Übersichtsarbeiten - OUP 02/2013

Ein spezielles inverses Prothesendesign zur Prophylaxe des Scapula-Notching –
die Agilon Invers

Die Entwicklung der Agilon Invers beruht auf dem Konzept der Mutars Invers Tumor-Schulterprothese und der Agilon Invers Trauma-Schulterprothese, die bereits in der Vergangenheit erfolgreich zur Anwendung kamen (Abb. 5a und 5b). Die in unterschiedlichen Radien (36, 40 und 44 mm) verfügbaren, z.T. exzentrischen Agilon Glenospheren und die inversen Kappen mit 3 Halslängen (0,3 und 6 mm) erlauben die exakte Einstellung des Prothesen-Offsets der Agilon Invers. Das zementfreie Glenoid für die inverse Versorgung und die optional zu verwendenden, winkelstabilen Schrauben ergänzen das System (Abb. 5c bis 5d). Neben den unterschiedlichen Längen (90 und 120 mm) und Durchmessern (6–12 mm) der zementpflichtigen Schäfte und den zementfreien Stielen in Längen von 60, 120, 180 und 240 mm mit Durchmessern von 10–16 mm, die dem Operateur die Größenauswahl zur optimalen Versorgung der Patienten bieten, sind 3 verschiedene Metaphysenkomponenten (primär, primär kurz und Trauma) in Längen von 30 und 40 mm verfügbar, die z.T. mit Finnen und proximalen Kragen auf die zementfreie Verankerung in der Humerusmetaphyse ausgelegt sind.

Erste Frühergebnisse

Im Rahmen einer kleinen prospektiven, nicht randomisierten und nicht kontrollierten Anwenderstudie wurden die ersten 9 Patienten (m: 1, w: 8), die mit einer Agilon Invers versorgt wurden, nachuntersucht. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 74 Jahre (64–80 Jahre). Allen Patienten wurde die Agilon Invers Traumaschulter mit dem bekannten Designmerkmal einer Materialumkehr der artikulierenden Gleitpartner wie o.b. implantiert, d.h. die Glenosphere bestand aus Polyethylen (UHMW-PE nach DIN ISO 5834/2) und die humerale Gelenkfläche aus Metall (implatan;
TiAl6V4 - Schmiedelegierung nach DIN ISO 5832/3 mit TiN-Beschichtung). Erhoben wurden der Constant-Score (nicht alters- und geschlechtskorrigiert) und der SF-36 sowie der aktive und passive Bewegungsumfang im Rahmen einer standardisierten klinischen Untersuchung. Die präoperative Bildgebung umfasste neben einer Schichtbildgebung (CT/MRT) und einer Sonografie der Schulter Röntgenbilder in 3 Ebenen (a.p.-, Y- und axialer Projektion) sowie die Gegenseite in a.p.-Projektion mit Messlatte. Die postoperative Analyse mit u.a. Beurteilung des Scapula-Notching wurde nach der Methode von Sirveaux anhand von Standard-Röntgenbildern in 3 Ebenen analysiert. Die Einschlusskriterien waren ein schmerzhaftes Funktionsdefizit bei chronischer Traumaschulter, Rotatorendefektarthropathie und Dezentrierung bei Z.n. Endoprothese. Die Ausschlusskriterien waren Alter < 60 Jahre, Infektion und komplette Axillarisparese.

Bisher konnten die ersten 9 Patienten nach durchschnittlich 12 Monaten (4–24 Monate) nachuntersucht werden. Der nicht alters- und geschlechtskorrigierte Constant-Score verbesserte sich von präoperativ 17 auf postoperativ 48 Punkte. Abbildung 6 zeigt die verschiedenen Scores in Abhängigkeit zu den verschiedenen Indikationen (s. Abb. 6). Auch im SF-36 konnte in allen Kategorien ein deutlicher Anstieg der Punkte beobachtet werden (Abb. 7). Es konnte bisher nur eine Komplikation (11,1 %) beobachtet werden. In einem Fall kam es zu einer Luxation, die eine geschlossene komplikationslose Reposition erforderte. Weitere Komplikationen, wie z.B. Acromionfrakturen, Infektionen oder Lockerungen, wurden bisher nicht festgestellt. Bis zum jetzigen Zeitpunkt konnte auch bei den Auswertungen der Röntgenbilder kein inferiores Scapula-Notching beobachtet werden.

Diskussion

Unsere Frühergebnisse zeigen im Vergleich zu früheren Studien [9, 10, 12, 13, 17–19] ebenfalls signifikante Verbesserungen im Constant-Score nach Agilon Invers Implantation. Auffallend ist, dass wir nach durchschnittlich 12 Monaten bis auf eine Luxation keine weiteren ernsthaften Komplikationen, wie z.B. Glenoidlockerungen, Acromionfrakturen oder Infektionen, feststellen konnten. Vor allem auch das in der Literatur häufig beschriebene postoperative Problem des Scapula-Notching konnten wir nicht beobachten, obwohl es mit einer Inzidenz von 44–96 % angegeben wird [3, 4, 9] (s. Tab. 1). Es muss also davon ausgegangen werden, dass die Designveränderungen der Agilon Invers einen positiven Einfluss auf die Verminderung des Scapula-Notching zeigt. Wichtiger erscheint jedoch nicht die Inzidenz des Notching, sondern dessen Fortschreiten. Mehrere Studien geben einen Notching-Progress zwischen 18 und 45,6 % an [6, 9, 10, 12, 13, 17, 18, 20]. Natürlich stellen die geringe Patientenanzahl der hier vorgestellten Frühergebnisse sowie der kurze Nachuntersuchungszeitraum von 12 Monaten berechtigte Kritikpunkte dar, um Aussagen für einen suffizienten Vergleich, v.a. in Hinblick auf eine Progredienz des Scapula-Notching, mit der Literatur tätigen zu können. Diesbezüglich müssen Langzeitergebnisse abgewartet werden. Trotzdem lässt sich anhand der vorgestellten Ergebnisse eine Tendenz ableiten, die u.U. einem Literaturvergleich standhält.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Adduktionsdefizit durch ein verändertes Design der Prothese zu verringern oder ganz zu vermeiden, ohne dass es zu einem Impingement der humeralen Gelenkpfanne am Schulterblatt kommt [21]. Zu den Optionen gehören ein verringerter Hals-Schaft-Winkel der humeralen Komponente, eine flachere Prothesenpfanne, eine Lateralisation des Rotationszentrums, ein erhöhter Glenosphärenradius, eine inferior angebrachte Metaglene sowie eine exzentrische Glenosphäre mit inferiorem Überhang über das Glenoid [15].

Gutierrez und Mitarbeiter [7] simulierten verschiedene Designoptionen und schlussfolgerten, dass ein humeraler Hals-Schaft-Winkel von 130°, gefolgt von einer inferioren Position der Glenosphere, ein lateraler Offset des Rotationszentrums von 10 mm, ein inferiorer Tilt der Glenosphere und ein Durchmesser von 42 mm der Glenosphere die effektivsten Methoden darstellen, um ein Adduktions-Impingement zu verhindern.

Valenti und Mitarbeiter [16] haben kürzlich die Ergebnisse von 76 Patienten veröffentlicht, die mit einem neuen Design einer inversen Schulterprothese versorgt wurden. Bei diesem Prothesendesign ist das Rotationszentrum 8,5 mm lateralisiert und der Inklinationswinkel der Prothese beträgt 135° und wird mit einem Polyethylen-Inlay auf 155° aufgebaut. Nach durchschnittlich 44 Monaten wurden kein Scapula-Notching und keine Glenoidlockerung beobachtet.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7