Originalarbeiten - OUP 09/2018

Digitale Transformation der Medizin
Brauchen wir ein Curriculum 4.0 für die Aus-, Fort- und Weiterbildung?Do we need a Curriculum 4.0 for education and training?

Sebastian Kuhn1, Florian Jungmann2, Kim Deutsch1, Philipp Drees1, Pol Maria Rommens1

Hintergrund und Ziel der Arbeit: Die digitale Transformation ist ein aktuell stattfindender, fundamentaler Wandlungsprozess des medizinischen Versorgungssystems. Aber worin bestehen die Veränderungen, und welche Kompetenzen benötigen Ärzte, um im digitalen Zeitalter effektiv handeln zu können? Der Beitrag möchte zum einen die Veränderungen und die hierfür notwendigen Kompetenzen
beleuchten, die Ärzte im Allgemeinen und Orthopäden und Unfallchirurgen im Spezifischen benötigen. Zum anderen wird das erste deutschsprachige „Curriculum 4.0“ vorgestellt, welches die digitale Transformation im Medizinstudium abbildet.

Methoden: Das Blended-learning-Curriculum „Medizin im digitalen Zeitalter“ adressiert in 5 Modulen die diversen Transformationsprozesse der Medizin von digitaler Kommunikation über Smart Devices und medizinische Apps,
Telemedizin, virtuelle/augmentierte und robotische Chirurgie bis hin zu Künstlicher Intelligenz und Big Data.

Ergebnisse: Die Evaluation des Kurskonzepts erfolgte sowohl qualitativ als auch quantitativ und demonstriert einen Kompetenzgewinn in den Bereichen „Wissen“ und „Fertigkeiten“ sowie eine differenziertere „Haltung“ nach Kursabschluss.

Diskussion: Die didaktische Vermittlung digitaler Kompetenzen ist ein relevanter Bestandteil der Weiterentwicklung des Medizinstudiums und der Fort- und Weiterbildung. Bei der Entwicklung dieser Curricula muss jedoch auch die hohe
Geschwindigkeit des Veränderungsprozesses der digitalen Transformation beachtet und eine curriculare Anpassung im Sinne eines „agility by design“ bereits bei der Konzeption ermöglicht werden.

Schlüsselwörter: digitale Transformation, Telemedizin, Big Data, Künstliche Intelligenz, Curriculum

Zitierweise
Kuhn S, Jungmann F, Deutsch K, Drees P, Rommens PM: Die Digitale Transformation der Medizin. Brauchen wir ein Curriculum 4.0 für die Aus-, Fort- und Weiterbildung?
OUP 2018; 7: 453–458 DOI 10.3238/oup.2018.0453–0458

Background and goal of the work: The digital transformation is a currently occurring, fundamental transformation process of the medical system. But what are the changes? What skills do doctors need to be able to act effectively in the digital age?

First, the article aims to address the changes and the competences, which physicians in general and orthopedic and trauma surgeons need. Secondly, the first German „Curriculum 4.0“ is presented, which depicts the digital transformation in medical studies.

Methods: The blended learning curriculum „Medicine in the Digital Age“ addresses in five modules the diverse transformation process. It covers topics ranging from digital communication, smart devices and medical apps, telemedicine, virtual, augmented, robotic surgery to artificial intelligence and big data.

Results: The evaluation of the course concept was both qualitative and quantitative and demonstrates a gain in competence in the areas of „knowledge“ and „skills“ as well as a more differentiated „attitude“ after completion of the course.

Discussion: The teaching of digital skills is a relevant component of future curriculum development in medical studies and also a challenge for continuing medical education. In the development of these curricula, the speed of the transformation process must be considered. A curricular adaptation in the sense of an „agility by design“ is hereby a purposeful approach.

Keywords: digital transformation, telemedicine, big data,
artificial intelligence, curriculum

Citation
Kuhn S, Jungmann F, Deutsch K, Drees P, Rommens PM: Digital Transformation of Medicine. Do we need a Curriculum 4.0
for education and training?
OUP 2018; 7: 453–458 DOI 10.3238/oup.2018.0453–0458

1 Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

2 Klinik und Poliklinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Hintergrund und Ziel
der Arbeit

Die Digitalisierung einzelner Prozesse findet bereits seit über 30 Jahren im klinischen Kontext statt. Der Wandel von analogen Akten hin zu elektronischen Systemen in Praxen und Kliniken und die Einführung der Teleradiologie sind hierbei bekannte und weitgehend flächendeckend implementierte Beispiele. Die
digitale Transformation geht jedoch weit über die Digitalisierung hinaus. Sie bezeichnet einen fortlaufenden, in digitalen Technologien begründeten, Veränderungsprozess, der nicht nur Patienten, Gesundheitsberufe und Ärzteschaft umfasst, sondern das gesamte Gesundheitssystem.

