Übersichtsarbeiten - OUP 02/2013

Ein spezielles inverses Prothesendesign zur Prophylaxe des Scapula-Notching –
die Agilon Invers

Das inverse Design des Agilon Schulterystems von Implantcast (Implantcast GmbH, Buxtehude, Deutschland) unterscheidet sich von den meisten anderen inversen Schultersystemen in der Wahl des Materials der artikulierenden Gleitpartner. Bei der Agilon Invers wird eine Polyethylenglenosphäre und eine Humeruskappe aus einer keramikbeschichteten Titanlegierung verwendet. Dieses steht im Gegensatz zu bisherigen Designs, deren Humeruskappe aus Polyethylen und deren Glenosphäre aus einer Metalllegierung besteht. Diese Umkehr der Materialpaarung zeigt im o.a. Prüfbericht zum tribologischen Verhalten der artikulierenden Komponenten einen deutlich verminderten Materialabrieb von etwa 28 mg/106 Zyklen im Vergleich zu 57,3 mg/106 Zyklen bei einer vergleichbaren inversen Schulterprothesenkombination mit einer Polyethylenpfanne und einer Glenosphäre aus einer Metalllegierung.

Die Verwendung einer Polyethylenglenosphäre, die mit einer Humeruskappe aus einer Metallegierung artikuliert, scheint somit einen positiven Einfluss auf den Materialverschleiß zu haben.

Dieses unterstreicht auch eine biomechanische Studie der Forschungsgruppe um Kohut und Mitarbeiter [37], die ebenfalls die tribologischen Eigenschaften einer konventionellen mit der invertierten Gleitpaarung einer inversen Prothese verglichen haben. Nach 500.000 Zyklen ergab sich ein Abrieb für die Polyethylen-Komponenten von 9,78 mg für die Gleitpaarung Polyethylen- Glenosphere/Metall-Inlay und 8,40 mg für die Gleitpaarung Metall-Glenosphere/Polyethylen-Inlay. Es konnten somit kaum Unterschiede zwischen den verschiedenen Materialpaarungen in Bezug auf den Materialabrieb festgestellt werden. Der errechnete Massenverlust eines Polyethylen-Inlays aufgrund eines mechanischen Notchings wird dagegen zwischen 73 und 3.881 mg angegeben, welches durch den deutlichen Materialabrieb der Humeruskappe an der Stelle des mechanischen Anstoßes am inferioren Scapulahals begründet ist und sich oft bei explantierten Polyethylen-Humeruskappen bei Patienten mit radiologisch nachgewiesenem Scapula-Notchung zeigte.

Hiernach zeigt sich in Bezug auf den Materialverschleiß, dass es keinen erkennbaren Unterschied gibt, welche Materialpaarung verwendet wird, solange man ein mechanisches Scapula-Notching beispielsweise durch einen inferioren Überhang einer exzentrischen Glenosphäre verhindern kann. Durch das exzentrische Design kommt es ohne mechanischen Kontakt der Humeruspfanne an der Skapula, wie er durch inferioren Überhang der Glenosphäre verhindert wird, auch nicht zu einem Abrieb von Prothesenmaterial am Knochen, der Osteolysen induzieren kann [37].

In klinischen Studien zeigte sich die Verwendung von Polyethylenglenosphären auch im Hinblick auf die klinisch-funktionellen Ergebnisse nicht als nachteilhaft [38, 39].

Inzwischen gibt es zunehmend Hersteller, die sich dafür entscheiden bei ihren inversen Prothesendesigns mit nach kaudal exzentrischen Glenosphären, ultrahochmolekulares Polyethylen als Material für die Glenosphären sowie Metallegierungen als Material für die Humeruskappen zu verwenden (LIMA SMR Shoulder, MATHYS Affinis inverse).

Fazit

Die inverse Schulterendoprothetik zeigte in den letzten Jahrzehnten einen raschen Fortschritt in der Weiterentwicklung innerhalb der Schulterendoprothetik. Patienten mit Destruktion des Schultergelenks und einem nicht wiederherstellbaren Defekt der Rotatorenmanschette, der eine Destabilisierung des Schultergelenks provoziert, können von der Implantation einer inversen Schultertotalendoprothese profitieren. Neben der Schmerzbefreiung lassen sich hier mit inversen Schultertotalendoprothesen auch funktionell gute Ergebnisse erreichen. Die große Schwäche ist jedoch das häufig berichtete Phänomen des inferioren Scapula-Notching.

Sowohl eine Materialumkehr der artikulierenden Gleitpartner, die im Abriebtest eine deutliche Reduktion des Polyethylen-Verschleiß im Vergleich zu einer konventionellen Gleitpaarung erkennen ließ, als auch die weiteren Designmerkmale der Agilon Invers zur Protektion eines Scapula-Notching zeigen vielversprechende Ergebnisse. Schwere, durch die PE-Krankheit bedingte Osteolysen sowie das mechanisch verursachte Notching, sollten aufgrund der spezifischen Konstruktionsmerkmale der vorgestellten Agilon Invers nicht mehr auftreten bzw. deutlich reduziert werden. Dadurch versprechen wir uns eine Verlängerung der Standzeiten durch Verringerung von Lockerungsraten. Diese Hypothese muss jedoch durch weitere Langzeitstudien bewiesen werden. Bis dahin verbleibt die Empfehlung, eine inverse Schulterprothese nur im höheren Alter zu implantieren, bzw. wenn keine alternativen therapeutischen Möglichkeiten bestehen.

Interessenkonflikt: Der korrespondierende Autor weist auf folgende Beziehung hin: Dr. N. Hellmers ist als Referent für die Firma Implantcast tätig. Er erhält Beraterhonorare von der Firma Implantcast.

Sponsoren: Der in der vorliegenden Übersichtsarbeit beschriebene Dauerbelastungs- und Abriebtest in Anlehnung an DIN ISO 14243 wurde durch die Firma Implantcast in Auftrag gegeben und finanziert.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Niels Hellmers

Allgemeine Orthopädie und

Zentrum für Endoprothetik

Schön Klinik Hamburg Eilbek

Dehnhaide 120

22081 Hamburg

niels.hellmers@gmail.com

Literatur

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