Übersichtsarbeiten - OUP 01/2015

Exergames in der orthopädisch- unfallchirurgischen Rehabilitation

T. Brauner1, P. Burka1, K. Stamer2,T. Horstmann1, 2

Zusammenfassung: Ziel der vorliegenden Untersuchungsreihe war die Evaluation von Therapierelevanz, Sicherheit und Akzeptanz von Exergames bei Patienten nach totalendoprothetischem Gelenkersatz. Die Studienreihe bestand aus einer Vorstudie zum Bewegungsprofil während des Exergamings bei gesunden Probanden (n = 17), einer Bewegungsanalysestudie (n = 18) sowie einer Akzeptanzstudie (n = 44) an Patienten nach Hüft- oder Kniegelenkersatz. Die Patienten führten in 2 Minuten Spielzeit 25 zyklische Beinbeugungen/-streckungen mit therapierelevantem, aber risikolosem Gelenkwinkel durch. Die Patienten zeigten hohe Motivation und Akzeptanz gegenüber Exergames und beurteilten eine Integration in das Therapieprogramm durchweg positiv. Bereits handelsübliche Exergames können im orthopädischen Therapiealltag sinnvoll und gefahrlos eingesetzt werden. Für eine optimale Therapieergänzung sind jedoch therapiespezifische Neuentwicklungen unerlässlich.

Schlüsselwörter: Videospiele, Kinect, Gelenkersatz, Serious
Games, Bewegungsprofil

Zitierweise
Brauner T, Burka P, Stamer K, Horstmann T: Exergames in der orthopädischunfallchirurgischen Rehabilitation.
OUP 2015; 01: 004–010 DOI 10.3238/oup.2015.0004–0010

Summary: Aim of these studies was to evaluate therapy relevance, safety, and acceptance of exergames by patients following arthroplasty. The study complex consisted of one pilot study analyzing a movement profile of healthy subjects during exergaming (n = 17), as well as one movement profile study (n = 18) and one acceptance study with hip and knee arthroplasty patients (n = 44). In 2 minutes playing time, patients executed 25 cyclic leg flexions/extensions within therapy relevant, but riskless joint ranges. Patients showed high motivation and acceptance towards exergames and stated throughout that exergames should be integrated into their therapy protocol. Even off-the-shelf exergames can be integrated usefully and safely into orthopedic therapy, but for an optimal therapy effect therapy specific exergames need to be developed.

Keywords: video games, Kinect, arthroplasty, serious games, movement profile

Citation
Brauner T, Burka P, Stamer K, Horstmann T: Exergames in orthopedic and
trauma-surgical rehabilitation.
OUP 2015; 01: 004–010 DOI 10.3238/oup.2015.0004–0010

Einleitung

Der demografische Wandel einerseits, sowie höhere Erwartungen an eine optimale Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit nach Verletzungen andererseits werden die Rehabilitation in Zukunft auf die Probe stellen. Das britische Rechnungsamt stellte in einem kürzlich veröffentlichten Bericht in Aussicht [1], dass insbesondere personalintensive Therapiemethoden unter Berücksichtigung zukünftiger finanzieller Einschränkungen reduziert werden und schlussfolgerte, dass insbesondere der Bereich der traumatischen Rehabilitation gezwungen sein wird, innovative und kostengünstigere Therapiemethoden zu entwickeln, um die Vielzahl der Therapiebedürftigen adäquat zu versorgen und ihren individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden [1, 2].