Das Informationsverhalten von Patienten und Ärzten hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Durch die breite Verfügbarkeit des Internets greifen zahlreiche Patienten auf Informationsquellen wie wikipedia.org, apotheken-umschau.de oder netdoktor.de zu und informieren sich zunehmend. Insgesamt „googeln“ etwa 60 % der Patienten jeweils vor oder nach einem Arztbesuch [7]. Durch die nicht eindeutig zu erkennende Güte der unterschiedlichen Quellen gibt es von Seiten der Patienten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der gesammelten Informationen [7]. Neben der Befragung von „Dr. Google“ gibt es neuartige mobile Apps, die unter Zuhilfenahme sogenannter KI-Chatbots die Symptome der Patienten/Anwender strukturiert abfragen, um so zu einer wahrscheinlichen Verdachtsdiagnose mit Differenzialdiagnosen zu gelangen. KI-Chatbots wie Ada Health, Babylon oder Your.MD sind Dialogsysteme, die in Chat-Form meist mittels textbasierter Kommunikation den Austausch mit Künstlichen Intelligenzen ermöglichen. Neben der zunehmenden Nutzung unter medizinischen Laien sind Nutzungsszenarien auch auf Expertenebene denkbar.

In einer 2015 durchgeführten Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zum Thema „Video-Sprechstunde“ gaben 45 % der Patienten an, ein solches Angebot zumindest partiell nutzen zu wollen [20]. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen, mit Lockerung des Verbots der ausschließlichen Fernbehandlung, ist der Weg frei für derartige telemedizinische Behandlungskonzepte, auch ohne vorherigen persönlichen Erstkontakt [10]. Diese Entscheidung wird mit großer Sicherheit einen Ausbau telemedizinischer Strukturen beschleunigen. Neben der wünschenswerten Einrichtung von Videosprechstunden mit Integration in den Praxisalltag bzw. in den klinischen Workflow werden mutmaßlich neue Akteure in den Markt drängen. Analog zu den 4 etablierten Ärzte-eigenen Call-Centern in der Schweiz (concordiaMed, Medgate, Medi24 und santé24) werden neue, durch Ärzte betriebene, telemedizinische Firmen/Sparten entstehen. Neuerdings wird in der Schweiz eine Zugangsmöglichkeit zum ärztlichen Notfalldienst durch eine kostenlose mobile App (Doccall) angeboten [5].

Aktuell existieren weltweit über 380.000 Apps mit Gesundheitsbezug. Bei einer zunehmenden Flut an Gesundheits-Apps stehen wir vor der Herausforderung, nach welchen Kriterien (medizinischer Nutzen, Datenschutz, Anwendbarkeit etc.) die Qualität der Apps beurteilt werden kann [1]. In Kombination mit Smartwatches und Fitnesstrackern werden personalisierte Daten zur körperlichen Betätigung und zu basalen medizinischen Werten (z.B. Herzfrequenz) generiert. In diversen Studien wird die Machbarkeit von Gesundheits-Apps erforscht, u.a. mit dem Ziel, die postoperative Rehabilitationsphase zu optimieren, beispielsweise nach arthroskopischer Versorgung von Rotatorenmanschettenrupturen [15]. Hierzu wurde durch eine Gruppe von Orthopäden und Informatikern eine mobile App konzipiert, die Patienten über einen Zeitraum von 12 Wochen begleitet, angepasst an die jeweilige Phase der postoperativen Rehabilitation. Den Teilnehmern wurden innerhalb der App Instruktionen und Videos angeboten, die postoperativen Einschränkungen formuliert und die Möglichkeit gegeben, ihre Medikation einzutragen. Durch tägliche Fragebögen wurden Probleme in der App-Anwendung abgefragt. Ein Grund für die niedrige Nutzungsrate lag u.a. an einem Mangel an digitalen Kompetenzen seitens der Patienten.

