Übersichtsarbeiten - OUP 02/2013

Ein spezielles inverses Prothesendesign zur Prophylaxe des Scapula-Notching –
die Agilon Invers

Aufgrund der wachsenden Popularität der inversen Schulterprothesen und der alarmierenden Inzidenz von Scapula-Notching sowie der relativ geringen Anzahl von Studien zu diesem Thema ist es also von großem Interesse, das Risiko des Scapula-Notching besser zu verstehen und durch verändertes Prothesendesign zu vermindern [14]. Dieses war das Ziel bei der Entwicklung der Agilon Invers (Implantcast GmbH, Buxtehude, Deutschland).

Prothesendesign und Material

Zu den Design-Optionen einer inversen Prothese, das Ausmaß des Adduktionsdefizits und damit das Scapula-Notching zu reduzieren, gehören ein verringerter Hals-Schaft-Winkel der humeralen Komponente, eine flachere Prothesenpfanne, eine Lateralisation des Rotationszentrums, ein erhöhter Glenospherenradius, eine inferior angebrachte Metaglene sowie eine exzentrische Glenosphere mit inferiorem Überhang über das Glenoid [8, 15, 16]. Das Prothesen-Design der Agilon Invers liefert die folgenden Optionen zur Reduktion des Scapula-Notchings:

Verringerung des mechanischen Notching:

  • Verringerter Hals-Schaft-Winkel (Inklinationswinkel) der Humeruskomponente: Die ursprünglichen inversen Schulterprothesen weisen einen Inklinationswinkel von 155° auf. Dieses fördert unweigerlich ein mechanisches Notching im Bereich des lateralen Glenoidhalses bereits in Neutralstellung des Armes. Die Agilon Invers weist einen Inklinationswinkel von 135° auf. Dadurch kann ein Impingement der humeralen Komponente am inferioren Scapulahals vermindert werden. Die Wahl dieses Winkels bietet u.a. den Vorteil der erhöhten Adduktion ohne mechanisches Notching in Neutralstellung des Armes und generell eines höheren Bewegungsumfangs (Abb. 2 a-d)
  • Erhöhter Glenospherenradius: Die ursprünglichen inversen Schulterprothesen boten in der Vergangenheit mit 36 mm nur einen Glenospherenradius an. Die Agilon Invers bietet die Möglichkeit der Wahl zwischen 3 verschiedenen Radien: 36, 40 und 44 mm. Durch die Vergrößerung des Glenospherenradius kann ebenfalls das Risiko eines Anschlagens am inferioren Glenoidhals verringert und der Bewegungsumfang mit zunehmendem Radius vergrößert werden. Darüber hinaus verringert sich auch das Luxationsrisiko mit zunehmendem Radius.
  • Exzentrische Glenosphere: Die Agilon Invers bietet bei den Glenospherenradien 40 mm und 44 mm eine Exzentrizität an, die zu einem Überhang der Glenosphere bis zu 4 mm über den Glenoidrand führt. Aufgrund der Modularität dieser Komponente kann der Operateur die Position des Überhangs frei wählen und somit ein Notching in der gewählten Richtung reduzieren und gleichzeitig auch die Adduktion erhöhen.

Verringerung des biologischen Notching:

  • Materialumkehr der artikulierenden Gleitpartner: Im Vergleich zu den ursprünglichen inversen Schulterprothesen wurde bei der Agilon Invers erstmals eine Materialumkehr der artikulierenden Gleitpartner vorgenommen, d.h. die Glenosphere besteht aus Polyethylen (UHMW-PE nach DIN ISO 5834/2) und die humerale Gelenkfläche aus Metall (implatan; TiAl6V4-Schmiedelegierung nach DIN ISO 5832/3 mit TiN-Beschichtung). Dieses Konzept beruht auf der Mutars Invers Tumor-Schulterprothese der Firma Implantcast, wo der Austausch der Gleitpartner dieser Art bereits in der Vergangenheit erfolgreich zur klinischen Anwendung kam. Damit sollte ein makroskopischer PE-Abrieb durch Kontakt mit dem Scapulahals nicht mehr möglich sein, sodass das exzessive biologische Scapula-Notching infolge PE-Krankheit zurückgehen müsste.