Eine Möglichkeit, Patienten individuell bewegungstherapeutisch zu versorgen, bieten videobasierte Computer- und Konsolenspiele, auch Exergames oder Serious Games genannt. Bei diesen Exergames wird das Spielgeschehen durch körperliche Bewegungen des Spielers gesteuert, indem die Bewegungen des Spielers von Sensoren erfasst werden. Für den Einsatz im therapeutischen Umfeld zeigt sich besonders zukunftsweisend die Spielekonsole Xbox Kinect (Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA), die mittels einer Kameraeinheit die 3-dimensionale Bewegung des Spielers in Echtzeit erfasst. Die aktuelle Version dieser Spielkonsole kann klinisch relevante Bewegungen zwischen größeren Segmenten valide ermitteln [3]. Innerhalb des Beins werden z.B. Becken, Ober- und Unterschenkel sowie der Fuß erkannt, wodurch Hüft-, Knie- und Sprunggelenkwinkel zur Verfügung stehen. Dadurch wird zur Steuerung des Spiels die Verwendung von praxisuntauglichen Steuergeräten unnötig [4], die Bewegungen des Spielers alleine reichen aus. Während aus Sicht der Spielhersteller die kontinuierliche Analyse der Gelenkbewegungen in erster Linie für die Spielsteuerung relevant ist, ermöglicht ihre Analyse im therapeutischen Einsatz weitere Möglichkeiten. So kann sie dazu verwendet werden, das Bewegungsprofil des Spielers auf seine Therapiewirksamkeit und seine Sicherheit zu überwachen. Weiterhin können bei der Neuentwicklung von Therapiespielen die Bewegungsprofile progressiv und individuell gesteigert werden, womit dem Spieler permanent ein adäquates Training abverlangt wird.

Basierend auf diesen Möglichkeiten wundert es nicht, dass Exergames bereits Einzug in die Therapie gefunden haben. Sowohl im klinischen Einsatz als auch in der wissenschaftlichen Evaluation wurde die Anwendung von Exergames vor allem in der Prävention und Therapie von Adipositas [5], Diabetes [6], kardiovaskulären [7] und neurologischen [8–10, 3, 11] Erkrankungen beschrieben und größtenteils als erfolgreich eingestuft. Es gibt auch erste vielversprechende Berichte über die Verwendung von Exergames in der Therapie von Krebs und Asthma [6].

Berichte über den Einsatz in der orthopädischen Therapie sind jedoch nach wie vor selten, dabei deuten die wenigen vorhandenen Studien auf ein hohes Therapiepotenzial bei verschiedenen Zielparametern der orthopädischen Rehabilitation hin. Insbesondere die Verbesserung der Balance-Leistung konnte bei Patienten mit Rupturen des vorderen Kreuzbands [12], traumatischen Hirnverletzungen [11], Morbus Parkinson [3, 9, 13], bei institutionalisierten Senioren sowie bei Schülern [14] nachgewiesen werden. Weiterhin konnten Baltaci et al. [12] zeigen, dass eine 12-wöchige Exergames-Intervention bei Patienten nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands den gleichen Effekt auf Muskelkraft, dynamische Balance und funktionale Leistungsfähigkeit hat wie die reguläre Rehabilitation. Dennoch ist die Studienlage zur Verwendung von Exergames unzureichend.

Patienten nach Gelenkersatz stellen eine orthopädische Patientengruppe dar, die insbesondere in Deutschland seit Jahren in ihrer Größenordnung zunimmt. Alleine in Deutschland wurden im Jahr 2010 über 140.000 Kniegelenkersatzoperationen stationär versorgt [15]. Es konnte bereits mehrfach gezeigt werden, dass mit der aktuellen Therapie von Patienten nach Knie- oder Hüftgelenkersatz Defizite zwischen operierter und nicht-operierter Seite auch nach über einem Jahr nachweisbar sind. Eine intensivere Weiterführung der Rehabilitation nach der stationären Versorgung ist daher wünschenswert. Für diesen Zweck zeigen Exergames ein hohes Potenzial, als kostengünstige Therapieergänzung infrage zu kommen. Denn die Therapieschwerpunkte bei Hüft- und Kniegelenkersatzpatienten liegen in der Kräftigung der Hüft- und Kniestreckmuskulatur sowie in der Erhöhung der dynamischen Stabilität, was sich z.B. gut durch kontrollierte Kniebeugen und Ausfallschritte trainieren lässt [16]. Gerade der Ausfallschritt trainiert die gesamte Beinstreckmuskulatur sowie die laterale Stabilisierung in dynamischer Form. Isoliert trainiert, weisen die entsprechenden Übungsformen jedoch einen geringen motivationalen Charakter auf. In Form des Exergames Bowling kann jedoch genau diese Bewegung kontrolliert trainiert werden (Abb. 2) und dabei durch den Spielcharakter motivierender für den Patienten sein.