Eine bereits fest etablierte Anwendung im klinischen Alltag stellt die Teleradiologie dar [19]. Im Rahmen der Versorgung polytraumatisierter Patienten sorgt die zeitkritische Übertragung von Bilddaten zwischen den Traumazentren für eine Prozessoptimierung, insbesondere dann, wenn Patienten verlegt werden müssen oder eine Zweitmeinung zu komplexen oder hoch spezialisierten Pathologien eingeholt wird (Schädel-Hirn-Traumata, Verletzungen der Aorta). In Pilotprojekten wird zum aktuellen Zeitpunkt die Machbarkeit eines Telenotarztes in vornehmlich strukturschwachen Regionen erforscht [6]. Voraussetzung ist die technische Implementation einer robusten telemedizinischen Übertragung der Vitalparameter (Blutdruck, EKG, Sauerstoffsättigung) des Patienten an den Ort des Telenotarztes, um so über eine audiovisuelle Verbindung mit den vor Ort anwesenden Rettungsassistenten adäquat kommunizieren zu können. Telemedizinische Anwendungen müssen in den Arbeitsworkflow und somit in vorhandene Krankenhausinformationssysteme integriert werden, da ansonsten die Nutzung unter Ärzten aufgrund von Zeitmangel und des zu hohen technischen Schwierigkeitsgrades gehemmt wird.

In der operativen Medizin gewinnt der Einsatz von Virtual und Augmented Reality (VR/AR) zunehmend an Bedeutung. Aktuell wird in Studien evaluiert, inwiefern VR/AR-Anwendungen das Erlernen operativer Fertigkeiten unter realistischen Bedingungen erleichtern können, beispielsweise das fluoroskopisch kontrollierte Einbringen von sakroiliakalen Schrauben oder von dynamischen Hüftschrauben.

Die Digitalisierung der medizinischen Informationen bedingt eine Zunahme an Daten, von Arztbriefen über OP-Berichte bis hin zu erhobenen Parametern von Gesundheits-Apps. Diese Datenmengen erlauben eine spezifische Erforschung von komplexen Zusammenhängen. Künstliche Intelligenzen (KI) werden zunehmend an verschiedensten Themengebieten und Fragestellungen untersucht und versprechen u.a. einen Lösungsansatz im Umgang mit diesen großen Datenmengen. Durch Analyse von natürlich-sprachlichem Text kann natural-language-processing medizinische Texte strukturieren und so zur Entscheidungsfindung beitragen [14]. Deep-learning-Algorithmen erlauben die automatische Analyse von Bilddaten, exemplarisch in der Bestimmung des Knochenalters anhand einer Röntgenaufnahme der Hand oder in der Erkennung und Klassifikation von proximalen Humerusfrakturen [4].

Die digitale Transformation der Medizin stellt somit einen fundamentalen Wandlungsprozess dar, dessen Einfluss auf das zukünftige Berufsbild des Arztes aktuell nur erahnt werden kann. Fest steht jedoch, dass diese Entwicklung die Arbeitsprozesse wesentlich modifiziert und somit eine begleitende Ausbildung erfordert [11]. Der Wandel von wissens- zu prozessbezogenem Denken muss in der ärztlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung adressiert werden.

In Bezug auf die ärztliche Ausbildung lohnt ein Blick in die Curricula des Humanmedizinstudiums. Trotz der aktuell stattfindenden fakultären Reformprozesse, adressiert weder der 2015 verabschiedete „Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog“ (NKLM) noch der 2017 verabschiedete „Masterplan Medizinstudium 2020“ die Aspekte der digitalen Transformation. Vielfach wird behauptet, dass die heutigen Studierenden als erste Generation der „digital natives“ in Symbiose mit technischen Neuerungen und digitalen Anwendungen leben. Alleine das Aufwachsen mit digitalen Medien und deren Nutzung als Consumer reicht jedoch nicht aus, um sich arztspezifische digitale Handlungskompetenzen anzueignen. In einer Studie des Hochschulforums Digitalisierung schnitten nur 21 % der Studierenden als „digitale Allrounder“ ab [18]. Der Großteil sammelt Erfahrungen vor allem in einer passiven, konsumierenden Rolle und nimmt keinen aktiven Einfluss auf die digitale Umwelt.

Der Kompetenzaufbau in Aus-, Fort- und Weiterbildung darf nicht als Nebenprodukt einer fachlichen Wissensvermittlung erwartet werden, sondern braucht eine gezielte und systematische Verankerung in jeweiligen Curricula [8]. Es verlangt von den Medizinstudierenden, aber auch von den bereits approbierten Ärztinnen und Ärzten eine grundlegende und aktive Auseinandersetzung mit den Kernthemen der digitalen Transformation und den übergeordneten Fertigkeiten. Ärzte müssen Kompetenzen besitzen, um den Veränderungsprozess zu verstehen und um neue digitale Behandlungskonzepte und -formen einordnen zu können. Sie müssen praktische Fertigkeiten erlernen und ihre Haltung zur digitalen Medizin reflektieren. Es gilt, die aus ärztlicher Sicht für die Patienten sinnvollen Entwicklungen in der Praxis anzuwenden, Fehlentwicklungen zu erkennen und diese zu meiden. Dieser Ansatz wurde bei „Medizin im digitalen Zeitalter“ erstmals im deutschsprachigen Raum curricular abgebildet.

