Übersichtsarbeiten - OUP 03/2019

Evolution der individualisierten Total-Knieprothese mit 3D-Technologie

Neben der Passform können auch andere anatomische Abweichungen zwischen den Patienten die Funktion und die Patientenzufriedenheit beeinflussen. Die sich mit konventionellem Kniegelenkersatz ergebende Kniekinematik hat sich als nicht optimal erwiesen mit resultierenden negativen Auswirkungen auf die berichteten Aktivitätslevel und Funktion der Patienten [5]. Die Kniekinematik wird multifaktoriell beeinflusst, wobei ein Faktor darin besteht, dass „Stangen“-Prothesen die native Artikulationsgeometrie eines Patienten nicht vollständig nachbilden, also keine Kopie des distalen Femurs darstellen, und damit die natürliche Kinematik verändern [4].

So sind beispielsweise herkömmliche femorale Komponenten entweder symmetrisch oder leicht asymmetrisch und weisen einen festen distalen femoralen Condylen-Winkel auf. Jedoch variiert der distale femorale Offset bei Patienten in einem recht großen Bereich. Hunter et al. [12] berichteten von einem durchschnittlichen Valgus-Condylen-Winkel von 5° mit einer Standardabweichung von 3° sowohl in normalen als auch in osteoarthritischen Knien. Dabei reichte der Valgus-Condylen-Winkel von Patient zu Patient von –6° varus bis +13° valgus [13]. Diese Differenz im femoralen Condylen-Winkel kann zu einem unterschiedlichen Offset von bis zu 8 mm betragen. Herkömmliche Implantate können diese extremen outlier nicht ohne exzessive Ligament-Release versorgen. Wenn der Condylen-Winkel eines Patienten kleiner oder größer als der feste Winkel des Implantats ist, kommt es zu medialer oder lateraler Laxizität und es werden Korrekturen der Bandstrukturen durch sog. Releases notwendig, was nichts anderem als einer schrittweisen Durchtrennung der Bänder entspricht. In einer Studie von Meric et al. [14] zeigten 13.546 CT-Scans, dass Ausreißer mit einem distalen Condylen-Winkel von weniger als 3° valgus oder mehr als 9° valgus häufig auftraten.

Ein weiterer Aspekt, der Anlass zur Sorge gibt, ist die Wiederherstellung des distalen posterioren condylären Offsets: Intraoperativ rotieren Chirurgen den symmetrischen condylären „Stangen“-Femur im Sinne einer Innen- oder Außenrotation. Wir wissen, dass die Außenrotation zu einer besseren patellaren Führung führt. Da sich jedoch der Drehpunkt der Rotation in der Mitte des distalen Femurs befindet, wird der mediale hintere Condylus überreseziert und der laterale Kondylus unterresiziert, was zu einer stärkeren medialen Flexionslaxizität, aber gleichzeitig zu einer stärkeren lateralen Flexionsstraffheit führt (Abb. 1). Matziolis et al. [11] zeigten in einer Studie mithilfe der Computernavigation, dass eine Rekonstruktion der hinteren Condylen innerhalb von 2 mm notwendig ist, um eine Mid-Flexion-Instabilität zu vermeiden.

Patientenspezifische
Knieimplantate

Individuell angefertigte Implantate (ConforMIS, Inc.) repräsentieren eine individuelle Kopie der Oberflächengeometrie des Kniegelenks. Hiermit werden nicht nur die individuellen Oberflächen wiederhergestellt, sondern auch die unterschiedlichen Höhen und Breiten von Femur und Tibia. Abbildung 2 zeigt die „cruciate retaining“-Version, bei der das hintere Kreuzband erhalten bleibt. Gleichzeitig werden jedoch traditionell anerkannte Regeln eingehalten, um eine neutrale mechanische Achsenausrichtung der Beinachse zu rekonstruieren. So wird bei einem individualisierten Design einer totalen Knieendoprothese beispielsweise die Komponentenkontur an die Anatomie des Patienten angepasst, um eine präzise Passform zu gewährleisten. Darüber hinaus werden die medialen, lateralen und trochlearen J-Kurven anatomisch rekonstruiert, um den individuellen, distalen femoralen Offset des Patienten wiederherzustellen. Dies bewirkt, dass die relative Position von Bandursprung und -ansatz erhalten wird, was wiederum den Bedarf an ligamentärem Releasen (teilweises Durchschneiden von Bändern) im Vergleich zu „Stangen“-Prothesen dramatisch reduziert, wenn nicht sogar eliminiert.

Die distale Oberschenkelresektion erfolgt in einem Winkel von 90° relativ zur mechanischen Achse, und das tibiale Polyethylen reflektiert den distalen Condylen-Winkel. Wenn z.B. der distale Condylen-Winkel 4° valgus beträgt, ist der tibiale Winkel des Polyethyleninserts in der koronaren Ebene in 4° varus. Da die Resektion der Tibia ebenfalls in 90° zur mechanischen Achse der Tibia durchgeführt wird (neutrale mechanische Ausrichtung), wird die Beinausrichtung insgesamt auf mechanische Neutralität korrigiert. Der Chirurg hat jedoch die Möglichkeit, subtile Anpassungen nach den Prinzipien der restriktiven kinematischen Ausrichtung [15] oder der konstitutionellen Ausrichtung [16] nach eigenem Ermessen vorzunehmen.

Es gibt noch weitere wichtige anatomische Merkmale, die mit einer individualisierten Knieendoprothetik wiederhergestellt werden können, die aber nicht mit handelsüblichen „Stangen“-Prothesen möglich sind: Mensch et al. [2] beobachteten Unterschiede zwischen den medialen und lateralen femoralen condylären J-Kurven. Der mediale Condylus ist gekrümmter und breiter, während der laterale Condylus schmaler und gerader ist. Der distale femorale Condylus besteht aus 3 J-Kurven, der medialen, der lateralen und der trochlearen J-Kurve. Die mediale und die laterale J-Kurve wiederum haben 3 unterschiedliche Anteile: posteriorer und anteriorer Radius mit einer Übergangszone. Der mediale und der laterale anteriore Radius ist unterschiedlich, nämlich größer am lateralen Condylus [2]. Neuere Arbeiten bestätigten die Daten von Mensch et al. mit Computertomografie (CT) und Kernspintomografien (MRT) [17, 18]. Die anterioren Radien des medialen und des lateralen Condylus sind im Vergleich zu den posterioren Radien größer, und das Verhältnis zwischen beiden ist auf der medialen Seite größer als auf der lateralen.

Herkömmliche „Stangen“-Prothesen, wie z.B. das „single radius“-Design, gehen nicht auf diese unterschiedlich anatomischen Morphologien ein und stellen die große Varianz zwischen medialen und lateralen posterioren condylären Offset nicht wieder her. 80 % der Menschen haben einen Unterschied von mehr als 2 mm zwischen den beiden posterioren condylären Offsets [10]. Standard-Implantate haben eine feste Symmetrie, mit einer Ausnahme: Ein Hersteller vertreibt eine fixiert asymmetrische femorale Komponente mit einer fixierten Asymmetrie von 3° (Journey, Smith and Nephew, Memphis, TN, USA). Allerdings zeigen CT-Studien, dass die Unterschiede zwischen den medialen und den lateralen posteriorem Offset auch nicht konstant asymmetrisch sind [10]. In der heutigen Praxis können herkömmliche „Stangen“-Prothesen-Designs die individuelle Vielfalt von Gelenkflächen nicht wiederherstellen, was sich seit den Anfängen der Knieendoprothetik nicht verändert hat [2].

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5