Entscheidet man sich, Exergames in das Therapiekonzept aufzunehmen, ist eine Evaluation ihrer Eignung notwendig. Zur Evaluation der Eignung einzelner Spiele für die orthopädische Therapie findet sich jedoch in der wissenschaftlichen Literatur kaum etwas. Aus unserer Sicht sollten potenzielle Spiele aus mehreren Blickwinkeln auf ihre Eignung in der Therapie evaluiert werden. Erstens sollte das Exergame gefahrlos für das jeweilige Krankheitsbild spielbar sein. Kontraindizierte Bewegungsmuster dürfen nicht durch das Spiel hervorgerufen werden. Zweitens sollten die Bewegungsmuster therapierelevant sein, d.h. es sollten Bewegungen durchgeführt werden, die innerhalb des regulären Therapieplans als wirksam für das jeweilige Krankheitsbild angesehen werden. Auch die Anzahl sowie die Intensität und das Bewegungstempo sollten der Dosis gängiger Therapiemethoden entsprechen. Drittens sollte das Exergame auf die Patienten motivierend wirken, von ihnen einfach verstanden und als Therapieform akzeptiert werden.

Exemplarisch an dem Exergame Bowling war das Ziel der vorliegenden Untersuchungsreihe, diese Anforderungen an das Exergame (Therapierelevanz, Sicherheit sowie Akzeptanz und Motivation) bei Patienten nach totalendoprothetischem Gelenkersatz innerhalb ihrer Anschlussheilbehandlung zu evaluieren.

Methodik

Die Studienreihe bestand aus insgesamt 3 Untersuchungen (Abb. 1). Zunächst wurde eine Vorstudie an 17 gesunden Probanden durchgeführt, die zeigte, dass das Exergame Bowling mit Hüft- und Kniegelenkwinkeln erfolgreich gespielt werden kann, die kein Luxationsrisiko für Patienten innerhalb der Anschlussheilbehandlung darstellen. Auf Details zu dieser Vorstudie wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Die 2 Hauptuntersuchungen bestanden aus einer Bewegungsanalyse- und einer Akzeptanzstudie.

An der Bewegungsanalysestudie nahmen 18 Patienten (10 männlich, 8 weiblich, Alter: 61,9 ± 8,1 Jahre, BMI: 27,1 ± 2,7 kg/m2 ) teil, an der Akzeptanzstudie nahmen 44 Patienten (23 männlich, 21 weiblich, Alter: 61,7 ± 10,3 Jahre, BMI: 26,2 ± 3,7 kg/m2 ) teil. Alle Patienten befanden sich in der stationären Anschlussheilbehandlung (26 ± 9 Tage post-OP) nach Knie- oder Hüftgelenkersatz. Als Ausschlusskriterien wurden Teilbelastung, schwerwiegende Seheinschränkungen, eine Standzeit von weniger als 3 Minuten und akute Infektionskrankheiten festgelegt. Alle Patienten wurden über den Ablauf der Studie mündlich und schriftlich aufgeklärt und bestätigten die freiwillige Teilnahme mit ihrer Unterschrift. Die Studienprotokolle entsprachen den Grundsätzen der Deklaration von Helsinki in ihrer aktuellen Form und wurden von der lokalen Ethikkommission als unbedenklich eingestuft.

