Übersichtsarbeiten - OUP 03/2019

Evolution der individualisierten Total-Knieprothese mit 3D-Technologie

Malin Meier, Johannes Beckmann, Wolfgang Fitz

Zusammenfassung:

Individuelle Knieimplantate und vornavigierte Einweginstrumente haben das Potenzial, viele
der Mängel herkömmlicher Standard-Knieimplantate zu beheben. Aktuelle Systeme hinterlassen eine Lücke in Bezug auf Passform, Kniekinematik und Patientenzufriedenheit, die in der
Knieendoprothetik nach wie vor bestehen bleibt. Die individualisierte Knieendoprothetik kann
die in der Knieendoprothetik vorhandenen anatomischen Variationen und morphologischen
Nuancen berücksichtigen.

Schlüsselwörter:
Knieendoprothetik, Individualprothese, 3D-Technologie

Zitierweise:
Meier M, Beckmann J, Fitz W: Evolution der individualisierten Total-Knieprothese
mit 3D-Technologie. OUP 2019; 8: 161–167
DOI 10.3238/oup.2019.0161–0167

Summary: Individual knee implants and pre-navigated disposable instruments have the potential to correct many of the deficiencies of conventional standard knee implants. Current systems leave a gap in terms of
fit, knee kinematics and patient satisfaction that remains in knee endoprosthetics. Individualized knee
endoprosthetics can take into account the anatomical variations and morphological nuances present in
knee endoprosthetics.

Keywords: knee total replacement, individualised replacement, 3D-technology

Citation: Meier M, Beckmann J, Fitz W: The evolution of the individualised total knee replacement with 3D-technology. OUP 2019; 8: 161–167 DOI 10.3238/oup.2019.0161–0167

Malin Meier: Sportklinik Stuttgart

Johannes Beckmann, Sportklinik Stuttgart

Wolfgang Fitz: Orthopedic Surgery, Harvard Medical School, Cambridge, MA, USA

Einleitung

Die individualisierte Knieprothese wurde entwickelt, um die Mängel der heutigen Standard-„Stangen“-Knieprothesen zu beheben. Obwohl die totale Knieendoprothetik ein sehr erfolgreiches Verfahren ist, gibt es nach wie vor Herausforderungen, die die Zufriedenheit von Patienten und Chirurgen mit dem Verfahren einschränken. Passungenauigkeit und Nichtwiederherstellung der normalen Kniekinematik durch ein nicht anatomisches Design der Komponenten mögen die Hauptursachen für persistierende Patientenzufriedenheit nach Knieendoprothesen sein.

Die individualisierte Knieprothese nutzt dreidimensionale Bilddaten des Patienten, um nicht nur vornavigierte, einmalig verwendbare Instrumente herzustellen, sondern auch für die Produktion von patientenspezifischen Implantaten, die für einen einzelnen Patienten bemessen und geformt werden, wodurch im Wesentlichen eine individuelle Kopie des distalen Femurs hergestellt wird. Ziel dieses Ansatzes ist die Entwicklung eines Systems, das die Genauigkeit und Einfachheit der Operationstechnik verbessert, eine individuelle anatomische Rekonstruktion der Gelenkflächen ermöglicht und damit möglichst genau die patientenspezifische Kniekinematik rekonstruiert, was mit herkömmlichen Knieprothesensystemen möglicherweise nicht erreichbar ist. Schließlich ermöglicht dieser vollständig individualisierte Ansatz, dass die Implantate und Instrumente vorsterilisiert und in einem Einweg-Kit verpackt werden können, wodurch die Kosten für Implantat-Lagerung, Sterilisation, Verpackung und Logistik der derzeit verwendeten Instrumente erheblich reduziert werden.

