Übersichtsarbeiten - OUP 01/2016

Evidenzbasierte Therapie der proximalen Humerusfraktur3
Wann konservativ, wann operativ?When non-operative – when surgical treatment?

1. Fjalestad Studie: dislozierte
3- oder 4-Teile-Frakturen

Platte vs. konservativ

Die norwegische Arbeitsgruppe um Fjalestad publizierte 2012 eine zweiarmige prospektiv randomisierte Studie mit insgesamt 50 Patienten (Mindestalter 60 Jahre) [11] (Tab. 1). Eingeschlossen wurden nur dislozierte (> 45° oder > 10 mm) 3- und 4-Teile-Frakturen der Gruppen 11-B2 (n = 13 in beiden Gruppen) und 11-C2 (n = 12 in beiden Gruppen) nach der AO/OTA Klassifikation. 25 Patienten wurden operativ (winkelstabile Platte, Cerclagen, Physiotherapie ab Tag 3), 25 konservativ (geschlossene Reposition wenn Fragmentverschiebung > 50 % des Schaftdurchmessers, Physiotherapie ab Tag 15) behandelt. Zwei Patienten aus der operierten Gruppe verstarben. Die 12-Monats-Analyse zeigte keine statistisch signifikanten Unterschiede im funktionellen Ergebnis (Constant-Score, Patienten Self-Assessment mit dem American Shoulder and Elbow Surgeon Score) zwischen konservativer und operativer Therapie. Lediglich die radiologischen Scores zeigten erwartungsgemäß Vorteile zugunsten der operativen Therapie.

Erhebliche Unterschiede zwischen beiden Behandlungsgruppen zeigten sich bei den Komplikationen: In der operativen Gruppe (winkelstabile Platte) kam es in 13 Fällen (52 %) zu fraktur- oder behandlungsbedingten Komplikationen, in der konservativen Gruppe in lediglich 3 Fällen (12 %).

Die Bedeutung dieser Studie ist hoch. Erstmals gelang damit der Nachweis auf höchstem Evidenzniveau, dass die konservative Therapie der winkelstabilen Plattenosteosynthese vom funktionellen Ergebnis ebenbürtig ist, bei der Analyse der Komplikationen und Revisionseingriffe sogar überlegen [18].

Die traditionelle Art und Weise, Ergebnisse und Effektivität nach chirurgischer oder konservativer Behandlung am Bewegungsapparat darzustellen, sind Bewegungsumfang, Muskelkraft sowie radiologische Befunde wie Fragmentposition und Frakturheilung. Die Outcome-Forschung hat hier zeigen können, dass objektive Parameter nicht immer mit der subjektiven Einschätzung der Patienten übereinstimmen.

In einer weiteren Publikation, basierend auf dem gleichen Patientengut, untersuchte die Arbeitsgruppe die gesundheitsbezogene Lebensqualität mit Hilfe des 15D-Instruments (Tab. 1). Dabei werden 15 allgemeine Aspekte (15 dimensions oder abgekürzt 15D) des täglichen Lebens (z.B. bewegen, sehen, hören, Alltagstätigkeiten, Vitalität etc.) abgefragt und mit Werten zwischen 0 (Tod) und 1 (perfekte Gesundheit) skaliert (http://www. 15D-instrument.net). Zu allen Messpunkten (0, 3, 6, 12 Monate) war die mit dem 15D-Instrument gemessene gesundheitsbezogene Lebensqualität ohne statistisch signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Der Unterschied der mittleren direkten und indirekten Behandlungskosten der beiden Behandlungsgruppen war ebenfalls ohne statistisch signifikante Unterschiede und betrug 23.953 Euro in der operierten Gruppe gegenüber 21.878 Euro in der konservativen Gruppe [10].

Das Patientenkollektiv dieser Gruppe wurde auch noch einmal 2 Jahre nach Unfall analysiert. Dabei zeigte sich, dass die stärkste Verbesserung von Schulterfunktion und Lebensqualität zwischen 6 und 12 Monaten erfolgt. Im zweiten Jahr waren fast keine Verbesserungen mehr zu beobachten [12].