Methoden

Das Blended-learning-Curriculum „Medizin im digitalen Zeitalter“ setzt sich aus 5 Lernmodulen zusammen, die jeweils aus einer E-learning-Einheit und einer 3-stündigen Präsenzunterrichtseinheit bestehen:

  • Modul 1 Digitale Arzt-Patienten-Kommunikation und soziale Netzwerke
  • Modul 2 Smart Devices und Medizinische Apps
  • Modul 3 Telenotarzt, Teleradiologie, Telemedizin
  • Modul 4 Virtual Reality, Augmented Reality und Computer-assistierte Chirurgie
  • Modul 5 Individualisierte Medizin und Big Data

„Medizin im digitalen Zeitalter“ zielt bewusst auf eine Mischform zwischen digitalen Lehr- und Lernformen sowie Präsenzunterricht ab. Vor Unterrichtsbeginn erarbeiten die Studierenden anhand eines E-Books Grundlagen der digitalen Medizin. Im Präsenzunterricht werden Situationen des digitalen Gesundheitssystems praxisnah aufgegriffen. Simulationen mit App-basierten Behandlungskonzepten, Videosprechstunden und Diskussionsrunden erlauben eine aktive und praktische Interaktion mit den neuen Behandlungskonzepten. In kritischen Diskussionen der Teilnehmer mit den Dozententeams werden sowohl die Chancen und Möglichkeiten als auch die Risiken und Limitationen der digitalen Medizin sichtbar. Hierbei wird explizit der Ansatz verfolgt, die digitale Transformation der Medizin interdisziplinär und interaktiv abzubilden. Der Präsenzunterricht wird in Kleingruppen mit Unterstützung verschiedener medizinischer Fachdisziplinen (Anästhesie, Chirurgie, Medizinische Informatik Medizinethik, Psychologie, Pädiatrie, Psychosomatik, Radiologie, Unfallchirurgie und Orthopädie) durchgeführt. Des Weiteren wird das Dozententeam im Sinne eines transdisziplinären Ansatzes durch App-Entwickler, Vertreter des Landesdatenschutzes und Patienten erweitert. Neben der Vermittlung von Wissen liegt der Fokus insbesondere auf den praktischen Fertigkeiten im Umgang mit den digitalen Anwendungen und einer Reflexion der persönlichen Haltung. Wissen – Fertigkeiten – Haltung: Nur die Integration dieser 3 Aspekte führt zur Kompetenz. Ziel ist es, die Studierenden zu aktivem und eigeninitiativem Lernen anzuleiten, um so zu einer differenzierten Haltung und zur Selbstverortung in einer digitalen Medizinwelt zu gelangen.

Modul 1: Digitale Arzt-
Patienten-Kommunikation und soziale Netzwerke

Digitale Kommunikation in Echtzeit

Ärzte in sozialen Netzwerken

Online Reha-Nachsorge

Modul 1 trägt den Titel „Digitale Arzt-Patienten-Kommunikation und soziale Netzwerke“ und adressiert insbesondere die Veränderungen der Arzt-Patienten-Kommunikation durch digitale Einflüsse. Das interdisziplinäre Dozententeam besteht aus einem Arzt und 2 Psychologen. Der Schwerpunkt liegt auf der Sensibilisierung der Teilnehmenden in Hinsicht auf das professionelle Auftreten in sozialen Netzwerken und den Besonderheiten digitaler Kommunikation auf den 3 Ebenen Arzt – Patient, Arzt – Arzt und Patient – Patient. Dafür erhalten die Teilnehmer Einblicke in ein etabliertes Online-Reha-Nachsorge-Programm, bewerten reale Fälle ärztlichen Verhaltens in sozialen Netzwerken und diskutieren die Vor- und Nachteile digitaler Kommunikation für das ärztliche Handeln. Zusätzlich werden auch digitale Fehlentwicklungen adressiert, wie die unkritische Nutzung von Whatsapp im klinischen Alltag. Während die Chat-basierte Kommunikation von Text, Bild und Video in Echtzeit an sich sinnvoll ist, ist der konkrete Einsatz von Whatsapp im Behandlungskontext aus rechtlicher und ethischer Sicht vollkommen inadäquat und führt zu einem Bruch der ärztlichen Schweigepflicht. Datenschutzkonforme und standesrechtlich adäquate Lösungen werden aufgezeigt und diskutiert.