System-Philosophie und
Designrationale

In den letzten Jahren wurden mehrere Technologieansätze eingeführt, um die Genauigkeit der Knieendoprothetik zu verbessern, wobei eine Verbesserung des klinischen Resultats das oberste Ziel ist. Technologien wie computergestützter Kniegelenkersatz, patientenspezifische Sägeblöcke und Robotik gehören zu dieser Kategorie und konzentrieren sich auf Methoden zur Verbesserung der chirurgischen Genauigkeit, ohne jedoch die Anatomie des Gelenks zu verbessern. In jüngster Zeit haben sich mehr Hinweise darauf ergeben, dass die Wiederherstellung des distalen Femur-Winkels, des proximalen Tibia-Winkels und die Wiederherstellung des Offsets der medialen und lateralen Femurcondylen wichtige anatomische Merkmale zur Wiederherstellung der Anatomie des Patienten und damit der individuellen Kniekinematik sind. Hiermit reduzieren sich auch das sog. Weichteil-Release und die damit verbundene Morbidität.

Die individualisierte Knieendoprothetik verbessert nicht nur die Logistik, sondern ermöglicht die Bereitstellung von exakten Kopien des Kniegelenks. Man kann die Implantate durchaus mit der Herstellung von individuellen Zahnkronen vergleichen. Neben der Wiederherstellung patientenspezifischer Implantate werden zugrunde liegende Deformationen, wie z.B. Varus- oder Valgusdeformitäten oder Flexionskontrakturen korrigiert: Individuelle Instrumente basieren auf der Vornavigation von 3D-Daten, inklusive der Achsinformation zwischen Hüfte, Knie und Sprunggelenk, um Deformitäten zu korrigieren. Insgesamt besteht das Ziel des Systems darin, ein sich natürlich anfühlendes Knie zu erzeugen, das präzise, zuverlässig und kostengünstig implantiert werden kann.

Konventioneller
Kniegelenkersatz

Die aktuellen Standard-„Stangen“-Knieprothesensysteme werden sehr erfolgreich als dauerhafte Lösung zur Schmerzlinderung, insbesondere bei Patienten mit geringerem Anspruch, eingesetzt. Aber die Probleme der Anpassung [1, 2], der Restschmerzen [1, 2, 3] und der Defizite in der normalen Kinematik [4, 5] und der Patientenzufriedenheit bleiben bestehen [6, 7].

Trotz zahlreicher Größen und verschiedener Optionen für Femur- und Tibia-Komponenten wird häufig eine unvollkommene Passform festgestellt. Sowohl beim totalen als auch beim partiellen Kniegelenkersatz zeigen Studien, dass der Überhang der Femur- und Tibia-Komponenten regelmäßig auftritt und die Wahrscheinlichkeit klinisch bedeutsamer Knieschmerzen erhöht. Ein Überhang der femoralen Komponente von mehr als 3 mm wird relativ häufig beobachtet, besonders bei Frauen, aber auch bei Männern. Bei Patienten mit Überhang werden 2 Jahre nach der Operation eine Verdoppelung der Odd Ratio für signifikante postoperative Schmerzen [8] beobachtet. Eine weitere Studie zum partiellen Kniegelenkersatz zeigt, dass ein Überhang der Tibia-Komponente von mehr als 3 mm zu deutlich schlechteren Oxford-knee-Scores und Schmerz-Scores 5 Jahre nach der Operation führt [1].

Die Implantathersteller erweitern Größenoptionen und alternative Designs wie „gender specific“-Designs, um die anthropometrischen und geschlechtsspezifischen Unterschiede zu berücksichtigen, die mitverantwortlich für diese Mängel sind. Allerdings scheinen Unterschiede innerhalb der afro-amerikanischen Ethnizität größer zu sein als zwischen Frauen und Männern oder zwischen unterschiedlichen Ethnizitäten [9]. Schmalere und breitere Oberschenkelimplantate können bestimmte Aspekte der Passform in der mediolateralen (ML) und anteroposterioren (AP) Dimension berücksichtigen, aber Standardimplantate können die Unterschiede in Größe und Form nicht realistisch adressieren. Neuere Studien mit großen CT-Messungen zeigen die hohe Variation der distalen femoralen Morphologie und insbesondere des anteroposterioren und mediolateralen Verhältnisses [10]. Die große Variation zwischen medialem und posteriorem condylaeren Offset kann mit „Stangen“-Prothesen nicht entsprechend versorgt werden und zu MidFlexions-Instabilitäten führen [11]. Es ist sehr deutlich, dass speziell größere Patienten Implantate erhalten, die in der mediolateralen Dimension zu schmal und in der anteroposterioren Dimension zu klein sind [10].

