Übersichtsarbeiten - OUP 01/2015

Exergames in der orthopädisch- unfallchirurgischen Rehabilitation

Entscheidet man sich, Exergames in das Therapiekonzept aufzunehmen, ist eine Evaluation ihrer Eignung notwendig. Zur Evaluation der Eignung einzelner Spiele für die orthopädische Therapie findet sich jedoch in der wissenschaftlichen Literatur kaum etwas. Aus unserer Sicht sollten potenzielle Spiele aus mehreren Blickwinkeln auf ihre Eignung in der Therapie evaluiert werden. Erstens sollte das Exergame gefahrlos für das jeweilige Krankheitsbild spielbar sein. Kontraindizierte Bewegungsmuster dürfen nicht durch das Spiel hervorgerufen werden. Zweitens sollten die Bewegungsmuster therapierelevant sein, d.h. es sollten Bewegungen durchgeführt werden, die innerhalb des regulären Therapieplans als wirksam für das jeweilige Krankheitsbild angesehen werden. Auch die Anzahl sowie die Intensität und das Bewegungstempo sollten der Dosis gängiger Therapiemethoden entsprechen. Drittens sollte das Exergame auf die Patienten motivierend wirken, von ihnen einfach verstanden und als Therapieform akzeptiert werden.

Exemplarisch an dem Exergame Bowling war das Ziel der vorliegenden Untersuchungsreihe, diese Anforderungen an das Exergame (Therapierelevanz, Sicherheit sowie Akzeptanz und Motivation) bei Patienten nach totalendoprothetischem Gelenkersatz innerhalb ihrer Anschlussheilbehandlung zu evaluieren.

Methodik

Die Studienreihe bestand aus insgesamt 3 Untersuchungen (Abb. 1). Zunächst wurde eine Vorstudie an 17 gesunden Probanden durchgeführt, die zeigte, dass das Exergame Bowling mit Hüft- und Kniegelenkwinkeln erfolgreich gespielt werden kann, die kein Luxationsrisiko für Patienten innerhalb der Anschlussheilbehandlung darstellen. Auf Details zu dieser Vorstudie wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Die 2 Hauptuntersuchungen bestanden aus einer Bewegungsanalyse- und einer Akzeptanzstudie.

An der Bewegungsanalysestudie nahmen 18 Patienten (10 männlich, 8 weiblich, Alter: 61,9 ± 8,1 Jahre, BMI: 27,1 ± 2,7 kg/m2 ) teil, an der Akzeptanzstudie nahmen 44 Patienten (23 männlich, 21 weiblich, Alter: 61,7 ± 10,3 Jahre, BMI: 26,2 ± 3,7 kg/m2 ) teil. Alle Patienten befanden sich in der stationären Anschlussheilbehandlung (26 ± 9 Tage post-OP) nach Knie- oder Hüftgelenkersatz. Als Ausschlusskriterien wurden Teilbelastung, schwerwiegende Seheinschränkungen, eine Standzeit von weniger als 3 Minuten und akute Infektionskrankheiten festgelegt. Alle Patienten wurden über den Ablauf der Studie mündlich und schriftlich aufgeklärt und bestätigten die freiwillige Teilnahme mit ihrer Unterschrift. Die Studienprotokolle entsprachen den Grundsätzen der Deklaration von Helsinki in ihrer aktuellen Form und wurden von der lokalen Ethikkommission als unbedenklich eingestuft.