Übergeordnete Lernziele Modul 1

Die Teilnehmenden sind in der Lage, die spezifischen Anforderungen persönlicher und elektronischer Kommunikation zu reflektieren sowie Kriterien für angemessenes Verhalten virtueller Arzt-Patienten-Kommunikation bis zum Abschluss des Moduls auf praktische Beispiele anzuwenden. Sie sind fähig, sich sicher in sozialen Netzwerken zu verhalten.

Modul 2: Smart Devices und medizinische Apps

App-basiertes Behandlungskonzept SanIQ Lung bei COPD

Smart-device-basiertes Monitoring

Videokonferenz

„Quantified self“ Selbstversuch mittels Smart Devices

Das zweite Modul „Smart Devices und medizinische Apps“, adressiert die digitalen Einflüsse auf den medizinischen Verbrauchermarkt. Die Teilnehmer werden mit der Masse existierender Gesundheits-Apps und Smart Devices konfrontiert. Im Expertengespräch mit den Gründern eines in Deutschland nach Medizinproduktegesetz zertifizierten App-basierten Behandlungskonzepts treten die Studierenden in Austausch über medizinische, ökonomische und politische Rahmenbedingungen. Smart-device-basiertes Monitoring sowie die Überwachung der individuellen Vitalparameter (Quantified Self) werden in Selbstversuchen erlebt. In einer Videokonferenz bekommen die Teilnehmer in direkten Kontakt mit einer Patientin, die aufgrund neuer technischer Entwicklungen ein selbstbestimmteres Leben führen kann.

Übergeordnete Lernziele Modul 2

Die Teilnehmenden sind in der Lage, den Nutzen und die Risiken von medizinischen Apps und Smart Devices bis zum Abschluss des Moduls kritisch zu bewerten und patientenorientiert anzuwenden. Sie beherrschen den Umgang mit Smart Devices und Apps im gesundheitsspezifischen Kontext und können die Einsatzmöglichkeiten, Chancen und Risiken auf Patienten-, Arzt- und Forschungsebene reflektieren.

Modul 3: Telemedizin

Telenotarzt

Teleradiologie

Telemedizin im Rahmen der Schwerverletztenversorgung

In diesem Modul wird die Telemedizin mit den Teilaspekten der Telenotfallmedizin und der Teleradiologie anhand eines interaktiven Fallbeispiels praxisnah vermittelt [12]. Die Studierenden nehmen in einer Simulation die Rollen der einzelnen Akteure ein.

Am Unfallort wird ein polytraumatisierter Patient nach einem Verkehrsunfall vorgefunden. Aufgrund des komplexen Verletzungsmusters wird ein Telenotarzt in die Behandlung eingeschaltet. Beispielhaft wird das Pilotprojekt vorgestellt und die verschiedenen Aspekte dieser Technik werden kritisch hinterfragt [6]. Nach Ankunft des eigentlichen Notarztes am Unfallort wird der Patient aufgrund des dringenden Blutungsverdachts in ein lokales Traumazentrum transferiert. Die gemeinsame Bildanalyse der CT-Schockraumspirale ergibt ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) sowie ausgedehnte Mengen freier intraabdomineller Flüssigkeit bei Milzlazeration. Nach notfallmäßiger Splenektomie muss die weitergehende Versorgung des SHT in einer Klinik der Maximalversorgung erfolgen. Die Vorteile und Möglichkeiten bei Transfer der CT-Bildgebung vor Transport des Patienten in ein überregionales Traumazentrum zur effizienten Planung des Prozederes werden erläutert. Darüber hinaus wird der Unterschied zwischen der radiologischen Mitbeurteilung und der teleradiologischen Erstbefundung nach Röntgenverordnung mit den Studierenden diskutiert.

Übergeordnete Lernziele Modul 3

Die Teilnehmenden sind in der Lage, telemedizinische Verfahren zu benennen und die Chancen und Risiken der Behandlung durch einen Telenotarzt-/radiologen nach Abschluss des Moduls zu reflektieren. Die Teilnehmer können Lösungen der Telemedizin patientenorientiert einsetzen und Rahmenbedingungen der Gesundheitsthematik erläutern.