Neben der Passform können auch andere anatomische Abweichungen zwischen den Patienten die Funktion und die Patientenzufriedenheit beeinflussen. Die sich mit konventionellem Kniegelenkersatz ergebende Kniekinematik hat sich als nicht optimal erwiesen mit resultierenden negativen Auswirkungen auf die berichteten Aktivitätslevel und Funktion der Patienten [5]. Die Kniekinematik wird multifaktoriell beeinflusst, wobei ein Faktor darin besteht, dass „Stangen“-Prothesen die native Artikulationsgeometrie eines Patienten nicht vollständig nachbilden, also keine Kopie des distalen Femurs darstellen, und damit die natürliche Kinematik verändern [4].

So sind beispielsweise herkömmliche femorale Komponenten entweder symmetrisch oder leicht asymmetrisch und weisen einen festen distalen femoralen Condylen-Winkel auf. Jedoch variiert der distale femorale Offset bei Patienten in einem recht großen Bereich. Hunter et al. [12] berichteten von einem durchschnittlichen Valgus-Condylen-Winkel von 5° mit einer Standardabweichung von 3° sowohl in normalen als auch in osteoarthritischen Knien. Dabei reichte der Valgus-Condylen-Winkel von Patient zu Patient von –6° varus bis +13° valgus [13]. Diese Differenz im femoralen Condylen-Winkel kann zu einem unterschiedlichen Offset von bis zu 8 mm betragen. Herkömmliche Implantate können diese extremen outlier nicht ohne exzessive Ligament-Release versorgen. Wenn der Condylen-Winkel eines Patienten kleiner oder größer als der feste Winkel des Implantats ist, kommt es zu medialer oder lateraler Laxizität und es werden Korrekturen der Bandstrukturen durch sog. Releases notwendig, was nichts anderem als einer schrittweisen Durchtrennung der Bänder entspricht. In einer Studie von Meric et al. [14] zeigten 13.546 CT-Scans, dass Ausreißer mit einem distalen Condylen-Winkel von weniger als 3° valgus oder mehr als 9° valgus häufig auftraten.

Ein weiterer Aspekt, der Anlass zur Sorge gibt, ist die Wiederherstellung des distalen posterioren condylären Offsets: Intraoperativ rotieren Chirurgen den symmetrischen condylären „Stangen“-Femur im Sinne einer Innen- oder Außenrotation. Wir wissen, dass die Außenrotation zu einer besseren patellaren Führung führt. Da sich jedoch der Drehpunkt der Rotation in der Mitte des distalen Femurs befindet, wird der mediale hintere Condylus überreseziert und der laterale Kondylus unterresiziert, was zu einer stärkeren medialen Flexionslaxizität, aber gleichzeitig zu einer stärkeren lateralen Flexionsstraffheit führt (Abb. 1). Matziolis et al. [11] zeigten in einer Studie mithilfe der Computernavigation, dass eine Rekonstruktion der hinteren Condylen innerhalb von 2 mm notwendig ist, um eine Mid-Flexion-Instabilität zu vermeiden.

Patientenspezifische
Knieimplantate

Individuell angefertigte Implantate (ConforMIS, Inc.) repräsentieren eine individuelle Kopie der Oberflächengeometrie des Kniegelenks. Hiermit werden nicht nur die individuellen Oberflächen wiederhergestellt, sondern auch die unterschiedlichen Höhen und Breiten von Femur und Tibia. Abbildung 2 zeigt die „cruciate retaining“-Version, bei der das hintere Kreuzband erhalten bleibt. Gleichzeitig werden jedoch traditionell anerkannte Regeln eingehalten, um eine neutrale mechanische Achsenausrichtung der Beinachse zu rekonstruieren. So wird bei einem individualisierten Design einer totalen Knieendoprothese beispielsweise die Komponentenkontur an die Anatomie des Patienten angepasst, um eine präzise Passform zu gewährleisten. Darüber hinaus werden die medialen, lateralen und trochlearen J-Kurven anatomisch rekonstruiert, um den individuellen, distalen femoralen Offset des Patienten wiederherzustellen. Dies bewirkt, dass die relative Position von Bandursprung und -ansatz erhalten wird, was wiederum den Bedarf an ligamentärem Releasen (teilweises Durchschneiden von Bändern) im Vergleich zu „Stangen“-Prothesen dramatisch reduziert, wenn nicht sogar eliminiert.