In einem Dauerbelastungs- und Abriebtest in Anlehnung an DIN ISO 14243 wurden die Eigenschaften dieser Kombination durch uns überprüft. In diesem tribologischen Test wurde eine Gleitpaarung bestehend aus einer humeralen Gelenkfläche aus Metall (implatan;
TiAl6V4 -Schmiedelegierung) und einer Polyethylen-Glenosphere (UHMW-PE) mit einer Gleitpaarung bestehend aus einer humeralen Gelenkfläche aus Polyethylen (UHMW-PE) und einer Glenosphere aus Metall (CoCr-Schmiedelegierung) jeweils mit einem Durchmesser von 36 mm verglichen. Beide Gleitpaarungen wurden in einem identischen standardisierten Versuchsablauf getestet. Es erfolgte jeweils die Testung in 4 simulierten Freiheitsgraden:

  • FlexionFlexion [°], Wert ± 10, mechanisch fest)
  • AbduktionAbd. , Wert ± 35, mechanisch fest)
  • Translation (S1 [mm], Wert ca. 1,5, willkürlich)
  • Axiallast (Einheit FN [N], Wert 100–500, geregelt, ± 30 N)

Die Abbildung 3 zeigt die Prüfvorrichtung für die Verschleißprüfung. Als Prüfmedium wurde eine bovine Se-
rumlösung verwendet, welche aus Kälberserum und bidestiliertem Wasser bestand. Der Proteingehalt der Lösung betrug 20 g/l (± 2 g/l). Die Prüftemperatur betrug 37 ± 2 °C. Mit einer Prüffrequenz von 1 Hz wurden die beiden Gleitpaarungen jeweils bis zu 5 x 106 Zyklen im Verschleißsimulator beansprucht. Zwischenuntersuchungen erfolgten nach 5 x 105 , 1 x 106 und dann nach jeweils 1 x 106 Zyklen. Es konnte eine Halbierung der Verschleißrate in der gravimetrischen Untersuchung für die Agilon Invers Gleitpaarung im Vergleich zu dem ursprünglichen inversen Vergleichsdesign ermittelt werden (Abb. 4). Des Weiteren wurden zur Bewertung des Verschleißverhaltens Rauheitsmessungen, Abstandsmessungen und fotografische Aufnahmen durchgeführt. Die Ergebnisse dieses Tests signalisieren, dass für den gravimetrischen Polyethylen-Abrieb der Agilon Invers Gleitpaarung im Vergleich zu der ursprünglichen Materialkonfiguration eine deutliche Reduktion erwartet werden muss. Auf Basis dieser Ergebnisse ist die Materialumkehr der artikulierenden Gleitpartner in der inversen Schulterendoprothetik auch in der Zukunft weiter zu empfehlen. Die Wahl dieses Prothesendesigns bietet u.a. den Vorteil des erhöhten Bewegungsumfanges, da die Wandstärke der inversen Kappe so gering wie möglich gestaltet werden konnte (Abb. 2d).

Modulares Agilon
Schultersystem

Da die Agilon Invers einen Teil des modularen Agilon Schultersystems darstellt, ist die vollständige Modularität gewährleistet. Die Komponenten des modularen Agilon Schultersystems wurden im Jahr 2005 speziell für die Wiederherstellung des traumatisch zerstörten Schultergelenks entwickelt. Die 10°-Stirnverzahnung und die Verwendung der Verlängerungshülsen von 5–10 mm ermöglichen die intraoperative Anpassung von Torsion und Prothesenlänge. Auf Grundlage der sehr guten Ergebnisse bei der Frakturversorgung wurde das System um Implantatkomponenten erweitert, die auf die optimale Versorgung von Omarthrosepatienten sowie für die Indikation einer inversen Schulterprothese ausgelegt sind. Aufgrund der Modularität des Systems ist eine einfache primäre Implantation der inversen Prothese bzw. eine leichte Konversion auf eine inverse Prothese ohne Schaftexplantation gewährleistet.

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