Modul 4:

Virtual Reality,
Augmented Reality und
Computer-assistierte Chirurgie

Virtual-Reality-Laparoskopie

OP-Planung mittels Augmented Reality

Robotische OP mit da Vinci

Modul 4 mit dem Thema „Virtual Reality, Augmented Reality und Computer-assistierte Chirurgie“ möchte auf der Ebene der Praxiserfahrung den aktuellen Entwicklungsstand und Einsatz von VR/AR und Computer-assistierter Chirurgie vermitteln. Dazu können die Teilnehmenden unter Anleitung von Experten der Computer-assistierten Chirurgie an dem OP-Roboter „Da Vinci“ arbeiten, Erfahrungen in der OP-Planung mittels Augmented Reality sammeln und an einer Virtual Reality-Laparoskopie teilnehmen. Auch hier wird die Methode des Experteninterviews eingesetzt, um den niedrigschwelligen und konstruktiven Austausch zu fördern und nachhaltiges Interesse zu wecken.

Übergeordnete Lernziele Modul 4

Die Teilnehmenden sind in der Lage, die neuartigen Techniken von Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Computer-assistierter Chirurgie bis zum Abschluss des Moduls reflektiert anzuwenden und zu bewerten.

Modul 5: Individualisierte Medizin und Big Data

Diskussionsrunde mit Vertretern der Medizinethik, der Informatik (Big Data) und des Landesdatenschutzes

Zukunftsszenarien

Modul 5 mit dem Thema „Individualisierte Medizin und Big Data“ adressiert die Ebene der kritischen Reflexion und möchte, vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Rahmenbedingungen des Datenschutzes, der Medizinethik und der Medizininformatik, Chancen und Herausforderungen digitalisierter Medizin unter Einbezug der Inhalte der gesamten Kurswoche und verschiedener Perspektiven beleuchten und diskutieren. Diese bewegen sich in dem Spannungsfeld, in dem sich klinisch tätige Ärzte aktuell befinden. „Was ist technisch möglich?“, „Was ist rechtlich erlaubt?“, „Was ist ethisch vertretbar?“ sind hierbei Leitfragen. Die Auseinandersetzung erfolgt insbesondere durch offene Diskussionen im Plenum mit Experten aus dem Bereich Medizininformatik, Datenschutz und Medizinethik.

Übergeordnete Lernziele Modul 5

Die Teilnehmenden sind in der Lage, die Sammlung und Nutzung von Patientendaten im Spannungsfeld von technischen und ethischen Grundsätzen sowie unter gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu bewerten und in medizinischen Kontext zu setzen.

Ergebnisse

Die Evaluation erfolgte anhand standardisierter Prä-/Post-Evaluationsfragebögen und in Form semi-strukturierter Interviews. Hierzu wurde die Akzeptanz des Curriculums bei den Teilnehmenden, die Beteiligung und Interaktion sowie die Kompetenzentwicklung evaluiert.

Qualitative Evaluation anhand
semi-strukturierter Interviews

Die qualitativen Daten wurden in Form von vier 30–45-minütigen semi-strukturierten Gruppeninterviews erhoben, an denen alle Studierenden teilnahmen. Die Audioaufnahmen wurden transkribiert und anhand der „Qualitativen Inhaltsanalyse“ nach Philipp Mayring klassifiziert und ausgewertet [16].

Durch die Analyse der umfassenden Aussagen werden neben numerischen Häufigkeiten auch latente Sinnzusammenhänge, Relevanzsetzungen und Haltungen aufgedeckt. Abbildung 1 zeigt eine Einschätzung der Studierenden in Bezug auf den subjektiven Lernerfolg. So konnten 29 % der Aussagen im Bereich „Lernerfolg“ der Sensibilisierung gegenüber digitaler Medizin zugeordnet werden, 36 % der Aussagen der Aneignung praktischer Fertigkeiten im Umgang mit digitaler Medizin und 35 % der Aussagen der Ebene der individuellen Reflexion. Die Ebene der Sensibilisierung beschreibt das Wissen in Hinsicht auf die gesellschaftliche Relevanz und die differenzierte Einflussnahme der digitalen Entwicklung auf die Medizin sowie ein gestiegenes Interesse an der Thematik. Der Bereich der praktischen Fertigkeiten beschreibt einen Kompetenzzugewinn der Handlungsfähigkeit im Rahmen konkreter digitaler und technischer Tools. Auf der Ebene der Reflexion findet vor allem der abstrakte Transfer auf die eigene Handlungspraxis statt und damit einhergehend die Entwicklung einer Haltung.