Die distale Oberschenkelresektion erfolgt in einem Winkel von 90° relativ zur mechanischen Achse, und das tibiale Polyethylen reflektiert den distalen Condylen-Winkel. Wenn z.B. der distale Condylen-Winkel 4° valgus beträgt, ist der tibiale Winkel des Polyethyleninserts in der koronaren Ebene in 4° varus. Da die Resektion der Tibia ebenfalls in 90° zur mechanischen Achse der Tibia durchgeführt wird (neutrale mechanische Ausrichtung), wird die Beinausrichtung insgesamt auf mechanische Neutralität korrigiert. Der Chirurg hat jedoch die Möglichkeit, subtile Anpassungen nach den Prinzipien der restriktiven kinematischen Ausrichtung [15] oder der konstitutionellen Ausrichtung [16] nach eigenem Ermessen vorzunehmen.

Es gibt noch weitere wichtige anatomische Merkmale, die mit einer individualisierten Knieendoprothetik wiederhergestellt werden können, die aber nicht mit handelsüblichen „Stangen“-Prothesen möglich sind: Mensch et al. [2] beobachteten Unterschiede zwischen den medialen und lateralen femoralen condylären J-Kurven. Der mediale Condylus ist gekrümmter und breiter, während der laterale Condylus schmaler und gerader ist. Der distale femorale Condylus besteht aus 3 J-Kurven, der medialen, der lateralen und der trochlearen J-Kurve. Die mediale und die laterale J-Kurve wiederum haben 3 unterschiedliche Anteile: posteriorer und anteriorer Radius mit einer Übergangszone. Der mediale und der laterale anteriore Radius ist unterschiedlich, nämlich größer am lateralen Condylus [2]. Neuere Arbeiten bestätigten die Daten von Mensch et al. mit Computertomografie (CT) und Kernspintomografien (MRT) [17, 18]. Die anterioren Radien des medialen und des lateralen Condylus sind im Vergleich zu den posterioren Radien größer, und das Verhältnis zwischen beiden ist auf der medialen Seite größer als auf der lateralen.

Herkömmliche „Stangen“-Prothesen, wie z.B. das „single radius“-Design, gehen nicht auf diese unterschiedlich anatomischen Morphologien ein und stellen die große Varianz zwischen medialen und lateralen posterioren condylären Offset nicht wieder her. 80 % der Menschen haben einen Unterschied von mehr als 2 mm zwischen den beiden posterioren condylären Offsets [10]. Standard-Implantate haben eine feste Symmetrie, mit einer Ausnahme: Ein Hersteller vertreibt eine fixiert asymmetrische femorale Komponente mit einer fixierten Asymmetrie von 3° (Journey, Smith and Nephew, Memphis, TN, USA). Allerdings zeigen CT-Studien, dass die Unterschiede zwischen den medialen und den lateralen posteriorem Offset auch nicht konstant asymmetrisch sind [10]. In der heutigen Praxis können herkömmliche „Stangen“-Prothesen-Designs die individuelle Vielfalt von Gelenkflächen nicht wiederherstellen, was sich seit den Anfängen der Knieendoprothetik nicht verändert hat [2].

Um die proximale und distale Trochlea-Dysplasie zu beachten, wird die trochleare Geometrie bei Individualprothesen gezielt geplant und verändert. Die tiefsten Punkte der Trochlea definieren die trochleare J-Kurve und liefern die Position einer generischen prothetischen Schiene. Die Trochlea-Spur erhält eine konkave Rinne, die der kuppelförmigen Patella angepasst ist. Proximal beginnt die Trochlea-Spur bei 7° valgus relativ zur mechanischen Achse, und die prothetische Trochlea wird parallel zur trans-epicondylären Achse eingestellt.

