Übersichtsarbeiten - OUP 03/2019

Endoprothetische Versorgung der bilateralen Gonarthrose
Einzeitige vs. zweizeitige Versorgung – Was sagt die Literatur?

Markus Goldhofer, Lukas Eckhard

Zusammenfassung:

Die Anzahl der jährlich durchgeführten Totalendoprothesen am Kniegelenk steigt stetig an.
Einige Patienten leiden zum Zeitpunkt der Indikationsstellung bereits an beidseitiger Gonarthrose. Für sie stellt sich die Frage nach einzeitigem oder zweizeitigem Oberflächenersatz. Die Entscheidung wird durch viele unterschiedliche Faktoren beeinflusst. Neben den vorhandenen Komorbiditäten des Patienten gehören hierzu die subjektive Beschwerdeausprägung, der Schweregrad der Gelenkdeformität sowie die funktionellen Einschränkungen. Eine simultane Versorgung beider Kniegelenke mit einer Knie-Totalendoprothese wird wegen der damit verbundenen erhöhten Kreislaufbelastung zugunsten der Patientensicherheit oft nicht in Erwägung gezogen. Mit dieser Übersichtsarbeit sollen anhand der aktuellen Literatur Vorteile, Risiken und Empfehlungen für den klinischen Alltag dargestellt werden.

Schlüsselwörter:

doppelseitige Knie-TEP, Gonarthrose, bilaterale Endoprothese am Kniegelenk

Zitierweise:

Goldhofer M, Eckhard L: Endoprothetische Versorgung der bilateralen Gonarthrose.
OUP 2019; 8: 168–174

DOI 10.3238/oup.2019.0168–0174

Summary: The number of total knee arthroplasties increases every year. At the time of indication, a number of patients presents with end-stage osteoarthritis of both knee joints. Both, simultaneous bilateral or staged bilateral knee arthroplasty are treatment options for these patients. Various factors such as pain, immobilization, severity of joint deformity with resulting functional impairment, reduced quality of life and comorbidities influence the decision. Simultaneous bilateral knee arthroplasty is often not considered due to an increased postoperative mortality rate. This review provides a statement about benefit and risks when performing bilateral knee arthroplasty based on the current literature.

Keywords: bilateral total knee arthroplasty, gonarthritis, knee arthroplasty

Citation: Goldhofer M, Eckhard L: Total knee arthroplasty in osteoarthritis of both knee joints.
OUP 2019; 8: 168–174 DOI 10.3238/oup.2019.0168–0174

Für alle Autoren: Zentrum für Unfallchirurgie und Orthopädie der Unimedizin Mainz der Johannes Gutenberg Universität Mainz

Einleitung

In Deutschland leiden die Hälfte der Frauen und ein Drittel der Männer über 65 Jahre an Arthrose. Risikofaktoren für eine Arthrose des Kniegelenks sind u.a. Alter, Geschlecht und Übergewicht [1]. Ist die konservative Therapie ausgeschöpft, ist der künstliche Gelenkersatz eine effektive chirurgische Intervention mit sehr guter Schmerzreduktion und guten klinischen Ergebnissen.

Im Jahr 2017 wurden deutschlandweit insgesamt 168.489 Erstimplantationen einer Knie-Endoprothese (KTEP) dokumentiert [2]. Durch den demografischen Wandel der immer älter werdenden Bevölkerung wird diese Zahl weiter steigen. 10–22 % der KTEP-Patienten erhalten innerhalb von 12 Monaten und 37 % der KTEP-Patienten innerhalb der nächsten 10 Jahre auf der kontralateralen Seite ebenfalls eine KTEP [3–5].

Ist der endoprothetische Ersatz an beiden Kniegelenken indiziert, stellt sich für Operateur und Patient die Frage nach einer simultanen oder zweizeitigen Versorgung. Während Befürworter der einzeitigen bilateralen Versorgung u.a. auf die nur einmal notwendige Rehabilitationsphase hinweisen, führen Gegner die potenzielle Gefährdung der Patientensicherheit an.

