Übersichtsarbeiten - OUP 03/2016

Ellenbogenprothetik bei rheumatoider Arthritis

Abweichungen von der Regel können sich durch die prominente Symptomatik eines Gelenks oder drohende Schäden wie neurologische Defizite oder Sehnenrupturen ergeben. Von gleichzeitigem endoprothetischen Ersatz mehrerer Gelenketagen einer Extremität sollte man aus Gründen der postoperativen Behinderung während der Rehabilitationsphase, der Einschränkung der gezielten Rehabilitation einzelner Gelenke durch zusätzliche Operationswunden sowie des allgemein erhöhten Komplikationspotenzials absehen. Der Befall der unteren Extremität muss präoperativ ebenfalls in Betracht gezogen werden. Nach Operation eines rheumatischen Ellenbogens unterliegt zum Beispiel der Gang an Unterarmgehstützen einem generellen Vorbehalt, es bleibt befundabhängig die Option zur Verwendung von Achselgehstützen. In jedem Fall bedarf der relative Zeitpunkt der Indikationsstellung zur Operation einzelner Gelenke einer sorgfältigen Abwägung im Kontext aller betroffenen Lokalisationen; und es gilt zu bedenken, dass die RA meist symmetrisch verläuft, sodass der kontralaterale Ellbogen oft in ähnlicher Weise verändert ist.

Mit den frühen 2000er Jahren begann eine neue Ära sehr effektiver Basistherapie durch den kontinuierlich zunehmenden Einsatz von Antikörper-basierter Biologika-Therapie [3, 4]. Das Idealziel der Behandlung einer rheumatoiden Arthritis ist heute eine vollständige Remission [3–5]. Ohne eine gesichert effektive Basistherapie nach aktuellen Richtlinien sollte keine Operationsindikation gestellt werden. Frühdiagnostik nach den neuen ARC-Kriterien und aggressive medikamentöse Basistherapie in den Frühstadien der Erkrankung durch den Paradigmenwandel im Sinne von „hit hard and early“ haben dazu beigetragen, dass erstens sämtliche Operationsindikationen rheumatischer Gelenke, einschließlich des Ellenbogens, spürbar seltener geworden sind, und zweitens insbesondere die sehr schweren mutilierenden Verlaufsformen seltener werden [4–6]. Diese Entwicklung mag auch darin begründet sein, dass die generelle Absenkung der humoralen Entzündungsaktivität den Patienten und den Therapeuten soweit zufriedenstellt, dass eine persistierende aber verminderte Lokalaktivität nicht mehr als Operationsindikation erkannt wird.

Unter persistierender chronischer Synovialitis lassen sich verschiedene Verlaufsformen beobachten. Die frühe Sekundärarthrose resultiert aus einem Knorpelsubstanzverlust ohne größere Destruktion des periartikulären Knochens und der ligamentären Strukturen und führt zur schmerzhaften Bewegungseinschränkung (stiff elbow) aber letztlich gut erhaltener Ellenbogenstabilität, hier ist eine Ellenbogenprothese nicht erforderlich. Die fortschreitende rheumatische Destruktion der genannten Strukturen mündet hingegen in einem instabilen Gelenk (flail elbow).

Charakteristische Details betreffen die Destruktion des Ligamentum anulare mit konsekutiver anteriorer Instabilität des Radiusköpfchens durch den Zug der Bizepssehne ventral sowie im fortgeschrittenen Stadium ein dorso-lateraler Ulnarvorschub gegenüber dem distalen Humerus (Abb. 1). Die im deutschsprachigen Raum gängige Larsen-Klassifikation [7] richtet sich nach den nativradiologisch sichtbaren strukturellen Schäden. Die Mayo-Clinic-Klassifikation nach Morrey et al [2, 8] hingegen bezieht zusätzlich das Ausmaß der Synovialitis in die Klassifikation mit ein und bietet daher eine noch differenzierte Entscheidungshilfe, die für die operative Indikationsstellung noch vor der Prothese im Hinblick auf die Sinnhaftigkeit einer Synovialektomie mit herangezogen werden kann (Tab. 1).