Die tibiale Komponente wird auf die tibiale Geometrie des Patienten abgestimmt und auf Null-Rotation eingestellt. Jüngste Veröffentlichungen haben ergeben, dass bei mehr als 50 % der Patienten, die ein Jahr nach dem Kniegelenkersatz Restschmerzen hatten, eine femorale oder tibiale Innenrotation vorliegt [3]. Um das Risiko einer Innenrotation zu minimieren, ist die tibiale Komponente leicht unterdimensioniert, sodass der Chirurg die Komponentenposition für jede Fehldrehung, die intraoperativ beobachtet werden kann, anpassen kann, ohne einen Komponentenüberhang zu riskieren. Das tibiale Implantat ist nach den Prinzipien von Cobb et al. [19] konstruiert, sodass der Chirurg die tibiale Rotation relativ zum medialen ein Drittel der tuberositas tibiae verändern kann. Neuere Studien zeigten, dass die Tibia-Asymmetrie sehr variabel ist. Nur 3 % haben eine Asymmetrie von weniger als 1 mm und 22 % eine Asymmetrie von mehr als 5 mm. Hersteller von symmetrischen Tibia-Designs beschreiben Argumente für ihr Design [20], während Hersteller von asymmetrischen Komponenten Argumente für ein asymmetrisches Designs finden [21]. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, und die Erzielung einer optimalen Knochenabdeckung ist von der Anatomie und von der Rotation der Komponente abhängig [22]. Nur individuelle tibiale Designs können die großen Variationen der Tibia-Asymmetrien berücksichtigen und damit die knöcherne Abdeckung verbessern.

Patientenspezifische
Instrumentensets für
individualisierte Implantate

Die Operationstechnik für die individualisierte Knieendoprothetik nutzt Einwegschablonen während des gesamten chirurgischen Eingriffs. Die patientenspezifischen Schablonen sind vornavigiert, mit den individualisierten Implantaten verpackt und so konzipiert, dass sie mit den Implantaten als ein System zusammenwirken, wodurch die Notwendigkeit mehrerer Instrumentensätze für eine Vielzahl von Größen entfällt. Die Einwegschablonen werden steril geliefert, was eine verkürzte Auf- und Abbauzeit ermöglicht und die Lagerung, die Sterilisation und den Transport überflüssig macht, die normalerweise mit handelsüblichen Instrumenten verbunden sind. Studien werden benötigt, um eine konsistente Reproduzierbarkeit über eine große Bandbreite von Chirurgen und Implantaten nachzuweisen, aber die bisher veröffentlichten Ergebnisse mit patientenspezifischem unikompartimentellem Kniegelenkersatz deuten darauf hin, dass Operationen mit patientenspezifischen Vorrichtungen genaue und zuverlässige Ergebnisse liefern können (8).

Intraoperative Verwendung der Schablonen

Die Operationstechnik des individualisierten Kniegelenkersatzes unterscheidet sich von der des traditionellen Kniegelenkersatzes. Da die Femur-Komponente nur eine Kopie des distalen Femurs ist, ist es unerlässlich, eine „measured resection technique“ anzuwenden und dem Operationsplan so genau wie möglich zu folgen. Bei schweren Deformitäten wird eine absichtliche Unterresektion des distalen Femurs und der proximalen Tibia um 2 mm empfohlen.

Für schwerste Deformationen ermöglicht die posterior stabilisierte Version (Abb. 3), die eine größere Auswahl an PE-Dicken von 6–14 mm aufweist, auch eine „gap balancing technique“, um eine potenziell lose Flexionslücke zu berücksichtigen. Die Operationstechnik beinhaltet patientenspezifische Instrumente und spacer blocks, die ein Balancieren des Knies vor dem Sägen ermöglichen, um den Knochenbestand zu schonen, sowie spacer blocks nach dem Sägen, die den Implantatdicken des Implantatverbunds entsprechen.

