Übersichtsarbeiten - OUP 03/2016

Ellenbogenprothetik bei rheumatoider Arthritis

Andreas Niemeier1,2, Wolfgang Rüther1, 2

Zusammenfassung: Die rheumatoide Ellenbogendestruktion gehört herkömmlich zu den häufigsten Gründen für die Implantation einer Ellenbogenprothese. Aufgrund der effektiven medikamentösen Basistherapie seit Beginn der 2000er Jahre sind die schweren Verlaufsformen und somit die absoluten Implantationszahlen inzwischen jedoch deutlich rückläufig. Die Indikation zur Prothese beruht ganz vorwiegend auf dem subjektiven Leidensdruck und Funktionsanspruch der Patienten. Der beidseitige Befall des Ellenbogens sowie der ipsilaterale Befall von Schulter- und Handgelenken kommen regelmäßig vor. Daher ist es essenziell, den Ellenbogen als Teil der funktionellen Kette der gesamten oberen Extremität zu betrachten. Ungekoppelte Oberflächenersatzprothesen weisen ein höheres Komplikations- und Revisionsrisiko auf als gekoppelte (semi-constrained) Sloppy-hinge-Prothesen. Unter Verwendung bewährter Prothesenmodelle und Beachtung der Besonderheiten der rheumatoiden Arthritis, ist sehr zuverlässig mit guten funktionellen Ergebnissen und mit Standzeiten von mehr als 10–15 Jahren in über 90 % der Fälle zu rechnen.

Schlüsselwörter: Ellenbogenendoprothetik, rheumatoide
Arthritis

Zitierweise
Niemeier A, Rüther W: Ellenbogenprothetik bei Rheumatoider Arthritis. OUP 2016; 3: 160–165 DOI 10.3238/oup.2015.0160–0165

Summary: Rheumatoid arthritis of the elbow has traditionally been one of the most frequent indications for total elbow arthroplasty. Secondary to the introduction of more efficient medical treatment options, in particular with biologicals, the number of total elbow replacements for rheumatoid arthritis has been constantly declining over the last 10–15 years. The indication for total elbow arthroplasty in rheumatoid arthritis is more patient-driven (chronic pain, and functional disability) than based on objective assessment. Given the high incidence of ipsilateral shoulder and hand pathology, the rheumatoid elbow needs to be seen as part of the functional chain of the entire upper extremity. Semi-constrained sloppy hinge total elbow replacements have proven to be an excellent treatment option with reliable results, good long term outcome and survivorship of more than 90 % over 15 years, while avoiding potential complications such as instability which may occur secondary to the implantation of unconstrained surface replacements.

Keywords: total elbow arthroplasty, rheumatoid arthritis

Zitierweise
Niemeier A, Rüther W: Total elbow arthroplasty in rheumatoid arthritis. OUP 2016; 3: 160–165 DOI 10.3238/oup.2015.0160–0165

Einleitung

Das Ellenbogengelenk spielt in der funktionellen Kette der oberen Extremität eine entscheidende Rolle. Patienten mit chronisch inflammatorischen autoimmunen Synovialerkrankungen, insbesondere mit rheumatoider Arthritis, können im Endstadium der Erkrankung durch mutilierende Destruktion des Ellenbogengelenks mit Schmerz, Instabilität und Steife einen nahezu vollständigen Funktionsverlust der oberen Extremität erleiden. Obwohl das Ellenbogengelenk meist recht früh (binnen 5 Jahren nach Erstmanifestation der RA) eine Mitbeteiligung im Krankheitsverlauf zeigt, steht es für Patienten und behandelnde Ärzte oft nicht primär im Fokus. Der Ellenbogen kann auch bei früher Synovialitis lange relativ symptomarm sein, sodass die Aufmerksamkeit nicht selten auf die Beteiligung der Finger und Handgelenke als verhältnismäßig häufige Erstmanifestationsorte gelenkt wird und der Ellenbogen hinsichtlich Diagnostik und lokaler therapeutischer Maßnahmen relativ wenig beachtet wird. Es gilt also, frühzeitig nach einer Ellenbogenbeteiligung zu fahnden, um rechtzeitig effektive konservative oder operative Maßnahmen einleiten zu können. Für den Fall einer persistierenden Synovialitis trotz adäquater konservativer Therapiemaßnahmen über mehrere Monate, sollte relativ früh eine operative Synovialektomie indiziert werden, um einem ansonsten oft schleichenden Progress mit erheblichem destruktivem Potenzial bis hin zum schweren, mutilierenden Substanzverlust nicht nur des Gelenkknorpels, sondern auch des periartikulären Knochens und des Bandapparats vorzubeugen. Im Endstadium des chronisch schmerzhaften, instabilen, partiell oder vollständig gebrauchsunfähigen Ellenbogens besteht die einzige sinnvolle Operationsmethode in der Implantation eines endoprothetischen Ellenbogengelenkersatzes.