Operationsindikation zur
Ellenbogenprothese bei
rheumatoider Arthritis

Grundsätzlich lässt man sich bei der Indikationsstellung zur Endoprothetik vom Leidensdruck der Patienten leiten. Auch ein höherer Destruktionsgrad oder die Tatsache, dass ein solcher einzutreten droht, rechtfertigt eine rekonstruierende Operation nicht, sofern die klinische Symptomatik nur mild und für die Patienten im tolerablen Bereich ist. Es gilt, dass die Resistenz gegenüber einer effektiven medikamentösen und physikalisch-krankengymnastischen Therapie gegeben sein muss. Unabhängig davon hat die krankengymnastische Therapie auch vor operativen Eingriffen eine Bedeutung, da für die postoperative Beweglichkeit der Prothese der präoperative Bewegungsumfang ein wichtiger Prädiktor ist. Es gilt, eine patientenzentrierte Entscheidungsfindung herbeizuführen, die sich nicht nur an objektivierbaren Befunden orientiert, sondern insbesondere auf einer klaren Einigung über die funktionellen Ziele der OP basiert.

Die fortgeschrittene rheumatoide Arthritis des Ellenbogengelenks (Mayo Grad 3 und 4) stellt in der Historie der Ellenbogenprothetik die häufigste Indikation zur Prothesenimplantation dar (vgl. Abb. 1).

Prothesentypen

Von allen Prothesenentwicklungen und -konzepten hat sich im Langzeitverlauf für die rheumatoide Arthritis das gekoppelte „Sloppy-hinge“-Prinzip als jenes mit den besten funktionellen Ergebnissen und Standzeiten erwiesen. Gängige Prothesenmodelle dieser Art im deutschsprachigen Raum sind die Coonrad-Morrey-Prothese (Fa. Zimmer), die Latitude (Fa. Tornier) oder die Discovery (früher Fa. Biomet, jetzt Fa. Lima) (Abb. 2).

Auch bei höhergradiger Ellenbogendestruktion sind im mittel- bis langfristigen Verlauf mit diesen Implantaten gute bis exzellente klinische Ergebnisse in über 90 % der Fälle erreichbar, wobei trotz insgesamt höherer Komplikationsraten die Revisionsraten aus spezialisierten Zentren unter 10 % nach über 15 Jahren und damit nicht relevant über denen der Knie- und Hüftendoprothetik liegen [11, 12]. Der ungekoppelte Oberflächenersatz des Ellenbogens hingegen ist weichteilig insbesondere bei RA sehr schwierig zu balancieren.

In rheumatypischen Situationen mit ausgeprägtem Knochenverlust humeral und/oder ulnar oder vorbestehender ligamentärer Instabilität ist die Positionierung eines ungekoppelten Oberflächenersatzes nicht immer ohne Kompromiss hinsichtlich Rekonstruktion des Drehzentrums und oder hinsichtlich der ligamentären Stabilität durchführbar. Hieraus resultiert eine höhere Komplikationsrate und Revisionswahrscheinlichkeit für ungekoppelte Oberflächenersatzprothesen (Abb. 3) gegenüber Sloppy-hinges,[13, 14] was wiederum dazu geführt hat, dass die Implantationszahlen der ungekoppelten Prothesen insgesamt leicht rückläufig sind.

Besonderheiten der
perioperativen Medikation

Es ist zu beachten, dass verschiedene Biologika aufgrund ihrer spezifischen Wirkmechanismen negative Auswirkung auf die Wundheilung post operationem haben können. Daher gibt es – trotz der Tatsache, dass es zu dieser Thematik für die meisten Substanzen keine eindeutige Datenlage existiert – Konsens in den Empfehlungen der meisten Fachgesellschaften (DGRH, DGORh, EULAR, ACR), dass die Biologika-Therapie vor einem operativen Eingriff für eine Dauer von 2–4 Halbwertzeiten pausiert werden sollte [9, 10]. Wir praktizieren in unserer Klinik eine Pause von 2 Halbwertzeiten für alle Substanzen und haben unter diesem Regime keine erhöhte Rate von Wundheilungsstörungen beobachtet.

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