Klinische Ergebnisse

Ausrichtung

Eine Wiederherstellung nahe der neutralen mechanischen Ausrichtung beim totalen Kniegelenksersatz ist seit jeher ein wichtiger Ergebnisfaktor, da Fehlstellungen zu einer Lockerung des Implantats führen und die Langzeitergebnisse beeinträchtigen können. Individualisierte Knieprothesen sind nicht auf mechanische Instrumente, Computernavigation oder Robotik angewiesen, sondern auf patientenbezogene Einweginstrumente. Während patientenspezifische Instrumente in „Stangen“-Prothesen aufgrund ihrer gemischten Ergebnisse nicht etabliert sind, haben sich die patientenspezifischen Instrumente in individualisierten Knieprothesen innerhalb weniger Grad der neutralen Ausrichtung als zuverlässig erwiesen. In einer prospektiven konsekutiven Serie von 63 Patienten, die sich während der Lernkurve des Chirurgen einem primären Kniegelenkersatz unterzogen, wurde eine mittlere Deformität von 5,6° (Bereich von 12° valgus bis 15° varus), gemessen mit Computernavigation, in 84,1 % (53 von 63 Patienten) auf neutrale Ausrichtung korrigiert, und die restlichen 10 Patienten wurden innerhalb von ± 2° von der neutralen Ausrichtung [23] korrigiert.

In einer weiteren Studie, die die mechanische Ausrichtung von 125 individuellen Knieprothesen mit 107 OTS-Implantaten vergleicht, gemessen an Ganzbein-Standaufnahmen, hatten die individualisierten Knieprothesen weniger Ausreißer ±3° von der neutralen Ausrichtung im Vergleich zu OTS-Implantaten [24]. Ein ähnliches Studiendesign bestätigte diese Ergebnisse [25] und die Tatsache, dass die Wiederherstellung der mechanischen Achse zuverlässiger ist als die Standardinstrumentierung mit OTS-TKA.

Kinematik

Das Ziel der Wiederherstellung der normalen Kinematik [26] nach dem totalen Kniegelenkersatz steht im Mittelpunkt der Forschung mit der Hypothese, dass die Wiederherstellung der individuellen Kniekinetik die Patientenzufriedenheit verbessert. Die Forschung hat gezeigt, dass die Kniekinematik individuell unterschiedlich ist [27] und von der Art der Aktivität abhängt [28]. Im Allgemeinen beginnt die normale Kniekinematik mit einer verriegelten Position in Streckung (Screw-home-Mechanismus), in der der laterale Condylus im Vergleich zum medialen Condylus anterior auf dem Tibiaplateau sitzt. Der mediale Condylus bleibt in der Mitte des medialen Tibiaplateaus. Während die Poplitealsehne den Screw-home-Mechanismus entriegelt und den lateralen Condylus nach hinten zieht, um die Flexion einzuleiten, bleibt der mediale Condylus mehr oder weniger in der Mitte des medialen Tibiaplateaus. Mit zunehmender Flexion bewegt sich der laterale Condylus nach hinten und um 70–90° beginnt sich der mediale Condylus auch nach hinten zu bewegen, was zu einer tibialen Innenrotation mit Flexion führt. In der Vergangenheit konnte gezeigt werden, dass posterior stabilisierte Knieprothesen aufgrund des Cam-post-Mechanismus [29] ein gleichmäßigeres Zurückrollen aufweisen als kreuzbanderhaltene Knieprothesen. In einer in-vivo kinematischen Studie mit mobiler Fluoroskopie haben individualisierte CR-Totalknieprothesen während der tiefen Beugung im Vergleich zu einem CR-OTS-Implantat mehr laterales Zurückrollen, deutlich höhere axiale Rotation und keine Mid-Flexions-Instabilität gezeigt, was zu einer Kniekinematik führt, die der normalen Kinematik näher kommt als die einer OTS-TKA.

Komplikation und Ökonomie

In einer retrospektiven Single-center-Studie, die 126 individualisierte CR-TKA und 122 OTS-TKA verglich und sich mit Krankenhausaufenthaltsmetriken, Entlassungsziel, unerwünschten Ereignissen, Krankenhausgebühren und potenziellen Gesamtkosten der Versorgung beschäftigte, wurden signifikante Ergebnisunterschiede festgestellt: Die Wahrscheinlichkeit, nach Hause entlassen zu werden, ist mit individualisierten Knieprothesen höher, die Wahrscheinlichkeit einer Bluttransfusion ist 4,6-mal geringer, und die Wahrscheinlichkeit von unerwünschten Ereignissen ist 4,4-mal geringer. Trotz der höheren Kosten für individuelle Implantate waren die Gesamtkosteneinsparungen innerhalb von 90 Tagen im Vergleich zu „Stangen“-Prothesen höher [30].