Bewegungsanalysestudie

Die Patienten wurden zu 2 Terminen einbestellt. Beim ersten Termin, in der 2. post-operativen Woche, wurde ihnen das Spiel Exergame Bowling (Microsoft Kinect Sports) erklärt, und sie spielten gegen einen 2. Patienten ein komplettes Bowlingspiel (10 Frames, ca. 5 min). Hierbei wird eine virtuelle Bowlingkugel ergriffen und mit einer Bowlingbewegung ohne Anlauf (entspricht Ausfallschritt nach vorne) Richtung Monitor geworfen (Abb. 2). Die Patienten wurden angewiesen, bei dem Ausfallschritt innerhalb ihrer Bewegungsradien zu bleiben, um risikoreiche Bewegungsausführungen zu vermeiden. In der Vorstudie an gesunden Probanden konnten wir mittels Bewegungsanalyse bereits nachweisen, dass das Bewegungsprofil von Gelenkersatzpatienten beim Spielen des ausgewählten Exergames Bowling keine Gelenkwinkel aufwies, die als kritisch anzusehen sind. Beim 2. Termin, in der 4. post-operativen Woche, wurden die Patienten einzeln einbestellt. Sie wurden mit retroreflektiven Markern versehen, sodass während des Spiels mit einem 8 Kamera Vicon System (T10 Cameras, Vicon Motion Systems Ltd., Oxford, UK) die Gelenkwinkel von Hüfte, Knie- und Sprunggelenk erfasst werden konnten. Die Patienten spielten 2 komplette Bowling Spiele mit je 10 Frames, im ersten Durchgang wurde die virtuelle Bowlingkugel mit der starken Hand geworfen, beim 2. Durchgang mit der schwachen Hand. Es wurden nur jeweils 120 s während des 2. Frames kinematisch erfasst. Die Patienten merkten nicht, zu welchem Zeitpunkt die Erfassung stattfand. Alle Flexionswinkel der Knie- und Hüftgelenkwinkel > 10° wurden mittels Visual3D (C-Motion C-Motion, Inc., Germantown, MD, USA) bestimmt und für die weitere statistische Auswertung herangezogen.

Akzeptanzstudie

Für die Messungen wurden jeweils 2 Patienten gleichzeitig einbestellt. Nach Aufklärung der Patienten hatten sie ca. 5 Minuten Gelegenheit, die Spielsteuerung auszuprobieren und somit das Spiel kennenzulernen. Anschließend spielten sie 5 Minuten lang im Wechsel mit dem jeweils anderen Patienten das Exergame Bowling (Microsoft Kinect Sports). Nach der Spielzeit füllten die Probanden einen Fragebogen mit insgesamt 24 Frageitems aus. Dabei erhoben wir 22 geschlossene Items, die auf einer Skala von 1–10 (1 = stimme gar nicht zu; 10 = stimme voll zu) beantwortet werden sollten, eine halb-offene Frage zur Einschätzung der maximal möglichen Spieldauer in der momentanen körperlichen Verfassung sowie eine binäre Frage, ob das Spiel in das Rehabilitationsprogramm aufgenommen werden sollte. Der entwickelte Fragebogen lehnt sich an der Studie von Nitsche und Schulz [17] an, in der Items zum Spaß- und Motivationscharakter von Exergames erfragt wurden. Für die vorliegende Studie wurde der Fragenkatalog angepasst und umfasst Items, die den Kategorien Motivation und Selbstzweck des Spiels, Loslösung vom Alltag, Beteiligung der Emotionalität, Spielcharakteristiken und Belastungsempfinden zugeordnet werden können.

Zusätzlich wurden in einem Protokollbogen der Punktescore, Vorerfahrung mit Spielekonsolen und subjektives Belastungsempfinden während des Spielens (Borg-Skala: 6 = keine Anstrengung, 20 = maximale Anstrengung) aufgenommen.

Im Rahmen der deskriptiven statistischen Analyse wurden die Verteilungen der Gelenkwinkel mittels Streudiagrammen und die Verteilung der Antworten mit Hilfe von Histogrammen dargestellt. Als Maß der mittleren Tendenz sowie der Streuung wurden Mediane mit entsprechenden 95 %-Konfidenzintervallen mithilfe der Bootstrap-Methode [18] ermittelt. Alle statistischen Analysen wurden mit der Statistiksoftware R (The R Project for Statistical Computing) [19] durchgeführt.

Ergebnisse

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