forschungsgruppe eine postoperative Ulnarisneuropathie bei 24 von 260 Patienten (9,2 %) trotz prophylaktischer, subkutaner Ventralverlagerung des N. ulnaris bei der Ellenbogenarthrolyse [9].

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