Im britischen nationalen Register vom Jahr 2017 zeigt sich eine niedrige 2-Jahres-Revisionsrate von 0,5 % für Individualprothesen, was fast 4-mal niedriger ist als die durchschnittliche Revisionsrate aller „Stangen“-Prothesen von 2 % [31].

Schlussfolgergung

Individuelle Knieimplantate und vor-navigierte Einweginstrumente haben das Potenzial, viele der Mängel herkömmlicher Standard-Knieimplantate zu beheben. Aktuelle Systeme hinterlassen eine Lücke in Bezug auf Passform, Kniekinematik und Patientenzufriedenheit, die in der Knieendoprothetik nach wie vor bestehen bleibt. Die individualisierte Knieendoprothetik kann die in der Knieendoprothetik vorhandenen anatomischen Variationen und morphologischen Nuancen berücksichtigen.

Individuelle Implantate ermöglichen eine optimale Knochenabdeckung des distalen Femurs und der proximalen Tibia ohne Überhang oder Unterdimensionierung.

Die Wiederherstellung der medialen und lateralen Condylen führt zu asymmetrischen Femur-Komponenten, die der einzigartigen Morphologie des distalen Femurs entsprechen: Typischerweise breitere, gekrümmte mediale Condylen und schmalere, gerade, flachere und kürzere laterale Condylen, einschließlich der spezifischen Morphologie zur Berücksichtigung der Poplitealsehne. Beide unterschiedlich geformten Condylen können die Patellakinematik in der Flexion verbessern.

Individuelle J-Kurven des medialen und des lateralen Condylus werden reproduziert und eine ausgefeilte koronare Krümmung hinzugefügt, um die Kontaktfläche zu optimieren und die PE-Belastung ohne Einschränkungen zu minimieren.

Nur die individualisierte Knieendoprothetik kann die hohe Varianz der medialen und der lateralen posterior condylären Offsets berücksichtigen. „Stangen“-Prothesen können das nicht, außer wenn der posterior condyläre Offset mehr oder weniger gleich ist.

Die Wiederherstellung des distalen femoralen Offsets und das Hinzufügen eines passenden Offsets auf der tibialen Seite stellt die normale mechanische koronare Ausrichtung wieder her.

Die Vorteile der individualisierten Knie-Totalendoprothese sind kurzfristig vielfältig in Bezug auf bessere Passform, Berücksichtigung und Anpassung des anatomischen Unterschieds zwischen medialen und lateralen Femur-Condylen und passend zu den einzelnen distalen femoralen Offsets und J-Kurven. Erste Erfahrungen und Rückmeldungen bestätigen, dass bei mäßig deformierten Knien keine ligamentären Releases erforderlich sind und dass keine Mid-Flexion-Instabilität auftritt. Weiter bestätigt werden eine frühe Stabilität und eine gute Beweglichkeit. Weitere Forschungsarbeiten sind erforderlich, um klinische Ergebnisverbesserungen im Vergleich zur konventionellen Kniearthroplastik zu dokumentieren. Darüber hinaus sind Kosten-Effizienz-Vergleiche zwischen „Stangen“-Prothesen und Individualprothesen erforderlich, besonders um die Kosteneinsparungen durch weniger Komplikationen herauszustreichen.

Interessenkonflikt:

Prof. Beckmann erhält Honorar für Beratertätigkeit von Confomis Inc, Bellerica, MA, USA. Dr. Fitz erhält Honorar für Beratertätigkeit von Confomis Inc, Bellerica, MA, USA und Lizenzgebühren für Urheberrechte von Confomis Inc, Bellerica, MA, USA

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Korrespondenzadresse

Dr. Wolfgang Fitz

Brigham Health

75 Francis Street

Boston MA 02115

USA

wfitz@bwh.harvard.edu

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