Bewegungsanalysestudie

Die Patienten wurden zu 2 Terminen einbestellt. Beim ersten Termin, in der 2. post-operativen Woche, wurde ihnen das Spiel Exergame Bowling (Microsoft Kinect Sports) erklärt, und sie spielten gegen einen 2. Patienten ein komplettes Bowlingspiel (10 Frames, ca. 5 min). Hierbei wird eine virtuelle Bowlingkugel ergriffen und mit einer Bowlingbewegung ohne Anlauf (entspricht Ausfallschritt nach vorne) Richtung Monitor geworfen (Abb. 2). Die Patienten wurden angewiesen, bei dem Ausfallschritt innerhalb ihrer Bewegungsradien zu bleiben, um risikoreiche Bewegungsausführungen zu vermeiden. In der Vorstudie an gesunden Probanden konnten wir mittels Bewegungsanalyse bereits nachweisen, dass das Bewegungsprofil von Gelenkersatzpatienten beim Spielen des ausgewählten Exergames Bowling keine Gelenkwinkel aufwies, die als kritisch anzusehen sind. Beim 2. Termin, in der 4. post-operativen Woche, wurden die Patienten einzeln einbestellt. Sie wurden mit retroreflektiven Markern versehen, sodass während des Spiels mit einem 8 Kamera Vicon System (T10 Cameras, Vicon Motion Systems Ltd., Oxford, UK) die Gelenkwinkel von Hüfte, Knie- und Sprunggelenk erfasst werden konnten. Die Patienten spielten 2 komplette Bowling Spiele mit je 10 Frames, im ersten Durchgang wurde die virtuelle Bowlingkugel mit der starken Hand geworfen, beim 2. Durchgang mit der schwachen Hand. Es wurden nur jeweils 120 s während des 2. Frames kinematisch erfasst. Die Patienten merkten nicht, zu welchem Zeitpunkt die Erfassung stattfand. Alle Flexionswinkel der Knie- und Hüftgelenkwinkel > 10° wurden mittels Visual3D (C-Motion C-Motion, Inc., Germantown, MD, USA) bestimmt und für die weitere statistische Auswertung herangezogen.

Akzeptanzstudie

Für die Messungen wurden jeweils 2 Patienten gleichzeitig einbestellt. Nach Aufklärung der Patienten hatten sie ca. 5 Minuten Gelegenheit, die Spielsteuerung auszuprobieren und somit das Spiel kennenzulernen. Anschließend spielten sie 5 Minuten lang im Wechsel mit dem jeweils anderen Patienten das Exergame Bowling (Microsoft Kinect Sports). Nach der Spielzeit füllten die Probanden einen Fragebogen mit insgesamt 24 Frageitems aus. Dabei erhoben wir 22 geschlossene Items, die auf einer Skala von 1–10 (1 = stimme gar nicht zu; 10 = stimme voll zu) beantwortet werden sollten, eine halb-offene Frage zur Einschätzung der maximal möglichen Spieldauer in der momentanen körperlichen Verfassung sowie eine binäre Frage, ob das Spiel in das Rehabilitationsprogramm aufgenommen werden sollte. Der entwickelte Fragebogen lehnt sich an der Studie von Nitsche und Schulz [17] an, in der Items zum Spaß- und Motivationscharakter von Exergames erfragt wurden. Für die vorliegende Studie wurde der Fragenkatalog angepasst und umfasst Items, die den Kategorien Motivation und Selbstzweck des Spiels, Loslösung vom Alltag, Beteiligung der Emotionalität, Spielcharakteristiken und Belastungsempfinden zugeordnet werden können.

Zusätzlich wurden in einem Protokollbogen der Punktescore, Vorerfahrung mit Spielekonsolen und subjektives Belastungsempfinden während des Spielens (Borg-Skala: 6 = keine Anstrengung, 20 = maximale Anstrengung) aufgenommen.

Im Rahmen der deskriptiven statistischen Analyse wurden die Verteilungen der Gelenkwinkel mittels Streudiagrammen und die Verteilung der Antworten mit Hilfe von Histogrammen dargestellt. Als Maß der mittleren Tendenz sowie der Streuung wurden Mediane mit entsprechenden 95 %-Konfidenzintervallen mithilfe der Bootstrap-Methode [18] ermittelt. Alle statistischen Analysen wurden mit der Statistiksoftware R (The R Project for Statistical Computing) [19] durchgeführt.

Ergebnisse

Insgesamt führten die Patienten pro 2 Minuten Spielzeit im Mittel ca. 25 Knie- bzw. Hüftflexionen > 10° pro Bein durch. Bei der Analyse der Hüftflexionswinkel zeigten die Hüft-TEP-Patienten keine Hüftgelenkwinkel mit mehr als 90°-Flexion, die meisten Hüftbeugungen lagen im Bereich zwischen 30° und 60°. Generell fielen keine Unterschiede in den Flexionswerten zwischen operierter und nicht-operierter Seite auf und die beobachteten Hüftflexionen unterschieden sich nicht merklich in Anzahl und Ausmaß zwischen den einzelnen Patienten (Abb. 3).