Diese Übersichtsarbeit soll basierend auf einer selektiven Literaturrecherche die Vor- und Nachteile einer simultanen bilateralen KTEP (sbKTEP) gegenüber einer zweizeitigen bilateralen KTEP (zbKTEP) darlegen und so Operateuren als evidenzbasierte Grundlage zur Beratung ihrer Patienten dienen.

Klinisches Beispiel

Ein 82 Jahre alter Mann stellt sich mit einer beidseitigen endgradigen Gonarthrose sowie subjektiver Instabilität bei valgischer Beinachse von > 15° vor (Abb. 1 und 2). Aufgrund der daraus resultierenden Immobilität und fehlender Risikofaktoren wurde ein einzeitiger bilateraler Oberflächenersatz durchgeführt. Bei komplikationslosem Verlauf konnte der Patient nach 7 Tagen in die stationäre Reha entlassen werden.

Der Patient weist ein Jahr postoperativ ein gutes funktionelles Outcome auf und würde sich wieder einer beidseitigen Operation unterziehen (Abb. 1–2).

Patientensicherheit

Die perioperative Mortalitätsrate hat sich innerhalb der letzten 20 Jahre deutlich verringert [6] und ist bei elektiven unilateralen KTEP (UKTEP) mit 0,16–0,46 % sehr gering [7, 8]. Um hier einen signifikanten Unterschied zu beobachten, ist ein prospektiv-randomisiertes Studiendesign mit einem sehr großen Patientenkollektiv notwendig. Die Randomisierung lässt ein Risikoscreening der Patienten nicht zu, sodass allein aus ethischen Gründen solch eine Studie nicht umzusetzen ist.

Aufgrund der Vorteile der einzeitigen KTEP Versorgung (einmalige postoperative stationäre Behandlung, einmalige Rehabilitation, frühere Genesung und Arbeitsfähigkeit sowie reduzierte Kosten) wird diese dennoch mit steigender Tendenz bei einem geeigneten Patientenkollektiv mit akzeptabler Komplikationsrate durchgeführt [9, 10].

Die perioperative Morbidität wird in Major- und Minor-Komplikationen unterteilt [11].

Major-Komplikationen:

postoperative Mortalität

kardiovaskuläre Komplikationen

pulmonale Komplikationen

neurologische Komplikationen (Delir)

Revision

Minor-Komplikationen:

Bluttransfusion

Harnwegsinfekt

Wundheilungsstörung

Unter der heterogenen Datenlage gibt es einige große retrospektive Studien, die Patientendaten aus Gesundheitsdatenbanken analysierten, einige Meta-Analysen und eine große, prospektive vergleichende Studie [12]. Aufgrund der Heterogenität der Studien und dem Studiendesign ist das Evidenzlevel der meisten Studien nicht sehr hoch.

Postoperative Mortalität

Die Mortalitätsrate bei elektiver KTEP hat sich über die letzten 20 Jahre aufgrund verbesserter Anästhesie- und perioperativer Behandlungskonzepte von ca. 2 % auf 0,3–0,7 % verringert [13]. Dennoch spielt sie in der Entscheidungsfindung zur sbKTEP eine wesentliche Rolle.

In der letzten Dekade gab es einige große Studien, die die Rate der postoperativen Mortalität und Morbidität bei Patienten mit sbKTEP und zbKTEP analysierten. In einer 2018 publizierten prospektiven, vergleichenden Studie unterzogen sich 2400 Patienten entweder einer sbKTEP- oder einer zbKTEP-Versorgung. Die Autoren beobachteten 90 Tage postoperativ bei Patienten nach sbKTEP mit 0,58 % eine höhere Mortalitätsrate als bei denen nach zbKTEP mit 0,42 % [12]. Ähnliche Ergebnisse wurden in einer retrospektiven Analyse der Gesundheitsdatenbank „National Hospital Discharge Survey Database“ in den USA berichtet, in der eine signifikant höhere Mortalitätsrate unter Patienten mit sbKTEP (0,5 %) gegenüber unilateraler KTEP-Patienten (0,3 %) festgestellt wurde. Ergebnisse zweier Meta-Analysen von Hussain et al. und Fu et al. bestätigen ebenfalls ein signifikant höheres Mortalitätsrisiko bei Patienten nach simultaner Operation [14, 15].

Kardiovaskuläre
Komplikationen

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