Quantitative Prä-/Post-Evaluation

Neben der qualitativen Vorgehensweise erfolgte die quantitative Befragung anhand standardisierter Prä-/Post-Evaluationsfragebögen mit einer 7-stufigen Likert-Skala. Die quantitative Evaluation erfolgte getrennt für die Teilkompetenzen „Wissen“, „Fertigkeiten“ und „Haltung“ in Bezug auf den Lernerfolg. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich in der Prä-/Post-Evaluation eine positive Kompetenzentwicklung nachvollziehen lässt. Durch die Teilnahme konnte ein vorab geringer Wissenstand auf ein höheres Niveau gesteigert werden (Abb. 2a). Geringe Vorfertigkeiten konnten im Rahmen der Wahlpflichtwoche erweitert und verbessert werden (Abb. 2b). In Bezug auf „Haltung“ stellt der Wert 4,0 eine neutrale Haltung dar, während niedrigere Werte eine ablehnende und höhere Werte eine positive Haltung ausdrücken. Die zu Beginn neutrale Haltung zeigte sich zum Abschluss des Unterrichts deutlich positiver (Abb. 2c).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl die qualitative als auch die quantitative Evaluation des Unterrichtskonzepts eine positive Kompetenzentwicklung in den Bereichen Wissen, Fertigkeiten und Haltung verzeichnet. Die Ergebnisse der verschiedenen Evaluationsmethoden bekräftigen sich in ihrer Validität.

Diskussion

Die Digitalisierung ist ein fortwährender Prozess, der die Versorgungsstrukturen auf allen Ebenen verändert. Der notwendige Kompetenzerwerb der Ärzteschaft geht weit über eine isolierte Schulung zu spezifischen Aspekten hinaus und fordert eine grundlegende Auseinandersetzung zu den Kernthemen der Digitalisierung. Zum jetzigen Zeitpunkt muss jedoch festgestellt werden, dass weder die aktuell praktizierenden Ärzte noch die derzeit studierende nächste Generation auf den digitalen Wandel des Gesundheitssystems adäquat vorbereitet werden.

Ärzte müssen Patienten zukünftig nicht nur zur Medikation und Operation, sondern auch zu digitalen Behandlungsformen beraten können. Erste App-basierte Behandlungsformen sind seit Kurzem rezeptierbar und von einzelnen Kostenträgern erstattungsfähig. Ärzte werden somit zukünftig nicht nur Medikamente und Hilfsmittel, sondern auch Apps verordnen und in den Behandlungsablauf integrieren müssen [2]. Dies setzt einen kompetenten Umgang mit diesen digitalen Behandlungsformen voraus. Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Rahmen von Diagnostik und Therapieentscheidungen wird Faktenwissen eine eher geringe Rolle spielen [9]. Stattdessen müssen Ärzte assistierende Technologien verstehen und nutzen lernen. Die genannten Beispiele demonstrieren, dass der Umgang mit Daten im medizinischen Alltag eine neue Bedeutung erlangt. In der bisherigen ärztlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung wird der Umgang mit Daten zumeist im Kontext einer statistischen Grundausbildung gelehrt, um die Ärzte in die Lage zu versetzen, Forschungsergebnisse medizinischer Studien beurteilen zu können. Die Zukunftskompetenz „Data Literacy“ verlangt jedoch zusätzlich die Vermittlung von digitalen Fertigkeiten bezüglich eines kritischen, planvollen und kontextspezifischen Umgangs mit Daten. Daten müssen somit nicht nur statistisch ausgewertet werden, sondern auch als ethisch gute und rechtlich sichere Entscheidungs- und Handlungsgrundlage dienen. Ein kritischer Umgang bedeutet somit auch, die Grenzen der Aussagekraft von datenbasierten Entscheidungen zu kennen. Ziel ist es nicht, Ärzte zu Medizininformatikern auszubilden, sondern aus dem Blickwinkel eines handelnden Arztes Datenkompetenzen zu vermitteln, damit Ärzte die zunehmende Bedeutung von Daten für ihr Handeln verstehen und in der Lage sind, Daten „lesen“ zu können [13].

Das Curriculum Medizin im digitalen Zeitalter richtet sich in der jetzigen Konzeption an Studierende der Humanmedizin an der Universitätsmedizin Mainz. Als Zukunftsperspektive wird eine Ausdehnung auf weitere Standorte und die Fort- und Weiterbildung angestrebt. Die Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie und deren didaktische Vermittlung ist somit ein relevanter Bestandteil der Zukunftsplanung der curricularen Weiterentwicklung des Medizinstudiums und insbesondere für die Fort- und Weiterbildung von Orthopäden und Unfallchirurgen. Bei der Entwicklung dieser Curricula muss jedoch die hohe Geschwindigkeit des Veränderungsprozesses beachtet und eine curriculare Anpassung im Sinne eines „agility by design“ bereits bei der Konzeption ermöglicht werden.