Bei den Knie-TEP-Patienten konnten hingegen deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Patienten festgestellt werden (Abb. 4). Die maximalen Knieflexionswerte reichten von > 110° bei einem Patienten bis zu < 60° bei anderen. Auffällig bei allen Patienten war, dass die nicht-operierte Seite deutlich höhere Flexionswerte erreichte als die operierte. Vier der beobachteten Patienten flektierten ihr operiertes Kniegelenk kaum mehr als 20°.

Auf die Frage, ob das Spiel in die Rehabilitation integriert werden solle, antworteten 43 der 44 Probanden mit ja. In ihrem momentanen Zustand, ca. 4 Wochen nach Gelenkersatz, gaben die Patienten an, das Exergame Bowling für 28 ± 14 Minuten spielen zu können, die Extremwerte reichten jedoch von 5–60 min.

Auf der 10er-Skala stimmten die Patienten der Frage, ob ihnen das Spiel gefallen hat, mit einem Median von 9 (8; 10) (Median [95 %-Konfidenzintervall]) sowie der Frage, ob das Spiel sie motiviert hat sich zu bewegen, mit 9 (9; 10) voll zu (Abb. 5). Die Patienten gaben weiterhin an, sich während des Spielens mental entspannen zu können (8,5 [7,5; 9,5], Abb. 6) und von der Krankheit abgelenkt zu sein (10 [7,5; 10], Abb. 5).

Die Patienten gaben mehrheitlich an, keine Bewegungen durchgeführt zu haben, die sie sich sonst nicht trauen (1,5 [0,5; 2]). Allerdings stimmten sie den Aussagen voll zu, während des Spielens Angst vor Bewegungen gehabt zu haben, die ihren Therapieerfolg verschlechtern bzw. behindern (10 [10, 10]) sowie generell Berührungsängste gegenüber digitalen Therapiemethoden zu haben (10 [10, 10]), s. Abb. 5 und 6).

Die Patienten hatten das Gefühl, mit Hilfe des Spiels ihre Standstabilität trainiert zu haben (8 [6,5; 9,5], Abb. 6) ohne jedoch das Intensitätsniveau der herkömmlichen Therapie zu überschreiten. Eine Belastung im unteren Drittel der Borg-Skala von 9 [7; 9] zeigt ebenfalls, dass die Patienten sich durch das Spiel nur mäßig belastet fühlten.

Diskussion

Ziel der vorliegenden Studienreihe war es, exemplarisch am Exergame Bowling die Eignung des Spiels für die orthopädische Therapie nach Hüft- oder Kniegelenkersatz zu ermitteln. Wir schließen aus unseren Ergebnissen, dass Bowling für den Einsatz in der orthopädischen Rehabilitation gut geeignet ist, denn die Bewegungsanalysestudie zeigte ein therapierelevantes, aber gefahrloses Bewegungsprofil beim Spielen des Exergames auf. Die Patienten führten innerhalb von 2 Minuten Bowling pro Bein ca. 25 therapierelevante Hüft- und Knieflexionen durch, die unterhalb der Bewegungsamplituden bleiben, die als risikoreich einzuschätzen sind. Dadurch konnten wir zeigen, dass das Exergame Bowling eine hohe Dichte an therapeutisch wirksamen Reizen setzen konnte und die Patienten quasi nebenbei bereits nach kurzer Spielzeit ihre Beinstreckerkette adäquat exzentrisch (abbremsend) und konzentrisch (streckend) beanspruchten. Zusätzlich zur Kräftigung der Beinstreckerkette wird bei jedem Ausfallschritt durch die Reduzierung der seitlichen Unterstützungsfläche die dynamische laterale Stabilisierung und somit die Koordination trainiert. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass die hohe Anzahl von Ausfallschritten auch zu Überlastung führen kann, daher muss der betreuende Therapeut oder eventuell in zukünftigen therapiespezifischen Exergames das Spiel vor Überbelastung schützen. Einen Schutzmechanismus nutzten die Patienten bereits instinktiv: insbesondere Knie-TEP-Patienten zeigten sehr individuelle Gelenkwinkelausmaße und blieben damit jeweils in dem für sie angemessenen Gelenkwinkelbereichen.