Pathologie und natürlicher Verlauf der rheumatoiden
Arthritis des Ellenbogens

20–50 % der Patienten mit rheumatoider Arthritis weisen binnen 5 Jahren nach Erstmanifestation eine Ellenbogenbeteiligung auf, über 50 % nach 15 Jahren mit häufig bilateralem Befall [1, 2]. Die ersten Symptome einer Synovialitis des Ellenbogengelenks sind Bewegungs- und vor allem Ruheschmerzen sowie eine Ergussbildung, die über eine schmerzhafte Distension der anterioren Gelenkkapsel zur Schonhaltung in Flexion führt. Die Supination der Hand stellt die zweite Bewegungsrichtung dar, die schon frühzeitig limitiert wird – oft durch synovialitische Beteiligung des proximalen radioulnaren Gelenks. Die Folge einer chronischen Flexionsschonhaltung ist die Beugekontraktur mit fixiertem Streckdefizit, das meistens schmerzfrei allmählich zunimmt und ein Ausmaß von über 90° erreichen kann.

Zur Bewältigung des Alltags mit Be- und Entkleiden, Körperhygiene, Nahrungsaufnahme und ähnlichen Tätigkeiten ist ein minimaler „Range of Motion“ (ROM) von 100° erforderlich (sogenannter funktioneller Bogen nach Morrey) [2]. Dabei werden Streckdefizite von bis zu 30° von vielen Rheumakranken durch schleichende funktionelle Anpassung über die Jahre des Krankheitsverlaufs in der Regel recht gut toleriert. Ein Supinationsdefizit wird durch Adduktion im Schultergelenk, ein Streckdefizit durch Anteversion im Schultergelenk kompensierend vermindert. Hingegen ist eine Flexion von mindestens 100° erforderlich, um die Hand zum Gesicht führen zu können; Schulterbewegung kann den Verlust nicht ersetzen, allenfalls eine verstärkte Beugung im Handgelenk, die aber meist ebenfalls limitiert ist.

Diese Kapselmuster sind auch durch operative Maßnahmen nicht immer behebbar: nach endoprothetischem Ersatz des rheumatischen Ellenbogens verbleibt oft ein residuales Streckdefizit im Bereich zwischen 10 und 40°, welches jedoch kaum funktionelle Probleme verursacht, solange eine angemessene Flexionsfähigkeit erreicht wird. Das Erreichen der Flexionsfähigkeit nach Prothesenimplantation ist sicherer vorhersagbar und erreichbar als die Aufhebung des Streckdefizits. Der funktionelle Bogen von 100° ROM als Kriterium für eine hinreichende Gebrauchsfähigkeit ist bei rheumatischen Erkrankungen unbedingt im Kontext des individuellen Beteiligungsmusters von Schulter und Hand der jeweiligen Extremität zu betrachten. Eine gesunde Schulter kann durch glenohumerale und skapulothorakale Ausgleichsbewegungen dazu beitragen, Funktionsdefizite des Ellenbogens zu kompensieren, während eine schwere Affektion der Schulter viel höhere Anforderungen an einen gut funktionierenden Ellenbogen stellt, um die Gebrauchsfähigkeit der Extremität zu erhalten. Besteht an mehreren Gelenken einer Extremität eine Operationsindikation, so gilt als Faustregel, dass zunächst das stammnähere Gelenk operiert wird.

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