Das Projekt „Medizin im digitalen Zeitalter“ wird im Rahmen des Förderprogramms Curriculum 4.0 vom Stifterverband gefördert.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Sebastian Kuhn, MME

Zentrum für Orthopädie und
Unfallchirurgie

Universitätsmedizin der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz

Langenbeckstraße 1

55131 Mainz

Sebastian.kuhn@unimedizin-mainz.de

Literatur

1. Albrecht U: Gesundheits-Apps: Fachübergreifende Qualitätskriterien sind unabdingbar. Dtsch Arztebl International, 2018; 115: 67–8

2. Barmer: App auf Rezept: Sehschwäche bei Kindern behandeln. Online verfügbar unter: www.barmer.de/leistungen-beratung/leistungen/leistungen-a-z/app -auf-rezept-8606 (09.07.2018)

3. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Masterplan Medizinstudium 2020. 2017

4. Chung SW, Han SS, Lee JW et al.: Automated detection and classification of the proximal humerus fracture by using deep learning algorithm. Acta Orthop, 2018: 1–6

5. Doccall: Die Notfallapp. Online verfügbar unter: www.doccall.ch/Startseite/ (09.07.2018)

6. Graf K: Telenotarzt Bayern – Pilotprojekt zur telemedizinischen Unterstützung der Notfallversorgung im Rettungsdienst einer ländlich strukturierten Region. Online verfügbar unter: innovationsfonds.g-ba.de/projekte/neue-versorgungs formen/telenotarztbayern-pilotprojekt- zur-telemedizinischenunterstuetzung- der-notfallversorgung-imrettungsdienst -einer-laendlich-strukturiertenregion.68# (09.07. 2018)

7. Haschke C, Grote Westwrick M, Schenk U: Wer suchet, der findet – Patienten mit Dr. Google zufrieden. Bertelsmann Stiftung, 2018

8. Hochschulforum D: The Digital Turn. Hochschulbildung im digitalen Zeitalter. Edition Stifterverband, Berlin, 2016

9. Johnston S: Anticipating and Training the Physician of the Future: The Importance of Caring in an Age of Artificial Intelligence. Acad Med 2018; 93: 1105–6

10. Krüger-Brand H: Fernbehandlung: Weg frei für die Telemedizin. Dtsch Arztebl International, 2018; 115: 256–9

11. Kuhn S: Medizin im digitalen Zeitalter: Transformation durch Bildung. Dtsch Arztebl International, 2018; 115: 633–8

12. Kuhn S, Jungmann F: Medizin im digitalen Zeitalter. Der Radiologe, 2018; 58: 236–40

13. Kuhn S, Kadioglu D, Deutsch K, Michl S: Data Literacy in der Medizin. Der Onkologe 2018; 24: 368–77

14. Larson D, Chen M, Lungren M, Halabi S, Stence N, Langlotz C: Performance of a Deep-Learning Neural Network Model in Assessing Skeletal Maturity on Pediatric Hand Radiographs. Radiology 2018; 287: 313–22

15. Lau A, Piper K, Bokor D, Martin P, Lau V, Coiera E: Challenges During Implementation of a Patient-Facing Mobile App for Surgical Rehabilitation: Feasibility Study. JMIR Hum Factors, 2017; 4: e31

16. Mayring P: Qualitative Content Analysis. Flick U, von Kardoff E, Steinke I. (Eds.): A Companion to Qualitative Research. Glasgow, UK: Sage, 2004: 266–69

17. Medizinischer Fakultätentag: Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin (NKLM). Online verfügbar unter: www.nklm.de/files/nklm_final_2015-07- 03.pdf (09.07.2018)

18. Persike M, Friedrich J: Lernen mit digitalen Medien aus Studierendenperspektive. Sonderauswertung aus dem CHE Hochschulranking für die deutschen Hochschulen. Hg. v. Geschäftsstelle Hochschulforum Digitalisierung, 2016

19. Pinto dos Santos D, Hempel J, Kloeckner R, Düber C, Mildenberger P: Teleradiologie – Update 2014. Der Radiologe 2014; 54: 487–90

20. Thranberend T, Hartge F, Fink C: Video-Sprechstunden. Sinnvolles Instrument in der ambulanten Versorgung. Bertelsmann Stiftung, 2015

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