Das 2. Ziel der Studienreihe bezog sich auf die Akzeptanz und Motivation von älteren Patienten nach totalendoprothetischem Gelenkersatz gegenüber Exergames innerhalb ihrer Anschlussheilbehandlung. Wir konnten zeigen, dass orthopädische Patienten mit einem Altersdurchschnitt von > 60 Jahren Exergames in der Rehabilitation sehr positiv gegenüber eingestellt sind. Die Patienten gaben zu 97 % an, dass sie das Exergame Bowling in die Therapie einbinden würden, sie fühlten sich durch das Spiel motiviert sich zu bewegen und erfuhren eine Ablenkung von ihrer Krankheit. Diese Ergebnisse sind im Einklang mit einer Reihe von Studien an unterschiedlichen Patientengruppen sowie institutionalisierten Senioren [10, 11, 20]. Laver et al. [21] schlussfolgerten jedoch als Folge ihrer Untersuchung an Senioren, dass Senioren Exergames nicht generell positiv gegenüberstünden und dass die Anwendung von Exergames daher limitiert sei. Im Rahmen dieser Diskrepanzen geben wir zu bedenken, dass die Bandbreite an Spielformen innerhalb der Exergames enorm groß ist. Bei der Suche nach geeigneten kommerziellen Spielen für den Einsatz in der Rehabilitation mussten wir ebenfalls die Mehrzahl der Spiele als ungeeignet ausschließen. Gründe für den Ausschluss waren vor allem Spiele mit zu schnellen und komplexen Spielabläufen, zu hohen körperlichen Anforderungen sowie zu abstrakten Spielwelten. Das Exergame Bowling konnte hingegen mit einer klaren und den Patienten bekannten Spielidee überzeugen, die Steuerung erwies sich äußerst simpel und bot die Möglichkeit, auch mit eingeschränkten Bewegungsradien erfolgreich zu spielen. Ebenfalls positiv gegenüber anderen bereits erhältlichen Exergames, die speziell für die Therapie entwickelt wurden, wirkt das Bowlingspiel nicht offensichtlich wie ein Therapiespiel und ermöglicht daher vermutlich eine bessere Ablenkung von der Krankheit. Dennoch besteht unserer Ansicht nach ein Bedarf an neuen Exergames, die speziell für die Therapie entwickelt wurden, um den individuellen Patientenbedürfnissen gerecht zu werden.

Bezüglich des Aspekts der gefühlten Sicherheit konnten wir durch unsere Befragung zeigen, dass die Mehrheit der Gelenkersatzpatienten während des Spielens fürchteten, Bewegungen durchzuführen, die ihren Therapieerfolg behindern oder gar verschlechtern könnten. Die Relevanz dieser Problematik wird durch die Aussage zumindest einiger Patienten noch erhöht, dass sie während des Spielens Bewegungen durchführten, die sie sich sonst noch nicht trauten. Dieses Spannungsfeld zwischen „Eintauchen“ ins Spielgeschehen und dadurch bedingtes Vergessen der Krankheit auf der einen Seite und dem Risiko für das frisch operierte Gelenk, welches durch unüberlegte Bewegungen Schaden nehmen könnte, gilt es positiv auszubalancieren. Die erhöhte Motivation durch den Spielcharakter sehen wir generell als positiven Effekt, in Bezug auf die Sicherheit der Patienten gilt es hier jedoch, ggf. bremsend einzuwirken. Bei Neukonzeptionen von Exergames speziell für die Therapie sollten daher Schutzmechanismen eingebaut werden. Die Analyse der Gelenkwinkel in Echtzeit durch die Spielekonsole sollte dazu als Basis für direkte Warnmeldungen bei kritischen Gelenkpositionen (z.B. 90° Hüftflexion bei Hüft-TEP Patienten) verwendet werden. Als indirekte Schutzmechanismen könnten schon bei der Planung neuer Exergames die Spiele so gestaltet werden, dass kritische Gelenkpositionen vermieden werden, indem das Spiel nur erfolgreich gesteuert kann, wenn der Patient innerhalb risikofreier Gelenkpositionen agiert. Beim Bowling könnte z.B. die virtuelle Bowlingbahn erhöht oder die Schrittweite des Ausfallschritts durch eine Begrenzungslinie künstlich begrenzt werden, um übermäßig weite Ausfallschritte und somit kritische Hüftflexionswinkel von über 90° zu vermeiden.