Beide Studien haben Einschränkungen. So konnte nicht in allen Fällen eine anatomische Reposition erzielt oder gehalten werden, was für schlechte Ergebnisse in der operativen Gruppe verantwortlich sein könnte. Die verwendete winkelstabile Platte war nicht anatomisch vorgeformt, wie sie heute weitgehend verwendet wird. Eine relativ niedrige Rate an Pull-out (n = 1) verglichen mit anderen Studien macht es aber unwahrscheinlich, dass die Ursache für die limitierten Ergebnisse im verwendeten Implantatdesign der operativen Gruppe liegt [10].

2. Olerud Studie: dislozierte

3-Teile-Frakturen:
OP vs. konservativ

In 2011 wurde noch eine zweite prospektiv-randomisierte Studie (operativ versus konservativ) veröffentlicht mit der Besonderheit eines Nachuntersuchungszeitraums von 2 Jahren. Eingeschlossen wurden 60 Patienten mit dislozierten 3-Teile-Frakturen (nahezu ausschließlich Frakturen des Tuberculum majus) mit einem Durchschnittsalter von 74 Jahren (56–92) (Tab. 1) [27].

In dieser Studie scheinen die operativ versorgten Fälle tendenziell etwas bessere Funktion (Beweglichkeit, Scores) zu haben, jedoch waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant.

Statistisch signifikant dagegen war der Unterschied in der Rate der ungeplanten Operationen, die in der operativen Gruppe mit 30 % vs. 0 % signifikant erhöht war. Bei nur 7 % der Patienten wurde die Reoperation im 1. Jahr durchgeführt, bei weiteren 23 % erfolgte der Eingriff erst im 2. Jahr. Es zeigte sich zudem, dass auch im 2. Jahr noch eine Verbesserung der Beweglichkeit erfolgt, vor allem bei den Patienten die sich einem Re-Eingriff unterzogen haben [27].

3. Olerud Studie: dislozierte

4-Teile-Frakturen:
Prothese vs. konservativ

2011 wurde erstmals eine prospektiv randomisierte Studie mit einem Vergleich Frakturendoprothese versus konservative Therapie publiziert (Tab. 1) [26]. 55 Patienten mit dislozierten 4-Teile-Frakturen und einem Durchschnittsalter von 77 Jahren (58–92) wurden randomisiert und nach 4, 12 und 24 Monaten nachuntersucht. Es fanden sich nach 24 Monaten keine signifikanten Unterschiede im Constant-Score, Beweglichkeit, DASH-Score und Schmerzen (VAS), obwohl die radiologische Bewertung in der konservativen Gruppe lediglich in einem einzigen Fall zufriedenstellend war. Lediglich die Lebensqualität in Form des EQ-5D zeigte um 0,16 Punkte bessere Ergebnisse (0,81 versus 0,65 (p = 0,02) zugunsten der Frakturprothese [26].

4. Boons Studie: dislozierte

4-Teile-Frakturen:
Prothese vs. konservativ

Zur Frage Frakturprothese vs. konservative Behandlung bei dislozierter proximaler Humerus-4-Teile-Fraktur liegen seit Ende 2012 die Ergebnisse einer industriegesponserten (Depuy) prospektiv randomisierten Studie aus den Niederlanden vor [5] (Tab. 1). Die zu beantwortende Frage war, ob die Hemiarthroplastie mit einer Frakturprothese im Vergleich zur konservativen Behandlung Funktion und Kraft verbessert und Schmerz und Funktionseinschränkung reduziert. 50 Patienten mit einem Mindestalter von 65 Jahren (Durchschnittsalter 78 Jahre, 94 % weiblich) wurden eingeschlossen, 47 Patienten (94 %) wurden ein Jahr nach Trauma nachuntersucht. Die Operation (7 Tage nach Unfall) erfolgte über einen deltoideo-pectoralen Zugang. Als Implantat wurde die Global FX Schulter Frakturprothese (DePuy, Leeds, United Kingdom, zementiert) verwendet, die Tuberkula standardisiert mit nichtresorbierbaren Fäden reponiert und stabilisiert. Beide Behandlungsgruppen bekamen das gleiche Protektions- und Rehabilitationsprogramm (2 Wochen nach Trauma bzw. OP instruierte
Eigenbeübung für Beweglichkeit, Kraft und Rückkehr zu Aktivitäten des täglichen Lebens.

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