Jede Untersuchung weist Limitationen auf. Wir wollen in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die vorliegende Studie in ihrer Aussage zur Motivation und Akzeptanz von Exergames bei orthopädischen Patienten limitiert ist, da wir die Patienten nur innerhalb der Anschlussheilbehandlung befragt haben und nicht im Rahmen einer Anwendung im häuslichen, alltäglichen Umfeld der Patienten. Wir sehen zwar den Einsatz von Exergames als ergänzenden Teil des Therapieprogramms innerhalb der Anschlussheilbehandlung, um auch hier den Patienten eine kostengünstige und individualisierbare Therapieform anzubieten, aber ihr großes Therapiepotenzial können Exergames erst entfalten, wenn sie als Fortführung der stationären Therapie im häuslichen Umfeld von Patienten zum Einsatz kommen. Erst durch diesen langfristigen Einsatz können Exergames eine Stütze in der individuellen Rehabilitation zur vollständigen Genesung des Patienten darstellen. Unsere Studienreihe liefert dazu keine relevanten Erkenntnisse. Doch das gewählte Studiendesign konnte zum einen zeigen, dass eine Integration von Exergames im Rahmen der stationären Anschlussheilbehandlung als sinnvoll angesehen werden kann. Zum anderen rechtfertigen die Ergebnisse zukünftige longitudinale Untersuchungen zur Anwendung von Exergames im häuslichen Umfeld.

Schlussfolgerung

Unsere Studienreihe zur Eignung des Exergames Bowling als Therapieergänzung hat gezeigt, dass sich bereits unter den handelsüblichen Exergames Spiele befinden, die im orthopädischen Therapiealltag sinnvoll und gefahrlos eingesetzt werden können. Die Patientenakzeptanz für den Einsatz von Exergames erwies sich als überaus hoch, und insbesondere der motivierende Effekt kann dazu genutzt werden, dass Patienten auch nach stationärer und ambulanter Rehabilitation eigenständig weiter trainieren. Erfolge in anderen medizinischen Fachbereichen, die wenigen orthopädischen Untersuchungen und die Ergebnisse unserer Studienreihe belegen das hohe Potenzial von Exergames im Therapieeinsatz. Wir konnten jedoch feststellen, dass trotz der guten Eignung des Exergames Bowling nur wenige handelsübliche Exergames direkt für den Einsatz im Therapieumfeld geeignet sind. Neuentwicklungen für Exergames speziell für die Therapie sind daher unerlässlich, um dem Anwendungsgebiet gerecht zu werden. Bei speziell für den orthopädischen Einsatz entwickelten Spielen sollten Möglichkeiten der individuellen Trainingsprogression durch Veränderung der Spieleigenschaften bzgl. Spielgeschwindigkeit, notwendige Bewegungspräzision, Bewegungsausmaß oder Spieldauer implementiert werden. Weiterhin könnten individuell einstellbare Warnmechanismen die Patienten vor übermäßigen Bewegungsamplituden schützen. Gerade in der orthopädischen Rehabilitation bedarf es aussagekräftiger Studien mit hoher Evidenz über die therapeutische Wirksamkeit und die Nachhaltigkeit von Exergames.

Interessenskonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des Internationalen Committee of Medical Journal Editors besteht.

Korrespondenzadresse

Dr. Torsten Brauner

Konservative & Rehabilitative Orthopädie

Technische Universität München

Georg-Brauchle-Ring 60/62

80992 München

torsten.brauner@tum.de

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Fussnoten

1 Konservative & Rehabilitative Orthopädie, Technische Universität München

2 Medical Park St. Hubertus, Bad Wiessee

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